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RATGEBER/253: Schluß mit dem Gerücht, Silber halte Sekt frisch (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

daß man eine angebrochene Flasche Sekt mit einem langen Silberlöffel frisch halten kann


Einem alten Hausrezept zufolge soll man eine angebrochene Flasche Sekt länger prickelnd frisch halten können, wenn man einen (möglichst langen) Silberlöffel in den Flaschenhals steckt oder an den Korken hängt. Ob diese Maßnahme allerdings gegen das Schalwerden ausreicht, wenn der Sekt offen stehen bleibt, hat noch jeder bezweifelt und auch mit Silber geschützte Flaschen werden gemeinhin vorsorglich gut verschlossen im Kühlschrank aufbewahrt.

Doch was ist nun wirklich von diesem Gerücht zu halten? Bleibt der Sekt tatsächlich länger prickelnd oder beruht das alles nur auf Einbildung?

Wissenschaftstheoretisch kann man durchaus noch eine scheinbar plausible Erklärung für die vermeintliche Alltagserfahrung finden. Schließlich handelt es sich bei Bier, Schaumwein und anderen prickelnden Getränken um Flüssigkeiten, die eine übersättigte Lösung von Gasen enthalten und so bestimmten Gesetzen der Thermodynamik (Physik) unterworfen sind. Eine Flasche Sekt enthält im Schnitt neun Gramm Kohlenstoffdioxid (CO2) pro Liter. Damit herrscht in einer Flasche ein Überdruck von 5,4 bar.

Nach dem Öffnen der Flasche (Druckausgleich), kann zwar ständig etwas Gas entweichen, doch das geht nicht so schnell, wie man es vermuten würde.

Obwohl das Gas gerne ausperlen würde, ist eine Blasenbildung ohne äußeren Anlaß höchst unwahrscheinlich, vor allem dann, wenn die Flasche ruhig und kühl steht. Der Sekt ist zwar mit CO2 übersättigt, d.h. es ist mehr Gas darin enthalten, als man aufgrund der Löslichkeit erwarten dürfte. Doch erst wenn die Flasche geschüttelt oder erhitzt wird, sprudelt das CO2 recht schnell heraus.

Die anfängliche Trägheit, Blasen zu bilden, liegt daran, daß sich zunächst kaum sichtbare, winzig kleine Perlen bilden, die einen Durchmesser von höchstens 0,1 Mikrometer besitzen. In diesen Bläschen kann der Gasdruck sogar bis zu 30 bar anwachsen. Da die Löslichkeit von Gasen mit zunehmendem Druck wächst (Henry-Gesetz), wird das Gas ebenso schnell wieder in die Lösung zurückgeführt, wie es austritt.

Größere und haltbarere Bläschen mit geringerem Gasdruck können sich erst an sogenannten Bläschenkeimen bilden. Das sind kleine Oberflächenunebenheiten, Kratzer, Rauigkeiten an der Glasinnenwand oder auch nur kleine Staubteilchen, um die herum Kohlenstoffdioxidmoleküle anhaften können. Diese "Keimbereiche" sind wasserabstoßend und lassen Gaseinschlüsse wachsen, bis sie eine kritische Größe erreicht haben. Dann stülpen oder runden sie sich zu einer richtigen, gewölbten Blase aus, deren Krümmungsradius wiederum groß genug sein muß, daß sie aufsteigen kann, ohne daß es sofort zu einem Zusammenbruch kommt. Auch an der Oberfläche des Sektes, also dort, wo dieser mit der Luft in Berührung kommt, findet ein CO2- Molekül ausreichend Unregelmäßigkeiten, um sich anzuhaften und weitere CO2-Moleküle anzusammeln, die dann irgendwann als Bläschen entweichen.

An dieser Stelle käme nun der Silberlöffel zum Einsatz: Gase sind nämlich in kalten Flüssigkeiten besser löslich als in warmen. Wenn man sich ein Glas Sekt einschenkt, strömt warme Raumluft in die Flasche. Dadurch erwärmt sich natürlich die oberste Schicht des Sektes, in der dann die Löslichkeit des CO2 verringert wird. Kohlendioxid könnte nun verstärkt ausperlen. Hängt man einen Silberlöffel in den Flaschenhals, soll dieser aufgrund seiner hohen Wärme- bzw. Kälteleitfähigkeit, die warme Luft in der Flasche wesentlich schneller wieder abkühlen, um den Wärmeeffekt und damit die verstärkte Blasenbildung schnellstmöglichst zu verringern.

Allerdings, und das wird selten bei der Anwendung dieses Hausmittels bedacht, sind Silberlöffel selten makellos glatt. Im Gegenteil, die Oberfläche von Silberlöffeln ist gemeinhin von vielen mikroskopisch kleinen, aber ausreichend großen Unebenheiten und Unregelmäßigkeiten durchzogen, um einen idealen Keimbereich für Bläschen zu bilden.

Kaum zu glauben hat sich mit diesem Problem auch die Abteilung für chemische Technologie des Frauenhofer Instituts befaßt und die Veränderung der Temperatur einen Zentimeter über der Sektoberfläche über einen Zeitraum von zwei Stunden gemessen, mit und ohne Silberlöffel im Flaschenhals. Das Ergebnis war, wie in einer früheren Ausgabe der populärwissenschaftlichen Zeitschrift P.M. berichtet wurde, äußerst enttäuschend: Die Lufttemperatur in der Flasche mit Silberlöffel sank genauso schnell wie in der Flasche ohne Silberlöffel und in offenen Flaschen ebenso wie in Flaschen mit ordentlich geschlossenem Druckverschluß.

Um jeden Zweifel auszuschließen, wurde schließlich noch ein weiteres Experiment angestrebt und auch der Kohlenstoffdioxidgehalt in den Testflaschen genau überprüft. Hier kam es dann zur endgültigen Ernüchterung: In allen Flaschen, ob mit oder ohne Silberlöffel, mit oder ohne Druckverschluß, ging exakt die gleiche Menge Kohlenstoffdioxid nach einem Tag verloren. Erst nach zwei Tagen stellten sich Unterschiede ein. Danach enthielten aber nur die Flaschen, die mit einem Druckverschluß optimal verschlossen worden waren, noch fast ein Viertel mehr CO2 als die offenen Varianten, mit oder ohne Silberlöffel.

Somit ist nun auch wissenschaftlich bestätigt, was wir eigentlich immer schon wußten: Es gibt definitiv keinen Trick, Schaumwein und Sekt frisch zu halten: Man sollte ihn einfach möglichst zügig trinken und die Flasche in der Zwischenzeit fest verschlossen im Kühlschrank aufbewahren.

Was aber die ebenfalls offene Frage betrifft, woher die vielen kleinen Bläschen im Sekt oder Champagner kommen, so sind französische Physiker davon überzeugt, daß das Geheimnis der typischen Perlenschnüre winzige unsichtbare Flusen auf der Oberfläche der Champagnergläser sind, in denen winzige Luftmengen eingeschlossen sind.

Der Rhythmus des Perlens hängt also nur davon ab, wie viele dieser Lufteinschlüsse sich in den Fasern befinden und welche Form sie haben. Die Flusen selbst stammen entweder aus den Geschirrtüchern, mit denen die Gläser poliert wurden oder sie sind Partikel des Hausstaubs der in der Raumluft zirkuliert. Aus, der Zauber...

Erstveröffentlichung 2002
neue, überarbeitete Fassung

13. August 2008