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RATGEBER/318: Zucker statt "Unkraut-EX" (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE

Bewährte Alltagschemie einfach erklärt


Heißer Zuckerschaum statt Herbizide

Wenn man dieser Tage früh morgens öffentliche Parkanlagen besucht oder über einen städtischen Friedhof geht, sieht man manchmal ein seltsames Bild: Gärtner oder Gartenbauarbeiter, die mit staubsaugerähnlichen Geräten, aus denen dampfende Schwaden quellen, die Wegränder bearbeiten. Eine neue Form, das früher viel gebräuchliche "Unkraut-Ex" oder andere, modernere Herbizide aufzutragen, fragt man sich da unmittelbar.

Wer sich mit Unkrautvernichtungsmitteln auskennt, weiß allerdings, daß diese niemals heiß aufgetragen werden dürfen. Darüber hinaus ist der Gebrauch von Herbiziden in öffentlichen Grünanlagen durch den Gesetzgeber stark eingeschränkt. Seit Beginn der 90er Jahre darf auf den städtischen Flächen genaugenommen kein Herbizid mehr zur Unkrautvernichtung benutzt werden - der Umwelt zuliebe. Das Unkraut freut sich allerdings. Löwenzahn und wilde Kräuter gedeihen prächtig, wenn sie nicht mühsam per Hand gejätet oder gründlich ausgestochen werden, denn viele Unkräuter (wie Löwenzahn) haben lange, hartnäckige Wurzeln und vermehren sich schnell.

Bei den neuen, seltsamen Geräten handelt es sich somit um den Versuch, langfristig, effektiv und möglichst umweltfreundlich gegen den unliebsamen Wegrandbewuchs vorzugehen und zwar mit frisch gekochtem Zuckerschaum, der siedend heiß auf die unerwünschten Pflanzen verteilt wird. Der feinblasige Zuckerschaum wirkt wie eine gute Wärmeisolation, so daß die pflanzenfeindliche Hitze lange auf die Pflanzenzellen einwirken kann. Die Unkräuter werden also schlichtweg "abgekocht". In einer Sendung des Deutschlandfunks "Umwelt und Landwirtschaft" erklärte dazu die Expertin Elfriede Klug, Leiterin der Friedhofsabteilung beim Düsseldorfer Garten-, Friedhofs- und Forstamt:

Die eigentliche wirksame Substanz ist das heiße Wasser. Und das passiert wie bei anderen thermischen Verfahren: Die Eiweiße, aus denen die Pflanzenteile besteht, werden abgetötet, werden zerstört. Und die Zellwände werden zerstört. Und damit kann die Pflanze nicht mehr weiter leben, nicht mehr weiter wachsen. Und da werden auch die Wurzeln mit abgetötet und damit haben wir einen relativ langen Effekt. Und der Effekt von diesem Industriezuckerschaum ist eigentlich nur der, dass die Temperatur, die das heiße Wasser in den Boden bringt oder auf die oberste Bodenschicht, länger gehalten wird. Das ist die ganze Funktion von dem Schaum.
(Deutschlandfunk, 15. September 2003)

Mehr als 47 Grad Hitze vertragen Pflanzenzellen nicht. Dann denaturiert das pflanzliche Eiweiß (es löst sich auf) und die Pflanze stirbt ab. Übrig bleiben nur häßliche, graubraune Pflanzenreste, die aussehen, als wären sie zu lange in Wasser blanchiert worden, und die anschließend leicht aufzusammeln sind. Nach Informationen des Herstellers Waipuna aus dem münsterländischen Rheine soll dieses Verfahren absolut umweltfreundlich sein.

Der heiße Schaum besteht aus Wasser, drei Prozent Alkohol und einem speziellen Pflanzenzucker aus Kokosnüssen und Getreide gewonnen, nicht aus raffiniertem Kristallzucker, wie man ihn in jedem Lebensmittelgeschäft bekommen kann. Dieser Zuckerschaum ist laut Hersteller nicht sehr süß, d.h. Insekten wie Ameisen würden dadurch nicht angelockt. Er ist aber 100prozentig biologisch abbaubar. D.h. irgendwelche Mikroorganismen haben doch ein Interesse daran, verbliebene Reste aufzufressen, nur fiel das bisher nicht unangenehm auf.

Kristallzucker besteht aus Saccharose, einem sogenannten Dissacharid d.h. einem Doppelzucker der sich aus zwei Einfachzuckern zusammensetzt. Schon Einfachzucker, z.B. Glucose (Traubenzucker) oder Fructose (Fruchtzucker), ist nicht so süß wie normaler Kristallzucker. Es gibt in der Natur aber noch unzählige pflanzliche Zucker, die weder als Zuckerersatzstoff noch sonst in unseren Speiseplänen vorkommen.

Diese Methode ist bei sehr hartnäckigen Unkräutern wie Löwenzahn nur bedingt wirksam. Was schon tiefe oder weitverzweigte Wurzeln hat, kommt nach einiger Zeit wieder durch. Dennoch ist das Ergebnis insgesamt zufriedenstellend, weshalb diese Methode zunehmend in öffentlichen Grünanlagen eingesetzt wird.

Allerdings ist der Einsatz nicht ganz billig und somit keine Alternative für private Gärten. Laut Deutschlandfunk kostet die Miete des Geräts und die Zuckerlösung 8.000 Euro für eine Anwendung. Allerdings sind die Personalkosten für das arbeitsintensive Unkrautjäten per Hand sehr viel höher. Zumal die Effektivität der Handarbeit von dem persönlichen Einsatz des Arbeiters abhängt. Werden nur die grünen Blätter abgerupft und die Wurzeln im Boden gelassen, muß in wenigen Wochen erneut gejätet werden. Die neue Methode entspricht somit nicht nur einer Rationalisierungsmaßnahme. Zwar reichen tatsächlich nur zwei Mitarbeiter: Einer fährt den Wagen, einer spritzt das Unkraut. Pro Stunde, so hieß es im Deutschlandfunk, "schaffen diese aber mindestens einen Kilometer - ohne Rückenschmerzen und ohne daß das Unkraut schon nach drei Wochen wieder sprießt".

9. Juli 2010