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NACHGEFRAGT/0001: ... keine Botschaft, aber viel Chemie im Ei (SB)


Nachgefragt zu dem Schattenblick-Beitrag

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LABOR/015: Raffinierte Ostergrüße à la 007 - Geheimbotschaften im Ei (SB)


Ein engagierter Leser machte uns darauf aufmerksam, daß das in diesem Pool unter "LABOR/015: Raffinierte Ostergrüße à la 007 - Geheimbotschaften im Ei (SB)" veröffentlichte Experiment so bei ihm nicht funktionieren würde und fragte nach weiteren Tips, damit es ihm doch noch gelänge, eine Geheimbotschaft auf das Weiße des Eies zu projizieren.

[...] Ich habe mir alle Zutaten besorgt und es so gemacht, allerdings funktioniert das nicht so wirklich. Zunächst war die Botschaft noch außen auf dem Ei zu lesen, als ich es nach vier Tagen aus der Salzwasserlösung nahm. Diese Tinte konnte ich jedoch gut abwaschen. Als ich das Ei dann (ganz aufgeregt) pellte, musste ich (maßlos enttäuscht) feststellen, dass gar nichts 'im' Ei angekommen war, es war schlicht weiß. [...]
(Leserbrief vom 24. Oktober 2008)

Wir versprachen ihm, der Sache nachzugehen, was mehr Zeit in Anspruch nahm, als ursprünglich vorauszusehen war, zumal auch bei uns mehrfaches "Nachkochen" des Experiments mit verschiedenen Eiern und unter leicht veränderten Ausgangsbedingungen nicht das gewünschte Ergebnis brachte, während an dem von uns veröffentlichten Rezept auch nach mehrfacher Überprüfung weder eine Auslassung noch ein Fehler zu entdecken waren. Immerhin ist die Technik schon seit mehr als 500 Jahren bekannt, hat doch schon im 15. Jahrhundert ein gewisser italienischer Wissenschaftler namens Giovanni Porta das Applizieren von Geheimbotschaften auf gekochten Eiern unter den Geheimagenten jener Zeit verbreitet:

Im 15. Jahrhundert beschrieb der italienische Wissenschaftler Giovanni Porta, wie man eine Nachricht in einem hartgekochten Ei verbergen kann. Man mische eine Unze Alaun in einen Becher Essig und schreibe mit dieser Tinte auf die Eischale. Die Lösung dringt durch die poröse Schale und hinterlässt eine Botschaft auf der Oberfläche des gehärteten Eiweißes, die nur gelesen werden kann, wenn die Schale entfernt wird.
(Aus "Geheime Botschaften. Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet" von Simon Singh. Aus dem Englischen von Klaus Fritz.)

Weiter heißt es hier, daß diese zur sogenannten Steganographie gehörende Form der Geheimschrift zwar ein gewisses Maß an Sicherheit bot, doch unter einer entscheidenden Schwäche litt. Wenn der Bote durchsucht und die Nachricht entdeckt wurde, so trat der unverschlüsselte Inhalt der geheimen Mitteilung sofort zutage. Damit wird u.a. aber auch gesagt, daß damit gearbeitet wurde:

Wird die Botschaft abgefangen, ist alle Sicherheit dahin. Ein gewissenhafter Grenzposten wird routinemäßig alle Personen durchsuchen, alle Wachstäfelchen abschaben, leere Blätter erwärmen, gekochte Eier schälen, Köpfe scheren und so weiter, und bisweilen wird er eine geheime Botschaft entdecken.
(Aus "Geheime Botschaften. Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet" von Simon Singh. Aus dem Englischen von Klaus Fritz.)

Äußerst wichtig bei der Sichtbarmachung der Schrift sei der Kochvorgang, kann man wiederum in dem Buch von Corinna Harder "'UNDERGROUND' - Verschlüsselte Botschaften" (OMNIBUS Verlag, Mai 2003) nachlesen. Danach kann die Geheimtinte (hier besteht sie aus 30 Gramm Alaun auf 1/2 Liter Essig) erst durch das Kochen die Schale vollständig durchdringen und so mit dem Eiweiß in Berührung kommen. In diesem Experiment wird die Botschaft direkt auf das rohe Ei appliziert und dieses anschließend sofort gekocht (im Schattenblick-Experiment war eine zusätzliche Entwicklungszeit von 4 Tagen in gesättigtem Salzwasser vorgesehen, in der die "Geheimtinte" in die Eischale eindringen sollte). Laut Harder soll die Nachricht aber auch auf diese verkürzte Weise auf dem Ei sofort sichtbar sein.

Alle schriftlichen Verfechter der Steganographie auf dem Ei (einschließlich der Schattenblick-Redaktion), scheinen die alte, erprobte Technik nicht auf modernen Eiern ausprobiert zu haben, denn offensichtlich sind heutige Eierschalen für Alaun oder auch die von uns empfohlene, erweiterte Mischung aus Alaun und Gerbsäure (1:1), welche die Wirkung des Alauns noch unterstützt, undurchdringlich. Gekochtes Eiweiß läßt sich damit allerdings sehr gut beschriften (es erhält eine grünlich-gelbliche Farbe), wie wir in einem zusätzlichen Experiment überprüfen konnten.

Woran das Experiment nun letztlich scheitert, läßt sich nur vermuten, denn ein heutiges Hühnerei ist ein chemisch kaum noch zu durchschauendes Designerprodukt, das mit dem ursprünglichen Ei von vor 500 Jahren, auf dem Giovanni Porta noch seine Botschaften hinterließ, nichts mehr gemein hat.

Da wir den Verdacht hatten, es könne irgendein Mittel in den Schalen stecken, das die Diffusion der "Geheimtinte" verhindert, erkundigten wir uns, welche Zusatzstoffe heute im Hühnerfutter verwendet werden und zu welchem Zweck:

Naheliegenderweise wird dem Hühnerfutter dieser Tage neben Carotinen für ein schönes, goldgelbes Dotter und Algen, die vom Huhn in Omega-3- Fettsäuren verstoffwechselt werden, damit das Ei auch noch als ausgesprochen "gesundes" Ei verkauft werden kann, ein reichlich bemessener Anteil an Kalk für die Schalenbildung zugesetzt.

Bei normalen Eiern, die in den Handel kommen (aber auch Bioeiern oder Landeiern, die in Packungen abgegeben werden), wird auch noch einiges mit den Schalen angestellt, um die Poren zu verschließen, damit keine Keime in die Eier hineingelangen können. So ist es üblich, die Eier 2 Minuten lang in 64 bis 67 °C heißes Paraffinöl zu tauchen, wobei die Eischale desinfiziert wird, aber auch schon die schalennächsten Eiweißanteile gerinnen. Daneben werden Wasserglas und eine spezielle auf Löschkalk basierende Eierkonservierungschemie verwendet, die die ohnehin schon verdickten Eierschalen aber nicht nur für Keime, sondern auch für die besagte Alaun/Gerbsäurelösung undurchdringlich machen.

Übrigens muß man Eier heute nur deshalb anpieksen, damit sie beim Kochen nicht platzen. Bei ursprünglichen, unbehandelten und porösen Eiern könnte die heißwerdende Luft im Inneren des Eies einfach über die Poren entweichen...

Um diese "Dickschaligkeit" abzubauen, legten wir ein paar Versuchseier einige Stunden lang in Essig, wodurch die Schalen und etwaige Beschichtungen an- bzw. abgelöst wurden. Tatsächlich fanden sich auch nach kurzer Zeit braune Schlieren im Essigwasser, die sich von der Oberfläche des Eies gelöst hatten. Man darf das Einlegen in Essig allerdings nicht übertreiben, denn auf diese Weise ist nach etwa 20 Stunden schon kaum noch etwas von der Schale übrig. Man hat dann gewissermaßen ein künstliches Windei hergestellt.

Zu unserem größten Bedauern mußten wir jedoch feststellen, daß sich auch auf optimal dünnwandig gemachten Eiern keine Geheimbotschaft nach dem von uns veröffentlichten Rezept (d.h. Alaun/Gerbsäure/Essiglösung auf die Schale applizieren, 4 Tage in gesättigter Kochsalzlösung liegen lassen, dann 10 Minuten kochen) auf dem Eiweiß einstellte.

Nun wandten wir uns dem Inneren des Eies zu, dessen chemische Belastung zumindest aus gesundheitlichen Gründen besser dokumentiert ist. Und was auch immer im Ei enthalten ist, kann theoretisch auch in die Schale gelangen.

Zunächst wurden wir darauf aufmerksam, daß in der Veterinärmedizin für Legehennen, die in Legebatterien gehalten werden, neben Chloramphenicol und Penicillin weitere Antibiotika, Tetracycline (hier vor allem Aureomycin und Oxytetracyclin) zugelassen sind. Außerdem bilden Futterzusätze wie Thiabendazol (Höchstwert: 0.5 mg/kg), Tiamulin (1 mg/kg), Triclabendazol (0.5 mg/kg (Benzimidazol)) und Tylosin 0.2 mg/kg das vermeintlich Gelbe vom Ei und eine äußerst vielseitige chemische Umgebung.

Der massive Einsatz von Antibiotika in der Geflügelhaltung hat schon zu einer entsprechenden Resistenzentwicklung bei den bekämpften Keimen geführt, so daß der "aid infodienst Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft e.V." in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung selbst Autofahrer davor warnte, die Luft, die beim Folgen von Geflügeltransportern durch die Lüftungsklappen in den eigenen Wagen gerät, einzuatmen:

(aid) - Pathogene Bakterien mit einer ausgebildeten Resistenz gegen Antibiotika erwartet man vor allem in Krankenhäusern und Arztpraxen. Nach einer aktuellen Studie der Johns Hopkins School of Public Health, USA, muss man aber auch auf Autobahnen und Landstraßen mit ihnen rechnen - zumindest dann, wenn auf ihnen schlachtreife Hähnchen transportiert werden. [...] Dazu bestimmten sie die Bakterienarten auf den Innen- und Außenflächen von Autos, die den offenen Transportern über eine längere Distanz in einem Abstand von etwa 20 Metern gefolgt waren. Die Forscher fanden in den Innenräumen aller untersuchten Wagen größere Konzentrationen resistenter Mikroorganismen. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Fahrzeuge mit offenem Fenster unterwegs waren oder die Klimaanlage nutzten. Die gleichen Arten fand man auch in offenen Getränken im Innern des Wagens und an den Türgriffen auf der Außenseite. Nach Ansicht der Experten können die Bakterien über das normale Einatmen oder über den direkten Kontakt in den menschlichen Organismus gelangen. Unter den entdeckten Bakterien waren drei Arten, die eine Resistenz gegen klassische Antibiotika ausgebildet hatten. Dabei handelte es sich um die gleichen Mittel, die dem Hähnchenfutter vorbeugend während der Mast zugesetzt werden. [...]
(aid PresseInfo Nr. 50 vom 10. Dezember 2008)

In unserem Zusammenhang sind aber vor allem die Tetracycline ausschlaggebend, da sie ein Komplexbildner zu Metallionen darstellen und sich aufgrund ihrer Affinität zu Calcium möglicherweise in der Schale sehr gut anreichern könnten. Wir können hierüber nur Vermutungen anstellen, da es keine direkten Analysen über die chemischen Verunreinigungen in der Eierschale gibt. Denn die unverdaulichen Schalen gelten nicht als Lebensmittel und werden daher auch nicht kontrolliert.

Die Rückstandshöchstmengen nach EU-Recht, VO (EWG) Nr. 2377/90 sind für Tetrayclin in Eiern 200 ppb. In der Schweizer Verordnung über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln (Fremd- und Inhaltsstoffverordnung, FIV), Stand vom 1. April 2008, beträgt der Toleranzwert für Eier (bei Tetracyclin) 0,2 mg/kg (d.h. 0,2 ppm oder 200 ppb). Wenn das schon im Innern des Eies erlaubt ist, wieviel mehr läßt sich dann in der Schale finden?

Dazu kommen bekannte Umweltschadstoffe wie DDT (das immer noch in Eiern gefunden wird), Dioxine und Beta-HCH, die zwar in den "erlaubten" Mengen in die Eier gelangen, doch dort eine unterschwellige chemische Umgebung schaffen, über deren potentielle Reaktivität oder Synergismen zu Arzneistoffen oder deren Auswirkung auf die Eischale nichts bekannt ist.

Und das ist noch lange nicht alles. Masthühnchen werden außerdem mit Lasalocid, einem sogenannten Kokzidiostatikum gefüttert, das ist ein Mittel, das ebenso wie Diclazuril, Monensin, Narasin, Nicarbazin, Nitroimidazole oder Salinomycin in der Massentierhaltung gegen bestimmte Parasiten, nämlich Protozoen, wirkt und daher prophylaktisch eine hoch infektiöse und tödliche Darmkrankheit verhindern soll.

Lasalocid wurde im Jahr 2004 in 6 von insgesamt 226 (2,7 %) und Diclazuril in 5 von 52 (9,6 %) untersuchten Eierproben nachgewiesen. Die Gehalte lagen zwischen 0,09 µg/kg und 73,8 µg/kg. ... Bei Legehennen wurde in einem Fall das verbotene Antiparasitikum Metronidazol ermittelt, welches zur Gruppe der Nitroimidazole gehört. 2004 wurden in fünf Fällen nicht zugelassene entzündungshemmende Mittel nachgewiesen.
(Gesundheitliche Bewertung der Ergebnisse des Nationalen Rückstandskontrollplanes 2004 des Bundesinstituts für Risikobewertung)

Die Kokzidiostatika dürfen zwar seit 2000 nicht bei Legehennen verfüttert werden, da mindestens 10% davon (voraussichtlich jedoch sehr viel mehr) in die Eier geht. Da aber das Futter für Masthühner Lasalocid enthalten darf und soll (und manche Geflügelbauern die Futtermittel nicht so genau trennen) oder auch Legehennenfutter teilweise aus Tierabfällen, z.B. aus der Kälbermast, in der die fraglichen Mittel ebenfalls gebräuchlich sind, gewonnen wird, kann Lasalocid auch auf anderem Wege von Legehennen aufgepickt werden. Es ist also kein Wunder, daß man immer wieder Lasalocid in Eiern findet.

Und dieser Stoff, der offiziell natürlich nicht in Eiern vorkommen darf, wäre ein sehr guter Komplexbildner zu Calcium und anderen Metallkationen. Anders gesagt, könnte er sogar das Eindringen von Alaun aktiv verhindern, wenn er denn in der Schale enthalten ist.

Um quasi den Beweis hierfür anzutreten, suchten wir nach sogenannten Bio- oder Landeiern, von Herstellern, die ihre Tiere mit Futtermitteln ohne Futterzusätze ernähren. Eier von verschiedenen Höfen wurden auf die bekannte Weise geheim-beschriftet und behandelt, teilweise auch noch einer vorsorglichen Essigbehandlung unterworfen - ohne Erfolg. Daneben haben wir Eier auch alternativ auf die klassische Weise (nur mit Alaunlösung) behandelt und auch eines davon (nach dem klassischen Rezept von Giovanni Porta / Corinna Harder) direkt gekocht.

Keiner unserer Versuche brachte auch nur eine Spur der Alaunlösung auf das Eiweiß.

Was den Beweis mit sogenannten Bio-Eiern angeht, drängt sich nach einer kürzlich veröffentlichten Recherche der Tierschutzorganisation PETA eine mögliche Erklärung geradezu auf. Es gibt gar keinen Unterschied zwischen normalen und Bio-Eiern:

Berlin. In Deutschland werden nach Recherchen der Tierschutzorganisation PETA in großem Stil Eier aus Käfighaltung als Bio- oder Freilandware verkauft. Die Organisation veröffentlichte am Mittwoch in Berlin Videos aus einem Brandenburger Unternehmen, das Hühner an einem Standort eingepfercht hinter Gittern gehalten und die Eier als Bio etikettiert haben soll. An einem anderen Standort sollen Eier aus Bodenhaltung als Freilandeier ausgezeichnet worden sein.

Edmund Haferbeck von PETA Deutschland sagte, es handele sich um schätzungsweise 300 Millionen Eier jährlich, die bundesweit in verschiedenen Supermarktketten unter falscher Kennzeichnung verkauft würden.
(Junge Welt, 12. August 2008)

Bei soviel bekannter und möglicherweise noch viel mehr unbekannter Chemie in Schale und Ei halten wir die Vorstellung, daß eine klassische Methode der Steganographie mittels Ei heute nicht mehr funktioniert, zwar nach wie vor für unbefriedigend, allerdings keineswegs absonderlich.

Wesentlich unbefriedigender ist aber die Gewißheit, daß sich nicht wirklich vorhersagen läßt, was man mitsamt dem Ei auch sonst noch alles zu sich nimmt, sei es nun ein Bio-, Natur-, Land- oder Supermarkt-Ei.

30. Dezember 2008