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RATGEBER/266: Wie, wann und warum rostfreier Stahl rostet (SB)


Wie rostet rostfreier Stahl?


Man denkt, das dürfte nie geschehen, sollte doch rostfreier Stahl im Sinne der eigenen Definition und seinem Namen nach vor Korrosion jedweder Art gefeit sein. Dennoch ist es kein Widerspruch, daß ein internationales Forscherteam einzig mit der Aufgabe betreut wurde, den Lochfraß im rostfreien Stahl zu erforschen.

Vor wenigen Jahren kamen die ersten Ergebnisse dieser Studie heraus, wonach angeblich eine explosionsartige Vermehrung winziger "Rostlöcher" als eine mögliche Ursache erkannt wurde. Wie ist das zu verstehen, wenn es doch selbst winzige Rostlöcher eigentlich gar nicht geben dürfte?

Diese einfache und harmlose Frage können die Wissenschaftler allerdings auch nicht beantworten. Man kann bloß vermuten, daß sie ohnehin davon ausgehen, daß der Begriff "rostfrei" nicht das hält, was er verspricht. "Rostfrei" heißt demnach nur, daß mit bloßem Auge auf dem Stahl oberflächlich kein Rost zu sehen ist, während aber theoretisch winzige sogenannte metastabile "Löcher" von Anfang an in dem Metallgitter einer rostfreien Legierung vermutet werden.

Der neuen Theorie zufolge würden sich diese "unsichtbaren" metastabilen Löcher dann in der betroffenen Metalloberfläche plötzlich explosionsartig vermehren, womit dem schlagartigen Einsetzen der Korrosion quasi der Boden bereitet wird. Mithilfe einer speziellen Mikroskopietechnik hätten die Forscher dies nun erkannt, berichteten sie in der Augustausgabe des Wissenschaftsmagazins Science, ohne aber das Auftauchen noch die Natur der metastabilen Löcher an sich, geschweige denn die Ursache für deren explosivartige Vermehrung im Einzelnen zu erläutern.

Die Beobachtung an sich sowie komplizierte fototechnische Dokumentationen sollen offenbar genügen, um das Interesse an dieser Arbeit zu wecken, Gelder locker zu machen und von der Tatsache ablenken, daß hier ein Loch bzw. eine Lücke im theoretischen Gefüge mit weiteren Lücken und offenen Fragen gebrückt wird.

Eine zufällige Parallele bietet sich zudem als Ablenkungsmanöver an, denn die Beobachtung deckt sich mit jenen theoretischen Modellen, wonach sich das Phänomen des Lochfraßes unter entsprechenden Bedingungen autokatalytisch wie eine Kettenreaktion ausbreiten soll. Auch diese theoretischen Überlegungen bzw. Spekulationen stehen im Raum ohne nähere Erläuterung, allein aufgrund der äußeren Feststellung, daß rostfreier Stahl, der eigentlich korrosionsresistent sein sollte, sehr schnell korrodieren kann, wenn das anliegende Potential, die Konzentration korrodierender Lösungen oder die Temperatur nur leicht verändert werden, so daß man sich fragen muß, ob das mikroskopische Verfahren tatsächlich die spontane Vermehrung metastabiler Löcher widerspiegelt oder die Wissenschaftler des Fritz- Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Virginia nur ein entsprechend passendes Darstellungsverfahren für ihre Vermutungen gefunden haben.

Das Interesse an der Aufklärung solcher Vorgänge ist groß: Immerhin belaufen sich in den USA die jährlichen Verluste durch Korrosion auf etwa drei Prozent des Bruttosozialprodukts. Etwa ein Drittel der Ausfälle chemischer Anlagen sind auf lokale Korrosion zurückzuführen.

Die Darstellung des Korrosionbeginns auf der mikroskopischen Ebene wird allerdings maßlos überbewertet, denn alle weiteren vermeintlichen Entdeckungen bleiben Spekulation und lassen sich nicht "verbildlichen".

So vermuten die Wissenschaftler, daß sich vor dem eigentlichen Lochfraß in der schützenden Oxidhaut der Stähle winzige, metastabile Löcher von wenigen Mikrometern Durchmesser, sogenannte Pits, bilden. Die Pits sollen sich dadurch auszeichnen, daß jeder davon während seines Entstehens einen sekundenlangen kleinen Strompuls erzeugen kann, der die chemische Reaktion anzeigt. Dabei geht man vermutlich von der Theorie aus, daß bei RedOx-Vorgängen Elektronen übertragen werden, die kurzfristig und - da sie von Metall abgeleitet werden können - oberflächlich fließen. Diese elektronischen Vorgänge sind jedoch so gering, daß sie nicht mit physikalischen Geräten meßbar und somit auch nicht nachweisbar sind, also auch noch nie bewiesen wurden. Allein die Vorstellung, daß auf diese Weise "Löcher" bzw. kurzfristiger Elektronenmangel oder -überschuß umgelagert oder auf eine breitere Fläche gestreut wird und zu chemischen Ausgleichprozessen wie dem Ausprägen von irgendwelchen Bindungen zu Luftsauerstoff usw. führt, leuchtet zumindest Chemikern ein, wenn man vergißt, daß es keine Erklärung für den Beginn dieser Vorgänge gibt.

Wie hilflos die Chemiker in ihrer Beweisnot dastehen, zeigt auch, daß sich der vermeintliche und nun veröffentlichte "Beweis" dieser praktisch nicht nachvollziehbaren Schritte ihres theoretischen Modells letztlich als reine Computersimulation erweist, noch dazu aus einem ganz anderen Gebiet:

Dabei gingen die Forscher nur von der Annahme aus, daß sich ein neuer Pit mit hoher Wahrscheinlichkeit in der unmittelbaren Umgebung bereits vorhandener Pits bildet. Danach ist das plötzliche Auftreten der Korrosion vergleichbar mit der Ausbreitung ansteckender Krankheiten oder einer Kettenreaktion. Entsprechend mußten sie praktisch nur ein vorhandenes Simulationsprogramm für epidemische Ausbreitung mit ihren eigenen Daten und Vermutungen füttern. Tatsächlich zeigten die Wissenschaftler keine Scheu, das auf diese Weise vorausberechnete Ergebnis und die Bestätigung ihrer Vermutungen als neue Erkenntnis zu veröffentlichen:

Die Lochfraßkorrosion setzt plötzlich ein. Bei geringsten Veränderungen der äußeren Bedingungen kann die Korrosionsrate extrem ansteigen, berichtet das Max-Planck-Institut.
(pressetext.de, 26. August 2004)

Wie dieses vermeintliche "Wissen über die Korrosion" oder besser "überhaupt nichts wissen" in Zukunft helfen soll, diese zu vermeiden, soll allerdings für jeden schleierhaft bleiben.

Erstveröffentlichung 14. Januar 2005
Neue, aktualisierte Fassung

12. Dezember 2008