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THEORIE/003: Von Rost, Korrosion, Nano-Korrosion zu Kontrollkorrosion (SB)


Von Rost, Korrosion, Nano-Korrosion zu Kontrollkorrosion

Je kleiner die Struktur, desto größer der Zugriff?


Die meisten Menschen glauben vermutlich, daß das angestrebte Ziel der Wissenschaften im allgemeinen und der einzelnen Disziplinen im besonderen eine Zunahme an Kontrolle über die erforschten Zusammenhänge sein sollte. Daraus ergibt sich dann das Mißverständnis, daß jede wissenschaftliche Veröffentlichung und sei es auch nur eine neue Definition d.h. gewissermaßen ein unhinterfragtes Postulat schon für eine Zugriffsmöglichkeit auf die beschriebenen Prozesse gehalten oder zumindest ein baldestmöglicher Kontrollgewinn daraus erwartet wird.

Das gilt ebenso für steuerbare Synthesen in der Chemie, wie auch für die weniger erwünschten chemischen Reaktionen, die ohne unsere Einflußnahme quasi von allein ablaufen, wie der Verfall bzw. die Oxidation von Stoffen in einer sauerstoffhaltigen Umgebung. Wie seltsam das erscheint, wenn man die Forschungsergebnisse einmal ohne die unausgesprochen daran verknüpfte Ergebnisorientierung betrachtet, zeigt das folgende Beispiel:

Gerade chemische Reaktionen, die ohne menschliches Zutun ablaufen wie Oxidationsprozesse lassen sich nämlich nicht durch immer genauere Definitionen wirklich besser in den Griff bekommen. Denn - wie der Alltag zeigt - rostet z.B. Stahl immer weiter vor sich hin, selbst wenn man diese Verfallserscheinung inzwischen als Korrosion bezeichnet.

Wie aus der letzten Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. vom 9. Februar 2006 deutlich wird, die vom Informationsdienst Wissenschaft verteilt wurde, versucht man genau hier einen vermeintlich immer präziseren Zugriff auf die Vorgänge vorzugaukeln, indem man immer mehr ins Detail geht.

Ein Vorgehen, das schon vom Ansatz her zum Scheitern verurteilt ist. Bei der Konzentration auf immer kleinere Mikro- und Nanostrukturen gerät der Betrachter in ausgesprochen spekulative und ungreifbare Dimensionen, die nur noch mit denen kosmischer Ausmaße zu vergleichen sind, auf die ebenfalls kein Zugriff besteht. Er extrapoliert jedoch zumindest seine Korrekturmöglichkeiten aus dem praktischen Alltag in diese imaginären Bereiche.

Betrachten wir beispielsweise einen rostenden Kotflügel, so kann man nach der Diagnose: "Korrosion" (knötchenartige Rostinseln, die aus dem Lack hervorbrechen) durchaus noch Hand anlegen bzw. derselben mit Schleifpapier und Oberflächenversiegelung zu Leibe rücken. Versucht man aber im nächsten Schritt unter dem Mikroskop die Vorgänge im Einzelnen zu studieren oder den Ausbruch der Korrosion schon im Mikrometerbereich zu erkennen, ehe er noch mit bloßem Auge auf dem Blech sichtbar wird, so findet sich auch im Mikroskop erstaunlicherweise ein ganz ähnliches Bild für den Rost, nämlich knötchenartige Rostinseln, die zwar genauso aussehen, aber für die es kein geeignetes Schleifpapier mehr gibt, um sie zu entfernen. Es sei denn, man nimmt chemische Reduktionsmittel, die die Oberfläche (wie das Schleifpapier) in umgekehrter Richtung angreifen. Wörtlich hieß es dazu:

Die Korrosion technisch relevanter Legierungen wie Edelstahl verursacht jedes Jahr weltweit einen wirtschaftlichen Schaden von etwa 3 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts. Obwohl dieses Alltagsphänomen so weitreichende Folgen hat, sind seine grundlegenden mikroskopischen Prozesse noch weitgehend unverstanden, vor allem was das Einsetzen und die Evolution der Korrosion auf atomarer Ebene betrifft.
(idw, 9. Februar 2006)

Anders gesagt, die Ähnlichkeit der Bilder verwundert die Wissenschaftler schon sehr. Dabei ist es tatsächlich von der Logik der verwendeten Hilfsmittel her durchaus verständlich, daß sich das Bild, das man im großen Maßstab voraussetzt und zumindest hypothetisch längst in die kleineren Maßstäbe hineinextrapoliert hat, als verkleinertes Bild oder Baustein des mit bloßem Auge Sichtbaren wiederholt. Dazu kommt, daß die theoretischen Vorstellungen in die bildliche Darstellung, z.B. in die Computersimulation einer mikroskopischen Datenerfassung, über deren Interpretation in das vom Wissenschaftler entworfene Programm einfließen. Er kann praktisch gar nicht anders. Und das macht sich dann beispielsweise daran bemerkbar, daß Atome fast immer als kleine Kügelchen dargestellt werden.

Nun glaubt ein Europäisches Forscherteam, erstmals Korrosionsprozesse auf atomarer Ebene, also im berühmten Nanomaßstab, beobachtet zu haben, was in besagter Pressemitteilung als "Kontrollierte Korrosion" tituliert wird und den oben beschriebenen erwarteten Zugriff verspricht.

Andreas Stierle und seinen Kollegen des Max-Planck-Instituts für Metallforschung der Universität Ulm sowie der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle (ESRF) in Grenoble/Frankreich sei es danach erstmals gelungen, diese atomaren Prozesse bei der Korrosion einer Legierung gewissermaßen "live" zu verfolgen.

Zum allgemeinen Erstaunen gereichte dann, was eigentlich durch die oben beschriebenen Zusammenhänge schon zu erwarten war:

Zur großen Überraschung der Forscher entsteht bei der an sich zerstörerischen Korrosion zunächst eine perfekte kristalline Schutzschicht, deren Struktur und chemische Zusammensetzung die Wissenschaftler mit Hilfe hochbrillianter Synchrotronstrahlung entschlüsseln konnten. Ihre Beobachtungen zeigen zudem, wie man technologisch relevante Legierungsoberflächen durch gezielte Korrosionsprozesse nanostrukturieren kann [Nature, 9. Februar 2006].
(idw, 9. Februar 2006)

D.h. mit anderen Worten: Auch auf atomarer Ebene, die sich wie gesagt nur mittels entsprechender technischer Hilfmittel und anschließender Computersimulation darstellen läßt, finden sich kleine Rostkügelchen auf einer glatten Stahloberfläche. WOW!!!

Erstveröffentlichung 17. Februar 2006

16. März 2007