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UMWELTLABOR/216: Bioindikator 2 - Goldorfe oder Fischembryo (SB)


Qualifizierung der Grausamkeit

Auch für genetische Tests müssen Fische sterben


Fische sind für den Gewässerschutz wichtige Indikatoren. Wo sich die Fischlein munter tummeln, ist das Wasser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesund und unbelastet. Wie wörtlich es damit Umweltwissenschaftler meinen, zeigt der Goldorfentest, einer der grausamsten Tierversuche, der immer noch praktiziert wird und z.B. im Internet auf verschiedenen Seiten als offizielle Abwasserprüfung unter der DIN Nummer 38412 L31 aufgeführt und in allen Einzelheiten beschrieben wird:

Seit Jahrzehnten zählt die Goldorfe (Leuciscus idus L.), die äußerlich einem Goldfisch ähnelt und die auch gern in privaten Teichen gehalten wird, zu den besonders häufig und im Verborgenen eingesetzten Versuchstieren, wenn es darum geht, die Giftigkeit von Abwässern generell zu bestimmen, ohne die Beschaffenheit oder Zusammensetzung des Giftes genau zu kennen.

Eingeführt wurde diese Art der Analyse vor 30 Jahren im Rahmen des Umweltschutzes, als in den Gewässern immer mehr tote Fische gefunden wurden. Um nun den Wildbestand vor möglichen Gifteinleitungen zu schützen, werden seither überall in Deutschland Goldorfen quasi als Vorkoster in Abwasserproben gesetzt.

Die Tiere nehmen über die Kiemen eventuell enthaltene Giftstoffe auf. Je nach Verdünnung und Schadstoffgehalt überleben sie - oder auch nicht. Und je nach vorgeschriebener Überlebensrate wird die Abwassereinleitung für unbedenklich erklärt. Im anderen Fall weiß man auch dann noch nicht, welche Schadstoffe in der Wasserprobe zum Tod des Fisches geführt haben und wie man sie am besten aus dem Abwasser herausfiltriert.

Dabei müßte die verursachende Industrie das eigentlich ganz genau wissen und daher auch auf chemischem Weg die Konzentrationen der abfallenden Chemikalien problemlos bestimmen können, schließlich stammen die Abwässer ja aus ihrer Produktion. Doch zu einer wirklichen Zusammenarbeit in diesem Punkt sind die wenigsten Produzenten bereit. In der Regel versucht man eigene Laborergebnisse zu schönen und die Grenzwerte ein ganz klein wenig überzustrapazieren bzw. zu den eigenen Gunsten auszulegen. Das macht aber leider auch immer wieder Prüfungen durch übergeordnete Instanzen nötig - daher war der Goldorfentest lange Zeit das Mittel der Wahl.

Für diese allerdings wenig hilfreiche Umweltprüfung ließen allein in Schleswig-Holstein jedes Jahr mehr als 2.000 Fische ihr Leben, bundesweit etwa 50.000. Wie viele Tiere für diesen Test auch heute noch "verbraucht werden", ist nicht bekannt, da seit 1. Januar 2005 das Abwasserabgabengesetz die Durchführung des Fischeitests zum gleichen Zwecke vorschreibt, eine vermeintlich "humanere" Methode, bei der letztlich noch mehr Fische (nunmehr Embryos) getötet werden. Ob dieser Test den älteren inzwischen überall vollständig ersetzt, was voraussichtlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen sollte, läßt sich derzeit nicht genau feststellen.

Tierschützer hatten lange für eine generelle Abschaffung dieser wenig aussagereichen Goldorfentests gekämpft. Seit dem 1. Januar 2005 sollte der im Abwasserabgabengesetz vorgeschriebene Goldorfentest offiziell von dem sogenannten Fischeitests abgelöst werden.

Das klingt zwar zunächst positiv, doch bei genauerer Betrachtung handelt es sich auch hierbei nur um eine teilweise Entlastung der fraglichen Fischart, die nötig wurde, weil die Öffentlichkeit auf den Goldorfentest aufmerksam geworden war. Biologische Tests an sich wurden nicht abgeschafft. Es wird sie in Schleswig-Holstein auch weiterhin geben, da sich die Giftigkeit eines Gewässers für Lebewesen nicht allein durch chemische Verfahren ermitteln ließe, wie die zuständigen Behörden wissen lassen.

Statt der ausgewachsenen Fische soll nun der Laich ins Reagenzglas gehen, was vielen Mitbürgern anscheinend weniger ethische Probleme macht, zumal die kleinen Würmer optisch kaum zu erfassen sind. Sie werden unter dem Mikroskop betrachtet.

Anders gesagt werden nun pro Jahr viel mehr potentiell heranwachsende Fische vernichtet als jene 2.000, für die sich die Tierschützer bisher verwendeten. Denn nach Abschluß der Untersuchung wandern die Eier wie Jörg Pahnke gegenüber dem Deutschlandfunk schon im Januar 2005 bestätigte, in den Mülleimer, ganz gleich ob sie geschädigt sind, oder sogar überleben könnten.

Verwendet werden in diesem Fall vor allem Zebrabärblinge, sehr kleine Fische, die aufgrund ihrer auffälligen Streifen auch als Zierfische bekannt sind. Es sind Schwarmfische, die bekannt dafür sind, daß sie quasi "auf Befehl" Eier legen können.

Die Biologen verdunkeln dafür das Aquarium. Sobald sie die Abdeckung lüften, legen die Weibchen innerhalb der nächsten halben Stunde ihre Eier. Die Eierproduktion läuft sozusagen wie geschmiert. Bis zu achtzig Eier legt ein Zebrabärbling am Tag. Für den Test werden sie entnommen, in kleine Behälter gefüllt und mit dem Abwasser versetzt.

Unter dem Mikroskop kann ein Biologe dann innerhalb von zwei Tagen feststellen, ob sich die Eier normal entwickeln oder nicht. Nach 48 Stunden ist dann sogar schon ein kleiner Fisch zu erkennen, der am Ende des Tests vernichtet wird. Was die Art und die Konzentration des Giftes oder Toxins angeht, ist der gesamte Versuch ebensowenig aufschlußreich wie zuvor der Goldorfentest.

Dies rechtfertigt nun möglicherweise eine neue Untersuchungsmethode am gleichen "Objekt", die vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelt und dieser Tage vom Informationsdienst Wissenschaft vorgestellt wurde.

Auch dabei macht man sich zunutze, daß Lebewesen gerade im frühen Entwicklungsstadium äußerst empfindlich auf chemische Einflüsse reagieren.

Für den Test setzten die KIT-Wissenschaftler Embryonen des Zebrabärblings verschiedenen Umwelt-Giften wie Dioxin, DDT, Cadmium oder Quecksilber aus und analysierten anschließend die genetische Reaktion. Durch die Behandlung würden im Organismus mehrere hundert Gene aktiviert. Das Ergebnis sei ein typisches Genmuster, das wie ein genetischer Barcode abgelesen werden könne. Mit dieser Methode gelänge es den Entwicklungsbiologen, das eingesetzte Umweltgift mit hoher Treffsicherheit vorherzusagen.

Um also gewissermaßen aussagekräftige Muster zu erhalten, mit denen sich die Auswirkungen von Umweltgiften sehr spezifisch zu einem frühen Zeitpunkt der Larvenentwicklung genetisch nachweisen lassen, müssen zunächst zahllose Fischembryonen den verschiedensten Standardgiftlösungen ausgesetzt und dann ihr genetisches Material extrahiert werden, was kein Tier in diesem Stadium überleben kann.

Die Forscher am KIT-Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) waren über ihre Erkenntnisse begeistert:

"Es war sehr eindrucksvoll, wie spezifisch die Genantworten waren, mit denen wir immerhin 14 von 15 eingesetzten Umweltgiften identifizieren konnten", so ITG-Institutsleiter Professor Uwe Strähle. Die Auswirkungen zeigten sich bereits bei einer Konzentration, die noch keine äußerlichen Veränderungen der Embryonen zur Folge hatte. Das Verfahren ist damit sensibler als die zurzeit üblichen Biomonitoring-Tests, bei denen morphologische Änderungen als Hinweis für einen toxischen Effekt dienen.
(idw, 25. März 2008)

Man hofft das System zukünftig als Vorabscreening für neue Wirkstoffe einsetzen zu können, um bereits frühzeitig deren Gefährdungspotential einzuschätzen, so Strähle. Aber auch zur toxikologischen Testung bereits eingesetzter Chemikalien in Pharmazie und chemischer Industrie dürfte das Verfahren von Interesse sein.

Allerdings wird dabei nicht erwähnt, daß für die Abschätzung der Toxizität unbekannter Stoffe noch keine "Barcode-Muster" vorliegen können. Man kann also bestenfalls bereits gespeicherte Vergiftungsmuster, die schon bekannten Giftreaktionen ähneln, erkennen. Um ein weites Spektrum an Mustern zu erhalten, ist eine gewaltige Fleißarbeit mit toxischen Stoffen in verschiedensten Konzentrationen erforderlich, die letztlich auf Kosten weiterer zahlloser Zebrabärblinge ausgeführt werden. Der Handlungsbedarf zu diesem Massentierversuch ist gesetzlich abgesichert:

Seit dem Inkrafttreten des neuen EU-Chemikalienrechts REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of CHemicals) am 1. Juni 2007 müssen innerhalb der EU chemische Stoffe ab einer Jahresproduktion oder bei Importmengen von mindestens einer Tonne auf ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt getestet und registriert werden. Für rund 2500 bis 3000 besonders riskante Stoffe, die etwa Krebs erregen und die Fruchtbarkeit mindern können, wird ein Zulassungsverfahren vorgeschrieben.
(idw, 25. März 2008)

"Zebrabärbling-Embryonen bieten sich als gut handhabbares und ethisch vertretbares Wirbeltiermodell an, um die zehntausende von Risikoprüfungen zu bewältigen, die im Rahmen von REACH erforderlich sind", urteilt Uwe Strähle. Das Modell könne hier einen wichtigen Beitrag leisten, zumal das Verfahren mittelfristig auch automatisiert werden kann und sich damit zur schnellen Testung einer großen Anzahl von Substanzen eignet.

Ob aber ein Fischembryo weniger leidet, als ein ausgewachsener Fisch? Auf diese Frage wissen auch die betreffenden Wissenschaftler keine Antwort. Doch scheinen die Biologen prinzipiell das Leid des Fischembryos besser verdrängen zu können, als die Qualen des fertigen Tieres. Jörg Pahnke sprach dies im Deutschlandfunk stellvertretend für seine Kollegen aus:

"Sagen wir mal so: Es ist für uns ein besseres Gefühl!"
(DLF, Januar 2005)

Schon der Fischeitest wurde seinerzeit für das kleinere Übel gehalten, dazu sagte der damalige Umweltminister von Schleswig- Holstein Klaus Müller:

"Ich glaube, der Unterschied ist ganz klar, daß ein Fisch natürlich ganz anders schmerzempfindlich ist, als das noch bei einem Fischei der Fall ist. Es ist auch bei einem Fischei nicht vollkommen unproblematisch, aber trotzdem ist die Bedeutung, auch das Schmerzpotential, die Frage des Umgangs, also auch ethische Fragen, bei einem Fisch ganz anders zu beurteilen."
(DLF, Januar 2005)

Kurz gesagt wird die Öffentlichkeit z.B. durch Formulierungen wie Biomonitoring Verfahren, spezifische Genantwort oder Genetischer Barcode bewußt darüber getäuscht, daß es sich dabei um den Massenmord von Millionen kleiner Fische handelt, die nur noch nicht mit bloßem Auge zu erkennen sind. Denn Fischeier gelten seltsamerweise bei den meisten Menschen nicht als Lebewesen, noch weniger das daraus gewonnene Genmaterial. Dies wurde auch schon in einer recht verwirrt klingenden Aussage des Umweltministers zum neuen Abwasserabgabegesetz deutlich, der den Fischeitest anstelle des Goldorfentests tatsächlich als einen positiven Beitrag zum Tierschutz lobte:

"...Erstens das Grundgesetz, mit der Aufnahme des Tierschutzes, muß auch Konsequenzen haben. Das war nicht nur ein Schön-Wetter-Akt, sondern einer, der real die Welt verändern soll. Und zum anderen ist er auch inhaltlich einfach nicht mehr notwendig gewesen. Es gibt ein anderes Verfahren, was genauso gut ist, aber was einfach das Sterben von Fischen vermeidet."
(DLF, Januar 2005)

Daß die Qualifzierung des Sterbens von Fischen in der Vernichtung von Fischeiern liegt, berührt wohl kaum die Interessen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Bei einem jährlichen Budget von 700 Millionen Euro sucht sich das KIT die lukrativsten Forschungsprojekte z.B. in der Nanoforschung aus und will ein Anziehungspunkt für die besten Köpfe der ganzen Welt werden...

...neue Maßstäbe in Lehre und Nachwuchsförderung setzen und das führende europäische Zentrum in der Energieforschung bilden. Im Bereich der Nanowissenschaften will KIT eine weltweit führende Rolle einnehmen. Ziel von KIT ist es, einer der wichtigsten Kooperationspartner für die Wirtschaft zu sein.
(idw, 25. März 2008)

26. März 2008