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UMWELTLABOR/228: Ameisen verwenden verbotene Desinfektionsmittel (SB)


Ameisen verwenden verbotene Desinfektionsmittel


Zahllose Beiträge anthropogener Umweltverschmutzung, die das Leben auf der Erde immer mehr bedrohen, belegen, daß der Erfindungsreichtum des Menschen - im Gegensatz zur weit verbreiteten Ansicht - nicht unbedingt etwas mit Intelligenz zu tun haben muß. Darüber hinaus zeigen Beispiele aus dem Tier- und Insektenreich, daß auch die weniger intelligent eingestuften Mitlebewesen dem Menschen im Gebrauch von einfachen Werkzeugen und Hilfsmitteln in nichts nachstehen. Daß aber auch von dieser Seite eine weitere "Umweltverschmutzung" zu erwarten ist, hatte man bisher ausgeschlossen.

Seit einiger Zeit kann man nachweisen, daß zumindest die Vertreter einer bestimmten Ameisenart in der Lage sind, sich nicht nur als Chemiker und Pharmazeuten zu betätigen, die natürliche Wirkstoffe als "Medizin" verwenden, sondern ebenfalls als Umweltschädlinge.

So sammeln europäische Waldameisen der Art Formica paralugubris das Harz von Nadelbäumen, um damit ihre Nester zu desinfizieren. Dies wurde von Schweizer Ökologen schon vor einigen Jahren in der Zeitschrift Ecology Letters (Bd.6, S.19, 2003) berichtet. Bis zu 20 Kilogramm Baumharz wollen die Forscher in großen Ameisennestern entdeckt haben.

Das klingt zunächst einmal ökologisch vertretbar und somit gut. Bei genauerer Untersuchung des gesammelten Baumharzes würde ein Chemiker allerdings auf hohe Konzentrationen an hochbrisanten Stoffen stoßen, die in dem Bericht nicht erwähnt wurden und in der Medizin aufgrund möglicher carcinogener Eigenschaften oder anderer gesundheitsschädigenden Nebenwirkungen am menschlichen Organismus längst obsolet und verboten sind.

In sogenannten schizolysigenen Exkreträumen von Rinde und Holz produzieren und speichern Nadelbäume neben ätherischen Ölen auch Harze. Dabei klassifiziert man die nichtflüchtigen Bestandteile darin als Harze, ihre Lösungen im ätherischen Öl hingegen als Balsame (bzw. Oleoresine). Werden die Exkreträume verletzt, fließen diese zähen und klebrigen Flüssigkeiten aus, erstarren oder kristallisieren an der Luft aus und verschließen somit die Verletzungswunden.

Die wenigsten Harze können ihre zähflüssige Konsistenz beibehalten. Gewöhnlich erstarren oder polymerisieren sie nach dem Verdunsten der leichtflüchtigen Bestandteile zu festen, strukturlosen, zum Teil glasartigen und durchsichtigen Harzmassen. In den erwähnten Nadelbäumen (Coniferen) kommen vor allem Benzharze vor, Phenylpropanverbindungen unterschiedlichster Zusammensetzung. Neben Ferulasäure, Zimtsäure und Coniferylalkohol enthalten sie Lignane, Xanthone und höher kondensierte Cumarine und eine Mischung aus verschiedenen, duftenden Aromastoffen wie Vanillin, Zimtaldehyd, Alpha-Pinen, Limonen, Eugenol, m-Kresol und Sesquiterpenen.

Alle diese aromatischen Verbindungen, die in ihrer individuellen Mischung u.a. den intensiven Geruch des Baumharzes bewirken, leiten sich vom Phenol als Grundgerüst ab.

Während die unterschiedlichen Seitenketten den Geruch und manche Eigenschaften der Bestandteile entschieden variieren lassen, wirkt der Phenolanteil und somit auch alle im Baumharz enthaltenen Bestandteile naturgemäß gegen Mikroben, d.h. antibakteriell oder desinfizierend.


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Phenol, C6H6O, wurde früher unter der Bezeichnung Karbol als Desinfektionsmittel verwendet. Der weiße Feststoff hat einen Schmelzpunkt von 43°C und einen charakteristischen Geruch. Phenole ist die Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Verbindungen, deren gemeinsames Merkmal eine an einen Benzolring gebundene Hydroxylgruppe (OH) ist. Es wird in der chemischen Industrie zur Produktion von Aspirin (Acetylsalicylsäure), Kunstharzen, Farbstoffen und Fungiziden verwendet.


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Baumharz enthält hochtoxische Verbindungen

Lange Zeit war reines Phenol ein verbreitetes Hausmittel und kam als Desinfektionsmittelzusatz u.a. als Bestandteil der Karbolseife vor.

Inzwischen darf es nicht mehr verwendet werden. Phenol entwickelt giftige Dämpfe und ist gleichzeitig ein Kontaktgift, d.h. ein Gift, das durch die Haut aufgenommen werden kann, das in diesem Fall Nierenschädigungen hervorruft. Darüber hinaus steht es heute im Verdacht, ein sogenanntes Co-Carcinogen zu sein. Letzteres bedeutet, daß es zusammen mit bestimmten anderen Stoffen die Krebsentstehung fördern kann.

Während die zweibeinigen Forscher mit vermeintlich weniger giftigen Derivaten des Phenols experimentierten und sogenannte Chlorphenole für die chemische Industrie und die Medizin entwickelten und damit auch alle negativen Folgen chlororganischer Substanzen in die Umwelt setzten (wir berichteten schon darüber), blieben die sechsbeinigen Chemiker bei den mikrobiell hochgiftigen, wenn auch brisanten Naturprodukten, ohne selbst davon großen Schaden davonzutragen.

Im Vergleich schnitten die im Umgang mit Giften versierten Ameisen gegenüber ihren Artgenossen sogar wesentlich besser ab, denn in Ameisennestern ohne Harz fanden die Forscher deutlich mehr krankheitserregende Bakterien und sogar die dreifache Menge an Pilzen.

Soziale Insekten wie die Ameisen sind vielerlei Pathogenen ausgesetzt. Denn die feuchtwarmen und stark bevölkerten Nester bieten ideale Bedingungen für Mikroorganismen. Die desinfizierenden Eigenschaften der Balsame nutzen dem Staat offenbar mehr als die toxischen und cancerogenen Begleiterscheinungen schaden können.

Obwohl man eigentlich recht wenig über die ursächlichen Beweggründe der Ameisen sagen kann, stark duftende Balsame zu horten, - möglicherweise sind diese sogar nur die Abfallprodukte ihrer pflanzlichen Nahrung -, steht für die Forscher jetzt schon fest, daß die Insekten die Pflanzenstoffe gezielt, also intelligent, nutzen, um sich damit gemeinsam gegen Schädlinge zu schützen. Nun wollen die Forscher sogar klären, ob Ameisen das Harz vorsorglich sammeln oder ob sie es im Falle einer Infektion gezielt in den Bau bringen, somit also gewissermaßen Diagnosen und Therapiepläne erstellen, womit der Nachweis ihrer Intelligenz eine weitere Dimension zugestanden wird. Nun, soviel zur Intelligenz von Wissenschaftlern im allgemeinen und Ameisenforschern im besonderen...

9. Juli 2008