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MELDUNG/005: Designer-Nanopartikel können das Pflanzenwachstum lähmen (SB)


Neue Studie zeigt, daß Nanopartikel schädlicher sind als erwartet

Hoffnungsträger Nanotechnologie könnte eine neue Ursache für Hungerkatastrophen werden



Bereits seit zehn Jahren gilt Nanotechnologie als einer der wichtigsten Innovationsmotoren. Nanoskalige Materialien in einer Größenordnung von einem Milliardstel bis zu einem Zehnmillionstel Meter haben wie kaum eine andere Innovation aufgrund ihrer einzigartigen elektrischen, mechanischen oder katalytischen Eigenschaften - von HighTech-Elektronik bis zum Putzmittel - Einzug in die unterschiedlichsten Technologiebereiche gefunden. Der Glaube an das weithin verbreitete Versprechen, sämtliche Probleme der Gesellschaft mit nanotechnologischen Entwicklungen lösen zu können, Umweltprobleme, Umweltzerstörung, schwindende Ressourcen wie Wasser oder Öl, das drohende "Peakoil", Klimawandel oder auch nachhaltige Technologien oder alternative Energiegewinnungstechnologien, für die nanoskalige Grundstoffe oder Innovationen grundlegend sind, könnte allmählich ins Wanken geraten.

Mit dem expansiven Verbrauch und dem damit verbundenen Eintrag von technisch bedingtem Nanomüll in die Umwelt mehren sich kritische Stimmen und Studien, die Bedenken an der Umweltverträglichkeit dieser Stoffe anmelden. Allerdings steckt die Technikfolgenabschätzung und Risikoanalyse in diesem Bereich immer noch in den Kinderschuhen. Das zeigt sich vor allem immer wieder dann, wenn neue Forschungsvorhaben in diese Richtung als "Erste", "bisher Größte" usw. angepriesen werden. Man fragt sich dann doch unmittelbar, wie denn bisher die Risiken der Nanoforschung, die derzeit allein von der deutschen Bundesregierung mit 440 Millionen gefördert wird, überhaupt eingeschätzt werden konnten. Zum Vergleich nehmen diese Gelder ein Hundertfaches des Förderungsvolumens ein, das für die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen reichen muß. [1]

Dabei treffen die seltenen Projekte, die kritischen Fragestellungen nachgehen, fast immer ins Schwarze. So verwies der Umweltdachverband der EU vor kurzem auf eine Studie des amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) und der University of Massachusetts Amherst (UMass), in der im Zuge ihrer Langzeit Environmental health and safety (EHS) Studie [2] nachgewiesen werden soll, daß sich synthetische Nanopartikel in Pflanzen anreichern und ihre DNA beschädigen können. [3, 4]

Das Team des NIST Chemikers Bryant C. Nelson analysierte die Aufnahme von synthetisch hergestellten Kupferoxid-Nanopartikeln mit einer Partikelgröße zwischen 1 und 100 Nanometern durch Radieschen (Raphanus sativus) und zwei Arten von Weidegräsern (das winterharte Lolium perenne, sowie das einjährige Lolium rigidum) unter kontrollierten Laborbedingungen.

Nanoskaliertes Kupfer(II)oxid (chem.: CuO) ist bereits weit verbreitet. Die speziellen Eigenschaften des Kupferoxids, die sich im Nanobereich meistens verändern oder optimieren lassen, werden traditionell schon seit vielen Jahren für das Färben von Glas, Keramik und Porzellan verwendet, zum Polieren von Linsen oder für die Katalyse bei der Herstellung von Viskose. Darüber hinaus besitzt Kupferoxid hervorragende elektrische Leitfähigkeit, die durch synthetische Aufarbeitung in die nanoskalarige Größenordnung noch sehr verbessert werden konnte, so daß Kupferoxid-Nanopartikel ein gefragtes Ausgangsmaterial für die Produktion von Halbleitern geworden sind.

In ihrer Pressemitteilung [4] schreiben die Forscher, allein die Tatsache, daß es sich bei Kupferoxid um ein Oxidationsmittel handelt, eine reaktive chemische Verbindung, mit deren Hilfe Elektronen von anderen Komponenten in einer chemischen Reaktion entfernt werden, stelle ein Risiko dar, das näher untersucht werden müsse. Eine durch Metalle hervorgerufene Oxidation kann generell eine Schädigung der DNA in Organismen hervorrufen. Oxidationsmittel haben mutagene und cancerogene Wirkung auf lebende Zellen. In ihrer jüngsten Studie wollte Nelson und seine Gruppe herausfinden, inwieweit nanoskaliges Kupferoxid auch Pflanzen-DNA schädigen kann und ob die zunehmende Verbreitung von Nanopartikeln in der Umwelt eine Auswirkung auf Pflanzengesundheit und -wachstum haben könnte.

Zunächst wurden in einer vergleichenden Versuchsreihe Radieschen und Weidegräser sowohl gewöhnlichem Kupferoxid als auch nanoskalig aufbereiteten Nanoteilchen davon ausgesetzt. Anschließend wurden hochsensible spektrographische Techniken eingesetzt, um die Häufigkeit und die Art der DNA-Schäden zu vergleichen und um zu bestimmen, wieviel Kupfer insgesamt von den Pflanzen aufgenommen worden war.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten nachweisen, daß die Nanopartikel von Kupferoxid stärker von den Pflanzenwurzelzellen aufgenommen wurden als größere Partikel der gleichen chemischen Verbindung, und auch die Schädigung der DNA war durch Nanopartikel merklich größer.

Bei den Weidegräsern war die Schädigung der DNA nicht so signifikant wie bei den Radieschen, bei denen die Schädigung durch Nanopartikel sogar doppelt so hoch war als bei gewöhnlichen Kupferpräparaten. Das Ausmaß der Schädigung des Erbgutes dürfte von der Art der Pflanzen und der Nanopartikel-Konzentration abhängig sein.

Darüber hinaus konnte die Gruppe glaubwürdig darlegen, daß Kupferoxid-Nanopartikel einen signifikant nachteiligen Einfluß auf das Pflanzenwachstum nehmen, sowohl bei den untersuchten Wurzeln ausgewachsener Pflanzen als auch bei den entsprechenden Keimlingen. Allerdings waren die Versuchspflanzen höheren Konzentrationen ausgesetzt, als sie in der freien Natur zu erwarten wären.

Nelson spricht in diesem Zusammenhang von einem ersten Hinweis, daß Nanopartikel einen Einfluß auf Pflanzen und Umwelt nehmen und im Laufe der Generationen und mit zunehmenden DNA-Schäden zu einem Zwergenwuchs der Pflanzen führen könnten.

In ihrem nächsten Projekt starten die Forscherinnen und Forscher eine ähnliche Studie, in der sie den Einfluß des ebenfalls zunehmend verbreiteten nanoskaligen Titandioxid auf Reispflanzen untersuchen werden. Titandioxid-Nanopartikel findet man inzwischen in vielen Pigmenten, aber auch als Sonnenschutzsubstanzen in Hautcremes oder UV-Schutzmitteln.

Ein Team aus Chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hatte dies bereits Ende letzten Jahres mit Untersuchungen über Titandioxid und Zinkoxid auf das Wachstum von Weizen begonnen und Hinweise gesammelt, daß diese Chemikalien im nanoskaligen Bereich bereits im Boden vorkommen und einen negativen Einfluß auf das Wachstum der Pflanzen haben. [5]

Untersucht wurde der Einfluß von Titandioxid und Zinkoxid auf das Wachstum von Weizen und auf die Böden, in denen der Weizen angepflanzt wurde. Es zeigte sich auch hier, daß die Nanopartikel das Wachstum des Weizens behinderten, ihr Vorkommen konnte außerdem in den Pflanzen und Böden nachgewiesen werden.

Diese Erkenntnisse machen deutlich, welchen Einfluß neue Technologien in den Industrienationen auch auf die Landwirtschaft und damit auf das Gesamtgefüge der Welt haben könnten. Da sich Teilchen in dieser Größenordnung ungesehen durch Luft und Wasser verbreiten und dies bereits tun, werden sie dazu beitragen, in den ärmeren Ländern die bestehende Nahrungsknappheit noch weiter zu verschärfen oder Agrarstaaten zunehmend ihrer Existenzgrundlage zu berauben. Abgesehen von allen anderen negativen Einflüssen, die die bereits stattfindende Verbreitung der überaus nützlichen Nanomaterialien für die westliche Industrie auch auf tierische Organismen und den Menschen haben könnte, sind gesellschaftliche Folgen und eine weitere Spreizung der Schere in arme und reiche Nationen bereits absehbar.


Anmerkungen:

[1] Wenn die Risiken der Nanotechnologie erforscht werden, geschieht das meist unter Beteiligung der Industrie wie in dem am 15. Mai 2012 gestarteten Langzeitforschungsprojekt zur Sicherheit von Nanomaterialien des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und der BASF. Mit einem Forschungsvolumen von 5 Millionen Euro sollen mögliche Langzeiteffekte von Nanopartikeln in der Lunge untersucht werden. Das sei in diesem Umfang bisher noch nicht geschehen (zum Vergleich: Die öffentlichen Fördermittel für den Ausbau und die Entwicklung von Nanotechnologie betragen allein in Deutschland laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 440 Millionen Euro):
www.bmu.de/pressemitteilungen/aktuelle_pressemitteilungen/pm/48721.php
http://www.bmbf.de/de/nanotechnologie.php

[2] Die Langzeitstudie EHS stellt das Forschungsprogramm des National Institute of Standards and Technology's (NIST) dar, mit dem qualitative und quantitative Analysemethoden für Gesundheit und Umweltgefährdende oder riskante Nanomaterialien entwickelt werden sollen. Siehe auch: "NIST Technique Controls Sizes of Nanoparticle Clusters for EHS Studies", abgerufen im Internet am 25. Mai 2012.
http://www.nist.gov/mml/biochemical/nanoparticles-020111.cfm

[3] Umweltdachverband/EU-News, "Studie: Synthetische Nanopartikel schädigen DNA von Pflanzen", 16. Mai 2012
http://www.eu-umweltbuero.at/cgi-bin/neu/cont.pl?contentart=eunews&id=3485

[4] Pressemitteilung National Institute of Standards and Technology(en)
http://www.nist.gov/mml/biochemical/nanoparticles-041712.cfm

Der kostenpflichtige Volltext des Artikels wurde in der Fachzeitschrift "Environmental Science and Technology" veröffentlicht.
http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/es202660k

[5] Die Studienergebnisse wurden von den Wissenschaftlern in der Fachzeitschrift "Journal of Environmental Monitoring" veröffentlicht, der Volltext in englischer Sprache steht online zur Verfügung.
http://pubs.rsc.org/en/Content/ArticleLanding/2011/EM/c0em00611d
http://www.envinews.eu/redir/57690

25. Mai 2012