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UMWELTLABOR/233: Wie Acetaldehyd ins Mineralwasser kommt (SB)


Wenn Mineralwasser schlecht schmeckt ...


In Flaschen abgefülltes Wasser galt lange Zeit als die bessere Wahl, wenn man seinen Durst löschen wollte. Leitungswasser hat allgemein keinen so guten Ruf. So soll 2007 allein jeder Deutsche im Schnitt 172,4 Liter in Flaschen abgefülltes Mineralwasser getrunken haben. Nicht selten handelt es sich dabei sogar um das gleiche Trinkwasser, das von den Wasserwerken in die öffentlichen Leitungen gelangt und von den Getränkeherstellern zur Produktion entnommen wird, nur daß das in Flaschen abgefüllte Produkt, luftdicht verschlossen, wesentlich länger gelagert wird, also gewissermaßen "steht".

Werden Flaschenkisten auch noch an einem warmen oder sonnigen Ort aufbewahrt, entwickeln die Getränke oft einen unangenehmen Geschmack. Wie dieser zustande kommt, war bislang unbekannt. Da die Industrie beim Abfüllen der Flaschen sogenannte "Mehrweg-Sniffer" einsetzt, d.h. automatisch arbeitende Sensoren, die Flaschen mit unangenehmen Gerüchen aussortieren, müssen sich die Geschmacksveränderungen während der Lagerzeit einstellen.

Laut einer Pressemitteilung der Fraunhofer Gesellschaft gebe es nun Hinweise, worauf das Fehlaroma zurückzuführen ist und wie sich seine Entstehung verhindern lasse:

Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising haben dies bestätigt: 43 Prozent der getesteten Proben weisen einen "kunststoffartigen" Geruch auf, Fachleute sprechen von "Sonnenlichtaroma", bei fünf Prozent waren ein "muffiger, modrig, schimmeliger Geschmack" und bei 14 Prozent eine "fruchtige Geschmacksnote" festzustellen.
(idw, 1. August 2008)

Offenbar beschleunigt vor allem die direkte Sonnenbestrahlung die Entwicklung der unerwünschten Geschmackskomponenten. Kühle und lichtgeschützte Aufbewahrung sind danach die einzigen Vorbeugemaßnahmen.

Bisher nahm man an, daß der Geschmack durch sogenannte Gleitmittel ausgelöst wird, die man auf die Flaschenverschlüsse gibt, damit man sie mit normalem Kraftaufwand öffnen kann. Auch Weichmacher, die dem Kunststoffgemisch nur beigegeben werden aber zwischen dem Polymergerüst frei beweglich bleiben, machte man gerne dafür verantwortlich.

Die Chemikerin Andrea Strube vom IVV bestätigte auf analytischem Wege, daß sich der Geruch nicht auf einen Stoff allein zurückführen läßt, indem sie die flüchtigen Substanzen in ihre Einzelkomponenten aufspaltete:

Beim Test dieser Komponenten durch die menschliche Nase zeigte sich, dass die störenden Bestandteile gleich auf mehrere chemische Verbindungen zurückzuführen sind - der Kunststoffgeruch kommt nicht allein vom Gleitmittel. Strube vermutet, dass Verunreinigungen des Gleitmittels oder andere Verpackungs-Additive ihn auslösen.
(idw, 1. August 2008)

Die Antwort auf die Frage, was denn nun alles im Mineralwasser herumschwimmt, wenn wir es zu uns nehmen, blieb die Chemikerin jedoch ebenfalls schuldig.

Wenige Tage zuvor hatte eine Meldung über eine weitere besorgniserregende Quelle des durchdringenden, fruchtig-aromatischen Geschmacks von Flaschenprodukten die Runde gemacht, die hier keine Erwähnung fand.

Berlin (ddp). Die Deutsche Umwelthilfe hat den Einzelhandel zu einem Verkaufsstopp von Plastik-Einwegflaschen aufgerufen. Grund seien "besorgniserregende Mengen an Acetaldehyd", die die Stiftung Warentest in vielen Mineralwässern aus den Einwegflaschen gefunden habe, erklärte die Umwelthilfe am Montag in Berlin. Die Chemikalie beeinträchtige den Geschmack des Wassers, hieß es.
(ddp, 27. Juli 2008)

Die Stiftung hatte 30 Mineralwässer in Polyethylenterephtal- kurz: PET- Einweg- und Mehrwegflaschen untersucht. Dabei war herausgekommen, daß besonders Getränke aus Plastik-Einwegflaschen durch die Chemikalie belastet sind. So hatten die Analytiker in zehn PET-Flaschen der Discounter große Mengen an Acetaldehyd gefunden. In Plastik- und Glas-Mehrwegflaschen waren hingegen deutlich geringere Werte festgestellt worden.

Wissenschaftler der Stiftung Warentest http://www.test.de haben 30 Mineralwässer auf ihre Keim- und Schadstoffbelastung sowie ihren Etikett-Wahrheitsgehalt untersucht. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass zehn Produkte einen erhöhten Acetaldehyd-Gehalt aufwiesen. "Die zehn gehören alle zu der Gruppe der Eigenmarken des Handels, wie Aldi, Plus oder Lidl", erklärt Nicole Merbach von der Stiftung Warentest auf pressetext-Nachfrage.
(pte, 28. Juli 2008)

Damit hätte man also einen Auslöser des unangenehmen Nebengeschmacks chemisch identifiziert. Allerdings ist dieser Stoff wohl kaum vermeidbar und wird auch in Zukunft vom Verbraucher toleriert werden müssen.

Acetaldehyd ist zudem kein Unbekannter für den menschlichen Körper. Es entsteht beispielsweise beim Abbau von Alkohol (Ethanol) durch das Enzym Alkoholdehydrogenase als Zwischenprodukt in der Leber. Es ist unter anderem für den Kater "am Morgen danach" verantwortlich. Auch bei der Verschwelung von Tabak (d.h. in der glühenden Zigarette oder Pfeife) entsteht es als Pyrolyseprodukt und gelangt beim Inhalieren des Tabakrauchs in die Lungenbläschen und ins Blut. Darüber hinaus kommt Acetaldehyd in vielen Früchten und Gemüsen, aber auch in relevanten Mengen in Essig, alkoholischen Getränken und sogar in Fisch, Weißbrot und Joghurt auf natürliche Weise vor.

Die Lebensmittelindustrie in den USA setzt den Stoff wegen des fruchtigen Beigeschmacks sogar als Geschmacksstoffergänzung in Getränken, Eiscreme, Bonbons, Gebäck und Kaugummi ein.

Der Hauptanteil des Umweltschadstoffs stammt dennoch aus der chemischen Industrie, wo er in vielen Reaktionen als Zwischendprodukt entsteht. So wird er nicht nur zur Herstellung von PET-Flaschen verwendet, sondern auch bei der Produktion von Farben, von Parfümen und Färbemitteln, in der Gummi-, Papier- und Gerbeindustrie, als Konservierungsstoff von Früchten und Fisch, als Geschmacksstoff, zur Gelatinehärtung und als Treibstoffbeimischung eingesetzt. Acetaldehyd dient darüber hinaus auch als Ausgangsstoff für die Herstellung von Essigsäure und Pentaerythrit.

Trotz seines natürlichen und häufigen Vorkommens sind die toxischen Wirkungen des Acetaldehyds in der Leber vielfältig und nicht zu verharmlosen. So begünstigen sie über sogenannte Proteinaddukte die Ausbildung einer Leberzirrhose. Außerdem schädigt die aggressive Substanz die Zellmembranen.

Was das Vorkommen der Substanz in Mineralwässern angeht, so liegt die Acetaldehydmenge, die normalerweise aus PET-Flaschen in das Mineralwasser wandern kann, unter 0,02 mg/l (= 20 µg/l) und ist sehr viel weniger im Vergleich zu den natürlichen Acetaldehydgehalten in Lebensmitteln (Fisch 2,5 mg/kg, Weißbrot 4,2 mg/kg, Birnen 7 mg/kg, Erbsen 1,2-400 mg/kg, um nur ein paar Beispiele zu nennen).

"Das lässt sich leicht erklären, denn Markenmineralwässer werden in Mehrwegflaschen abgefüllt, bei deren Produktion ein Acetaldehyd-Blocker eingesetzt wird", sagt Merbach. Bei den billigeren Discounter-Wässer wird oft aus Kostengründen auf diese Blocker verzichtet, sodass es zu einer Vermischung mit dem Wasser kommen kann.
(pte, 28. Juli 2008)

Aber auch Flaschen mit Acetylaldehydblocker sollten laut Merbach gerade jetzt, trocken, dunkel und kühl aufbewahrt werden, denn durch Sonneneinstrahlung oder Erwärmung lösen sich noch mehr Acetaldehyd- Partikel aus den Flaschenwänden.

Angeblich sind auch die gefundenen erhöhten Werte nicht gesundheitsgefährdend und veränderten nur den Geschmack des Wassers. In Fruchtsäften, in denen der Gehalt von Acetaldhyd zwischen 0,3 - 50 mg/l schwankt, wird der Stoff allerdings nicht einmal wahrgenommen. Anders gesagt, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob und wo überall die Getränkeindustrie den aufwendigen und kostspieligen Zusatz des Acetylaldehydblockers einspart.

Außerdem läßt sich aufgrund der Vorbelastung und der unterschiedlichen Konzentrationen des Stoffs in Lebensmitteln und Getränken nicht einmal abschätzen, wie hoch die täglich unfreiwillig verzehrte Tagesbelastung ist und ob das ebenfalls genossene Billigtafelwasser nicht letztlich genau das Tüpfelchen auf dem "I" ist, mit dem der Toleranzwert überschritten wird.

Da die ersten Symptome unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen und Unwohlsein sind, für die man den Betroffenen leicht selbst verantwortlich machen kann, können die Getränkehersteller ungehindert so weitermachen wie bisher. Die Umwelthilfe erklärte dazu gegenüber der DDP, die Hersteller seien nach geltenden Richtlinien dazu verpflichtet, den Übergang der Chemikalie aus der Verpackung ins Getränk zu verhindern. Das ist aber auch schon alles.

Zwar rät die Umwelthilfe den Verbrauchern zu Mehrwegflaschen, um mit der besseren und gesünderen Alternative auf Nummer sicher zu gehen. Doch über die möglichen systemischen Wirkungen von Acetylaldehydblockern, die aus den vermeintlich unkritischen Polymergerüsten der Flaschen austreten können wie alle anderen Zusatzstoffe auch, schweigt sich die Fachwelt aus. Tatsächlich hat es der Verbraucher mit einem ganzen Cocktail an chemischen Zusatzstoffen zu tun, wie auch mit der Möglichkeit, daß Gase von außerhalb durch die poröse Flaschenwand in das Getränk hineindiffundieren können.

Chemisch völlig inert sind nur Glasflaschen. Doch Glas ist für die Transportkosten der Getränke (Ladegewicht und Treibstoffverbrauch) eine sehr unökonomische Wahl, so daß man dieser Tage beim Getränkekauf kaum noch eine Wahl hat. Es gibt einfach keine Glasflaschen mehr für nichtalkoholische Getränke.

Und selbst die "Umwelthilfe" propagiert im gleichen Atemzug mit den kritisierten, neuerlichen Acetaldehydfunden, daß mit Mehrwegverpackungen jährlich 1,1 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) eingespart werden könnten. Das entspreche dem jährlichen CO2- Gesamtausstoß von rund 500.000 Mittelklassewagen, die jeweils 15.000 Kilometer pro Jahr führen, hieß es weiter.

Und nach dem Motto "ein kleines Opfer der Umwelt zuliebe" sollen nun der breiten Öffentlichkeit die zusätzlichen Kopfschmerzen und der unangenehme Geschmack des Wassers schmackhaft gemacht werden?

Dabei sind es gerade die Mehrwegflaschen aus Kunststoff, die auch noch aus anderen Gründen weder geschmacksneutral noch besonders gesund sind:

So bleiben häufig Reste in den Flaschen zurück, die Schimmel ansetzen, besonders dann, wenn die Flaschen in den Haushalten zur Aufbewahrung eigener Abfüllungen (Fruchtsäfte, Milch usw.) verwendet wurden. Die dabei entstehenden Geruchsstoffe dringen in die porösen Kunststoffwandungen ein und werden später an das Mineralwasser abgegeben. Die oben erwähnten Mehrweg-Sniffer können diese Geruchsstoffe nicht erkennen, weil die Konzentrationen der üblen Aromen unter den Schwellwerten der Sensoren liegen. Allein die menschlichen Sinne sind da noch feiner. Zwar sucht das eingangs erwähnte Institut der Fraunhofer Gesellschaft jetzt nach den Mikroorganismen, die solche Gerüche verursachen. Ob allerdings die naheliegende Lösung, in diesem Fall passende Fungizide und Antibiotika in den Flaschenwandungen, der Gesundheit zuträglicher ist als die ohnehin vorhandenen Mikroorganismen, die dagegen dann wieder Resistenzen entwickeln, steht auf einem anderen Blatt.

Die Bestrebungen der Forschung, Gerüche auszuschalten oder zu überdecken und ihre Nachrichten darüber, haben möglicherweise auch noch einen weiteren Sinn, nämlich den Verbraucher allmählich an einen leicht künstlichen Geschmack des Tafelwassers zu gewöhnen, das bekanntlich eine begrenzte Ressource geworden ist. Auf diese Weise läßt sich noch ein wenig länger darüber hinwegtäuschen, daß es wirklich reines und gesundes Trinkwasser schon längst nicht mehr für alle gibt.

In diesem Sinne, wohl bekomm's.

21. August 2008