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UMWELTLABOR/218: Phosphorverarmung - Die Erde stirbt in 50 Jahren (SB)


Geht der Phosphor, stirbt die Erde

Bakterielle Säurebildner - Herrscher über Leben und Tod?


"Lebewesen können sich vermehren, bis der Phosphor vollständig verbraucht ist. Unerbittlich kommt dann das Ende, und niemand kann es verhindern."

Diese Worte stammen aus "Asimov on Chemistry" von Isaac Asimov, der seine Ausführungen über Phosphor mit den Worten schloß:

"Wir können Kohle durch Kernkraft ersetzen, Holz durch Kunststoffe, Fleisch durch Hefe, Freundlichkeit durch Isolation - aber für Phosphor gibt es keinen Ersatz."

Tatsächlich ist ausgerechnet dieses Element, das für alle Lebewesen essentiell ist, nur gerade mal zu 0,11 Prozent in der Erdkruste vertreten.

Phosphor ist ein Bestandteil vieler wichtiger biologischer Moleküle, die allen Lebewesen und Pflanzen gemein sind. Es ist in der DNA genauso vertreten wie in den Proteinen und dem kleinen für den Energiestoffwechsel wichtigen ATP-Molekül (Adenosintriphosphat). Darüber hinaus ist es das wichtigste Mineral der Knochensubstanz. Weltweit am meisten Phosphor verbraucht allerdings die Landwirtschaft und damit die Nahrungsproduktion: Neben Stickstoff und Schwefel benötigen Pflanzen vor allem Phosphat, d.h. die oxidierte Form des elementaren Phosphors für den Biomasseaufbau.

1975, als Asimov diese Worte schrieb, lagen die Probleme der Menschheit allerdings etwas anders als heute. Während damals die Sorge um Energiequellen der Zukunft, dahinschwindende natürliche Ressourcen, mangelnde Nahrung für die rasch wachsende Erdbevölkerung und eine mutmaßlich anbrechende neue Eiszeit Wissenschaftler bewegte, so stehen heute die gleichen oder zumindest ähnliche Probleme mit Klimaerwärmung, Mißernten, Umweltverschmutzung und zum größten Teil verbrauchten Ressourcen beinahe unmittelbar bevor, ohne daß dafür bisher maßgebliche Lösungsansätze gefunden wurden. Bei der Konzentration auf nahende Katastrophen wie Klimaumschwung oder neue Krankheiten macht Umweltwissenschaftlern vor allem die schwindende Artenvielfalt in Fauna und Flora und die knapp werdenden Ressourcen wie Wasser und Öl Sorgen, während die Phosphorproblematik von allen, die es eigentlich wissen müßten, verdrängt wird. Obwohl Asimovs Argumente bezüglich des Phosphors nichts von ihrer Stichhaltigkeit und Aktualität verloren haben, findet man heute wenig Hinweise zum letzten Stand dieser Entwicklung.

Wirklich deutlich gemacht wurde das Thema in einer Pressemitteilung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL, 24. Oktober 2003). Darin wurde erstmals eine Frist genannt, nach der unbemerkt neben sämtlichen angesprochenen Problemen das Leben auf dieser Erde nach und nach beendet sein wird:

"Phosphor (P) ist ein essenzielles Element. Die größten Mengen finden sich in höheren Lebewesen, so auch in Menschen, vor allem in den Knochen. Die Weltvorräte an Phosphor reichen (bei heutigen Preisen und Gewinnungstechnologien) nur noch für ca. 50 Jahre."
(idw, 24. Oktober 2003)

Nur wenige Jahre später wollen sich die Autoren des Online Magazines "scienzz" schon nicht einmal mehr darauf so genau festlegen:

Doch die Ressourcen sind endlich: Vielleicht, so schätzen Experten, werden die Lagerstätten noch 80 Jahre reichen - vorausgesetzt, der weltweite Verbrauch bleibt gleich - vielleicht aber auch nur noch 50 Jahre. Sofern Industrienationen Technologien entwickeln und einsetzen, um Phosphor effizient zu recyceln, werden sie ihre Landwirtschaft jedoch auch in Zukunft ausreichend mit dem lebenswichtigen Element versorgen können.
(scienzz, 27. September 2006 - NACHHALTIGKEIT)

Der wirtschaftliche Umgang mit den noch bestehenden Phosphorressourcen sowie ein mögliches Recycling sind jedoch ausgesprochen schlecht bestimmbare Faktoren für eine wissenschaftliche Prognose. Darüber hinaus entzieht sich ein großer Teil des Phosphors aus ethischen oder gesetzlich geregelten Gründen bisher jedem Recyclingversuch.

Dazu muß man wissen, daß etwa 75 Millionen Tonnen Phosphatminerale jährlich abgebaut und zu Düngemitteln verarbeitet werden - wahrscheinlich mehr, als in derselben Zeit durch normale Verwitterung von Gesteinsmaterial freigesetzt wird. Auf Deutschlands Äcker werden so jährlich etwa 300.000 Tonnen Phosphat in Form von Mineraldünger ausgebracht. Größtenteils stammt dieses aus Lagerstätten in Nordafrika und den USA, aber auch aus Rußland und China.

Auf diese Weise begegnete man im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts der Auslaugung der Landwirtschaftsflächen in vielen Regionen der Erde, so daß die Erträge, und damit gleichzeitig auch die Bevölkerungszahlen wuchsen. Dadurch wurde der Nahrungsvorrat zumindest für die reichen Industrieländer, in denen der Hunger sonst in viel größerem Ausmaß spürbar geworden wäre, zeitweise sichergestellt.

Aber der künstliche Phosphatdünger enthält auch nicht unerhebliche Mengen an brisanten Schwermetallen wie Uran, Cadmium und Quecksilber, von denen zunehmend bedenkliche Konzentrationen in unsere Nahrungsmittel gelangen.

Wäre die Natur sich selbst überlassen, so würde im Laufe der Zeit immer mehr Phosphor über die Auswaschung mit Regenwasser in den Flußläufen, Seen, im Grundwasser und schließlich in die dunklen Tiefen des Ozeans absinken und verschwinden. Von dort aus gibt es keine natürlichen Prozesse, die ihn wieder in den Zugriffsbereich des Menschen oder anderen Lebens bringen könnten. Entsprechend nähmen die Lebewesen an Land und in den von der Sonne erhellten oberen Meeresschichten allmählich ab. Der immer weniger fruchtbaren Erde wäre dann eine immer dünner werdende Vegetationsdecke beschieden, bestehend aus spärlichen Arten. Diese natürliche Entwicklung wurde durch den Abbau von Phosphaten und die künstliche Düngung erst einmal für 50 Jahre aufgeschoben. Doch bei dem meist alle Berechnungen sprengenden exponentiellen Konsum unserer menschlichen Gattung bleibt die Frage "wie lange wirklich noch", durchaus aktuell.

Die effiziente Nutzung der noch vorhandenen Reserven und die konsequente Rückführung von Phosphor aus Reststoffen wird daher von Umweltchemikern als oberstes Gebot für "nachhaltiges" Wirtschaften proklamiert, selbst wenn man damit auch nur einen geringen Aufschub der Frist bewirken kann.

Bis vor ein paar Jahren noch stellte das Recycling von Phosphor kein so großes Problem dar: Zusätzlich zu den Mineraldüngern diente an Nährstoffen reicher Klärschlamm als Düngemittel; und indem das Vieh mit stark phosphorhaltigem Tiermehl aus Schlachtabfällen gefüttert wurde, erübrigte sich weitgehend der Zusatz von Phosphor in pflanzlichen Futtermitteln.

Heute ist die Situation eine andere: Tiermehl zu verfüttern, ist allein wegen der BSE-Problematik in Europa seit 2001 verboten. Und Klärschlamm darf in der EU - im Gegensatz beispielsweise zur Schweiz - zwar mit Einschränkungen noch auf den Feldern ausgebracht werden, diese Maßnahme wird jedoch auch immer stärker kritisiert. Denn Arzneimittelrückstände, Schwermetalle und Hormone im Klärschlamm könnten die Fruchtbarkeit der Äcker und somit die Qualität der darauf angebauten Nahrungspflanzen gefährden. scienzz schreibt dazu:

In Deutschland dient heute noch rund ein Drittel des anfallenden Klärschlamms als Dünger. Immer häufiger wird er auch verbrannt und die Asche in inländischen oder osteuropäischen Deponien endgelagert. Zu einem immer größeren Teil wird seit dem Verfütterungsverbot auch das Tiermehl wieder als Dünger verwendet. Eigentlich werde es damit allerdings eher "endgelagert", kritisiert Ewald Schnug von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig.

Als Phosphor-Düngemittel sei es denkbar ungeeignet, da für die Pflanzen weitestgehend nutzlos. Im Tiermehl sei der Phosphor nämlich überwiegend fest in der Knochensubstanz gebunden.
(Scienzz, 27. September 2006 - NACHHALTIGKEIT)

Danach sind Recycling- bzw. jeder Versuch der Rückgewinnung von Phosphor eine reine Farce, was den Nutzen für den Boden betrifft, da die Phosphate aus Aschen phosphathaltiger Sekundärrohstoffe (z.B. Tiermehle oder Klärschlämme) wie auch die natürlichen Phosphorsalze (Rohphosphate) im Boden nur schwer löslich und nur zu geringem Anteil überhaupt von Pflanzenwurzeln aufnehmbar sind. Selbst in sehr sauren Böden, wie sie in der Landwirtschaft ohnehin unüblich und unbrauchbar sind, würde es mehrere Jahrzehnte dauern, um das z.B. an die Knochensubstanz gebundene Phosphor herauszulösen.

Tiermehl auf Äckern zu entsorgen, ist eine rein wirtschaftliche Überlegung: Das vorgeschriebene Verbrennen kostet etwa 200 Euro pro Tonne. Damit würde sich der Verlust, mit dem die Landwirte durch den Wegfall des Tiermehls als Futtermittelzusatz seit der BSE-Krise pro Tonne Futtermittel rechnen, noch einmal verdoppeln.

Fazit: Die 300.000 Tonnen Phosphat, die jährlich den beschränkten Vorräten entnommen und nach Deutschland importiert werden, landen also über den Umweg der Nahrungskette letztlich in Deponien oder ungenutzt und unaufschließbar auf den Feldern. Kritik wird aber vor allem an dem unwirtschaftlichen Umgang mit Düngemitteln geübt:

"In Gebieten, wo viel Vieh gehalten wird, werden die Böden regelmäßig überdüngt", so Ewald Schnug.
(Scienzz, 27. September 2006 - NACHHALTIGKEIT)

Die Düngeverordnung verbiete zwar, mehr zu düngen, als die Pflanze effektiv benötigt, und die Landwirte seien außerdem angehalten, regelmäßig den Nährstoffgehalt der Böden überprüfen zu lassen. Problematisch sei jedoch, wenn zusätzlich zu den Mineraldüngern auch sogenannter "Wirtschaftsdünger", also Stallmist und Gülle, ausgebracht werden.

Die darin enthaltenen, analytisch nicht erfaßten Pflanzennährstoffe werden zudem von vielen Landwirten kaum in die Düngungsplanung einbezogen. Da die Konzentrationen der einzelnen Pflanzennährstoffe im Wirtschaftsdünger variieren, gehen Landwirte in der Praxis vom Minimum aus. Um sicherzustellen, daß die Pflanzen ausreichend versorgt werden, helfen sie deshalb zusätzlich mit Mineraldünger nach.

Genau genommen gehen Experten derzeit noch von einer permanenten Überdüngung des Bodens mit Phosphor aus. Dies kommt den Pflanzen jedoch nicht zugute, da sie nur einen Bruchteil des ausgebrachten bzw. des schwer zu erschließenden Phosphors aufnehmen können. Und so gehen wertvolle Mineralien, die zudem durch die derzeit zunehmenden Regenfälle weitestgehend in Flüsse und Seen gespült werden, dem menschlichen Zugriff und dem vermeintlich bestehenden Regelkreis "Phosphor" für immer verloren.

In den Fließgewässern stellt Phosphor nach wie vor ein Umweltproblem dar, weil er das Algenwachstum fördert und den Sauerstoffgehalt des Wassers reduziert.

Zwar könnten zumindest die schwerlöslichen Phosphate industriell aufgeschlossen werden, die hierbei entstehenden Produkte dürfen dann aber im ökologischen Landbau nicht mehr eingesetzt werden. Und auch das Problem des Auswaschens wäre dadurch nicht gelöst.

Einen möglichen Lösungsansatz, der noch vor fünf Jahren von der FAL vorgestellt und untersucht wurde, in dem scienzz-Artikel jedoch keine Erwähnung mehr findet, sollten auf indirektem Weg sogenannte schwefelaufschließende Bakterien bieten.

Thiobazillus ist die Bezeichnung für eine Gruppe von natürlichen Mikroorganismen, die aus elementarem Schwefel (Schwefelblüte) Säure bilden. Die von den Thiobazillen freigesetzte Säure hilft, im Boden schwerlösliche Phosphate für Pflanzenwurzeln aufnehmbar zu machen.
(idw, 24. Oktober 2003)

Das heißt nichts anderes, als daß durch die Schwefelbakterien kurzfristig stark saure Schwefelsäure oder schweflige Säure produziert wird, die zum Aufschluß der Phosphate vor Ort benötigt wird.

Die dafür notwendigen Thiobakterien kommen sogar ubiquitär, d.h. überall vor, allerdings in viel zu geringen Mengen, um ausreichend Säure zu erzeugen, selbst wenn man den Boden zusätzlich mit Schwefel anreichert. Eine künstliche Anreicherung des Bodens mit entsprechenden Bakterien wurde somit als Lösung des Problems unhinterfragt vorausgesetzt:

Die Gruppe der Thiobazillen besteht aus 13 verschiedenen Spezies, deren jeweilige Zusammensetzung in einer Biozönose sehr standortspezifisch ist. Die Inokulation schwerlöslicher Phosphate mit Thiobazillen vor Ort am Feldrand ist eine nachhaltige Strategie zur Erhöhung der P-Effizienz [Phosphor-Effizienz, Anm. d. Schattenblick-Red.].
(idw, 24. Oktober 2003)

Nach der Vorstellung der Wissenschaftler/innen des Institutes für Pflanzenernährung und Bodenkunde und des Institutes für ökologischen Landbau der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) sollten auf ökologisch wirtschaftenden Bauernhöfen jeweils etwa 100 Quadratmeter große, mit elementarem Schwefel gedüngte Flächen als lokale Ressource für Thiobazillen angelegt werden. Diese wollte man dann bei Bedarf mit Wasser aus dem Boden extrahieren und Granulaten aus nach den EU-Richtlinien für den ökologischen Landbau zulässigen schwerlöslichen Phosphaten und elementarem Schwefel zusetzen.

Versuchsmengen des Prototyps der neuartigen Phosphordünger auf Basis von Tiermehlaschen wurden seinerzeit bereits von einem mittelständischen Unternehmen in Stendal hergestellt. Doch noch vier Jahre später stehen diese Versuche neben anderen neuen Verfahren, mit denen sich Abfälle zu hochwertigem Phosphor-Dünger aufbereiten lassen sollen, sozusagen immer noch am Anfang. Und der Recyclinggedanke, man könne die jährlich notwendigen 300.000 Tonnen Phosphat, die in Form von Mineraldünger importiert werden, problemlos zu 41 Prozent durch Phosphor aus den rund 2,4 Tonnen jährlich anfallenden Klärschlamm dazu 18 Prozent durch die Aufbereitung von Tiermehl und die restlichen 41 Prozent durch Wirtschaftsdünger decken, bleibt ein schöner Traum.

Daß aber durch derartige Versuche unter Umständen eine Übersäuerung des Bodens - ähnlich dem früher gefürchteten sauren Regen - in Kauf genommen wird, mit der dann letztlich überhaupt nichts mehr wächst, so daß der Säureproduktion wieder mit anderen Chemikalien wie Carbonaten oder Kalk entgegengewirkt werden muß, und welche kontraproduktiven Folgen das für den Phosphoraufschluß hat, der dadurch wieder verhindert und verschwendet wird, bleibt hier tunlichst unausgesprochen.

Die sich anhäufende Chemie auf der zur Verfügung stehenden Agrarfläche ist vielleicht bezeichnend für die tatsächlich verzweifelte Lage, in der sich Düngemittelindustrie, Landwirtschaft, aber auch Umweltchemie und letztlich die ganze Welt längst befinden.

Quelle der Pressemitteilung:
Prof. Dr. Dr. Ewald Schnug
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL)
Institut für Pflanzenernährung und Bodenkunde
Bundesallee 50
38116 Braunschweig
Tel: 0531 596 2104
ewald.schnug@fal.de

Erstveröffentlichung 2003
neue, überarbeitete Fassung

15. April 2008