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KOMMENTAR/090: Wie Bakterien in den Rohkostsalat kommen (SB)


Gedanken zum Thema "bakterielle Lebensmittelvergiftung als Beilage"

oder Was dabei herauskommt, wenn man mit Tierarzneimitteln düngt und mit Brauchwasser bewässert


Vor kurzem beunruhigte eine Mitteilung des Fonds für wissenschaftliche Forschung FWF kritische Leser, die gleichzeitig in verschiedenen Medien erschien. Darin wurde behauptet, daß Salmonellen - anders als bisher gedacht - Pflanzenzellen direkt infizieren und alle Abwehrmechanismen der Pflanze erfolgreich umgehen könnten. Dadurch würden jegliche Bemühungen um eine reinigende Vorbehandlung der nicht kochbaren Rohkostprodukte hinfällig, da sich die inkorporierten Mikroorganismen schlicht nicht abwaschen lassen. D.h. was bisher als ausreichender Schutz vor Lebensmittelvergiftungen galt, das gründliche Waschen mit Wasser, reicht heute nicht mehr aus.

Angesichts 1,5 Milliarden Fälle von Lebensmittelvergiftung pro Jahr, die laut World Health Organization allein durch den Bakterienstamm Salmonella hervorgerufen werden, kann einem bei diesen Aussichten schon richtiggehend mulmig werden.

Wie inzwischen aus den Arbeiten an der Unité de Recherche en Génomique Végétale (URGV) in Evry, Frankreich, und den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) in Wien, Österreich, hervorgeht, ist das aber noch längst nicht alles:

GEHALTVOLLE ROHKOST In einer heute in PLoS ONE publizierten Arbeit zeigt das Team um den Genetiker Prof. Heribert Hirt, dass Bakterien des Stammes Salmonella typhimurium sogar in Pflanzenzellen eindringen und sich dort vermehren können. Zwar war bereits bekannt, dass Salmonellen bis zu 900 Tage lang in kontaminierten Böden überleben können und diese somit einen geeigneten Infektionsherd für Pflanzen darstellen. Das Team um Hirt konnte nun aber zeigen, dass die Infektionen von Pflanzenzellen aus einem solchen Infektionsherd durchaus aktiv vom Bakterium vorangetrieben werden und nicht wie bisher vermutet allenfalls eher zufällig und - auf Seiten des Bakteriums - passiv erfolgen.
(Fonds für wissenschaftliche Forschung FWF, 28. Mai 2008)

Das besonders aggressive Verhalten der Salmonellenstämme, die laut Prof. Hirt schon nach drei Stunden, nachdem die Bakterien in Kontakt mit den Wurzelzellen kamen, in die Zellen feinster Wurzelhaare eingedrungen waren und schon nach 17 Stunden auch die dickeren Wurzeln infiziert hatten, gibt durchaus Anlaß, über derzeitige Praktiken der Feldbestellung, Bewässerung und Düngung nachzudenken. Schließlich ist die genetische Verbreitung unangenehmer Eigenschaften selbst zwischen verschiedenen Bakterienfamilien möglich. Nicht nur Resistenzen, auch wie sich Abwehrmechanismen gekonnt umgehen lassen oder auch die hier beschriebene neue Aggressionsform des Einnistens in Pflanzenzellen können von Bakterie zu Bakterie über sogenannte Plasmide weitergegeben werden.

Gerade Pflanzen waren bisher bakteriellen Angriffen gegenüber ausreichend widerstandsfähig. Doch die neuen Salmonellen haben eine Strategie gefunden, bei der alle Abwehrmechanismen komplett versagen.

Was nun, wenn diese Angriffstechniken von bisher harmlosen Bakterien wie Bodenbakterien erlernt werden? Oder wenn ubiquitär vorkommende Fäulnisbakterien, die das ebenfalls "lernen", schon die lebende Pflanze angreifen. Neue Pflanzenkrankheiten und mögliche Mißernten sind längst vorprogrammiert.

Laut FWF kann die Bedeutung der von Prof. Hirt gemachten Entdeckung für die Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln gar nicht genug Beachtung finden. Vor dem Hintergrund akuter Nahrungsmittelknappheit, einer registrierten Unterernährung von über einem Siebtel der Gesamtweltbevölkerung und den durch veränderte Umweltverhältnisse zunehmend schlechten Ernten, ist nun auch noch eine wohl unvermeidbare Verschlechterung der Qualität und eine potentielle gesundheitliche Gefährdung des Endabnehmers vorhersagbar. Man könnte beinahe an eine Kampagne gegen frisches Gemüse glauben, wenn es nicht noch mehr Gründe für diese Befürchtungen gäbe, die von der FWF nicht einmal erwähnt wurden.

Das ganze erweist sich nämlich als Teufelskreis: Um aus dem nährstoffverarmten Boden unter den ohnehin schlechten Verhältnissen noch das letzte herauszuholen, schreckt man in vielen Ländern auch nicht vor dem Einsatz von organischem und daher oft inzifizierten Dünger aus teilweise tierischen Quellen (Gülle, Klärschlamm, Tierasche) zurück.

Doch schlimmer noch, werden schon heute in manchen wasserarmen Gegenden unbehandelte Abwässer zur Kompensation der Wassernot hinzugezogen.

Dies wurde schon vor einigen Jahren in dem englischsprachigen Wissenschaftsmagazin NewScientist durch eine Studie über landwirtschaftliche Praktiken in der Dritten Welt publik gemacht:

Stockholm (pte) - Ein Zehntel der Nutzpflanzen der Welt wird mit Abwässern bewässert. Darunter sind Nahrungspflanzen wie etwa Tomaten, Mangos, Kokosnüsse oder Salat. Die meisten dieser Abwässer sind gar nicht behandelt, sondern fließen von den Mega-Städten direkt in die Bewässerungssysteme. Die weltweit erste Studie über Abwasser-Bewässerung wurde beim derzeit stattfindenden Stockholm Water Symposium präsentiert, berichtet das Wissenschaftsmagazin New Scientist http://www.newscientist.com.
(Pressetext, September 2004)

Auch in afrikanischen Städten ist diese Art der Bewässerung gang und gäbe. Die Kritiker des Systems, die diese Praxis per Dekret abschaffen möchten, vergessen allerdings, daß dies für viele offenbar die einzige Möglichkeit ist, der Wasserknappheit zu entgehen und Landwirtschaft zu betreiben.

Einige der betroffenen Länder wie Mexiko, Jordanien, Israel und Tunesien versuchen zumindest den Abwässern vor der Bewässerung die Pathogene zu entziehen. In Ländern wie Indien, China und Pakistan sei dies dagegen überhaupt nicht üblich. Problematisch sind neben den zahlreichen Krankheitserregern und Mikroorganismen (Bakterien, Hefen, Pilzen) aber auch giftige chemische Bestandteile aus Industrieabwässern sowie Medikamente und Antibiotika.

Letztere, die u.a. auch in Form des bereits erwähnten organischen Düngers auf die Felder getragen werden, sorgen in der vorhanden unterschwelligen Konzentration auch noch dafür, daß die Resistenzentwicklung vorangetrieben wird. Im schlimmsten denkbaren Fall bieten die augenblicklichen Zustände in der weltweiten Landwirtschaft somit die besten Voraussetzungen dafür, daß sich nicht nur ausgesprochen hartnäckige, widerstandsfähige und aggressive Mikroorganismen durchsetzen, die Pflanzen und Menschen gleichermaßen befallen und schädigen, sondern die auch noch zunehmend weniger empfindlich gegen die Mittel sind, mit denen sie noch unschädlich gemacht werden können. Und das gilt nicht nur für Länder akut herrschender Wassernot, sondern auch für die Agrarpraxis hierzulande.

Tatsächlich konnten erst vor kurzem Untersuchungen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn diese Befürchtungen für den heimischen Anbau bestätigen. In einer im Informationsdienst Wissenschaft veröffentlichten Pressemitteilung hieß es dazu:

Mehrere tausend Tonnen Antibiotika werden jedes Jahr in der EU vor allem an landwirtschaftliche Nutztiere wie Schweine, Rinder oder Geflügel verabreicht. Die Tiere scheiden bis zu 90 Prozent davon unverändert wieder aus; mit dem Mist oder der Gülle landen die hochreaktiven Wirkstoffe dann auf den Feldern. Seit 2005 untersuchen deutsche Forscher am Beispiel der weit verbreiteten Tierantibiotika Sulfadiazin und Difloxacin, was mit den Medikamenten danach passiert.

Nach ersten Erkenntnissen scheinen die Substanzen aus dem Boden nicht in das Grundwasser zu gelangen. Allerdings beobachteten die Wissenschaftler eine Anreicherung resistenter Mikroorganismen.
(idw, 29. Mai 2008)

Zunächst wollten die Wissenschaftler darin keinen Zusammenhang sehen. Denn wenn man einen Acker beispielsweise mit sulfadiazinbelasteter Gülle dünge, verschwinde das Medikament wie von Zauberhand: Schon nach wenigen Tagen ließe sich nur noch die Hälfte der ursprünglich ausgebrachten Substanz mit Wasser aus dem Erdreich herauslösen, nach einem Monat scheint gar kein Sulfadiazin mehr im Boden vorhanden zu sein.

Auch andere Antibiotika sind offenbar nach kürzester Zeit im Boden "abgebaut", was sie denn nach außen hin auch besonders umweltverträglich werden läßt. Doch wirklich "weg" sind die Tierarzneien nicht:

"Ein kleiner Anteil wird augenscheinlich in mikroskopisch feinen Bodenporen eingeschlossen und kann dort vermutlich viele Jahre überdauern", erklärt der Bonner Bodenkundler Professor Dr. Wulf Amelung. Biologisch aktiv scheinen die Substanzen in dieser Form nicht mehr zu sein. Die Bonner Wissenschaftler werden nun unter anderem untersuchen, ob Sulfadiazin aus den Bodenporen wieder freigesetzt werden kann und wenn ja, unter welchen Bedingungen.
(idw, 29. Mai 2008)

Amelung ist der Sprecher der Forschergruppe "Tierarzneimittel in Böden", die von der DFG seit 2005 gefördert wird. Zusammen mit Kollegen aus Aachen, Berlin, Braunschweig, Dortmund, Jülich, München, Osnabrück und Trier und mit praktischer Unterstützung der Lehr- und Forschungsstation Frankenforst untersuchen die Wissenschaftler, ob Sulfadiazin und Difloxacin im Boden Schaden anrichten können.

Diese Tierantibiotika sind in der Lage, Bodenbakterien zu hemmen bzw. abzutöten und damit das natürliche Mikroorganismen-Gleichgewicht und die daran gekoppelten Nährstoffkreisläufe empfindlich zu stören. Die in Bodenporen eingeschlossenen chemischen Stoffe reichen zumindest aus, um Bakterien daran zu gewöhnen.

Denn die Gefahr,

dass sich im Boden resistente Bakterien anreichern und später vielleicht ihre Resistenzgene an menschliche Krankheitserreger weiter geben,
(idw, 29. Mai 2008)

wird selbst von dieser Forschergruppe durchaus erkannt.

Darüber hinaus könnten Tierantibiotika über den Boden ins Grund- und Trinkwasser gelangen und schließlich vom Menschen direkt aufgenommen werden.

Während man letzteres für die bisher untersuchten Substanzgruppen nicht bestätigen konnte, läßt sich für diese neue, potentielle Quelle einer Resistenzenentwicklung keine Entwarnung geben.

"Schon mit der Gülle gelangen resistente Bakterien aufs Feld", sagt er [Prof. Dr. Wolf Amelung, Anm. d. Red.]. Dank der Nährstoffe in den Tierexkrementen können sich die Mikroben dort überdies gut vermehren. "Im Oberboden beobachten wir daher eine Anreicherung von Gen-Resistenzen", erklärt Amelung.
(idw, 29. Mai 2008)

Doch es kommt noch schlimmer: Bestimmte Boden-Mikroorganismen sorgen nämlich sogar von sich aus für Antibiotika-Nachschub. Weil Rinder und Schweine z.B. das Medikament Sulfadiazin bereits verstoffwechseln, enthält die Gülle neben dem eigentlichen Antibiotikum auch diverse Ab- und Umbauprodukte. Bodenbakterien können daraus wieder funktionsfähiges Sulfadiazin zurückbauen und so vorübergehend seine Konzentration im Boden weiter erhöhen.

Selbst in unseren Breiten, in denen bisher noch in ausreichender Menge hochwertige Lebensmittel hergestellt werden konnten, muß man von diesen veränderten Ausgangsbedingungen und einer verminderten Qualität des Rohgemüses ausgehen. In Ländern, in denen darüber hinaus auch noch mit kontaminiertem Brauchwasser bewässert werden muß, bleibt nur noch die Wahl zwischen einer möglicherweise nicht mehr zu behandelnden Krankheit oder dem "gesunden" Hungertod.

Doch während der aufgeklärte Verbraucher das kontaminierte Gemüse noch durch Schälen, Dünsten oder Abkochen in eine relativ verzehrbare und ungefährlichere Form bringen kann, von den darin enthaltenen Giften, Schadstoffen und Schwermetallen einmal abgesehen, ist es vor allem der Landwirt selbst, für den die größte Gefahr bei dieser Bewässerungspraxis besteht. Er steht fast täglich in direktem Kontakt mit der stinkenden, giftigen, verkeimten, und schadstoffreichen Brühe, mit der er seine Felder bewässert.

Diese notgedrungene Selbstgefährdung des Erzeugers, ohne die die landwirtschaftliche Produktion in den betroffenen Ländern wohl völlig zum Erliegen käme, geht jedoch selten in die Diskussionen über Qualität und Gesundheit von Agrarprodukten ein. Tatsächlich ist die Nutzung von Abwasser als nicht nur wertvolle, sondern einzige Ressource derzeit schon weltweit gängige Praxis.

Das, was man bisher als eine jedem Menschen zustehende Grundversorgung mit ausreichend erhaltenen und selbstverständlich gesunden Grundnahrungsmitteln betrachtet hat, wird zunehmend das Privileg von einigen wenigen, die die Sonderbehandlung ihrer exklusiv hergestellten Lebensmittel überhaupt noch bezahlen können. Der andere Teil der Menschheit muß mit verseuchter oder zunehmend mit künstlich angereicherter Ersatznahrung vorlieb nehmen. Und dieser Teil wird immer größer...

13. Juni 2008