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RATGEBER/217: Schluß mit dem Gerücht - Sellerie sei "so gesund" (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

daß Gemüse nicht schaden kann

Sellerie, Sellerie, Sellerie ...


Beim Anblick von frischem Gemüse durchläuft mich ein wohliger Schauer. Endlich etwas, das man ungestraft in rauhen Mengen verzehren darf. Ja, ich höre förmlich meine Großmutter im Ohr: "Trink deinen Karottensaft, Kind, der ist ja so gesund". Nun, ich habe weiß Gott nichts gegen Rohkost, ganz im Gegenteil, auch wenn ich hier mit dem Gerücht, Obst und Gemüse können nicht schaden, leider aufräumen muß. Gerade Sellerie, bei vielen geschmacklich umstritten, verzehre ich persönlich liebend gern, und zwar sowohl in gekochter, als auch in sauer eingelegter oder roher Form. Der alte Schlager "Sellerie, Sellerie, Sellerie..." könnte, wenn es ihn nicht schon gäbe, durchaus für mich gedichtet werden:

Pflaumenmus, Apfelmus, will sie nie.
Frühmorgens schreit sie schon im Bad:
"Wo bleibt denn nur mein Selleriesalat".

"Das Mädchen", so heißt es in dem Text weiter, "heißt Marie, und ißt nur Sellerie". Da die junge Frau zu Zeiten besungen wurde, in denen man noch nicht so darauf aus war, den eigenen Körper Luft und Sonne auszusetzen, werden ihre Lebensmittel-Vorlieben kaum Folgen gehabt haben.

Ganz anders würde das in einer Zeit aussehen, in der man nicht nur gesund und fit sein, sondern dies auch noch durch eine möglichst gleichförmig bronxegetönte Außenhülle zur Schau stellen soll. Es reicht dann schon ein schlichtes Selleriegemüse zum Mittagessen, und der Gang ins Sonnenstudio wird zum Fiasko:

So schrieb beispielsweise die Süddeutsche Zeitung am 21. August über eine ältere schweizer Dame, die zum Mittagessen nur etwa 450 Gramm Sellerie gegessen hatte und nach einer halbe Stunde im Sonnenstudio knallrot und mit Blasen übersäht war. Dazu muß man wissen, daß die Dame mit einer sonnentrainierten, durchgebräunten Haut gesegnet ist, und diese Behandlung gewöhnlich völlig schadlos übersteht.

Man kann über den Bräunungswahn und das damit verbundene Hautkrebsrisiko durchaus noch einiges sagen, in diesem Fall aber trifft das Sonnenstudio und die UV-Bestrahlung keine Schuld.

Mit der oben genannten Menge der schmackhaften Knolle hatte sich die Dame etwa 45 Milligramm Furocoumarine zugeführt. Das wurde anschließend vom Züricher Gesundheitsamt überprüft.

Die Furocoumarine zählen zu den sogenannten sekundären Pflanzeninhaltsstoffen und werden auch unter dem Oberbegriff Phytoalexine gehandelt. Bekanntlich sind sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe normalerweise sehr begehrt, weil sie als Antioxidantien oder Radikalenfänger gelten, mit denen sich z.B. krebserregende Impulse neutralisieren lassen sollen.

Letztere gehören aber zum Verteidigungssystem des Selleries bzw. auch zu dem einiger anderer Pflanzen. Hat die Pflanze "Streß" - zum Beispiel durch Befall mit Fraßfeinden, schlechte Witterung, Schnitt- und Rißwunden, ungünstige Erntemethoden oder unsachgemäße Lagerung - werden diese "natürlichen Pestizide" vermehrt gebildet.

Und da sie sehr photosensibel (bzw. phototoxisch) sind, d.h. unter der sonst harmlosen UV-A-Bestrahlung ihren toxischen oder hautreizenden Charakter erst so richtig entfalten, kann es dann nach einer großen Portion zu einem ausgeprägten Sonnenbrand kommen, wenn man sich der Sonne aussetzt. Gegen UV-A Strahlen gibt es nämlich keinen Filter oder Schutz.

Außer Sellerie sind auch Petersilie, Pastinaken, Fenchel, Karotten und Feigen Träger von Furocoumarinen, einer Stoffklasse, die zudem noch äußerst stabil zu sein scheint. Selbst einstündiges Erhitzen auf 100 Grad Celsius, also eine Behandlung, die sonst kein Vitamin überlebt, überstehen diese Substanzen ohne Schaden.

Ein Lichtblick bleibt Gemüsefreunden allerdings: Erst nach einer Aufnahme von mehr als 40 Milligramm wird es gefährlich.

Es ist dem Gemüse allerdings äußerlich nicht anzusehen, wieviel Furocoumarin es enthält, denn die Konzentration kann auch innerhalb einer Gemüsesorte vollkommen unterschiedlich sein.

Anders gesagt sollte Gemüse als Ergänzung und im Sinne einer ausgewogenen Ernährung letztlich auch nur in Maßen, d.h. nicht pfundweise, verzehrt werden. Dazu sollte man sich nicht ausschließlich von einer Gemüsesorte ernähren oder - eine weitere Option, für die, die es nicht lassen können - man bleibt einfach der Sonne fern. Letzteres ist im Hinblick auf die Entwicklung des Ozonslochs und der zunehmend aggressiven Sonneneinstrahlung ohnehin keine schlechte Idee.

26. September 2007