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FRAGEN/002: Erdölgeologe Wilhelm Dominik zur Katastrophe im Golf von Mexiko (TU berlin intern)


TU berlin intern 7/2010
Die Hochschulzeitung der Technischen Universität Berlin

Der große "Blow-out"

Erdölgeologe Wilhelm Dominik erklärt, wie es zu der Katastrophe im Golf von Mexiko kommen konnte und was die Wissenschaft zur Lösung beitragen kann

Interview von Patricia Pätzold


PATRICIA PÄTZOLD: Professor Dominik, am 20. April 2010 ereilte uns eine der größten Umweltkatastrophen der Neuzeit, als die Transocean-Bohrinsel "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko havarierte, die im Auftrag des Ölkonzerns BP betrieben wurde und zwei Tage später sank. Seitdem strömt Öl ins Meer, Experten schätzen mittlerweile, dass täglich bis zu zehn Millionen Liter austreten. Trotz vielfältiger Versuche mit Chemikalien und mit Großgerät am Meeresboden, in 1500 Meter Wassertiefe der Lage Herr zu werden, ist ein Ende offenbar nicht abzusehen. Die beteiligten Firmen sind bislang nicht in der Lage, das "Leck" zu stopfen. Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Welche Fehler wurden gemacht?

WILHELM DOMINIK: Bevor man das Menschenversagen der an der Havarie beteiligten Personen untersucht, muss man sich klarmachen, dass zunächst, leider muss man es so sagen, ein Versagen der Politik vorausging. Man hätte das Tiefwasser schon vor zwanzig Jahren nicht für die Exploration freigeben dürfen, ohne eine funktionsfähige Technologie für den Fall einer Havarie eingefordert und entwickelt zu haben. Die Region vor der Küste Louisianas ist bekanntermaßen sehr schwierig zu erschließen. In den Sedimentschichten und den Reservoirhorizonten herrscht ein von der Tiefe abhängiger extremer Überdruck, der sogenannte "Geo-Pressure". Immerhin bohrte man bei einer Wassertiefe von 1500 Metern bis in eine Tiefe von 5500 Metern unter dem Meeresspiegel. Die Überdrucksituation kommt in allen Schelfregionen, also den küstennahen Meeresböden, und den vorgelagerten Kontinentalabhängen der Welt vor. Es war den Beteiligten also von Anfang an bekannt, dass es sich um eine sehr kritische Bohrung handelt. Ich habe solche Bohrungen in die "Over-pressure"-Zone im Golf von Mexiko in den 80er-Jahren als Trainee selbst mitgemacht. Allerdings nur auf dem Schelf, in einer zur damaligen Zeit erreichbaren Wassertiefe von maximal 300 Metern.

PATRICIA PÄTZOLD: Gibt es denn noch keine Sicherheitstechnologien?

WILHELM DOMINIK: Man muss unterscheiden zwischen Bohr- und Produktionstechnik und Havarietechnik. Die Explorations- und Produktionstechnologien sind längst optimal entwickelt, mit einer Sicherheitswahrscheinlichkeit von deutlich mehr als 90 Prozent. Doch jedes Bohrloch hat seine Eigenheiten, insbesondere unter den angesprochenen Überdruckverhältnissen und Wassertiefen. Pannen und Havarien sind niemals gänzlich auszuschließen.

Bisher wurde jedoch versäumt, die Havarietechnologie, die "Onshore" und im Flachwasser eingesetzt wird, auf den Schadensfall im Tiefwasser der Ozeane anzupassen und zu ergänzen. Diese Technik- und Methodenentwicklung muss BP jetzt unter einem immensen Zeitdruck nachholen.

PATRICIA PÄTZOLD: Wie kam es denn überhaupt zu den Sicherheitsproblemen und schließlich zu dem "Blow-out"?

WILHELM DOMINIK: Im Oktober 2009 wurde mit der Bohrung begonnen. Unter großen Schwierigkeiten ist man zunächst nur bis zu einer Tiefe von 4000 Metern vorangekommen, da die Drucke unerwartet groß waren und hohe Spülungsverluste in der Bohrung auftraten. Das ist auch ein erheblicher Kostenfaktor. Die Schwerespülung ist eine Mischung aus Wasser und Tonpartikeln, die im Bohrloch zirkulieren beziehungsweise stehen muss, um die Standfestigkeit des Bohrloches zu gewährleisten und den Gegendruck zu den Fluiden in der Lagerstätte zu erzeugen. Hier gab es also schon erhebliche, nicht eingeplante Mehrkosten. Als dann ein Hurrikan dazukam und das Bohrschiff beschädigte, musste die Bohrung abgebrochen werden und konnte erst im Januar 2010 wieder aufgenommen werden. Die neue Bohrung wurde auf 96,2 Millionen Dollar budgetiert und die ständig steigenden Kosten sollten durch Zeiteinsparungen wieder ausgeglichen werden. Immerhin kostet die eingesetzte Offshore-Bohranlage "Transocean Deepwater Horizon" 533.000 Dollar am Tag, sowie durchschnittlich weitere 500.000 Dollar für Material und entsprechende Dienstleistungen pro Tag.

Die neue Bohrung war im Februar wieder an der bekannten Problemzone bei 4000 Meter Tiefe angekommen. Erneut traten die Spülungsverluste und andere Probleme durch die gravierenden Überdruckverhältnisse in der Gesteinsabfolge auf. Mitte April erreichte man endlich das Bohrziel und fand das erhoffte Öl. Doch durch die ständigen Verzögerungen waren die Kosten deutlich aus dem Ruder gelaufen. Das Bohrschiff hatte längst an anderer Stelle in Betrieb genommen werden sollen. Nach der Fündigkeitserklärung entschloss man sich, die Bohrung für eine temporäre Aussetzung zu komplettieren, damit sie für eine spätere Förderung des Öls genutzt werden kann. Das wurde am 16. April bei der zuständigen Behörde beantragt.

Jetzt begann die Katastrophe. Die überaus kritische Bohrung hätte man zurückzementieren und aufgeben, also abschreiben müssen. "Plug and abandon" nennt man das in der Fachsprache. Mit den umfangreichen Ergebnissen der Bohrung hätte man mit Sorgfalt einen Entwicklungsplan für die Produktionsbohrungen und Installationen zur Förderung des Öls aus der Lagerstätte planen müssen.

In den folgenden vier Tagen wurde die Bohrung abschließend mit geophysikalischen Methoden durchgemessen und für die Komplettierung vorbereitet. Am vierten Tag, dem 20. April, wurden die warnenden Hinweise, dass eine Leckage in der Bohrung im Lagerstättenbereich aufgetreten war, nicht richtig gedeutet. Man hätte hier noch immer einen kontrollierten Notverschluss der Bohrung am Meeresboden vornehmen können.

Stattdessen kämpfte man mehrere Stunden gegen den sich kontinuierlich aufbauenden Druck in der Bohrung an, bis schließlich gegen 21.47 Uhr Öl und Gas aus der Lagerstätte ausbrachen, die Schwerspülung auswarfen und nach anderthalb Minuten auf dem Bohrschiff austraten, ohne dass der automatische "Blow-out-Preventer" funktionierte. Bereits 15 Sekunden später kam es zur Explosion und die Anlage stand in Flammen.

Erst sieben Minuten später wurde auf der Brücke des Bohrschiffs die manuelle Notabschaltung, die "BOP-EDS Emergency Disconnect Function" betätigt, die einen mechanischen Verschluss und das Loslösen des Schiffes von der Bohrung zur Folge gehabt hätte. Aber auch diese Funktion versagte. Das Bohrschiff versank zwei Tage später, nachdem alle Löschversuche gescheitert waren.

PATRICIA PÄTZOLD: Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie aus wissenschaftlicher Sicht jetzt?

WILHELM DOMINIK: BP versuchte unmittelbar nach dem Sinken des Bohrschiffes mit unterschiedlichen Methoden, die Bohrung am Meeresboden zu verschließen. Das ist bis heute, zweieinhalb Monate nach der Havarie, nicht gelungen. Man hat alles versucht, was vorhanden und bekannt war. Zum Einsatz kamen die verschiedensten Methoden, die man unmittelbar nach dem Irakkrieg zur Bekämpfung der brennenden Förderanlagen oder zum Einschließen von einigen kleineren Ölaustritten im Flachwasser der Schelfregionen entwickelt hatte.

Ich selbst habe am 9. Mai bei der BP in Houston zwei Vorschläge zum Verschließen der Bohrung eingereicht: zum einen den Bau einer Kuppel über dem Bohrloch am Meeresboden, um das ausströmende Öl und Gas zusammen mit dem Wasser durch eine Multiphasenpumpe zu evakuieren; zum anderen die gleichzeitige Ausstattung auch der Entlastungsbohrungen, die voraussichtlich im August die Lagerstätte erreicht haben, mit groß dimensionierten Multiphasenpumpen. Das würde einen beschleunigten Druckabfall im Drainagebereich der havarierten Bohrung erzielen. So könnte die Bohrung unter Kontrolle gebracht und verschlossen werden. Mit diesem Verfahren, dem Einsatz von in Deutschland hergestellten Multiphasenpumpen am Meeresboden, produziert BP heute bereits erfolgreich 78.000 Barrel Öl am Tag aus dem "King Field" im Mississippi Canyon bei einer Wassertiefe von 1800 Metern in nur circa 40 Kilometer Entfernung von der Havarie.

Ich selbst bin seit 2005 an dem Forschungs-Verbundvorhaben "MPT - Mehrphasenfördersysteme und -anlagentechnik für Kohlenwasserstoffe in Offshore- und Onshore-Regionen" beteiligt. Das TU-Teilprojekt befasst sich mit dem Lagerstättenverhalten bei Förderung durch Mehrphasenfördersysteme. Es wird gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.

PATRICIA PÄTZOLD: Wie lange wird uns das Problem noch beschäftigen?

WILHELM DOMINIK: In drei, vier Monaten müsste das Bohrloch am Meeresboden abgedichtet sein. Die gesamte Bohrung bis zur Endtiefe in der Lagerstätte wird BP aber mindestens noch ein Jahr beschäftigen. Die ökologischen Schäden im Meer und an den Küsten kann man kaum beziffern. Zur Beseitigung der Schäden wird man, gerechnet auf die nächsten zehn Jahre, mehrere zehn Milliarden Dollar aufwenden müssen.

PATRICIA PÄTZOLD: Vielen Dank!


Prof. Dr. Wilhelm Dominik ist Leiter des Fachgebiets Explorationsgeologie im Institut für Angewandte Geowissenschaften. Er beschäftigt sich mit der Aufsuchung und Bewertung von Öl- und Gaslagerstätten, der Reservoirgeologie und dem Reservoir Engineering


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Quelle:
TU Berlin intern Nr. 7/2010 - Juli 2010, Seite 2
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Erscheinungsweise: monatlich, neunmal


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2010