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UMWELTLABOR/291: Seltene Erden - Menschenleben nicht gerechnet ... (SB)


Seltene Erden - Kollateralschäden oder das "Outsourcen" von Umweltsünden in den armen Süden


Seit vor Jahren internationale Bergbaukonzerne die Förderung von Seltenen Erden in verschiedenen Erdteilen ankündigten und dafür teilweise stillgelegte Erzminen reaktivierten, macht sich zumindest die deutsche Industrie weniger Sorgen, daß die chinesische Exportpolitik zu Engpässen und damit zu weltweiten Konflikten bei der Versorgung mit Seltenen Erden führt. Daß die Stilllegungen seinerzeit vielleicht gute Gründe hatten, daß etwa die Minen, in denen ursprünglich andere Erze gefördert wurden, inzwischen unter Wasser stehen oder die Stollen einsturzgefährdet sind und ihre weitere Nutzung Menschenleben kostet, gehört nicht in den Verantwortungsbereich dieser Konzerne, die nur das einsammeln und für die Hochtechnologie-Industrie aufbereiten, was möglichst preiswert an Rohmaterial auf dem Weltmarkt angeboten wird. Und "artisinaler" Bergbau (d.h. Ein-Mann-Unternehmen oder private Förderkooperativen, in denen jeder Bergmann auf eigene Rechnung arbeitet und am Ende der Gewinn geteilt wird) ist derzeit besonders günstig. Gedanken über Verstöße gegen Menschenrechte oder Umweltsünden sind ein Luxus, den man sich selten leistet. Denn die finden immer woanders, weit weg vom industriellen Standort statt und werden von anderen verursacht.


Protestierende Malaien mit Transparenten vor der japanischen Botschaft in Kuala Lumpur - Foto: 1985 by Consumer Assciation Penang, Veröffentlichung als Creative Commons - (CC-BY-NC) V.3.0 Lizenz

Umweltsünden werden outgesourced
1985 kämpften die Malaien gegen die Verarbeitung Seltener Erden-Erze in Bukit Merah und die Lagerung radioaktiver Verarbeitungsreste auf ihrem Land.
Foto: 1985 by Consumer Assciation Penang, Veröffentlichung als Creative Commons - (CC-BY-NC) V.3.0 Lizenz

Während sich Großkonzerne wie Bayer, BASF, Bosch, Thyssen-Krupp, BMW und VW schon vor vier Jahren zu einer RA Rohstoffallianz GmbH zusammenschlossen, um mit Schulterschluß entsprechend Druck auf die Politik der Bundesregierung auszuüben, eine "bedarfsgerechte Versorgung der Industrie mit mineralischen Rohstoffen" sicherzustellen, und während von der Regierung Rohstoffstrategien entworfen und Wirtschaftsallianzen und bilaterale Rohstoffpartnerschaften mit rohstoffreichen Förderländern geschlossen und bereits zusätzliche "sicherheitspolitische und militärische Instrumente" erwogen und diskutiert wurden, um die Außenwirtschaftsbeziehungen und den neuen Rohstoffzustrom im Bedarfsfall entsprechend abzusichern, werden auch von dieser Seite sämtliche Augen aktiv zugedrückt, wenn es um den Abbau der begehrten Stoffe aus bereits ausgequetschten Altförderstätten geht. Im Gegenteil werden vom Bundeswirtschaftsministerium sogar seit 2013 im Rahmen eines speziellen Förderprogramms risikobereite Unternehmen mit bedingt rückzahlbaren Darlehen belohnt, die Seltene Erden wo auch immer auf der Welt aus der Erde heben wollen, koste es, was es wolle ... Eine Stimme für die Arbeiter gibt es nicht.

Man erinnere sich, daß dies für die neuen alten Förderstandorte bedeutet, chemisch und mechanisch in immer tieferen und sensibleren Bereichen aufgestemmt, gesprengt und ausgekratzt zu werden, selbst wenn es sich nur um Erze mit unerheblichen Metallgehalten handelt. [1] Dieser Abbau von letzten, unergiebigen Resten läßt sich aber mit leistungsfähigen Maschinengiganten nicht profitabel bewältigen. Deshalb ist man hier zusehends auf Handarbeit, d.h. im Klartext Spitzhacke und Schaufel und willige Arbeitskräfte, angewiesen, die sich für wenig Lohn ausbeuten lassen (müssen) und dafür auch noch mit ihrer Gesundheit bezahlen. Sind die horrenden Arbeitsbedingungen in den chinesischen Minen für die Seltene Erden-Produktion hinlänglich bekannt [1], dann läßt sich bereits jetzt ahnen, daß auch die Verhältnisse in Erzabbaugebieten wie Indien, Kanada, Malaysien, Madagaskar, Südafrika, Thailand und Sri Lanka für die Bergleute nicht weniger toxisch und gesundheitsschädlich sind.

Über die teilweise grausamen Zustände in afrikanischen Minen, in denen sich Arbeiter bereits zur Finanzierung ihrer notwendigen Ausrüstung (Hacke und Grubenlampe) verschulden müssen, um sich dann durch Raten- und Zinszahlungen und weitere illegale Abgabeforderungen durch Militär oder Polizeikräfte gewissermaßen zwangszuversklaven, oder über andere skandalöse Verstöße gegen Umwelt- und soziale Auflagen wird hin und wieder in den Medien berichtet. [2] So etwa auch, daß bei der Kobaltgewinnung und Aufbereitung im Kongo etwa 19.000 bzw. 33.000 Kinder unter 15 Jahren beschäftigt werden, die durch die giftigen und radioaktiven Stäube einen wenig privilegierten Start ins Leben erhalten. [3] Es gibt zwar keine offizielle Statistik, Einzelbeobachtungen zufolge geht man aber im Kleinbergbau von mindestens einem tödlichen Unfall pro Jahr und 200 Arbeitern aus, das sind statistisch 0,5 Prozent Todesfälle.

Da die Exploration und Exploitation von Seltenen Erden oftmals im Abraum oder in den ausgeräumten Stollen genau dieser alten Erzbergwerke stattfindet, ist kaum zu erwarten, daß sich die Gewaltverhältnisse oder Ausbeutungspraktiken wesentlich ändern. Das wäre nur durch einen kompletten Verzicht auf diese Rohstoffe zu erreichen.

Deutschland, das sich für seine vermeintlich vorbildliche Klimapolitik gerne weltweit feiern läßt, gleichzeitig aber einer der größten Rohstoffverbraucher und -importeure darstellt, zeichnet sich vor allem durch ambitionierte Verschleierungsstrategien aus, selbst wenn sich vermeintlich kritische Stimmen zur internationalen Ressourcenpolitik zu Wort melden. So empört sich eine Schrift der Heinrich Böll Stiftung [4], eine Studie des US-Army's Foreign Military Studies Office zitierend, über die Ironie des Schicksals, daß China die SE-Produktion drosseln müsse, um eine Kontrolle über bereits dadurch verursachte Umweltschädigungen zu erlangen, während der gesamte Rest der Welt genau diese Seltenen Erden brauche, um seine Umwelt durch die Nutzung "grüner Technologien" sauber zu halten. Sie stellt aber die Nutzung dieser kritischen Ressourcen selbst nicht in Frage.

Eine Lösung, die fraglichen Stoffe "fair" und in ausreichender Menge zu produzieren, ist entgegen anderer Behauptung nicht abzusehen. Auch der von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) seit Jahren angestrebte chemische Fingerabdruck zur Identifikation aller kritischen Minen, der mit der Zertifizierung von umwelt- und menschengerechten Arbeitsbedingungen gepaart werden soll, um die Einfuhr und Verarbeitung von sogenannten "unfairen" Rohstoffen zu verhindern, scheitert bereits bei einem Rohstoff wie Kobalt an der Vielzahl von Kleinminen und birgt zudem analytische Unsicherheiten. Dem lauteren Vorhaben, das auch gerne werbewirksam vermarktet wird, läßt sich eine gewisse Feigenblattfunktion für diejenigen, die mit bestem Gewissen nur die eigenen Interessen bedient sehen wollen, nicht absprechen. Es treibt die "kostengünstige" Förderung voran. Der schwarze Peter wird mitsamt Folgen und Konsequenzen über die beteiligten Bergbaukonzerne an die Dritte Welt verschoben oder nach gängigem Terminus "outgesourced".

Die nötigen Voraussetzungen für die weitere Verschleierung oder Verlagerung dieser Problematik finden sich in den internen Strategiepapieren der Bundesregierung, den formulierten Zielen und Abkommen, in denen menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sie werden zwar als ernstzunehmende oder kritische Kriterien genannt, über mögliche rechtliche Konsequenzen bei ihrer Verletzung hält sich jedoch zum Beispiel das Rohstoffstrategie-Papier der Bundesregierung bedeckt, das letztlich nur dafür eintritt, daß "die deutsche Wirtschaft unternehmerisches Handeln an international anerkannten Instrumenten und Initiativen wie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen ausrichtet." [5]

Bei ihrer doppelzüngigen Stellungnahme zu Verstößen von Förderfirmen gegen nationales oder internationales Recht, d.h. in Formulierungen wie: "Problematisch sind Rohstoffgewinnungsprojekte, die Umweltschäden verursachen, bei denen schlechte Arbeitsbedingungen herrschen und Menschenrechte mißachtet werden" oder "Rohstoffreichtum kann auch zur Korruption führen" oder er könne "...Kriege oder neue bewaffnete Konflikte auslösen" sei die Regierung in etwa so konkret wie die Etiketten auf Tabakerzeugnissen "Rauchen kann tödlich sein", kritisierte bereits Michael Reckordt 2013 im Robin Wood-Magazin [5]

Und etwa so, wie der unverbesserliche Raucher seine Schachtel in eine andere unbeschriftete Plastik-Verpackung hüllt, um sich mit den tödlichen Konsequenzen nicht weiter zu konfrontieren, verfahren Industrieländer mit den unumgänglichen Gesundheits- und Umweltproblemen. Sie schanzen sie perfiderweise solchen Ländern zu, die in ihrer Schuld stehen oder sich zumindest nicht dagegen wehren können. Ziviler Widerstand ist zwecklos ...


Fallstudie: Malaysien

November 2012 in der malayischen Hauptstadt Kuala Lumpur: Mehrere Zehntausend Menschen demonstrieren gegen das bereits im September 2011 in Betrieb genommene Seltene Erden-Produktionswerk in Kuantan, einem beispielhaften "Outsourcing"-Projekt unserer Zeit.

Laut den Plänen des australischen Bergbauunternehmens "Lynas" werden hier die in der rund 5.000 Kilometer weit entfernten Mountain Weld Mine zu Tage geförderten Mineralien chemisch in einzelne Elemente zerlegt und in die entsprechende Handelsform gebracht. Das Know-how dafür haben die Malaien aufgrund eigener Vorkommen, die jedoch derzeit nicht abgebaut werden. Die energieaufwendige Verschiffung der mindestens zehnfachen Menge an Gestein von einem Kontinent zum anderen wird mit der wachsenden Nachfrage gerechtfertigt.

Laut Firmenabgaben lagert angeblich in Westaustralien das "weltweit reichste Vorkommen Seltener Erden". Das Unternehmen versprach zu Beginn der Produktion nach einer Anlaufzeit von zwei Jahren, jährlich Seltene Erden-Oxide im Wert von vier Milliarden Ringgit (920 Millionen Euro) herzustellen und bald ein Drittel des Weltbedarfs (außerhalb Chinas) decken zu können. Die Rechtfertigung ist jedoch hinfällig, da dieses Versprechen auch nach vier Jahren (mit einer Jahresproduktion von 2.500 Tonnen) nicht ansatzweise gehalten werden konnte.

Die Bewohner des westlichen Bundesstaats Pahang im Süden der Halbinsel Malakka wehren sich schon so lange gegen die Lynas Advanced Materials Plant (LAMP) genannte Anlage, wie das Übereinkommen zwischen Lynas mit der malaysischen Regierung besteht, auf ihrem Land Seltene Erd-Oxide im großen Stil zu produzieren. Zwei Bürgerinitiativen wurden gegründet, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, das Lynas-Projekt zu stoppen (Save Malaysia Stopp Lynas (SMSL) oder Stop Lynas Coalition (SLC)). Die Menschen fürchten zum einen die Folgen, die sie bereits vor 35 Jahren kennengelernt haben. [6] Zum anderen beinhaltet die unheilige Allianz zwischen Australien und Malaysien, daß die radioaktiv angereicherten Produktionsabfälle, die am Standort der Anlage im Fischerdorf Gebeng anfallen, weiter im Lande bleiben und zunächst in Spezialcontainern vor Ort zwischengelagert werden sollen, bis man in Malaysien eine "endgültige" Lösung gefunden haben will.

Daß letzteres nahezu illusorisch ist, sollten die Betreiber wissen, denn bis heute haben die Malaien noch mit den Altlasten von Mitsubishi Chemicals zu tun, die aus einer früheren Anlage nahe dem Township Bukit Merah im nördlichen Bundesstaat Perak stammen und für die bis heute "keine" Endlösung gefunden werden konnte. Die Anlage wurde vor 31 Jahren geschlossen, weil es zu einer signifikanten Zunahme an schwerwiegenden Erkrankungen, Vergiftungen und Mißbildungen bei Neugeborenen gekommen war. Der bei der Produktion angefallene Thoriummüll war seinerzeit unter vergleichbaren Bedingungen im Freien gelagert und später unter der Erdoberfläche vergraben worden. Fukushima läßt grüßen.

Bis heute werden in Bukit Merah Todesfälle, Leukämieerkrankungen bei Kindern und Geburtsfehler auf den früheren Betrieb der Anlage zurückgeführt. Darüber hinaus klagen viele Bewohner nach wie vor über Gesundheitsprobleme und Befindlichkeitsstörungen. [7]


Lagerung von Fässern mit thoriumhaltigen SE-Abfällen in Bukit Merah in Malaysia 1985 - Foto: 1985 by Consumer Assciation Penang, Veröffentlichung als Creative Commons - (CC-BY-NC) V.3.0 Lizenz

Fukushima läßt grüßen: Ein sicheres Endlager gibt es bis heute nicht.
Foto: 1985 by Consumer Assciation Penang, Veröffentlichung als Creative Commons - (CC-BY-NC) V.3.0 Lizenz


Eingang zur Deponie im Kledang Gebirge. Gebaut für 20 Jahre Lagerung von radioaktiven Abfällen mit einer Halbwertszeit von 14 Mrd. Jahren - Foto: 1985 by Consumer Assciation Penang, Veröffentlichung als Creative Commons - (CC-BY-NC) V.3.0 Lizenz

Lösung für 20 Jahre
Freiluftdeponie für radioaktive Abfälle
Foto: 1985 by Consumer Assciation Penang, Veröffentlichung als Creative Commons - (CC-BY-NC) V.3.0 Lizenz

Entgegen der Behauptung des Betreibers sind ähnliche, wenn nicht schlimmere Gesundheitsauswirkungen auch von LAMP zu erwarten. Zwar gibt es laut einer Studie des Bundesumweltamtes bis jetzt keine negativen Daten darüber. [8] Es wurden aber auch keine konkreten Untersuchungen der Menschen im unmittelbaren Umfeld von LAMP vorgenommen. Dafür ist bekannt, daß die aus dem Mountain Weld Bergwerk stammenden Erze einen Anteil von bis zu 1600 ppm (parts per Million) an Thorium enthalten. Im Vergleich mit den in Bayan Obo, China, gemessenen Werten von 600 ppm und den dort bekannten und dokumentierten Folgen [6] birgt die Weiterverarbeitung in Kuantan demnach ein wesentlich höheres Risiko, an Krebs zu erkranken.

Die von NORM-Teilchen emittierte Alphastrahlung kann durch die Aufnahme in den Körper, durch Einatmen oder über den Verdauungstrakt schädigend Einfluß nehmen. Dazu kommt eine besondere Gefährdung der Arbeiter durch das Einatmen von uran- oder thoriumhaltigen Stäuben, auch in Anbetracht der toxischen Wirkungen für Nieren und Knochen.

Weiter wurde von der amerikanischen Umweltbehörde EPA allgemein ein erhöhtes Krebsrisiko bei einer Entfernung des Wohnortes von weniger als etwa 1,6 km zu einer Anlage, die krebserregende Stoffe freisetzt, festgestellt [9]. Etwas, daß sich auch beim LAMP nicht ausschließen läßt.

Zudem kam es seit Inbetriebnahme der neuen malayischen SE-Raffinerie zu drei Todesfällen von Mitarbeitern, die einen leichtfertigen Umgang mit den Sicherheitsanforderungen vermuten lassen. Bei mindestens einem dieser Vorfälle handelte es sich um einen Arbeitsunfall. [10]

Gegen alle Proteste unterstützt die Regierung in Kuala Lumpur das fragwürdige Projekt, das Steuereinnahmen, vor allem aber ausländische Investitionen bringt und für das der Bundesstaat Lizenzgebüren erhält. Unter anderem fördert die Malaysian Investment Development Authority mit Investitionsanreizen die weitere Produktion, indem sie etwa für SE-Erze wie für viele andere Rohstoffe bei der Einfuhr lediglich niedrige oder gar keine Einfuhrzölle erhebt. Die von der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) bei solchen Projekten geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung stand dagegen nie auf der Agenda. Die längst vom malayischen Atomic Energy Licensing Board (AELB) vergebene Lizenz ist danach fraglich.

Malaysien ist aber nur eines von vielen Beispielen wie die Gier nach Bodenschätzen oder anderen Rohstoffen Menschenrechte außer Kraft setzt und überall in der Welt Konflikte schürt, ob es dabei um Hungerunruhen in Haiti, Streit um Energieträger wie Gas zwischen der Ukraine, Rußland und der EU geht oder um den Wettlauf der Industriestaaten um Pfründe wie Phosphor, Kupfer, Zink, Tantal (Coltan), Wolfram oder Zinn. Auch die derzeit zu beobachtende Massenflucht vieler Menschen aus Afrika, auf deren oder um deren Boden die größten gewaltsamen Auseinandersetzungen um Rohstoffe stattfinden oder die sich aus zwanghaften Arbeitsverhältnissen befreien, ist eine Folgeerscheinung dieses kaum zu sättigenden Bedarfs der westlichen Industriestaaten mit oftmals tödlichem Ausgang für die Betroffenen. Man fragt sich unweigerlich, ob damit bereits endlich alle Opfer und Kollateralschäden erfaßt sind, die der Run auf Rohstoffe und letztlich der hierzulande für selbstverständlich gehaltene Wohlstand und seine dadurch ermöglichten elektronischen Spielzeuge für jedermann einfordert, und mit welchen Repressionen diejenigen zu rechnen haben, die sich heute schon gegen den SE-Abbau um jeden Preis wehren.

Laut einer Analyse des Dipl. Geographen Andreas Manhart [3] stellt das jährlich publizierte "Konfliktbarometer" des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) [11] eine direkte Korrelation zwischen Wirtschaftsinteressen, den allgemein steigenden Rohstoffpreisen und einer Zunahme gewalttätiger Konflikte fest, die zwar nicht nur, aber auch mit Seltenen Erden-Rohstoffen zu tun haben: Während im Jahr 2000 - noch in der Zeit vor dem großen Run auf die Seltenen 17 Elemente - weltweit nur 7 gewalttätige und 15 nicht-gewalttätige Konflikte um Ressourcen ausgetragen wurden, nahmen Kriege und Konflikte um Rohstoffe zwischen 2000 und 2010 stark zu. 2014 registriert das Institut weltweit 177 Konflikte mittlerer Gewaltintensität und 46 Kriegsaktivitäten. 98 gewalttätige Konflikte davon sind Ressourcenkonflikte, nur 35 sind von geringerer Intensität.

Während sich in der Wohnung einer deutschen Kleinfamilie durchschnittlich, von der Fernbedienung des TV-Geräts bis zur Waschmaschine, etwa 20 elektronisch gesteuerte Apparate finden lassen, allein in einem Kraftfahrzeug 28.000 unterschiedliche Funktionskomponenten mit Seltene Erden laufen, und darüber hinaus in den gut ausgestatteten Technologiezentren der westlichen Welt mit Hochdruck weitere Anwendungsmöglichkeiten auch der noch nicht genutzten SE-Elemente für privatnutzbare Elektronik, über Forschungsanlagen für Teilchenbeschleuniger oder Kernfusion bis hin zu Waffentechnologien verfolgt werden, als gäbe es kein Gestern und keine Grenzen der Förderung, könnte die unvermeidlich steigende Nachfrage für gewalttätige Konflikte und weitere Opfer sorgen.


Anmerkungen:

[1] Unter dem kategorischen Titel "Seltene Erden" befaßt sich eine Serie des Umweltlabors mit den sich aus dem "Rohstoffhype" ergebenden Widersprüchen. Siehe auch:
UMWELTLABOR/288: Seltene Erden - Schönrechnen innovativ ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula288.html
UMWELTLABOR/289: Seltene Erden - Verschleierte Lasten ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula289.html
UMWELTLABOR/290: Seltene Erden - die Phönixschleife ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula290.html

[2] Dokumentationen unter dem Titel "Sklavenarbeit für unseren Fortschritt" finden Sie hier:
http://www.3sat.de/page/?source=/ard/dokumentationen/174582/index.html
Aufgerufen am 31.01.2016.

[3] http://www.kath-akademie-bayern.de/tl_files/Kath_Akademie_Bayern/Veroeffentlichungen/zur_debatte/pdf/2012/Vortrag_Manhart.pdf
Aufgerufen am 31.01.2016.

[4] "International Resource Politics: New challenges demanding new governance approaches for a green economy" von Raimund Bleischwitz, Bettina Bahn-Walkowiak, Felix Ekardt, Heide Feldt und Lili Fuhr:
https://www.boell.de/sites/default/files/2012-06-International-Resource-Politics.pdf
und
http://fmso.leavenworth.army.mil/documents/rareearth.pdf
Aufgerufen am 31.01.2016.

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/internat/uipt0049.html
und
http://www.klimaretter.info/umwelt/hintergrund/8451-proteste-gegen-abbau-seltener-erden

[6] 1979 wurde das Unternehmen Asian Rare Earth (ARE) mit dem Geschäftsziel gegründet, Yttrium aus Monazit zu gewinnen. Das Monazit stammte aus den Abraumhalden der unzähligen ehemaligen Zinnerz-Dredging-Gruben in Perak (Malaysia). Diese Zinnerze haben einen hohen Thoriumgehalt. Es wurde im Rahmen dieser Gründung entschieden, daß die radioaktiven Rückstände aus der Monazitverarbeitung im Besitz der Provinzregierung von Perak verbleiben, da sie zukünftig potentielles Material für Atomreaktoren seien. - Im Jahr 1985 klagten acht Menschen im eigenen Namen und im Namen von 10.000 Bewohnern von Bukit Merah und anderen umliegenden Gemeinden gegen den Betreiber. Sie forderten, die Anlage zur Erzeugung Seltener Erden in ihrem Dorf nahe Ipoh zu schließen, da radioaktiver Müll ihr Leben bedrohe. Es war das erste Mal in Malaysiens Geschichte, daß eine komplette Gemeinde gegen Umweltverstöße klagte, um ihre Gesundheit und ihre Umwelt vor radioaktiver Verseuchung zu schützen.
https://www.mineralienatlas.de/lexikon/index.php/Mineralienportrait/Seltene%20Erden/Seltene%20Erden%20-%20Fluch%20oder%20Segen?lang=de&language=german
Aufgerufen am 02.02.2016.

[7] http://savemalaysia-stoplynas.blogspot.de
Aufgerufen am 02.02.2016.

[8] http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/dokumente/umsoress_fallstudie_seltene_erden_malaysia_westaustralien.pdf
Aufgerufen am 02.02.2016.
WeitereQuellen: SMSL (Save Malysia Stop Lynas) (2013): Health Issues.
http://stoplynas.org/health-issues
Aufgerufen am 02.02.2016.
NY-Times (9. März 2011): Mitsubishi Quietly Cleans Up Its Former Refinery.
http://www.nytimes.com/2011/03/09/business/energy-environment/09rareside.html?adxnnl=1&adxnnlx=1384362149-IA6/eqHI4WXeLVpxxJX/rQ&_r=0
Aufgerufen am 02.02.2016.

[9] Phua, K-L. und Velu. S.S. (2012): Lynas Corporation's Rare Earth Extraction Plant in Gebeng, Malaysia: A Case Report on the Ongoing Saga of People Power versus State-Backed Corporate Power.
http://www.hoajonline.com/journals/pdf/2050-1323-1-2.pdf
Aufgerufen am 01.02.2016

[10] The Malaysian Insider, 14 Dezember 2013, Calls renew for Lynas shutdown after third death at plant.
http://www.themalaysianinsider.com/malaysia/article/calls-renew-for-lynas-shutdown-after-third-death-at-plant
Aufgerufen am 01.02.2016.

[11] http://hiik.de/de/downloads/Press_Kit_CoBa_2014.pdf
und Volltext-Version in Englisch:
http://www.hiik.de/de/konfliktbarometer/pdf/ConflictBarometer_2014.pdf
Aufgerufen am 31.01.2016.

10. Februar 2016


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