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RATGEBER/220: Kinderfragen (19) Warum PEG nicht poly-giftig ist (SB)


KINDERFRAGEN 19

Warum ist Polyethylengylcol (PEG) nicht um ein Vielfaches giftiger als Ethylenglycol?


Da stand doch deutlich im Kleingedruckten des Beipackzettels zu einem leichten Abführmittel unter den Inhaltstoffen der Begriff: "Polyethylenglycol". Die Alarmsirenen schellten, war da nicht erst vor kurzem ein Skandal bezüglich dieses Stoffes gewesen? Richtig, die Presse ereiferte sich noch vor kurzem über mit Diethylenglycol kontaminierte Zahncreme, die in China hergestellt worden war. Diethylenglycol, noch bekannt von anderen Skandalen, war hier wieder einmal ins Gerede gekommen.

Polyethylenglycol (PEG), Diethylenglycol (DEG) oder auch Ethylenglycol hören sich zum Verwechseln ähnlich an und sehen in ihrer farblosen, sirupösen Konsistenz auch recht ähnlich aus, damit erschöpfen sich allerdings auch schon die Übereinstimmungen. Alle drei sind komplett verschiedene Substanzen:

Diethylenglycol wurde in dem besagten Fall versehentlich oder illegal statt Glycerin als Konsistenzbildner und Feuchthaltemittel in Zahncreme verwendet. Glycerin ist unschädlich, kostet aber dreimal so viel wie Diethylenglycol. DEG wird in geringen Mengen und ganz legal Tabakwaren, Kork und Schwammprodukten als Feuchthaltemittel zugesetzt, normalerweise wird es jedoch als Weichmacher in der Kunststoffindustrie oder als Frostschutzmittel verwendet. Gemische von DEG und Wasser gefrieren je nach Zusammensetzung erst bei Temperaturen weit unterhalb von 0°C. Diethylenglycol ist somit keineswegs so giftig wie man in der fraglichen Pressehatz glauben sollte. Zwar machte es vor einigen Jahren als unerlaubter Zusatzstoff von sich reden, als profitgierige Kellermeister auf die Idee kamen, damit fehlende Oechslegrade ausgleichen zu wollen (für diesen Schummel nimmt man sonst Zucker oder Glycerin). Doch in einer Zahncreme, die ja gewöhnlich nicht heruntergeschluckt wird, schien die Empörung über das verwendete Feuchthaltemittel ein wenig übertrieben. Der Schattenblick berichtete mehrfach darüber in diesem Fachpool im KOMMENTAR/082: Böser Chinese in der Zahncreme (SB).

Damit Diethylenglycol überhaupt schädlich wirken kann, muß man nicht nur sehr viel davon zu sich nehmen, sondern dieses muß dann auch noch in seine Grundbausteine "Ethylenglycol" zersetzt werden. Kleine Mengen sind bis dahin längst ausgeschieden:

Das Abbauprodukt Ethylenglycol wird in der Leber zu giftigem Oxalat oxidiert, was einigen Weintrinkern die Leber ruinierte, da Ethylenglycol von dem gleichen Enzym (Alkohol-Dehydrogenase) in der Leber abgebaut wird wie Alkohol. Dazu muß man wissen, daß Oxalat von einem normalen menschlichen Organismus ausgeschieden und somit in bestimmten Mengen durchaus vertragen werden kann. Auch natürliche Lebensmittel (z.B. Rhababer) enthalten eine beträchtliche Menge Oxalat, die bei einer ausschließlich einseitigen Ernährung mit diesem Gemüse ebenfalls schon zu bedenklichen Gesundheitszuständen geführt hat, in verträglichen Mengen jedoch gefahrlos gegessen werden kann.

Kurz gesagt müssen eine Reihe ungünstiger Voraussetzungen zusammentreffen, damit DEG im Körper überhaupt giftig wirkt.
(Schattenblick 2007)

Weshalb nun beispielsweise in der New York Times vom 16. Oktober zu eben dieser Frage, "ob Polyethylenglycol um ein Vielfaches giftiger sei als Diethylenglycol" fälschlich behauptet wurde, Diethylenglycol sei ein Gift, zeigt nur, wie leicht selbst vorgebliche Experten auf chemische Namen hereinfallen können. Dort hieß es:

Diethylene glycol is sometimes used illegally in place of glycerin, which is safe but costs three times as much. It can kill by causing kidney failure.
(NYT, 16. Oktober 2007)

Als echtes Gift mit entsprechender Wirkung kann man in diesem Dreiergespann nur das reine Ethylenglycol bezeichnen (C2H6O2)

Strukturformel: HO-CH2-CH2-OH

das chemisch auch unter dem schlichteren Namen Glycol geläufig ist. Richtig heißt es 1,2-Ethandiol. Auch diese Substanz setzt den Gefrierpunkt von wässrigen Flüssigkeiten herab und wird demzufolge ebenso wie Diethylenglycol als Frostschutzmittel verwendet, was ihre Verwechselbarkeit noch erhöht. Im Unterschied zu Diethylenglycol ist Glycol trotz seiner weiten Verbreitung als Chemikalie giftig und wirkt bereits beim Verzehr von mehr als 100 Milliliter tödlich.

Lange Zeit hatte man den Stoff für harmlos gehalten und ihn sogar bei einer Sulfonamidzubereitung für Kinder als ideales Lösungsmittel verwendet. Sulfonamid, einer der ersten bakteriziden Chemotherapeutika, ist in den beiden üblichen Lösungsmitteln Wasser oder Alkohol nur sehr schlecht löslich. Schon im Jahr 1937 wurden die ersten Meldungen über einzelne überraschende Todesfälle während der Behandlung mit dem sogenannten "Sulfonamid-Elixier" bei der American Medical Association registriert. Die Präparate wurden vom Markt genommen. Es starben dennoch 107 Patienten, überwiegend Kinder. Spätere Untersuchungen ergaben, daß nicht das zuerst verdächtigte Chemotherapeutikum, sondern das Lösungsmittel die Ursache der Todesfälle war.

Das etwa doppelt so große Diethylenglycol hat diese verheerende Wirkung auf den Organismus aber schon nicht mehr.

Strukturformel: HO-CH2-CH2-O-CH2-CH2-OH

Dennoch läßt sich die oben beschriebene Sorge verstehen, vor allem, wenn man den Begriff Polyethylenglycol wörtlich mit "viel Ethylenglycol" übersetzt, was es ja im Grunde auch bedeutet. Warum aber wird es noch zum Reinigen des Darms oder zum Lösen von Verstopfungen verschrieben, wenn doch seine einzelnen Bausteine so giftig sind?

Tatsächlich wird Polyethylenglycol vom Stoffwechsel kaum wahrgenommen, weil der Stoff chemisch durch sich selbst getarnt ist. Er geht unverändert durch unsere Verdauungsorgane hindurch und kitzelt, da er sehr hygroskopisch (wasseranziehend) ist und dadurch quasi aufquillt, nur ein wenig die Peristaltik des Darms. Deshalb wird es beispielsweise auch in ziemlichen Mengen vor einer Darmspiegelung zur Reinigung verabreicht, um das Gedärm von innen photogen zu präsentieren.

Es gibt zudem verschieden große Polyethylenglycole, die man sich wie unendlich verlängertes Diethylenglycol vorstellen muß. Der Begriff "Poly" sagt selbst nichts darüber aus, wie häufig sich der Baustein "-O-CH2-CH2-" darin wiederholt:

Strukturformel: HO-(CH2-CH2-O-)n-CH2-CH2-OH

(Das "n" steht übrigens stellvertretend für eine beliebige Zahl, mit der diese Einheit wiederholt wird, und hat nichts mit dem Symbol für Stickstoff "N" gemein, um hier vorab einer anderen möglichen Verwechslung vorzubeugen).

So gibt es Polyethylenglycole von zähflüssiger, sirupöser bis hin zu PEGs von fester oder gar vernetzter, polymerer Konsistenz. Letztere werden gerne als Tablettenüberzüge verwendet oder bei der Mikroverkapselung, um Wirkstoffe zu ummanteln, die nicht eher als im Darm freigesetzt werden dürfen. Wie kurz oder lang ein Molekül Polyethylenglycol auch sein mag, es ist kein Gift.

23. Oktober 2007