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RATGEBER/260: Natriumacetatheizung - Ein heißer Stein für das Büro? (SB)


Geniale Lösung zum Ressourcensparen

oder Milchmädchenrechnung?


Das verblüffend einfache Prinzip, mit dem sich Abwärme aus Industrieanlagen für Heizzwecke nutzen läßt, scheint auf den ersten Blick nicht nur umweltfreundlich und (im Hinblick auf steigende Ölpreise) kostengünstig, sondern so unaufwendig wie jener Ziegelstein zu sein, den frühere Generationen in die Glut legten, um damit nachts ihr Bett zu wärmen.

Allerdings wird der handliche Ziegelstein in diesem Fall durch riesige, schwere Container ersetzt, die mit glühend heißem, geschmolzenen Salz gefüllt sind. Wie seinerzeit die Süddeutsche Zeitung berichtete, wurde in der ersten Feldstudie praktischerweise das mehrstöckige Bürohaus der Chemiefirma Clariant (die zufällig auch das benötigte Wärmesalz herstellt) mit den riesigen 25 Tonnen schweren Wärmflaschen zentral beheizt. Als Wärmequelle für die Salzklötze soll die Abwärme des dazugehörigen Chemiewerks dienen.

Die Erfinder des weiterentwickelten Wärmflaschen- bzw. Ziegelsteinkonzepts hatten zunächst nach einer Chemikalie gesucht, die Wärme besser speichern kann als Wasser. Dabei kamen sie auf das Salz der Essigsäure, Natriumacetat. Dieses ist wie Essigsäure ungiftig und biologisch abbaubar. Da das Salz jedoch im Idealfall endlos wiederverwendet werden soll, wird seine mögliche Umwelttoxizität nur zweitrangig beachtet. Derzeit produziert das Chemiewerk große Mengen davon, die zur Enteisung von Flughafen-Landebahnen verwendet werden. Und in so hohen Konzentrationen ist auch die harmloseste Chemikalie umwelttoxisch.

Der Vorteil des Essigsäuresalzes: Es schmilzt schon bei 58 Grad, einer für Heizungszwecke sehr praktischen Temperatur. Gerade das Schmelzen von Salzkristallen erfordert eine hohe Wärmezufuhr, die in der Schmelze gespeichert und später beim Erstarren wieder abgegeben und genutzt werden soll. Dadurch könne doppelt so viel Wärme gebunden werden, wie es in einem rein flüssigen Wärmespeicher (beispielsweise Wasser) möglich wäre.

Die neue Heizung beruht somit auf dem Ideal des Energieerhaltungssatzes, das sich in der Praxis jedoch nie erfüllen läßt. Denn die im Vorwege (zur Herstellung der Ausgangsbedingungen) erfolgte Wärme- bzw. Energienutzung geht nie vollständig in die Rechnung ein und Verluste bei der Wärmeübertragung bleiben ebenfalls nur theoretisch und unüberprüfbar (also irgendwo in der Unendlichkeit des Weltalls) "erhalten".

Auf den zweiten Blick ist aber auch die Ausführung der vermeintlich genialen Lösung wesentlich komplizierter als es zunächst scheint:

Die Kühltürme des Chemiewerks, die bisher die überschüssige Abwärme auf ein zulässiges Maß reduzierten, bevor sie in die Atmosphäre entlassen wurde, mußten so umgebaut werden, daß die Wärme nun an ein flüssiges Öl abgegeben wird.

Außerdem wurden 25 Tonnen schwere Spezialtanks für das Wärmesalz konstruiert, die in einem Stahlgerippe stecken, so daß sie wie Übersee- Container transportierfähig und stapelbar sind. Zum "Aufladen" wird eine Heizleitung im Inneren des Tanks an eine Pumpe im Werk angeschlossen, die das durch Abwärme erhitzte Öl durch die Rohre im Salztank pumpt. Die abgegebene Hitze schmilzt nun erst das Salz, wobei sich die gesamte Schmelze auf 180 Grad aufheizen soll.

Dann werden die Container zum Bürohaus gefahren und zum "Entladen" angeschlossen. Nun wird kaltes Öl aus der Zentralheizung des Hauses durch den Tank geleitet und dabei aufgeheizt. Anschließend wärmt es die Heizkörper in den Büros. Ein mittlerer Bürokomplex benötigt bei null Grad Außentemperatur drei Container täglich, an extrem kalten Tagen bis zu fünf. Ronald Strasser, Ingenieur bei der Gebäudetechnik- Firma Eureca, die das Verfahren inzwischen weltweit patentieren ließ, plant das Trans-Heat-Konzept nun auch auf 250 andere Gebäude auszuweiten. Allerdings sollten die nach dem Wärmflaschenmuster umgerüsteten Heizanlagen im Umkreis von 40 Kilometer eines entsprechenden Kraftwerks oder Abwärmeproduzenten liegen, sonst würden die Transport und Treibstoffkosten die potentiellen Heizöl- Einsparungen am Ende überwiegen.

Ob sich der hohe Aufwand wirklich rentiert, steht noch auf einem anderen Blatt, denn bisher gibt es keine langfristigen Erfahrungen mit diesem System, das nach eineinhalb Jahren Entwicklungsdauer seit Januar 2001 getestet wird. Ungeklärt ist beispielsweise, ob sich ein Salz tatsächlich unbeschadet ständig neu aufschmelzen und rekristallisieren läßt, ob es sich dabei chemisch verändert oder welche möglicherweise aggressiven oder korrosiven Nebenprodukte dabei entstehen könnten.

Die Wärmeverluste, die beim Wärmetransfer Abluft-Öl-Salz-Öl und auf den langen Transportwegen zweifellos entstehen, werden gar nicht erst in die Rechnung aufgenommen, weil man davon ausgeht, daß es sich bei Abwärme ohnehin um verlorene "Abfall"wärme handelt, also etwas, das längst als Verlust und Wärmeabgang in die Atmosphäre in die Energiebilanz eingegangen ist.

Der organisatorische Aufwand sowie der Energie und Materialverbrauch, um lediglich einen Teil dieser kostenlosen Wärme und nur in einem begrenzten Einzugsgebiet zu nutzen, ist allerdings so immens, daß von der einfachen Wärmflaschenidee kaum noch etwas übrig bleibt. Die möglicherweise beieindruckende CO2-Einsparung von 5000 Tonnen jährlich, mit der die Firma Eureka auf ihrer Webseite wirbt, entbehrt jeglicher Vergleichsgrundlage, so daß sie für sich genommen völlig aussagelos dasteht. Es geht nicht daraus hervor, ob sich die Einsparung auf das gerade beschriebene Beispielprojekt bezieht und ob allein das eingesparte Verbrennen von Heizöl in die Rechnung eingeht, ohne die CO2-Produktion zu berücksichtigen, die bei der Herstellung des Speichersalzes und dem Bau der Container entsteht...

Das neue Verfahren, ob praktikabel oder nicht, weist allerdings auch auf die neue umweltpolitische Richtung hin, nach der es in Zukunft von Industrie wie privaten Haushalten verlangt werden wird, nicht nur über giftige-, Feinstaub- und CO2-Emissionen, sondern auch über die Ausnutzung von bereits verbrauchter Wärmeenergie genau Rechenschaft abzulegen.

Erstveröffentlichung 2001
neue überarbeitete Fassung
16. Oktober 2008