Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

RATGEBER/225: Schlangenöl - Schimpfname oder Wundermittel? (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE - Bewährte Hausmittel einfach erklärt

Schlangenöl - Schimpfname oder Wundermittel?


Was im angelsächsischen Raum zu einem reinen Schmähnamen verkommen ist, sollte nach Meinung des Scientific American zumindest eine Berechtigung als "Naturheilmittel" bekommen. Echtes chinesisches Schlangenöl könne sowohl bei Arthritis, Herzerkrankungen oder sogar bei Depressionen tatsächlich eine Art von Wirkung haben. Man könne sie auf die Fette zurückführen, die in der Schlange enthalten sind.

So besäßen beispielsweise Chinesische Wasserschlangen sehr viele Omega 3-Fettsäuren, das sind wertvolle ungesättigte Fettsäuren, denen tatsächlich eine vorbeugende und akute Wirkung bei Gefäßerkrankungen nachgesagt wird.

Schlangenöl war besonders im 19. Jahrhundert ein beliebtes Handelsgut von fahrenden Händlern und Quacksalbern im "Wilden Westen" der USA. Die Vorgehensweise beim Verkauf von Wundermittelchen war dazumal kaum anders, als man es von den Badern, gleichfalls Medizinalreisenden des Mittelalters, kannte, die ihrerseits meist hübsch anzusehende Wunderwässerchen feilboten. Unterstützt wurden die amerikanischen Wunderdoktoren oftmals, wie es im Scientific American hieß, von einem Helfershelfer, der sich unter die Menge mischte, die um den fahrenden Doktor versammelt war, und mit dem richtigen Gefühl fürs "Timing" offenbarte, wie gut das besagte Mittel ihm schon geholfen habe. Hatte das nichtsahnende, leichtgläubige Publikum daraufhin ausreichend Einkäufe getätigt und zahllose Wundermittelchen ihren Besitzer gewechselt, machten sich die beiden Spitzbuben schnell aus dem Staub, ehe die betrogenen Patienten herausfinden konnten, daß sie kaum etwas anderes als ein Abführmittel bekommen hatten, wenn überhaupt. Abführmittel waren zumindest im Mittelalter für diesen Zweck sehr beliebt, denn die unmittelbare Wirkung, die zumindest im Bauchbereich eine gewisse Erleichterung mit sich brachte, verzögerte in jedem Fall eine mögliche Verfolgung der Quacksalber. Sei es, daß die Geschädigten ein gewisses Örtchen nicht verlassen konnten oder auch nur, weil sie die Erlösung von den dadurch verursachten Krämpfen schon als Wirkung werteten.

Statt das berühmt-berüchtigte oftmals mit Eigenurin gefärbte Goldwässerchen, das im mittelalterlichen Europa die Runde machte, verkauften die Quacksalber und Wunderdoktoren in der "Neuen Welt" vorzugsweise Schlangenöl als Allheilmittel, dessen sprichwörtlich geringe Wirksamkeit bald zum stehenden Begriff für alle Scheinbetrügereien wurde. Obwohl man auch hier anmerken muß, daß die Einnahme von reinem fetten Öl durchaus auch hier eine abführende Wirkung besitzt. Im Scientific American wurde nun behauptet, daß möglicherweise manche der Wanderärzte tatsächlich mit chinesischem Schlangenöl gehandelt haben mögen, das seinen Schimpfnamen seiner Meinung nach in keiner Weise verdiene:

The epithet endures: A quick search for "snake oil" on the Internet reveals that it still refers almost exclusively to something worthless and fake. But some of those original itinerant salesmen may have peddled actual Chinese snake oil, and those who did may not have been fraudulent after all.
(SciAm, 1. November 2007)

In der chinesischen Medizin soll Schlangenöl seit Jahrhunderten verwendet werden, um Gelenkschmerzen wie Arthritis und Bursitis (Schleimbeutelentzündung) zu behandeln. Es erschien vermutlich gemeinsam mit den ersten chinesischen Einwanderern auf der amerikanischen Bildfläche, die Mitte des 19. Jahrhunderts in großer Zahl als Arbeiter beim Bau der Transcontinental Railroad eingesetzt wurden. Möglicherweise brachten sie Schlangenöl aus ihrer Heimat mit und boten es Arbeitskollegen bei den bei der harten Arbeit kaum ausbleibenden Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen als Heilmittel an.

Schlangen und andere Kaltblüter wie Lachse oder Fische allgemein, die zudem in einer kälteren Umgebung zuhause sind, produzieren in ihrem Stoffwechsel größere Mengen an Omega-3-Fettsäuren. Letztere sind wesentlich dünnflüssiger und werden nicht so schnell fest, wie andere ungesättigte Fettsäuren bei tieferen Temperaturen. Schon die Omega-6-Fettsäuren, die aus ernährungsphysiologischer Sicht ebenso "gesund" sein sollen, härten wesentlich schneller aus.

Laut Scientific American war Richard Kunin, ein kalifornischer Psychologe, der erste, der in Schlangenöl eine wahre Fundgrube für Omega-3-Fettsäuren entdeckte. Er analysierte Schlangenöl, wie man es in San Franziscos Chinatown kaufen kann und verglich seine Ergebnisse mit dem aus Klapperschlangen gewonnenen Öl.

According to his 1989 analysis published in the Western Journal of Medicine, Chinese water-snake oil contains 20 percent eicosapentaenoic acid (EPA), one of the two types of omega-3 fatty acids most readily used by our bodies. In comparison, the rattlesnakes had only 8.5 percent EPA. And salmon, one of the most popular food sources of omega-3's, contains a maximum of 18 percent EPA, lower than that of snake oil.
(SciAm, 1. November 2007)

Dabei stellte sich heraus, daß die chinesische Wasserschlange, aus der chinesisches Schlangenöl gewonnen wird, offenbar bei weitem den höchsten Anteil an Omega-3-Fettsäuren besitzt. Und diese gelten neben Omega-6-Fettsäuren als essentiell.

Während Scientific American an dieser Stelle die Omega-3-Fettsäuren als die "Königin der Fette" propagiert und die Behauptung, sie hätten einen positiven Einfluß auf rheumatische Entzündungen und Arthritis unhinterfragt übernimmt, sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, daß es bis heute nur sehr umstrittene Beweise für diese These gibt, abgesehen von der Tatsache, daß der Mensch sie in seinem Stoffwechsel nicht selbst produzieren kann, weshalb sie als essentielle Fettsäuren gelten.

Experimente mit Ratten zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten jedoch nur zeigen, daß diese zwei Arten von Fettsäuren (Omega-3 und Omega-6) offensichtlich für den Organismus unentbehrlich sind, alle weiteren Behauptungen über ihre heilende Wirkung bleiben rein spekulativ. In bestimmten Tieren sind zwar große Mengen dieser Stoffe enthalten und ein Mangel davon kann Erkrankungen auslösen, aber ihre direkte heilende Wirkung wurde nie wirklich bewiesen.

Im Stoffwechsel dienen die beiden Fettsäuren als Ausgangsstoffe der Synthese bestimmter lebenswichtiger Verbindungen, sogenannter Prostaglandine. Prostaglandine sind wiederum Stoffe, die eigentlich für die Schmerzentstehung im Gewebe und somit für entzündliche Prozesse verantwortlich sind. Auch wenn das als Bestandteil der Heilung und für die Selbstverteidigung des Körpers notwendig ist, machen Prostaglandine Schmerzen und verhindern sie nicht.

In dem populärwissenschaftlichen Werk von John Emsley "Fritten, Fette und Faltencreme - Noch mehr Chemie im Alltag" (Wiley-VCH, 2004) heißt es außerdem zu diesem Thema:

1987 erschien das Buch "The Omega 3 Phenomenon: The Nutrition Breakthrough of the 80s" von Donald Rudin, Clara Felix und Constance Schrader. Die Autoren vertraten die Theorie, der moderne Mensch nehme zu wenig essentielle Fettsäuren auf, worin sie die Ursache vieler Zivilisationskrankheiten sahen. Rudin zufolge sind Omega-3-Fettsäuren (insbesondere aus Ölen) an so gut wie jeder Körperfunktion beteiligt. Eine mit diesen Verbindungen angereicherte Diät sollte verschiedenste Leiden kurieren, angefangen bei Herzkrankheiten, Arthritis und Hauterkrankungen über Allergien, Alterserscheinungen und Verhaltensstörungen bei Kindern bis hin zu psychischen Problemen wie Schizophrenie und Agoraphobie (Angst, allein über leere Plätze und Straßen zu gehen), dazu Diabetes und - natürlich - verschiedene Krebsarten. Zu schön, um wahr zu sein! Obwohl sich diese Hoffnungen nicht erfüllt haben, ist die grundlegende Botschaft der Autoren vernünftig: Wir müssen darauf achten, essentielle Fettsäuren in ausreichendem Maß zu uns zu nehmen.
(John Emsley, Fritten, Fette und Faltencreme, Seite 50-51)

Dennoch bleibt die ernüchternde Gewißheit, daß all das bis heute nur unbewiesene Hypothesen geblieben sind, was aber dem Glauben an ungesättigte Omega-3-Fettsäuren offenbar keinen Abbruch tut. Der exotische Ruf des Schlangenöls hat somit auch heute noch seine Wirkung, selbst wenn ganz wissenschaftlich von Omega-Fettsäuren gesprochen wird. Selbst der vermeintliche, kürzlich erbrachte Beweis, der laut Scientific American in "the Annals of Nutrition & Metabolism" im Juli 2007 veröffentlicht wurde, daß Mäuse, die mit Schlangenöl ernährt werden, intelligenter sind und länger schwimmen können, läßt sich nicht auf den Menschen übertragen und hat möglicherweise auch in diesem Fall mehr mit der leichteren Verträglichkeit der Fette zu tun, als mit ihrer Funktion im Organismus. Schließlich wurden die Tiere der Vergleichsgruppe mit schwer verdaulichem Schmalz gefüttert:

In a series of later papers, the most recent published in the Annals of Nutrition & Metabolism in July 2007, Shirai and his team evaluated the effects of Erabu sea-snake oil on a number of outcomes in mice, including maze-learning ability and swimming endurance. In both cases, snake oil significantly improved the ability of the mice in comparison with those fed lard.
(SciAm, 1. November 2007)

Schlangenöl bleibt also auch noch im 21. Jahrhundert "Schlangenöl", ein gutes Mittel für fragwürdige Beweisführungen und um leichtgläubigen Gesundheitsbewußten das Geld aus der Tasche zu ziehen.

4. Dezember 2007