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MELDUNG/010: Wohnstube Meer - Ölteppich ... (SB)



Am Morgen des 7. Oktober 2018 war ein tunesischer Frachter auf dem Weg von Genua nach Tunis mit einem zyprischen Containerschiff kollidiert, das etwa 28 Kilometer von der Halbinsel Cap Corse im Norden Korsikas entfernt vor Anker lag. 600 Tonnen Treibstoff waren nach kürzester Zeit aus dem meterlangen Riß im Rumpf der gerammten CLS Virginia ausgetreten und hatten einen 20 Kilometer langen und etwa 400 Meter breiten Ölteppich vor der korsischen Küste gebildet. Auch wenn 600 Tonnen Treibstoff in der schauerlichen Rekordliste "Bedeutender Ölunfälle" nur im unteren Feld rangieren, ist der für Meeresbewohner tödliche Eintrag gerade an diesem neuralgischen Meeresknotenpunkt auch von gravierender Relevanz für Umwelt, Meeressterben und Klimaentwicklung. Der französische Umweltminister de Rugy, der die Unglücksregion überflogen hatte, erklärte Anfang der Woche, daß die tatsächliche Menge an Öl, die ins Meer gelangen konnte, noch nicht feststehe. Eine Aktualisierung dieser Aussage gab es bisher nicht. Obwohl die für mehrere Tage anberaumten Aufräum- und Reinigungsarbeiten noch im vollen Gange sein sollten, ist das Thema schon aus den Nachrichten verschwunden.


Satellitenbild mit 50 Zentimetern Auflösung, das die kollidierten Schiffe und die damit verbundene Ölschleppe vor der Küste Korsikas, Italien, zeigt. Die hohe Qualität der Bilddaten macht es möglich, die Aufnahme zu vergrößern, so daß sich das Ausmaß der Schäden und der damit verbundene Reinigungsaufwand deutlich erkennen läßt. - Foto: 09/10/2018 von WorldView-2 © by European Space Imaging

Tödlicher Eintrag für den marinen Mikrokosmos.
Gravierende Konsequenzen für Umwelt, Meeressterben und Klimaentwicklung.
Foto: 09/10/2018 von WorldView-2 © by European Space Imaging

Die offene Frage, warum es die Ulysses, ein modernes RoRo-Schiff (engl: Roll on Roll off), trotz guter Sicht und freier Fahrrinne nicht schaffen konnte, den Zusammenstoß zu vermeiden, nahm bei der medialen Aufarbeitung des Themas den größten Raum ein. Um diese Spezialschiffe zu beladen, bei denen die Ladung an Bord gefahren wird, sind große Öffnungen in der Außenhaut nötig, die im Falle von Störungen oder Fehlbedienungen ein erhebliches Risiko darstellen, weil Wasser eindringen und Stabilitätsänderungen bewirken kann. Ob ein ähnlicher Vorfall zu dem höchst ungewöhnlichen Fahrverhalten der Ulysses geführt hat, wurde bisher nicht öffentlich diskutiert. Die Staatsanwaltschaft von Marseille hat Ermittlungen wegen Umweltverschmutzung durch einen Schiffsunfall gegen den Kapitän des Verursacherschiffs eingeleitet.

Auch die Verunreinigung eines 20 Kilometer langen Meeresstreifens mit Öl gibt keine weiteren Schlagzeilen her. Hier ist die Öffentlichkeit inzwischen tatsächlich schon einiges gewohnt und wenn auch die Reinigungsarbeiten erst mit einem Tag Verzögerung in Angriff genommen wurden, scheint der Einsatz von drei italienischen Reinigungsschiffen, einem weiteren Spezialschiff und einem Schlepper der französischen Marine, die für den Kampf gegen Meeresverschmutzung ausgerüstet sind, der Empörung gemeinhin die Spitze zu nehmen. Die Einsatzkräfte sollen die weitere Ausbreitung des Öls mit Barrieren verhindern und den Treibstoff letztlich von der Meeresoberfläche absaugen. Durch den minimalinvasiven Eingriff wird die Ausdehnung des Ölteppichs verhindert, nicht aber sein Absinken in tiefere Meeresschichten. Zudem bestehe die Gefahr, daß die für die darauffolgenden Tage erwarteten Winde und Strömungen die Verschmutzung weiter in Richtung Korsika treiben ließen, erklärte am Montag die italienische Küstenwache. [1]

Nur wenige Umweltorganisationen, beispielsweise der WWF, machten darauf aufmerksam, daß die Auswirkungen des Ölteppichs, der sich unglücklicherweise in einem Pelagos-Schutzgebiet ausbreiten konnte, möglicherweise stark unterschätzt wird. [2,3]

Das Ligurische Meer, wie das 84.000 Quadratkilometer große Meeresgebiet bezeichnet wird, das sich über einen großen Teil des westlichen Mittelmeers, zwischen der Toskana, der französischen Côte d' Azur, Korsika und dem nördlichen Teil Sardiniens erstreckt und Gewässer unterschiedlichster Hoheitsbefugnisse abdeckt (Küstengewässer, Ausschließliche Wirtschaftszonen und Hochsee), wird seit 1999 von Italien und Frankreich als Schutzgebiet bzw. seit 2001 als "Specially Protected Area of Mediterranean Importance (SPAMI)" klassifiziert.

Sowohl der WWF als auch die Schutzorganisation für Wale und Delphine, WDC Deutschland, beklagen seit langem, daß gerade hier der Schutz für Meeressäuger nur auf dem Papier bestehe. Ein Drittel des gesamten Schiffverkehrs im Mittelmeer nutzt mit Frachtern und Fährlinien die Passage durch den Rückzugsort der Meerestiere. Neben der nicht ausbleibenden alltäglichen Ölspur, die der Verkehr hinterläßt, fordern Kollisionen mit Schiffen unter den großen Meeressäugern jährlich neue Opfer.

Das nährstoffreiche Aufquellgebiet bietet 18 Prozent aller marinen Arten Lebensraum. Im Sommer blühen hier kleinste Algen, die wiederum Zooplankton, die Hauptnahrungsquelle für Bartenwale wie Finnwale aber auch für viele Fische, anziehen. Der bei der aktuellen Havarie ausgetretene Treibstoff schade laut WWF der empfindlichen Haut der Wale, wenn sie inmitten des Öls auftauchen. Dazu würden die Meeressäuger mit toxischen Kohlenwasserstoffen vergiftet, die sie mit dem im verschmutzten Wasser treibenden, kontaminierten Zooplankton aufnehmen. Das Einatmen der flüchtigen Kohlenwasserstoffe, die über der Meeresoberfläche verdampfen, würde darüber hinaus zu Schädigungen des Nervensystems führen.

Das ist schlimm genug. Man muß jedoch die Zahl der Geschädigten viel weiter fassen. Vögel gehören zu den ersten Opfern, wenn Öl ins Meer gelangt. Ihr Gefieder verliert schon durch wenige Tropfen Öl die isolierende Wirkung, die Tiere unterkühlen und sterben. Ihre Atmungs- und Verdauungssysteme werden ebenfalls durch giftige Kohlenwasserstoffkomponenten, beispielsweise durch Aromaten oder Naphthene geschädigt. 10.000 verschieden schädliche Substanzen können im Rohöl vorkommen, davon 95 Prozent Kohlenwasserstoffe. Auch mineralische Gifte, Schwermetalle, sind darin enthalten und werden von einigen Phytoplankton-Arten um das 1.000 bis 10.000fache akkumuliert. Der giftige Cocktail schadet auch Jungfischen, Reptilien und Meeresfrüchten.

Öl im Meerwasser gehört allerdings schon fast zum Alltag von Meereslebewesen, wenn man bedenkt, daß laut dem World Ocean Review 2010 [4] nur 10 Prozent der Gesamtölverschmutzung der Meere durch ähnliche Havarien wie die vor Korsika verursacht wird. Das meiste Öl gelange auf eher verborgenen Wegen ins Wasser. Etwa 35 Prozent entstammten dem laufenden Betrieb der Tank- und übrigen Schifffahrt, inklusive illegaler Einleitungen und Tankreinigungen. Ein ebenfalls nicht unerheblicher Anteil geht auf flüchtige Ölbestandteile zurück, die aus Verbrennungsprozessen frei werden und über die Atmosphäre ins Wasser gelangen. Weitere Einträge werden durch kommunale und industrielle Abwässer sowie aus Bohrinseln oder Pipeline-Leckagen ins Meer eingetragen. Entsprechend einer Studie aus dem Jahr 2014, die im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Auftrag gegeben wurde, sind es allein in der Nordsee etwa 6.000 Tonnen Öl pro Jahr, die letztlich einfach hingenommen werden.


Jeder Lebensraum reagiert anders auf Schadstoffe

Wie stark ein Lebensraum von Öleinträgen geschädigt wird, hängt von der Menge und Art des ausgelaufenen Raffinats ab, aber auch von Faktoren wie Wassertemperatur, -bewegung und -tiefe. Der vollständige bakterielle Abbau kann Jahrzehnte dauern.

Während Bilder von ölverschmierten Vögeln, Robben oder Walen die Welt erschüttern lassen, verändert sich die Meeresumwelt durch die weltumspannenden Einträge von Kohlenwasserstoffen auf ganz unspektakuläre Weise, ohne daß davon Notiz genommen würde. Bereits im Kapitel 5 des World Ocean Review 2010 wurde angedeutet, daß vor allem das kurzlebige Plankton auf physikalische und chemische Veränderungen im Meer ausgesprochen schnell und extrem empfindlich reagiert. [5] Die Frage, was bereits die Veränderung eines einzigen physikalischen Faktors, die zunehmende Erwärmung des Meerwassers, für Mikroökosysteme wie das schnelllebige Plankton bedeutet, ist ein erst seit kurzem entdecktes Forschungsfeld. [6] So konnte eine Gruppe amerikanischer Forscher bereits Veränderungen in der Diversität des Phytoplanktons feststellen, die sie auf den Klimawandel zurückführen. Sie beobachteten, daß das Phytoplankton der warmen Meere am empfindlichsten sei und erwarten hier die größten Diversitätsverluste. Sie befürchten, daß sich die Zusammensetzung dieser Planktonalgen wie auch nachfolgend Zooplankton im Zuge der Erwärmung auf eine für Mensch und Umwelt nachteilige Weise verändert. Der Rückgang der kleinen Algen könnte sich beispielsweise schon relevant auf den Sauerstoffgehalt der Atmosphäre auswirken. Daneben könnten sich Arten durchsetzen, wie Dinoflagellaten, die sich gleichzeitig wie Pflanzen und Tiere verhalten und Photosynthese betreiben, aber auch anderes Phytoplankton fressen. In großer Vermehrung könnten sie giftige "Red Tides" verursachen. Sollten wiederum Cyanobakterien-Populationen zurückgehen, die ältesten photosynthetischen Organismen, die aber auch den atmosphärischen Stickstoff fixieren, würde damit eine wichtige Quelle dieses Nährstoffes in den großen, nährstoffarmen Gebieten der Ozeane fehlen. Darüber hinaus nennen die Forscher sogenannte Coccolithophoriden, die eine möglicherweise unterschätze Klimaschutzfunktion besitzen. Sie können extreme Blüten verursachen, die man vom Weltraum aus sieht. Diese Mikroalgen produzieren Dimethylsulfid, ein flüchtiges Gas, das zur Wolkenbildung beiträgt. Auf diese Weise fördern sie die natürliche Beschattung der Erde und erhöhen den Anteil des Sonnenlichts, der in den Weltraum zurückgestrahlt wird. Könnten die Beobachtungen des Forscherteams neben den bekannten physikalischen Veränderungen, vielleicht bereits gleichzeitig auch auf chemischen Einflüssen und Einträgen (s.o.) beruhen?

Wie sich die Veränderung der Meereschemie auf diese sensiblen Systeme auswirkt, etwa durch aktuelle Tankerunglücke in Aufquellzonen und Meeresschutzgebieten wie das Ligurische Meer, oder durch den steten Öltropfen, der Jahr für Jahr zu Tausenden von Tonnen des schwarzen Schlicks im Meer anwächst, ist tatsächlich eine ebenso offene wie offensichtlich noch sehr wenig erforschte Frage. Ihre Beantwortung könnte möglicherweise weitere noch unberücksichtigte Stellschrauben oder sogar Kipp-Punkte für die Klimavorhersage enthüllen.


Anmerkungen:


[1] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/korsika-nach-schiffsunglueck-hunderte-kubikmeter-oel-ins-mittelmeer-gelaufen-a-1232156.html

[2] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181009_OTS0181/mittelmeer-oel-leck-im-wal-schutzgebiet

[3] mehr zum Schutzgebiet:
https://de.whales.org/themen/wale-delfine-pelagos-schutzgebiet

[4] https://worldoceanreview.com/wor-1/verschmutzung/oel/

[5] https://worldoceanreview.com/wor-1/oekosystem/gestoerter-planktonkreislauf/

[6] https://www.geomar.de/fileadmin/content/zentrum/preise/petersen_handout_litchman.pdf



12. Oktober 2018


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