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SEISMIK/125: Ein Erdbeben als Werkzeug (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - 16.12.2016

Ein Erdbeben als Werkzeug

Erdbeben-Forscher Ulrich Wegler ist neuer Professor der Universität Jena


Mitte Oktober bebte die Erde in der Nähe von Darmstadt, Anfang November bei Bremen und vor wenigen Wochen gab es ein Erdbeben nahe Tuttlingen. Zwar fallen diese Naturereignisse hierzulande weitaus schwächer aus als beispielsweise im erschütterten Italien und erreichen selten eine Magnitude von über drei auf der Richterskala, doch auch in Mitteleuropa müssen Erdbeben aus Sicherheitsgründen beobachtet, analysiert und wissenschaftlich erforscht werden. Seit September macht das an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Ulrich Wegler.

Spannungen im Untergrund innerhalb einer tektonischen Platte

"In Thüringen besteht vor allem im Raum Gera-Altenburg eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Erdbeben", informiert der neue Lehrstuhlinhaber für Angewandte Geophysik der Universität Jena. Grund dafür seien nicht etwa aufeinandertreffende tektonische Platten, wie es in Erdbebenregionen wie Japan und Südeuropa der Fall ist, sondern Spannungen im Untergrund innerhalb einer Platte. Mit Hilfe des Thüringer seismischen Netzes, das aus 20 überall im Freistaat verteilten Überwachungsstationen besteht, können die Experten Vorfälle dieser Art automatisch jederzeit registrieren, lokalisieren und die Magnitude bestimmen. Ziel sei es zudem, dass im Fall eines schwereren Bebens das System direkt die Hilfskräfte und etwa das Technische Hilfswerk verständigt, sagt Wegler.

Für den 49-Jährigen sind die Erdbeben allerdings nicht nur Beobachtungsobjekt, sondern auch Hilfsmittel für seine wissenschaftliche Arbeit. "Mich interessiert vor allem, wie wir uns das Innere der Erde von der Oberfläche aus anschauen können. Und dafür sind seismische Wellen - auch die, die von Beben ausgehen - sehr wichtig", erklärt er. Denn verbreiten sich die Wellen unterirdisch und stoßen dabei auf ein Hindernis bzw. auf Unterschiede in den Gesteinseigenschaften, dann entsteht eine Streuung. Seismometer an der Erdoberfläche zeichnen das entstehende Wellenfeld auf und liefern Informationen über das Hindernis im Erdinneren. So lassen sich beispielsweise bestimmte Gesteinsschichten und auch Schwächezonen entdecken. Ulrich Wegler widmet sich innerhalb seiner Arbeit zum Beispiel sogenannten Schwarmbeben, die wahrscheinlich vor allem in einem Untergrund mit fluidgefüllten Bereichen stattfinden. "Während eines Schwarmbebens passieren genauer gesagt mehrere Beben mit ähnlicher Intensität in einer bestimmten Zeitspanne", erklärt der Jenaer Geophysiker. "Sie treten vor allem in vulkanisch aktiven Gebieten auf."

Den Boden tageweise überwachen

Die seismischen Wellen, die für diese Untersuchungen genutzt werden, gehen übrigens nicht nur aus Erdbeben hervor. Wissenschaftler können sie auch durch spezielle Apparaturen, Fahrzeuge und gezielte Sprengungen erzeugen. Darüber hinaus rufen der Mensch und die Natur sie auch unbeabsichtigt hervor. "In der Nähe einer Küste, an die die Meeresbrandung schlägt oder neben einer Autobahn, über die schwere Fahrzeuge rollen, entstehen ebenfalls geringfügige seismische Wellen, deren Überlagerung das Seismometer als kontinuierliches Rauschen wahrnimmt", informiert Wegler. "Derzeit arbeiten wir daran, uns dieses zunutze zu machen." Wenn man das Rauschwellenfeld zwischen zwei Seismometern korreliere, könne man einzelne Wellen extrahieren und durch mathematische Prozesse zwischen den beiden Beobachtungspunkten ein Seismogramm anfertigen, das so aussieht, als wäre einer der beiden eine seismische Quelle, die eine Welle hervorruft. So könne man den Untergrund für eine bestimmte Fläche gut abbilden. Der Vorteil an dieser Methode ist, dass die Quelle kontinuierlich vorhanden ist und somit der Boden etwa tageweise überwacht werden kann. Die Forscher sehen so minimale zeitliche Unterschiede. Ulrich Wegler will diese Methode an der Universität Jena weiter erforschen, denn eventuell bietet sie eine Möglichkeit, irgendwann die Spannungsentwicklung im Untergrund zu beobachten und Erdbeben so vielleicht voraussagen zu können. Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg.

Der gebürtige Heidelberger, der aber in Garbsen bei Hannover aufwuchs, ist durch die Begeisterung für Vulkane zur Geophysik gekommen. "Während meines Physikstudiums in Marburg und Erlangen habe ich sehr inspirierende Vorträge zu dem Thema gehört und mich deshalb in diese Richtung orientiert", erzählt Wegler. Nach einigen Jahren an der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe in Hannover will er seine Begeisterung für die Bewegungen unter der Erde an seine Studierenden weitergeben.


Weitere Informationen unter:
http://www.uni-jena.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution23

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sebastian Hollstein, 16.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2016

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