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RATGEBER/265: Schluß mit dem Gerücht - Kaugummi ersetze Zähneputzen (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

daß Kaugummikauen zur Zahnpflege ausreicht...

Neuer Zahnpastainhaltsstoff - Bakterien gegen Karies


Die Zutaten oder Inhaltsstoffe von Kaugummi und Zahnputzmitteln waren zeitweilig Anlaß von Kritik, da (sogar in Zahnpasten) zur Geschmacksverbesserung auf zähneknackenden Zucker zurückgegriffen worden war. Während aber Zahnpasta anwendungsbedingt noch mit Wasser ausgespült wird, ist zuckerhaltiges Kaugummi, das gewöhnlich längere Zeit im Mund bewegt wird, geradezu eine Einladung für die Kariesbakterien, unter Fachleuten auch als Strepptococcus mutans bekannt, die sich an die Oberflächen der Zähne heften und dort Zucker in scharfe Fruchtsäuren verwandeln, die den Zahnschmelz und auch den Zahn angreifen.

In letzter Zeit wurden nun Zuckerersatzstoffe Mode, die Zahnpasta ebenso schmackhaft, aber zahnverträglicher machten und gewöhnliches Kau-Gummi zum zahnfreundlichen Kaugummi beförderten. Daß Werbung und sprichwörtliche Mund-zu-Mund-Propaganda aus solchen weniger schädlichen Kaugummis sogar Zahnpflege-Kaugummis oder gar Anti-Karies- Kaugummis werden ließen, führte zu Mißverständnissen, so daß manche glauben, sie könnten sich die übliche Zahnpflege sparen, wenn sie nach dem Essen mit ihren Zähnen einen Kaugummi bearbeiten. Da es aber auch immer noch zuckerhaltige Kaugummis gibt, kann das für die Zähne fatal werden, wenn man nicht auf die Packungsaufschrift achtet.

Wirklich zahnpflegende oder zahnhärtende Süßstoffe gibt es nicht. Bestenfalls kann die zusätzliche Speichelproduktion, die zu einer Verdünnung der sich im Mund nach der Nahrungsaufnahme entwickelnden Säuren führt, als zahnschonender Begleiteffekt erachtet werden. Genaugenommen gibt es zwar tatsächlich auch einen Süßstoff, der einen direkten Einfluß auf eine gesunde Mundflora nehmen soll. Doch die Kombination aus zwei Aminosäuren ist zum einen teuer und schwer herzustellen, und wird zum anderen nur äußerst selten als Süßstoff in der Lebensmittelindustrie verwendet, weil er schon allein durch Hitze zerstört werden kann. Und bei der Lebensmittelherstellung sind Kochvorgänge fast unerläßlich.

Die neueste, werbewirksame Garantie für folgenfreies Zuckerschlemmen kommt derzeit aus dem Bereich der Mikrobiologie und will uns Bakterien in einer offenbar chemisch verarbeitbaren, getrockneten Version als Ingredienz oder Zusatz für zahnschonende Pasten, Kaugummis oder andere Dinge schmackhaft machen.

So hieß es in einem amerikanischen Internetartikel von LifeScience vor einiger Zeit, eine nützliche Bakterienart könne in Zukunft vor Zahnverfall und Körpergerüchen schützen:

The bacteria found in yogurt might come to the rescue. In the journal Chemistry & Industry, scientists report that a new strain of lactobacillus called L. anti-caries, forces S. Mutans to clump together, preventing them from becoming attached to the tooth surface.
(LifeScience, 21. August 2006)

Auf deutsch zusammengefaßt: Das in Joghurt gefundene Lactobakterium "Lactobacillus anti-caries" zwänge die Streptococcus mutans (= S. Mutans) Arten dazu, sich derart zusammenzuklumpen, daß sie sich nicht mehr an den Zahnoberflächen halten könnten. Letzteres ist aber die Voraussetzung dafür, daß ihre Säureproduktion auch zahnschädigend wirkt.

Ersten Versuchen zufolge könnte ein mit diesem Lactobacillus versetztes Kaugummi die Menge an schädlichen, zahnschädigenden Bakterien auf ein Fünfzigstel reduzieren.

Die chemisch verarbeitete Version des probiotischen Bakteriums geht auf eine Entwicklung der deutschen BASF zurück. Mundwässer und Zahnpasten, die den Wirkstoff auf Lactobacillenbasis enthalten, sollen folgen. Die Hersteller versprechen auf diese Weise das Ende der Zahnputzära. Laut LifeScience sollten die ersten Produkte dieser Art schon seit 2007 auf dem Markt sein:

Stefan Marcinowski, executive director of research at BASF, said a product based on the bacteria would be available in 2007.
(LifeScience, 21. August 2006)

Bis heute ist davon nichts zu sehen. Ebensowenig die neuen Deodorantien, in die "gute" Bakterien eingearbeitet werden sollten, denn bestimmte Kulturen dieser Art würden auch die unangenehmen, buttersäureproduzierenden Bakterien, die sich so gerne im feuchtwarmen Klima der Achselhöhlen oder auf Fußsohlen vermehren, schlicht vertreiben. Dazu hieß es in einem Artikel des Pressetext.de:

Laut BASF sind die Mundhygieneprodukte schon an großen Gruppen von Menschen ausgetestet und haben das Vermögen, die Anzahl der Bakterien signifikant einzuschränken. Auch in anderen Bereichen hat die Bakterie ihre Wirkung schon nachgewiesen. Milchsäurebakterien, die zur Herstellung von Joghurt eingesetzt werden, wird beispielsweise eine heilende Wirkung bei Darmerkrankungen nachgesagt. Ein anderes viel versprechendes Einsatzgebiet der probiotischen Bakterien sei die Vermeidung der Geruchsentstehung. Dagegen hilft Lactobacillus pes-odoris, der spezifisch die geruchsbildenden Fußbakterien hemmt und Lactobacillus a la- odoris, der die Geruchsentstehung in der Achselhöhle verhindert. Beide Lactobacillen-Kulturen können die Wirksamkeit von Deodorants, Fußsprays oder Lotionen verbessern.
(pte, 22. August 2006)

Damit dürfte aber der Umsatz an alkoholischen oder desinfizierenden Lösungen und Stoffen für Mund- und Achselhöhle zurückgehen, mit denen gewöhnlich Deodorantien und Mundwässer ausgerüstet sind. Und selbst den appetitanregenden bzw. Verdauungs-Schnaps vor und nach dem Essen sollte man sich sparen. Denn auch "gute" Bakterien werden von unspezifischen Desinfektionsmitteln und Alkohol einfach kaputt gemacht, und dann wären die künstlich eingesetzten wesentlich schneller fort, als die natürlichen "schlechten", die sich in Hautfalten und Zahnlöchern verstecken konnten und nach wie vor für üble Gerüche und Löcher in den Zähnen sorgen.

Zum Wohl...

Erstveröffentlichung 23. August 2006
aktualisierte Fassung

5. Dezember 2008