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FRAGEN AN DIE NEBELKAMMER/004: Sind Neutrinos schneller als Licht? (SB)


Wurde die kosmische Geschwindigkeitsbegrenzung von Neutrinos durchbrochen?

... kommen sie aus der Zukunft oder wie "verschwindet man sie" aus der Gegenwart?


Nahegelegt durch ein gemeinsames Experiment am Teilchenbeschleuniger im CERN und dem Neutrino-Detektor im italienischen Grand Sasso Massiv, spaltet die sonst nur in Science-Fiction Literatur gewagte Behauptung, subatomare Teilchen könnten Überlichtgeschwindigkeit erreichen, die Welt der Physiker und Elementarteilchenforscher in zwei - allerdings äußerst gespannte - Lager: Die einen fürchten oder feiern schon, daß Einsteins spezielle Relativitätstheorie ins Wanken geraten sein könnte oder sie träumen von Tachyonenantrieben und Zeitreisen...

"Falls diese Messungen bestätigt werden, könnten sie unsere Sicht auf die Physik verändern", erläuterte CERN-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci.
(DiePresse.com, 23. September 2011)

... die anderen - wohl der größere Teil - nehmen die sensationellen Nachrichten der letzten Neutrinoexperimente mit großer Skepsis auf und glauben an noch unerkannte systematische oder konzeptionelle Fehler im Meßsystem. Gleichzeitig will man aber genau letztere äußerst sorgfältig ausgeschlossen haben. Laut dem Sprecher des OPERA- Experiments (Oscillation Project with Emulsion-tRacking Apparatus), Antonio Ereditato von der Universität Bern, habe man selbst "nach vielen Monaten Analyse und Prüfung keinen Instrumenten-Effekt", sprich keinen Fehler, gefunden, "der die Meßergebnisse erklären könnte". Nun sollen unabhängige Forscher die Ergebnisse aus dem Europäischen Kernforschungszentrum CERN überprüfen. Was dabei herauskommt, wird unsere Wirklichkeit bestenfalls um eine neue Theorie ergänzen. Nur die vom "Homo sapiens physikus particularum" (auf deutsch: Teilchenphysiker) besiedelte Welt scheint zu beben, hat man doch, nach jahrelangem, langwierigen, ereignisarmen Einspeisen von Daten in den Rechenzentren und nach langem Warten auf das immer noch nicht erschienene Higgs-Teilchen, e-n-d-l-i-c-h einmal die Gelegenheit, Zeuge einer fundamental revolutionären Entdeckung zu sein oder alles nüchtern in Frage zu stellen, was bisher auf diesem Gebiet theoretisiert wurde.


Was ist eigentlich geschehen?

In dem bereits erwähnten OPERA-Experiment wurden in einem unterirdischen Labor in den italienischen Abruzzen in den letzten drei Jahren ungefähr 15.000 Neutrinos in einem extra dafür entwickelten, etwa 20 Meter langen, 10 Meter hohen und 10 Meter breiten Auffangapparat detektiert, die zuvor in dem rund 732 Kilometer entfernten CERN erzeugt und unterirdisch d.h. durch Erdreich und Gestein in Richtung Grand Sasso Massiv auf die Reise geschickt worden sind. Die Flugstrecke sei auf 20 Zentimeter genau vermessen bzw. laut Originalangaben des CERN in der entsprechenden Mitteilung:

The baseline considered for the measurement of neutrino velocity is [...] (731278.0 +/- 0.2) m. [T. Adam et al]
(Quelle im Internet, http://arxiv.org/abs/1109.4897 )

Diese im Vergleich zu der Winzigkeit der untersuchten Teilchen doch recht große Ungenauigkeit, wird von den Physikern als "normale" Ausgangsbedingung betrachtet. Auch die etwa 2,4 tausendstel Sekunden (Millisekunden) Flugzeit, die mit mehreren Meßmethoden, die rückgekoppelt, verglichen und gemittelt werden, nachdem sie zuvor sorgfältig validiert, konfiguriert und kalibriert wurden, lasse sich sich auf 10 milliardstel Sekunden (Nanosekunden) genau bestimmen. Nur die Frage unter welchen Voraussetzungen und Methoden sich Zeitmesser in diesem Meßbereich und für diese Aufgabe validieren, konfigurieren und kalibrieren lassen, berührt man offensichtlich nicht.

Ansonsten wird die Geschwindigkeit ganz einfach schulbuchgemäß nach newtonscher Mechanik als Weg dividiert durch Zeit ermittelt. Wie die Forscher im einzelnen Messungen und Meßergebnisse hierfür rechtfertigen, konnte man am 23. September 2011 in einem Life-Mitschnitt im Internet (http://webcast.cern.ch) weltweit verfolgen. Danach hat es überhaupt keine Fehler gegeben.

Dabei wäre das nicht einmal so schlimm, denn es ging bei dem in Genf angesetzten OPERA-Experiment eigentlich gar nicht darum, die Flugzeit der Neutrinos möglichst exakt zu messen. Es sollte ein ganz anderes, seltsames Phänomen der Neutrinos beobachtet und untersucht werden, nämlich ihre Fähigkeit, sich in andere Neutrinoarten umzuwandeln. Während die Forscher also auf neue Erkenntnisse über die Umwandlung sogenannter Myon-Neutrinos in einen anderen Typ - Tau-Neutrinos - warteten, stellten sie gewissermaßen im nebenherein fest, daß die Teilchen um 0,025 Promille schneller als das Licht zu sein schienen. Da war guter Rat teuer!

Nun ja, Abflug und Ankunft von rund 15.000 Neutrinos zu registrieren, sind wohl eine ausreichende Datenfülle, um die Welt der Wissenschaft mit hoher statistischer Sicherheit zu beeindrucken. Angesichts der Masse Neutrinos, die uns ohnedies umschwirren sollen, sind es jedoch Peanuts. Vielleicht deshalb drückte das CERN seine "Sensationsmeldung" wesentlich verhaltener aus: "The result [.] appears to indicate" - "das Ergebnis scheint darauf hinzudeuten" heißt es da bescheiden:

The OPERA result is based on the observation of over 15000 neutrino events measured at Gran Sasso, and appears to indicate that the neutrinos travel at a velocity 20 parts per million above the speed of light, nature's cosmic speed limit. Given the potential far-reaching consequences of such a result, independent measurements are needed before the effect can either be refuted or firmly established. This is why the OPERA collaboration has decided to open the result to broader scrutiny.
(Pressemitteilung des CERN, Genf, 23. September 2011)

Nun ja, angesichts der ziellos durch Raum und Masse schwirrenden Neutrinos fragt man sich bei den 15.000 gefangenen vielleicht, ob sie auch wirklich die im CERN erzeugten sind. Und selbst der scheinbar sensationelle Fund, daß also diese 15.000 speziellen Elementarteilchen rund 60 Nanosekunden früher in den unterirdischen Detektoren am Grand Sasso auftauchten als das Licht bzw. als sie nach den Gesetzen der Physik erwartet wurden, scheint den Experimentatoren selbst wohl eher peinlich zu sein, weil man nicht so einfach nachvollziehen und erklären kann, wie dieses Ergebnis zustande kommt. Und weil es einen Haufen unangenehmer, ebenfalls nicht zu beantwortender Fragen nach sich ziehen wird ... und weil die meisten Forscher davon ausgehen, daß Einstein am Ende doch recht behält wie immer, wenn er in der Vergangenheit angezweifelt wurde. Die spezielle Relativitätstheorie ist schließlich Kult in der Welt der Physik. Doch das ist eine andere Geschichte.

Was die Neutrinos angeht, so ist die Theorie um ihre Existenz bisher aus eben solchen seltsamen und unerklärlichen Begebenheiten immer weiter entwickelt worden. Sie sind aus der Brückung ihrer gesammelten Ungereimtheiten gewissermaßen "gereift". Nie jedoch wurde ihre äußerst subtile und schwere Nachweisbarkeit und somit fadenscheinige Existenz genutzt, um sie ernsthaft in Frage zu stellen.

Könnte sich nicht das "Sein oder Nicht-sein" legendärer Neutrinos, die definitionsgemäß nur wenig mehr als der Hauch eines Nichts (sprich nach Belieben "fast" masselos) sind und sich nie direkt, sondern immer nur indirekt über eine Kette von Ereignissen nachweisen lassen, bei denen sie "ihr Leben" schließlich stilvoll als Lichtblitz in speziell dafür konzipierten Detektoren aushauchen, wenn die Physik es wollte, letztlich als reines theoretisches Zugeständnis an einige physikalische Widersprüche relativieren lassen?

Im Prinzip schon, aber - wie schon die Geschichte ihrer "Erfindung" verdeutlicht, waren die winzigen unscheinbaren Teilchen bisher zur Stützung des theoretischen Konzepts so überaus nützlich, daß es mehr bräuchte, sie wieder "wegzuerklären" als die Sprengung der kosmischen Geschwindigkeitskonstante:

Bei einigen radioaktiven Zerfällen trat überraschenderweise durch das Postulat, daß ein neutrales Kernteilchen des Atoms, das Neutron, in jeweils ein Proton und ein Elektron gespalten werden sollte, ein Defizit im bis dahin für unerschütterlich gehaltenen Energieerhaltungsgesetz auf. Wie man es auch drehte, die Summe der Energien von Proton und Elektron waren stets kleiner als die des Neutrons. Was lag also näher, als für den fehlenden Energiebetrag ein weiteres noch nicht entdecktes Teilchen verantwortlich zu machen, was in persona 1930 der Österreichische Physiker Wolfgang Pauli tat, der das Ganze "einen unsichtbaren Diebstahl" nannte und den Täter als "Neutrino" bezeichnete.

Der Name spricht schon für sich: Der Dieb mußte wie sein Mutterteilchen, das Neutron, elektrisch neutral sein, da das "Ladungserhaltunggesetz" kein weiteres geladenes Teilchen zuließ.

Außerdem sollte das neue Teilchen reaktionsträge, nahezu masselos sein und überhaupt nicht mit Materie interagieren (= wechselwirken), weil es sich mit diesen definierten Eigenschaften per se mit den üblichen Meßinstrumenten gar nicht aufspüren ließ und somit seiner Entdeckung offiziell noch lange "entkommen konnte". Denn bis dahin war es ja noch nirgends aufgetaucht.

Auch daß es über 26 Jahre lang weiter unauffindbar blieb, obwohl es angeblich nur so davon wimmeln sollte, schien unter all diesen Voraussetzungen ausreichend erklärlich.

Damit erschöpfte sich zunächst die Funktion der Neutrinos, so daß man sich weiter nicht mehr damit zu befassen brauchte, bis in den fünfziger Jahren zwei Amerikaner, Fred Reines und Clyde Cowan, bestimmte Effekte bei Kernreaktionen in einem Atomreaktor beobachteten, für die sie wieder keine Erklärung hatten. Sie machten ebenfalls Neutrinos dafür verantwortlich. Von da an verselbständigte sich die Teilchentheorie und das unsichtbare und wenig einflußreiche Teilchen wurde als Lückenbüßer in zahlreiche ebenso vielversprechende wie unausgegorene Theorien eingeflochten, denen nur noch das gewisse Etwas fehlte, der direkte Nachweis des Teilchens selbst. Zwar wurde 1956 die Existenz des Neutrinos nachgewiesen, doch bis zum heutigen Tage nie "direkt". Dazu hieß es im Spektrum der Wissenschaft im Juli 2010:

Ein Neutrino verrät sich, wenn es mit einem Atomkern kollidiert und ein geladenes Teilchen - entweder ein Elektron oder einen von dessen nahen Verwandten, ein Myon oder Tau - freisetzt, das wiederum sichtbares Licht oder Radiowellen emittiert. Da solche Ereignisse selten sind, müssen die Astronomen ein großes Materievolumen überwachen, um wenigstens einige aufzuspüren.[1]

Ihre Seltenheit bleibt ein ständiger Widerspruch zu den Hochrechnungen der Forscher, denen zufolge pro Sekunde 120 Milliarden Neutrinos, die aus den Kernprozessen der Sonne stammen, durch jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche rasen, ohne daß eines davon in unserem Planeten hängen bliebe, geschweige denn, daß man dies wahrnehmen könnte... All das ist äußert praktisch, da sich damit auch nie die Frage stellt, ob es das Teilchen denn wirklich gibt oder ob es sich tatsächlich nur um eine Erfindung handelt, die rückgängig zu machen höchst blamabel wäre, weil doch die Erforschung der Teilchen schon so viel Geld und andere Mittel verschlungen hat. Statt dessen wird das "Geisterteilchen" wie es aufgrund seiner schlechten Nachweisbarkeit genannt wurde, unter Teilchenphysikern immer beliebter und mit geradezu poetisch klingenden, eigentlich aber nur die Widersprüche rechtfertigenden Eigenschaften versehen - wie sie anläßlich der Physik-Nobelpreisverleihung 2002 an Raymond Davis und Masatoshi Koshiba von der Süddeutschen Zeitung einmal zusammengefaßt wurden:

"Es sind zwar die häufigsten bekannten Elementarteilchen im Universum, und doch gehören sie zu den am wenigsten verstandenen. Neutrinos sind scheu und nahezu unsichtbar. In der Familie der Elementarteilchen sind sie die Einzelgänger, fast ohne jede Wechselwirkung mit anderen Partikeln. Sie rasen pausenlos durch Materie, durch den menschlichen Körper und den gesamten Erdball wie durch ein Nichts."
(Süddeutsche Zeitung, November 2002)

Als man das erste Mal nach Neutrinos fischte, gingen natürlich viel zu wenig davon ins Netz! Die Theorie sagte genau dreimal so viel voraus, als die Experimente mit ihren riesigen Neutrinodetektoren erwischten.

Daß man also kurz darauf feststellte, es müsse nicht nur ein einziges, sondern drei verschiedene Arten von Neutrinos geben, ist nur die logische Konsequenz aus dieser Ungereimtheit. Die damaligen Detektoren sollten eben nur das eine - das Elektron-Neutrino - registrieren können. Deshalb gingen so viele durch die Maschen...

Inzwischen können die Physiker alle drei Arten (sie sprechen dabei von Flavor = Geschmack) messen, wozu in allen drei Fällen sehr viel Materie nötig ist und sehr großer technischer Aufwand. Denn wie Spektrum der Wissenschaft im Juli 2010 schrieb:

Jeder Neutrinotyp oder Flavor setzt sein zugehöriges Teilchen frei - ein Elektronneutrino ein Elektron, ein Myonneutrino ein Myon und ein Tauneutrino ein Tau. Anhand der unterschiedlichen Lichtmuster lässt sich der Flavor auf 25 Prozent genau feststellen.

Elektronneutrino
Das Elektron tritt mit Atomen in Wechselwirkung und gibt seine Energie ab. Ein fast kugelförmiges Volumen leuchtet auf.

Myonneutrino
Da das Myon weniger wechselwirkt, legt es mindestens einen Kilometer zurück und erzeugt dabei eine kegelförmige Lichtspur.

Tauneutrino
Das Tau zerfällt rapide. Seine Entstehung und sein Zerfall bringen zwei Lichtkugeln hervor - den typischen »Doppelknall« (double bang) [1].

Daß diese Eigenschaften hohe Anforderungen an die jeweiligen Detektoren stellen, ist offensichtlich. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind jedoch die immerhin 25 Prozent Ungenauigkeit, die zurückbleiben. Und die Tatsache, daß auch mit den technischen Möglichkeiten, drei Flavors nachzuweisen, immer noch nicht die erwarteten Neutrinomassen gefangen werden können. So postulierte die Wissenschaft ein weiteres sogenanntes steriles und per Definition noch sehr viel schwerer nachzuweisendes Neutrino möglicherweise nur deshalb, um diese neuen Ungereimtheiten zu rechtfertigen. Ebenso muß sich die Physik die Frage gefallen lassen, ob das neue und äußerst seltsame Phänomen namens "Neutrinooszillation" nicht sehr gelegen kam, um die 25 Prozent Ungenauigkeit in der Flavorbestimmung zu erklären: Die verschiedenen Arten der Neutrinos wandeln sich einfach ineinander um! Nichts Genaues weiß man nicht...

Und eben diese spontane Umwandlung (= Oszillation) soll durch das OPERA-Experiment bestätigt bzw. am europäischen Kernforschungszentrum CERN genauer untersucht werden. Bei dem Versuch, der nicht am großen Teilchenbeschleuniger LHC, sondern an dem kleineren Super Proton Synchroton stattfindet, sollen Neutrinos künstlich erzeugt werden und dann hoffentlich 732 Kilometer in direkter Strecke Richtung Grand Sasso zum bereitstehenden Detektor flitzen. Hier hofft man darauf, möglichst viele der am CERN produzierten Neutrinos an ihren Lichtblitzmustern wiederzuerkennen. Und zufällig hat sich dabei die Übertretung der Lichtgeschwindigkeitsgrenze meßtechnisch ergeben... Mit Spekulationen darüber, was das bedeuten könnte, überbieten sich die Physiker in ihren Internet-Blogs:

Hat man es nun mit Tachyonen-Teilchen zu tun, den bisher nur rein hypothetischen Science-Fiction Teilchen, die in der Gegenwart losgeschickt in der Vergangenheit ankommen?

Wurde nicht schon 1985 der Tachyonen-Charakter von Neutrinos diskutiert und dann mangels weiterer Nachweise aus dem Blick verloren?

Sind Neutrinos möglicherweise noch viel schneller, da sie sich unter diesen Bedingungen ja durch steiniges Medium und nicht - wie bei der Definition der Lichtgeschwindigkeit - im Vakuum fortbewegten?

Könnte das Problem, Neutrinos zu registrieren, vielleicht gerade daran liegen, daß sie ein wenig schneller als das Licht sind und folglich immer "rückwärts" an unserer Gegenwart vorbeiziehen? (Welch grandiose Erklärung für alle Ungereimtheiten!)

Und könnten die wenigen gemessenen Neutrinos nicht gänzlich aus der Zukunft stammen, so daß man sie jetzt schon registriert, obwohl das eigentliche Experiment erst in ferner Zukunft stattfinden wird?

Ist Einsteins Relativitätstheorie also jetzt widerlegt? Oder wird sie dadurch nur in neuer Form mit Spezialfällen (für kleine Massen und hohe Geschwindigkeiten) neu bestätigt?

Kann ein derart extrem kleines, unsichtbares Teilchen möglicherweise eine unerwartet große Ausdehnung in Bewegungsrichtung bekommen, so daß die Geschwindigkeit über die relativ kleine Meßstrecke durch die räumliche Ausdehnung erklärbar wird?

Oder werden die Skeptiker, für die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum von 299.792.458 Metern pro Sekunde eine kosmische Geschwindigkeitsbegrenzung bleibt, Recht behalten, wenn sie meinen, es müsse erst einmal geprüft werden, wie denn die sagenhafte Geschwindigkeitsüberschreitung gemessen worden ist? Schließlich läßt man ja nicht wie bei einem sportlichen Wettrennen Neutrinos an einem Startpunkt los und fängt sie am Zielpunkt auf. Am CERN werden Protonen beschleunigt, aus deren Kollisionen dann "schwer vorherberechenbar" Neutrinos entstehen, deren Flugrichtung ebenfalls nur beschränkt manipulierbar ist. Der Detektor selbst, in dem die Neutrinos dann auf einer Strecke von über 20 Metern irgendwo mit anderen Teilchen wechselwirken müssen (was sie ja eigentlich gar nicht tun), um dann als Lichterscheinungen sichtbar zu werden, ist wiederum 20 Meter lang. In 60 Nanosekunden läßt sich bei Lichtgeschwindigkeit etwa 18 Meter zurücklegen. Wo im Detektor wurde der Lichtblitz erwartet? Wo wurde er registriert?

In den sogenannten Quantum Diaries fordert die Physikerin Katharine Copic, die an einem anderen Experiement am CERN beteiligt ist, zwei Dinge. Erstens genaue detailierte Beschreibung, was im Einzelnen getan wurde, um die Messungen zu erhalten und zweitens genaue Erklärungen worin die Unsicherheiten dieser Messungen bestehen:

Thing 1) The first thing I want to see is a paper explaining what the scientists who performed this measurement did. So far, no one I know has seen a paper, only news articles are available, and they don't have enough detail to evaluate what was done. Ideally, this paper would be submitted to a peer-reviewed journal and accepted by a journal before everyone gets too excited.

Thing 2) The most important part of the paper we want to see will explain how the uncertainty on the measurement was obtained. Whether or not the result is exciting will depend on how well they can measure the speed of the neutrinos.[2]

Von Verkürzungsfaktoren in Kabeln bis hin zu Fragen der Quantenmechanik werden Erklärungsmodelle und Spekulationen für das Phänomen diskutiert. Nur die eine naheliegende Frage scheint niemand zu stellen: War nicht das Neutrino mal so etwas wie der Retter des Energieerhaltunggesetzes? Und wieviel Energie wird nun aufgewendet, um mit ausgefallenen Experimenten und noch ausgefalleneren Theorien das Neutrino zu erhalten, das doch eigentlich als Gedankenexperiment angefangen hat und von dem man inzwischen schon vier unterschiedliche Varianten braucht, um es nicht abschaffen zu müssen? Was hat man denn eigentlich bisher nachgewiesen?

Bei den Detektoren handelt es sich stark vereinfacht um Konstruktionen, in denen sich Schichten aus Eisen und Fotoemulsion abwechseln. Dazu kommen im Vorfeld Magnetfelder, die die geladenen Teilchen herausfiltern sollen. Denkt man sich nun den vermeintlichen Teilchenschwarm einmal weg, bleibt der Einfluß besonders starker Magnetfelder auf Eisenkerne, abgesehen von den zuvor im Beschleuniger erzeugten "Kräften", also ausreichend Potential, um auch ohne Teilchen irgendwelche Lichtblitze oder Spuren zu hinterlassen.

Das alles erinnert sehr an die unsichtbaren Garne und Fäden, die mit unermeßlichen Schätzen, Gold und Edelsteinen erkauft werden mußten, um des Kaisers neue Kleider zu weben. Weil kein Physiker Kind genug ist, ernsthaft die simple Frage zu stellen:

Ja, wo ist es denn eigentlich, das Neutrino? Wo läuft es denn hin?
Oder ist es vielleicht gar nicht da?


Quellen:
[1] Spektrum der Wissenschaft 7/10 - Juli 2010, Seite 24 - 31

Herausgeber: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
veröffentlicht im Schattenblick unter

INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → PHYSIK

ASTRO/128: Neutrinos als Boten ferner Welten (Spektrum der
Wissenschaft)

[2] Quantum Diaries im Internet URL: http://sciencesprings.wordpress.com/2011/09/23/from-uslhc-blog- via-quantum-diaries-katherine-copic-on-neutrinos/ und http://www.quantumdiaries.org/2011/09/22/almost-superluminal- physics-chatter/#comment-13845

[3] OPERA experiment reports anomaly in flight time of neutrinos from CERN to Gran Sasso
URL: http://press.web.cern.ch/press/PressReleases/Releases2011/PR19.11E.html

[4] Redaktion / Pressemitteilung der Universität Bern, astronews.com, 23. September 2011, NEUTRINOS - Schneller als das Licht? URL: http://www.astronews.com/news/artikel/2011/09/1109-028.shtml

26. September 2011