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LAIRE/058: NASA-Insel in Second Life - kompatibel mit Raumfahrt (SB)


Begegnung der virtuellen Welten ...


Die US-Weltraumorganisation NASA hat eine Insel in der virtuellen Welt von Second Life erworben und will sie zu einem attraktiven Außenposten ausbauen. Künftig sollen die Besucher (Avatare) noch näher an Projekte wie die Erforschung der Asteroiden, die Reise zum Mond oder gar zum Mars herangeführt werden. Als "partizipatorische Erforschung" bezeichnete der Avatar des Projektleiters Simon "Pete" Worden das Vorhaben, das von ihm und seiner Kunstfigur am vergangenen Samstag auf der 26. Jahreskonferenz der International Space Development der National Space Society (NSS) in Dallas vorgestellt wurde.

"Wir benutzen die Stärke virtueller Umgebungen, um unsere Reichweite auszubauen", erklärte Worden. "Wir wollen sehen, wie diese Insel als Portal für jedermann zum gemeinsamen Flug mit Weltraummissionen dienen kann. Echte Daten von echten Missionen wie die der Internationalen Raumstation können in die virtuelle Umgebung übertragen werden."
(übersetzt nach: NASA Ames' 'Second Life' Blends Cyberspace with Outer Space, SPACE.com, 26. Mai 2007)

Es handele sich nicht mehr um das Weltraumprogramm der Väter, erklärte Worden. Die neue Technologie des virtuellen Lebens im Cyberspace bedeute, "daß wir alle an der Vision zur Erforschung des Weltraums teilhaben können".

Warum überrascht es nicht, daß die NASA in die virtuelle Welt von Second Life einsteigt? Weil beide äußerst kompatibel sind und es für die Öffentlichkeit keinen nennenswerten Unterschied macht, ob ein Raumschiff konkret oder virtuell in den Weltraum vorstößt.

Für die Menschen besaßen die Berichte aus dem All schon immer den Charakter des Virtuellen. Da blieb es nicht aus, daß es zum Phänomen der sogenannten Mondverschwörung kam. Den Anhängern dieser These zufolge ist der Mensch niemals auf dem Mond gelandet. Technisch scheint es machbar zu sein, die Mondlandung zu fingieren. Weil diese Möglichkeit nicht mit letztgültiger Sicherheit ausgeschlossen werden kann und den Regierungen ein solches Täuschungsmanöver durchaus zuzutrauen ist, halten sich die Gerüchte um die Mondlandungen, die im Studio oder in der Wüste gedreht worden sein sollen, so beharrlich. Vor allem aber spielt es eine wichtige Rolle, daß die Menschen ohnehin nur über Medien davon erfahren haben, und Medien sind der Inbegriff der Täuschung. Es wird nur das vermittelt, was gezeigt werden soll.

Das trifft prinzipiell nicht nur für Mondlandung zu, sondern gilt auch für andere Weltraumprogramme, zu denen bislang keine Verschwörungstheorie entwickelt wurde. Ob die NASA farblich aufbereitete Fotos ferner Galaxien präsentiert oder Schüler mit einem Crewmitglied der ISS telefonierem - selbst solche handfesten Dinge oder Vorgänge sind medial bestimmt.

Auch Second Life ist ein Medium, mit dem etwas vermittelt wird. Während aber der Gedanke, daß diese Kunstwelt den Menschen als Flucht-Raum dienen soll, sehr schnell aufkommt, fällt es schon schwerer, dies genauso der Weltraumfahrt zu attestieren. Denn die ist ja vermeintlich "echt". Der Glaube trägt nicht unerheblich dazu bei, daß viele Menschen der Vision US-Präsident George W. Bushs folgen, der vor einigen Jahren in seiner Rede zur Lage der Nation die Errichtung einer permanenten Mondstation und des bemannten Flugs zum Mars angekündigt hatte.

Diese Vision erfüllt nicht unerheblich die Funktion, die vorherrschenden Ordnung zu stabilisieren, hat aber mit der Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Menschen nicht viel zu tun. Darum wäre zu hinterfragen, welche Bedeutung "echte" Raumfahrt tatsächlich für sie hat. Die Vision löst nicht einmal die naheliegenden Probleme der Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, die manchmal den Eindruck erwecken, sie hätten ihren Nationalstolz, der nicht zuletzt vom Heldenmythos der Raumfahrt getragen wird, mit der Muttermilch aufgesogen. Dabei könnten die Anstrengungen, die in die Raumfahrt gesteckt werden, auf andere Weise sehr viel nutzbringender und zum Wohle der gesamten Menschheit eingesetzt werden. Damit wird allerdings unhinterfragt ein Interessenkonsens der gesellschaftlichen Kräfte über die wirklich wichtigen Dinge im Leben unterstellt, der gar nicht zu erkennen ist und allein durch die Existenz der ungeheuer aufwendigen und verschleißträchtigen Raumfahrtprogramme widerlegt wird.

Die Künstlichkeit der Vision Bushs - hier beispielhaft für die Raumfahrt per se - ist uneingeschränkt kompatibel mit Second Life. Der virtuelle und der medial vermittelte Weltenraum bedienen das gleiche Versprechen, demzufolge sich aus der Expansion (Eroberung und Unterwerfung) ein Gewinn erwirtschaften ließe. Wozu sonst sollte ein Mensch in neue Räume vorstoßen wollen, wenn er nicht von der Perspektive getragen würde, dort Lösungen für seine ursprüngliche Lage, also jene Welt oder jener Zustand, der den Ausgangspunkt seines Vormarsches bildete, erlangen zu können?

Wer demnächst mit seinem Avatar zu einer virtuellen Mondreise aufbricht, versucht nicht erst dann der Wirklichkeit zu entfliehen. Die Flucht, genauer gesagt, das Fluchtversprechen beschränkt sich nicht auf die Vision Bushs, wird an ihr aber offenbar. Im übrigen dürfte ein Physiker am wenigsten Probleme damit haben, die Identität der wirklichen und der virtuellen Wirklichkeit anzuerkennen.

30. Mai 2007