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MELDUNG/009: Nährwertersatz (SB)


Lebensmittel: Schöne neue Nano-Welt?


»Sie können sich nicht entscheiden, ob Sie eine Pizza "Margherita","Prosciutto e funghi" oder eine "Quattro stagioni" wollen bzw. Sie wissen nicht, wie sich die Mitglieder Ihrer Familie entscheiden werden? Statt haufenweise unterschiedliche Pizzen mit nach Hause zu nehmen und am Ende selbst frustriert in den verschmähten Ladenhüter zu beißen, können Sie dank der Nano-All-In-One-Pizza mit einem einzigen Produkt alle Geschmäcker ihrer anspruchsvollen Lieben zufrieden stellen und gleichzeitig Ihren Geldbeutel schonen ...«

So in etwa könnte zukünftige Werbung für neue Hightech-Produkte der Lebensmittelindustrie aussehen, wenn der von der Bundesregierung im Herbst letzten Jahres beschlossene, neue Aktionsplan Nanotechnologie 2020 die darin enthaltenen Möglichkeiten für die Lebensmitteltechnologie ganz ausschöpft. Denn die Nanotechnologie verspricht unbegrenzte Möglichkeiten. Unterschiedliche nanoverkapselte Geschmacks- oder Nährstoffe, schon seit Jahren im Gespräch, könnten durchaus gezielt in einem bestimmten Temperatur- oder Watt-Bereich des Grills oder der Mikrowelle freigesetzt werden, so daß eine Pizza nach Erwärmen bei 400 Watt nur nach Tomate und Käse schmeckt, was bei 800 Watt durch Pilzaroma ergänzt würde. Daneben wären auch phantasievolle Farbvarianten für Fertigmenüs oder noch nie dagewesene Getränke-, Instanttee- oder Kaffeekreationen mit Geschmacksrichtungen wie Apfelstrudel oder Schokoladeneis denkbar, die sich nur durch den Zusatz von etwas kochend heißem Wasser zubereiten lassen. Von Schokolade, die nicht mehr grau wird, nicht mehr in der Wärme zerläuft, über insgesamt längere Haltbarkeit von Frischwaren, bis hin zu futuristischen Visionen wie die berühmten Pillen, die die Nahrungsaufnahme komplett ersetzen und Geschmack wie Sättigung suggerieren - nachzulesen in der phantastischen Erzählung "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" von Erich Kästner -, scheint nanotechnisch alles möglich oder zumindest alles "nanotisch" zu verbessern sein, was es ohnehin schon gibt.

Über das, was an Vorteilen oder auch verborgenen Risiken dahinter stecken mag und wer den Nutzen davon hat, berichtete unlängst Peter Kaiser in der Sendung "Umwelt und Verbraucher" im Deutschlandfunk [1], wo er die nur acht Zeilen umfassende Aufzählung möglicher Anwendungsfelder von Nanotechnologien im Lebensmittelbereich im Kapitel "4.4. Gesundes Leben" des umfassenden "Aktionsplans Nanotechnologie 2020" einmal genauer unter die Lupe nahm. Wörtlich steht darin nämlich nur:

Im Bereich Ernährung könnten Nanomaterialien zudem zu einer optimierten Ernährung und besseren Qualität von Lebensmitteln beitragen. Durch Nanoverkapselung von Biowirkstoffen strebt man unter anderem eine erhöhte Stabilität der Biowirkstoffe in der Lebensmittelmatrix, die Maskierung unerwünschter Aromen, zum Beispiel bei Omega-3-Fettsäuren, deren verzögerte oder kontrollierte Freisetzung und einen verbesserten Transport durch die Darmwand an. Durch Verkapselung oder Größenreduktion in den Nanobereich lassen sich Lebensmittel mit einem geringeren Salz-, Zucker- oder Fettgehalt herstellen, ohne dass das Geschmacksempfinden beeinträchtigt wird. [2]

Der Wissenschaftsjournalist Peter Kaiser stellt den hier versprochenen Qualitätsbegriff in seinem Beitrag zu Recht in Frage, indem er darauf hinweist, daß die Möglichkeit der Verkapselung im Prinzip auch eine Vortäuschung guter Qualität erleichtert, etwa wenn üble Geschmäcker (z.B. Omega-3-Fettsäuren) maskiert werden, weil solche Lebensmittel-Manipulationen gegen die Lebensmittelrechtspraxis verstießen. Nicht gesagt wird allerdings, daß auch andere üble Geruchs- oder Geschmacksnoten, die von Verwesung- oder Verfallsprodukten herrühren, mit Hilfe der technologischen Aufrüstung neutralisiert oder aufgefangen werden könnten, ohne daß der Verbraucher diese "Täuschung" aus den in diesem Falle durchaus zugelassenen Nano-Inhaltsstoffen auf der Zutatenliste ablesen könnte. Das sehr komplizierte und meist äußerst kleingedruckte und wenig eindeutige Lebensmittelkennzeichnungssystem auf der Rückseite von Verpackungen lasse doch sehr zu wünschen übrig, sagt sinngemäß der hier erwähnte Experte von der deutschen Diabetes Gesellschaft, Dietrich Garland. Inwieweit aber solche Eingriffe auch unter den Oberbegriffen "längere Haltbarkeit" und "höhere Qualität" zusammengefaßt werden könnten, wurde im DLF-Bericht nicht hinterfragt.

Verhältnismäßig kurz geht der Bericht auch auf die teilweise noch völlig ungeklärten, gesundheitlichen Risiken ein, die von Nanoprodukten in Lebensmitteln ausgehen könnten. Der Begriff "Nano" bezeichnet einfach nur die Größe, die bis in die atomare Teilchengröße reicht bzw. alles umfaßt, was etwa 500mal kleiner als der Durchmesser eines Haares ist. Diese extrem kleine Größenordnung schafft bei jedem Stoff, der sich möglicherweise in seiner natürlichen Makroform noch unschädlich für Mensch und Tier verhält, ganz andere, unvorhersagbare physikalische Voraussetzungen, die sowohl wünschenswerte Eigenschaften (höhere Saugfähigkeit, Veränderung der Oberflächenstruktur usw.) ergeben, aber bei einigen Materialien auch toxische Qualitäten herausbilden.

Solchen Fragen wurde bislang wissenschaftlich kaum nachgegangen. Der DLF zitiert dazu die beschwichtigende Mitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft:

"Wir möchten darauf hinweisen, dass das Lebensmittelrecht für die Verwendung technisch hergestellter Nanomaterialien in Lebensmitteln Zulassungspflichten vorsieht, die Sicherheitsbewertungen einschließen." [1]

Auch das für solche Fragen zuständige, regierungstreue Bundesamt für Risikobewertung, BfR, windet sich seit Jahren mit der ewig gleichen Ausrede um eine klare Stellungnahme: die "Datenlage" sei noch "unzureichend."

Tierversuche, die eine "Verträglichkeit" nachweisen, seien nicht unbedingt auf den Menschen zu übertragen, kritisiert die Sendung und bleibt im weiteren die zahlreichen Forschungsansätze schuldig, die eine toxische Wirkung von Nanomaterialien nahe legen, die aber nicht abschließend verfolgt wurden. Ein Beispiel wäre da etwa die cancerogene Wirkung von Titandioxidpartikeln im Nanoformat, für die bereits ein bekanntes Süßwarenunternehmen ein Patent besitzt, da sich damit die helle Fettmodifikation verhindern läßt, die bei unsachgemäßer Lagerung von Schokolade entsteht. [3]

Nun schließt der Aktionsplan Nanotechnologie 2020 die besondere Risikolage, die durch solche Materialien entsteht, auch nicht aus. Ein eigenes Kapitel des Berichts befaßt sich damit, welche Institutionen mit der Abschätzung der potentiellen Risiken für den jeweiligen Anwendungsbereich betraut werden müßten, damit die Stoffe nach bestehenden Richtlinien zugelassen werden können. Doch - wie Dr. Julian Schenten in seiner Dissertation und Vorträgen über Nanomaterialien in der europäischen Chemikalienverordung REACH schon vor Jahren deutlich machte, nehmen Nanomaterialien auch ohne diese zusätzliche wissenschaftliche Absicherung ganz leicht die Zulassungshürde über einige rechtliche Lücken. So können Hersteller die Zulassungsbestimmungen umgehen, wenn sie gleichzeitig nanoskalige und makroskalige Versionen des gleichen Stoffes herstellen, wofür sie dann nur eine Zulassung, z.B. des erwiesenen, harmlosen Produkts brauchen würden, um nur ein Beispiel zu nennen. [4] An dem Regelungstext von REACH habe sich, wie Dr. Schenten dem Schattenblick anläßlich des Life Science Forschungskolloquiums 2016 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) versicherte, seit seiner Analyse von 2010 bis heute nichts verändert.

Was beste oder nano-verbesserte Qualität bei Lebensmitteln bedeutet, scheint somit eine Frage des Standpunkts zu bleiben, für den es keine objektiven Richtlinien gibt. Während beste Qualität und gute Ernährung für viele Menschen Lebensmittel bis dato mit möglichst naturbelassenen Inhaltsstoffen, d.h. Fleisch ohne Chemie und Hormone, Wurst ohne Kollagenspritze und Getreide-, Obst und Gemüse ohne Nitrat-, Mineraldünger- oder Pestizidreste gleichgesetzt wurde und wird, suggeriert der Text des Aktionsplans eine offensichtlich noch bessere Ernährungsweise und noch bessere Qualität durch entweder nanoskalige, künstliche Zusatzstoffe oder mittels nanotechnologischer Zertrümmerung, Pulverisierung, Versprühung der üblichen Zutaten auf die entsprechende Größenordnung. Damit läßt sich zwar eine noch bessere Durchmischung oder Emulgierung der Geschmackskompositionen erreichen, mehr aber auch nicht. Warum diese Mühe?


Nano klingt besser als Mangel

Bei genauerer Betrachtung geht es hier vor allem darum, daß auf diese Weise mit einem sehr viel geringeren Einsatz von Geschmackszutaten eine gleichbleibend konstante Mischung und Verteilung erreicht werden kann bei gleichbleibendem Geschmack. Das heißt, in einem Kubikzentimeter eines Nano-Lebensmittels wären dann ebenso viele Inhaltsstoffteilchen enthalten, wie in einem herkömmlichen Makro-Produkt, nur in einer jeweils sehr viel kleineren Körnchen- oder Tröpfchengröße. Ein Butterkeks bräuchte nur noch den Bruchteil der ursprünglich für den guten Geschmack nötigen Buttermenge. In der Frage aber, was die Qualität an Lebensmitteln ausmacht, wurde auf diese Weise unhinterfragt längst ein Paradigmenwechsel vollzogen:

Höhere Stabilität, mehr "gesunde", wenn auch fischig- oder schlecht-schmeckende Inhaltsstoffe oder eine Reduktion an Inhaltsstoffen wie Salz, Fett und Zucker, die ohnehin auf dem Gefahren-Index für das "Metabolische Syndrom": Diabetes, Adipositas, Herzkreislauf-Erkrankung, Krebs stehen, sind dieser Tage angesagte, positiv besetzte und politisch-korrekte Qualitätskriterien. Denn mit dem immer wieder durch entsprechende Studien belegten Bezichtigungskonzept, der Mensch sei für seine Zivilisationskrankheiten selbst verantwortlich, weil er zuviel und zuviel Falsches ißt, mit dem die bundesdeutsche Gesundheitspolitik derzeit den Bürgern das Essen madig macht, läßt sich offenbar auch eine gesunde und schlankmachende Zwangsernährungsweise rechtfertigen, in der durch Reduktionsdiät über Nanotechnologie der Nährwert reduziert und vorgegeben wird. Nano verspricht durchaus auch Ernährungsbewußten den Essensgenuß ohne Reue, Geschmack ohne Brennwert oder Kalorien bei ausreichender Versorgung mit dem Allernötigsten zum Erhalt der Arbeitskraft. Und wem das nicht reicht, wer auf seinem gewohnten Fett besteht oder einfach nur mehr will, bekommt gar nicht mit, daß er dabei längst inhaltsleer speist.

Daß mit der Förderung von Nanotechnologie in der Ernährung neben einem futuristischen Lebensmitteldesign wie der bereits erwähnten Multi-Geschmacks-Pizza auch ganz andere Möglichkeiten der Manipulation Tür und Tor geöffnet werden, scheint niemanden zu stören. Durch Nanoverkapselung ließe sich unsichtbar und unmerkbar von den dadurch entmündigten Verbrauchern mit vermeintlich besten Absichten und Grüßen der Gesundheitsbehörde die umstrittene Zwangsschluckimpfung an allen ebenso vollstrecken, wie die Beruhigung mit "soma"-ähnlichen Beruhigungsmitteln á la Huxleys "Schöne neue Welt".

Gründe zur Beschwichtigung und Ruhigstellung werden auch nicht auf sich warten lassen. Darunter möglicherweise auch welche, die vielleicht mehr als die vorgegebenen eine Nanotechnologie erforderlich machen könnten, um etwa den unausweichlich bevorstehenden Mangel an Grundnahrungsmitteln durch "nanofeine" Verteilung und größere Haltbarkeit länger hinauszuzögern.

So warnte unlängst das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung davor [5], daß künftige Weizen-, Mais- und Sojaernten durch die steigenden Temperaturen in Gefahr geraten und zudem die Qualität aufgrund der Wärme abnehmen wird. Jeder Tag über 30 Grad würde den Ernteertrag um 5 Prozent schmälern, ergeben die Simulationen der PIK-Studie. Ohne eine drastische Reduktion der Emissionen ist eine globale Ernährungskrise nicht mehr abzuwenden. Der Appell der Regierungen ist hier eindeutig: Jeder sollte hier überlegen, wie er mithelfen kann das CO2- Ziel zu erreichen: indem er weniger reist, weniger Auto fährt und weniger Fleisch verzehrt - oder vielleicht noch weniger ißt ...


Anmerkungen:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/technisch-veraenderte-lebensmittel-bundesregierung-setzt.697.de.html?dram:article_id=376496

[2] Den Aktionsplan Nanotechnologie 2020 findet man hier:
https://www.bmbf.de/pub/Aktionsplan_Nanotechnologie.pdf

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/cheko086.html

[4] Julian Schenten, Rechtliche Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus bei Nanomaterialien in REACH. Defizitanalyse und Gestaltungsoptionen, Dissertation, Reihe Forum Wirtschaftsrecht, Nr. 23, Kassel, i.E.

[5] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen

23. Januar 2017


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