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FRAGEN AN DIE NEBELKAMMER/003: Higgs, das war doch nur ein Wort... (SB)


Higgs, das war doch nur ein Wort...

dann trugen es die Engel fort


Alle Bemühungen, das Higgs-, Masse- oder Gottesteilchen (und wie das Boson sonst noch tituliert wird) nachzuweisen bzw. überhaupt erst einmal herzustellen, sind bisher mißglückt. Das hindert die Wissenschaftler am CERN jedoch nicht daran, bei dem neuerbauten Collider, LHC, wieder einmal ganz sicher zu sein, daß man auf Higgs-Teilchen stoßen wird, wenn nur genügend Protonen zur Kollision gebracht worden sind.

Da aus der Vorgeschichte seiner Postulierung hervorgeht, daß das Higgs gar nicht dafür entworfen wurde, überhaupt je einmal entdeckt zu werden (siehe FRAGEN AN DIE NEBELKAMMER/002: Higgs - Wer hat's erfunden? (SB)), drängt sich nun gewissermaßen die Frage in den Vordergrund, woran man die geglückte Synthese eines rein hypothetischen Teilchens denn je erkennen will?

Bisher weiß man nur, daß es (wie alle Teilchen dieser Größenordnung) nicht mit bloßem Auge zu erkennen sein wird und daß es schwerer sein muß, als alles, was man unter den Bedingungen bisheriger Collider wie das frühere LEP-Experiment am CERN (bis 114 GeV) oder das Fermilab in Illinois erzeugt zu haben glaubte (zum Vergleich: die Nukleonen im Atomkern, Proton und Neutron, haben eine Masse von etwa 1 GeV). Es darf aber auch nicht schwerer werden, als es die gegebenen Bedingungen am CERN zulassen, sonst wird's wieder nix mit Higgs...

Die Wissenschaftler winden sich geradezu, wenn es darum geht, sich hierbei, also bei dem, was entdeckt werden soll, genau festzulegen:

"Mit dem LHC werden wir Energien erreichen, bei denen das Standardmodell Inkonsistenzen hat", erklärt Mader im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wir werden auf jeden Fall neue Erkenntnisse gewinnen - ob es nun das Higgs-Boson ist oder nicht." Denkbar seien auch fünf Varianten des Higgs-Bosons, wie sie die Theorie der Supersymmetrie postuliere. Es könne auch sein, dass die Existenz von Higgs-Bosonen widerlegt werde, ergänzt Otmar Biebel von der Ludwig-Maximilian-Universität München, dessen Team ebenfalls am "Atlas"-Experiment mitarbeitet.
(SPIEGEL ONLINE Wissenschaft 07.09.08, SUPERBESCHLEUNIGER LHC Die Jagd nach dem Gottesteilchen beginnt)

So daß eine erneut mißglückte Jagd auf das Higgs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das notwendige Hinterfragen und Prüfen von Voraussetzungen und Hypothesen, sondern nur weitere, zur Entdeckung ausstehende Teilchen, also kurz: neuen Forschungsbedarf, zur Folge haben wird...

Abgesehen von seiner höchst unwahrscheinlichen Existenz haben die Wissenschaftler aber auch gezielt Voraussetzungen in der Beschreibung seines Charakters gewählt, die seine ohnehin fragliche Entdeckung noch erheblich erschweren.

Erinnern wir uns: Das Konzept, das heute Higgs-Mechanismus genannt wird, wurde aus der Festkörperphysik abgeleitet. Im Astro-Lexikon H3 (Internetseite) wird das folgendermaßen beschrieben:

Im Festkörper gibt es ein Gitter aus positiv geladenen Atomrümpfen, die das Gitter des Festkörpers bilden. Bewegt sich nun ein Elektron durch das Gitter, so wird dessen effektive Masse signifikant gegenüber der eines freien Elektrons erhöht, weil das Elektron vom positiven Gitter angezogen wird. Das Elektron wird schwerer!
(Astro-Lexikon H3 Website)

Auf analoge Weise soll das Higgs-Teilchen den schweren Teilchen des Standardmodells Masse verleihen, von dem (ruhe-) masselosen Photon einmal abgesehen.

Nun ist aber gemäß der quantenmechanischen Energie-Zeit-Unschärfe nach Werner Heisenberg interessanterweise mit einer hohen Masse eines Teilchens auch eine kurze Lebensdauer assoziiert, und das ist ein schlauer Kunstgriff, das Scheitern der Erzeugung auch noch wissenschaftlich zu begründen. Hier schließt sich der Kreis zu dem per Definition höchst unwahrscheinlichen, von Feynman postulierten Geistteilchen und seinen vielen Vätern:

Aus diesem Grund könnte man das Higgs-Teilchen auch Geistteilchen (engl. ghost) nennen, weil es kaum in Erscheinung tritt. Historisch geht die Bezeichnung 'Geistteilchen' auf Abdus Salam zurück, der eine anschauliche Interpretation des Higgs-Mechanismus beschrieb (sinngemäß): 'Teilchen verleiben sich Higgs-Bosonen ein, um an Masse zu gewinnen und zurück bleiben nur die Geister der Higgs-Teilchen.' Eine andere Bezeichnung ist das 'Teilchen Gottes', weil ihm die tragende Rolle bei der Vergabe der Masse zukommt.
(Astro-Lexikon H3 Website)

Um dennoch unter diesen Bedingungen etwas Higgs-ähnliches nachzuweisen, verweisen die Physiker auf jenen Teil der Quantentheorie, der zufolge sich Felder immer auch als Teilchen bemerkbar machen, sofern man nur für ausreichend Schwung und Dynamik in der Röhre sorgt.

Im Falle des Elektromagnetismus etwa lassen sich mit dem an sich statischen Feld eines Stabmagneten durch periodisches Umdrehen elektromagnetische Wellen erzeugen. Nach der Quantentheorie können diese die Energie nur häppchenweise transportieren, weswegen man sie gleich als Teilchen auffassen kann, nämlich als Photonen (wenn in diesem Fall auch sehr geringer Energie). Das heißt für das hypothetische, vermeintlich allgegenwärtige Higgsfeld: Man lasse es darin nur ordentlich krachen - etwa in einem riesigen Beschleuniger wie dem LHC -, und schon sollten sich daraus ganze Teilchen ablösen, eben Higgs-Teilchen -, die aufgrund ihrer Masse und aufgrund des Unschärfe-Problems umgehend in leichtere Teilchen zerfallen.

Physiker hoffen nun darauf, dieses elementare Partikel mit dem LHC zu erzeugen. Ihren Optimismus begründen sie mit der extrem hohen Energie, mit der hier Protonen, Bausteine der Atome, gegeneinander geschossen werden. Beim Zusammenprall zertrümmern sich die Teilchen gegenseitig und aus der Kollisionsenergie entstehen neue Teilchen. Damit ein Higgs-Teilchen entsteht, muss die Kollisionsenergie besonders hoch sein. Denn das Partikel ist sehr schwer. Da Masse und Energie nach der speziellen Relativitätstheorie äquivalent sind, benötigt man auch besonders viel Energie, um Higgs-Teilchen zu produzieren. Solche Energien haben Beschleuniger bislang nicht erreicht.
(chemie online 11. August 2008 - Dem Higgs-Teilchen auf der Spur)

Zerfallende Teilchen und die charakteristischen Muster oder Zerfallsreihen, die sich daraus ergeben, für den normalen Menschenverstand ein Sinnbild dafür, daß es so nicht geht, gelten in der Teilchenphysik jedoch gerade als Nachweis für das Gegenteil bzw. dafür, daß es das gesuchte Teilchen zumindest kurzfristig gegeben hat.

Für das noch völlig unbekannte Higgs-Teilchen bedeutet dies, das sich die Wissenschaftler zumindest darauf einigen müssen, in welche Bestandteile es denn zerfallen soll, um dann gezielt danach zu suchen. Stößt man anschließend in den Abermillionen von Ereignissen am CERN auf das gewünschte Muster, darf man getrost behaupten, daß dies auf ein zerfallenes, also kurz vorher existentes, Higgs zurückgeht. Braucht es also nur noch ein relativ selten, aber doch sicher auftretendes Ereignismuster - und schon ist es entdeckt, das Higgs oder nicht?

Was hierfür alles inszeniert werden muß, erklärte Dr. Matthias Schott gegenüber dem Drillingsraum:

Das Higgs-Teilchen selbst zerfällt im Teilchendetektor so schnell in andere Teilchen, dass man lediglich seine Zerfallsprodukte nachweisen kann. Welche Zerfallsprodukte das sind, hängt nun ganz von der Masse des Higgs-Teilchens ab, die wir ja noch nicht kennen. Nehmen wir zum Beispiel an, dass das Higgs-Teilchen mehr als doppelt so schwer ist, wie zwei Z-Bosonen, so zerfällt es meist auch in zwei Z-Bosonen.

Nun müssen wir also nur nach diesen beiden Z-Bosonen suchen. Dummerweise zerfallen auch diese sehr schnell in andere Teilchen, so zum Beispiel in jeweils zwei Elektronen. Elektronen sind stabile Teilchen und zerfallen nicht weiter. Wir suchen im Detektor also nach vier Elektronen, die ungefähr gleichzeitig entstanden sind. Das Problem an der Sache ist, dass vier Elektronen bei Kollisionen von Protonen sehr häufig entstehen, ohne dass ein Higgs-Teilchen im Spiel war. Also muss man sich sehr lange Gedanken darüber machen, wie man Elektronen die zufällig entstanden sind von solchen, die von einem Higgs-Boson stammen könnten, unterscheidet. Dies ist meist die Hauptaufgabe eines experimentellen Teilchenphysikers.

Soviel zur Zuverlässigkeit des Higgs-Nachweises - na, super!?! Das Ergebnis dieser Hirnarbeit wird nun am CERN durch ATLAS verkörpert, einem Koloß, der im Inneren supraleitender Magnetspulen steht, die zwei Tennisplätze einfassen könnten und soviel Eindruck - selbst unter Experten - schindet, daß keiner seine unübersichtlichen Funktionen in Frage stellen mag...

In der äußersten Detektorschicht des ATLAS befinden sich schließlich die sogenannten Myonkammern. Myonen - auch schwere Elektronen genannt - sind per Definition eine Möglichkeit, die Beliebigkeit des Teilchen- und Elektronenwusts, das im CERN erzeugt wird, irgendwie im Sinne von Higgs zu sortieren. Nur Myonen können angeblich den Detektor durchqueren und bis ganz nach außen gelangen, wo 1200 Myonkammern mit einer Gesamtfläche von 2000 Quadratmetern (von denen 100 am Max-Planck-Institut für Physik gebaut wurden) gewissermaßen auf sie warten. Anders gesagt, jene Elektronen, die man in den Myonkammern finden will, sollen nun Myonen und damit Spaltprodukte eines Higgsteilchens sein. Um sie zu identifizieren und aus ihrer Ablenkung im Magnetfeld ihre Geschwindigkeit und Energie zu ermitteln, dafür soll ein gewaltiger Aufwand an Geräten sorgen...

Die Messgeräte haben die Aufgabe, Flugbahn, Impuls, elektrische Ladung und Energie der entstehenden Teilchen aufzuzeichnen. Dazu kombiniert ATLAS unterschiedliche Messgeräte. An dreien arbeiten Forscher des Münchner Max-Planck-Instituts für Physik mit, das seit 1996 allein 6,1 Millionen Euro in das Projekt investiert und weitere sechs Millionen Euro für Infrastruktur aufgewendet hat.

So verbergen sich etwa in der innersten Schicht, dem Silizium-Spurdetektor, 20.000 Siliziumscheiben, deren Design am institutseigenen Halbleiterlabor HLL entwickelt wurde. Sie messen den Durchstoßpunkt der emittierten Teilchen mit einer Auflösung von wenigen Mikrometern. Daraus lässt sich deren Bahn bestimmen. Derartige Nachweisgeräte gab es schon an früheren Detektoren am CERN, aber "am LHC müssen sie wesentlich strahlenresistenter sein", so Siegfried Bethke. "Wir haben das Design nun so ausgelegt, dass die Siliziumscheiben zwar altern, aber mit Nachjustierungen rund zehn Jahre lang ihren Dienst tun können."

Ihre Energie verlieren die Teilchen auf dem Weg nach außen in einem Flüssig-Argon-Kalorimeter. In massiven Kupferplatten erzeugen sie zunächst Schauer von Sekundärteilchen, die in flüssigem Argon zwischen den Platten Spuren aus Argon-Ionen erzeugen. Diese Ionen induzieren eine Spannung, die in einer Gallium-Arsenid-Elektronik nachgewiesen wird. Die besonders robuste Elektronik wurde ebenfalls in München entwickelt. "Hier ist es ganz wichtig, dass die Elektronik möglichst wenig Wärme erzeugt, denn bei der tiefen Temperatur des flüssigen Argons würden sofort Blasen entstehen", erklärt Horst Oberlack, Münchner Projektleiter des ATLAS-Kalorimeter-Systems. Die Summe aller Spuren in der Sandwich-Struktur gibt den Physikern ein Maß, welche Energie die Teilchen ursprünglich hatten. Für die Partikel, die nahe der LHC-Strahlachse entweichen, wurden nach diesem Prinzip Endkappen-Kalorimeter konstruiert, die wie riesige Mühlsteine an beiden Enden des zylinderförmigen Detektors sitzen. Ein Endkappenkalorimeter baute komplett das Münchner Max-Planck-Institut.
(chemie online 11. August 2008 - Dem Higgs-Teilchen auf der Spur)

Bei soviel Möglichkeiten, elektrische Impulse oder Schwingungen auszulösen, sollte doch was zu finden sein, nur ob das überhaupt noch etwas mit Teilchen, Myonen oder Elektronen zu tun hat, sei dahingestellt... Den Rest macht der Computer:

Da man nicht weiß, was genau sich ereignen wird, üben die Physiker gewöhnlich an erfundenen Daten. Das nennt man Simulation: Sie bauen sich im Computer einen Hintergrund bekannter Prozesse zusammen, mischen ein paar der gesuchten Ereignisse darunter und probieren dann, mit welchen Tricks sie diese wieder heraussuchen können. Cuts nennen Physiker es, wenn sie die Datenmenge kunstgerecht beschneiden, um passende Ergebnisse zu erhalten. Dieses Verfahren, mit dem angeblich gelernt werden soll, einer Manipulation durch unbewußte Wünsche vorzubeugen, erinnert aber doch sehr an eben das, was wir schon im vorigen Beitrag unter dem Begriff "Bias" kennengelernt haben. Wie aber will man die erlernten und erlaubten Cuts von "schrägen Schnitte" darüber hinaus unterscheiden?

Wäre es nicht vielmehr möglich, daß hierbei Wissenschaftler und Maschinen erst entsprechend darauf gedrillt bzw. justiert werden, genau das zu erkennen und auszuspucken, was man finden möchte und dabei so geschickt zu biasieren, daß es keiner merkt? Und für den ganzen Rest sorgt das für den Laien völlig unübersichtliche Simulationsprogramm:

Für die Auswertung der gewaltigen Datenmengen wurde am CERN ein spezielles Grid-Computernetz entwickelt. Das HEPHY ist mit einem eigenen Rechenzentrum am Institut daran beteiligt und hat auch Software zur Rekonstruktion von Teilchenspuren, für das Erkennen von Wechselwirkungspunkten und Zerfallspunkten kurzlebiger Teilchen sowie Analyseprogramme zum Aufspüren neuer physikalischer Erkenntnisse entwickelt - insbesondere auch im Rahmen der Theorie der Supersymmetrie: Denn das Higgs-Teilchen ist nicht das einzige Teilchen, das einem Nachweis harrt. (Österreichische Akademie der Wissenschaften
(ÖAW) Website - Experimente an Grossforschungsanlagen, Die Suche nach dem Higgs-Teilchen, 2. Oktober 2008)

7. Nowember 2008