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FORSCHUNG/156: Der Wurzelbildung auf der Spur (Forschungsreport)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 1/2008
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Der Wurzelbildung auf der Spur

Ein integrierter Forschungsansatz zur Förderung der
Jungpflanzenproduktion

Von Uwe Drüge, Klaus-Thomas Hänsch, und Yvonne Klopotek (Erfurt), Philipp Franken (Großbeeren), Sandra Lischewski und Bettina Hause (Halle), Amir-Hossein Ahkami und Mohammad-Reza Hajirezaei (Gatersleben)


Sobald die ersten wärmenden Sonnenstrahlen den Sommer nur erahnen lassen, strömen Millionen von Pflanzenliebhabern in die Geschäfte, um sich mit Beet- und Balkonpflanzen zu versorgen. Nur wenigen ist bekannt, mit welchem technologischen und logistischen Aufwand diese Pflanzen produziert werden. Etwa fünfzig Prozent der Zierpflanzen (Jahresumsatz in Deutschland ca. 6,5 Mrd. Euro) werden vegetativ über die Bewurzelung von Stecklingen vermehrt. Insbesondere wenn die Stecklinge an das Klima ferner Produktionsstandorte angepasst sind und vor der Bewurzelung um den halben Globus transportiert werden, ist die Bewurzelung unzureichend. Ein multidisziplinärer Forschungsansatz zu den molekularphysiologischen Grundlagen der Wurzelbildung soll neue Ansatzpunkte schaffen, um solchen Problemen besser begegnen zu können.


Stecklinge - in weniger als achtzig Stunden um die Welt

Die Bewurzelung der Stecklinge für die Beet- und Balkonpflanzenproduktion erfolgt während des Winters. Aufgrund der zu dieser Jahreszeit ungünstigen Lichtbedingungen in Mitteleuropa werden die Stecklinge überwiegend in klimatisch günstigeren Regionen wie Zentralafrika produziert. An einem solchen Mutterpflanzenstandort werden pro Tag bis zu 1,5 Millionen Stecklinge geerntet, in Kühlräumen zwischengelagert und anschließend per LKW und Luftfracht nach Mitteleuropa zur Bewurzelung transportiert. Wir konnten durch Erhebungen feststellen, dass sich der Transport über bis zu drei Tage erstreckt und die Stecklinge dabei erheblichen Temperaturschwankungen von 3-18 °C ausgesetzt sein können. Empfindliche Pflanzen wie die Pelargonie (Geranie) reagieren auf solch ungünstige Bedingungen mit Blattvergilbungen oder einer verzögerten Wurzelbildung. Hierdurch entstehen der Jungpflanzenproduktion erhebliche wirtschaftliche Verluste. Im Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) möchten wir durch Aufklärung der beteiligten Mechanismen dazu beitragen, solche Verluste zu reduzieren.


Die Konditionierung beeinflusst die Bewurzelung

Wir haben uns seit einigen Jahren mit der Frage befasst, wie Stecklinge bereits vor der Ernte, das heißt über die Mutterpflanzenkultur, optimal auf die Phase der nachfolgenden Lagerung und Bewurzelung vorbereitet werden können. In Gegensatz zu der bis dato üblichen Lehrmeinung konnten wir für verschiedene Pflanzenarten feststellen, dass niedrige Stickstoffgehalte zu einer schlechteren Bewurzelung führen (Abb. 1a) - der Stickstoffgehalte in den Stecklingen also die nachfolgende Bewurzelung begrenzt. Die Ursachen dieser Stickstoffwirkung sind bisher nicht bekannt. Diese N-Limitierung trifft jedoch nur dann zu, wenn die Stecklinge keinen Kohlenhydratmangel erleiden. Werden Stecklinge nach der Ernte gelagert, führt dies zu einer Kohlenhydratverarmung, die nach einer hohen Stickstoffversorgung besonders stark ausgeprägt ist. Je nach pflanzlichem Genotyp, der Gewöhnung der Stecklinge an die Lichtbedingungen des Produktionsstandortes ("sonnenverwöhnte Stecklinge") und den aktuellen Lichtbedingungen während der Bewurzelung ist die Photosynthese während dieser Phase deutlich eingeschränkt. Unter solchen Umständen kann die Stickstofflimitierung der Bewurzelung "wegbrechen" (Abb. 1a) und durch eine Kohlenhydratlimitierung überlagert werden (Abb. 1b). Die genaue Rolle der Kohlenhydrate in diesem Zusammenhang ist jedoch weitgehend ungeklärt.

Arbuskuläre Mykorrhizapilze infizieren die Wurzeln von Wirtspflanzen und bilden mit ihnen eine Symbiose, das heißt eine Wechselbeziehung von gegenseitigem Nutzen. Während die Pilze zum Beispiel zu einer besseren Nährstoffaufnahme der Pflanzen beitragen, stellt die Wirtspflanze dem Pilz die für sein Wachstum notwendigen Kohlenhydrate zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit der Universität Hannover konnten wir zeigen, dass die Infektion von Mutterpflanzen mit arbuskulären Mykorrhizapilzen die Überlebensrate und Bewurzelungsfähigkeit der geernteten Stecklinge verbessern kann.


Offene Fragen erfordern integrierten Forschungsansatz

Die gefundenen Beziehungen haben den Jungpflanzenproduzenten bereits erste neue technologische Ansätze an die Hand gegeben. Für die Betriebe geht es jedoch zunehmend darum, auch "an den feinen Schrauben zu drehen". Hierzu ist ein vertieftes Verständnis der beteiligten Prozesse notwendig.

Ein entsprechender Forschungsansatz erforderte die Integration verschiedener Disziplinen an einem geeigneten Modellsystem. Entscheidendes Kriterium für die Auswahl der Modellpflanze war neben der Vermehrung über Stecklinge die Möglichkeit, moderne Methoden der Molekulargenetik ohne lange Vorlaufzeit integrieren zu können. Unter Förderung durch den Leibniz-Pakt für Forschung und Innovation konnten wir im Jahr 2006 ein Projekt initiieren, das die Petunie als Modellpflanze für die Aufklärung der molekularphysiologischen Zusammenhänge der Adventivwurzelbildung nutzt (Abb. 2).

Unter Federführung des IGZ werden an fünf Instituten unterschiedliche Methoden aus dem Bereich der Molekulargenetik, der pflanzlichen Biochemie, der Pflanzenphysiologie und der Histologie auf das Problem der Stecklingsbewurzelung ausgerichtet. In grundlagen-orientierten Teilprojekten wird in einem Standardsystem die Bedeutung bestimmter Prozesse für die Wurzelbildung untersucht. In anderen Teilprojekten wird geprüft, welcher dieser Prozesse bei den bereits angesprochenen Konditionierungseffekten durch Umweltfaktoren beteiligt ist.


Die Wurzelbildung als de novo Entwicklungsprozess

Die Neubildung von Wurzeln in Stecklingen ist ein komplizierter Entwicklungsprozess, bei dem zunächst bereits differenzierte, das heißt in ihrer Funktion spezialisierte Zellen umprogrammiert werden. Diese durchlaufen danach verschiedene Entwicklungsphasen, um schließlich als neue Wurzel in Erscheinung zu treten. Eine Basis für alle weiteren Arbeiten bildete daher zunächst die mikroskopische Definition der einzelnen Entwicklungsstadien. Bei der untersuchten Sorte 'Mitchell' konnte drei Tage nach dem Stecken die erste Neubildung von Zellen beobachtet werden. Diese entwickelten sich innerhalb der nächsten 24 Stunden zu Wurzelmeristemen (Wurzelbildungsgewebe, Abb. 3a), die nach weiteren zwei Tagen differenzierte Wurzelanlagen bildeten (Abb. 3b). Nach insgesamt neun Tagen waren die ersten Wurzeln außen sichtbar.


Wichtige Rolle der Gene

Die Umprogrammierung der Zellen und das Durchlaufen der verschiedenen Entwicklungsphasen erfordert das An- und Abschalten bestimmter Gene. Diese Aktivitätsänderungen können durch die Analyse der Genexpression, also des Auftretens der entsprechenden mRNA (Boten-RNA) untersucht werden. Hierzu wird die gesamte mRNA eines Gewebes in eine komplementäre synthetische DNA (cDNA) umgeschrieben. Von dieser cDNA können dann einzelne Gene mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion vervielfältigt und ihre Expression so nachgewiesen werden.

Neben diesen zielgerichteten Untersuchungen an ausgewählten Genen ("targeted approach", siehe weitere Abschnitte) untersuchen wir die Expression aller während der Bewurzelung aktiver Gene ("non-targeted approach"). Dies erforderte zunächst den Aufbau einer cDNA-Bank möglichst vieler Gene, die in der Sprossbasis der Stecklinge während der Bewurzelung angeschaltet werden. Durch Ansequenzierung der cDNAs (ca. 400-500 Basen) erhält man Kurzsequenzen, so genannte ESTs ("expressed sequence tags"), die die jeweiligen cDNAs und somit die Gene, von denen die cDNAs stammen, hinreichend charakterisieren. Wir haben eine EST-Datenbank erstellt, die rund 4.700 ESTs umfasst. Hierbei konnten wir etwa 3.000 Gene identifizieren und zum Teil verschiedenen Bereichen des pflanzlichen Stoffwechsels zuordnen (Abb. 4).

Aktuell untersuchen wir mit Hilfe von Microarrays die Expression dieser Gene während der einzelnen Abschnitte der Wurzelbildung. Neben dem Einsatz gentechnologisch veränderter Pflanzen für die Prüfung der Bedeutung einzelner Gene und dazugehöriger Stoffwechselbereiche nutzen wir eine Mutantenlinie der Petunie, die in ihrem Genom Transposons, so genannte springende Gene, aufweist (Abb. 5). Während der Zellteilung können diese mobilen DNA-Abschnitte in andere Gene integriert werden und deren Funktion ausschalten. Über ein Screening dieser Mutantenlinie bezüglich der Wurzelbildung wollen wir neue Wurzelphänotypen finden und die hierfür relevanten Gene identifizieren.


Pflanzliche Hormone als Schlüsselfaktoren

Das Abschneiden der Stecklinge von der Mutterpflanze hat zur Folge, dass der junge Spross aus dem Gesamtverbund der Pflanze isoliert und an der Schnittstelle verwundet wird. Offenbar ist beides notwendig, um die Neubildung der Wurzeln zu initiieren. Pflanzliche Hormone (Phytohormone) sind hierbei als Regulatoren wesentlich beteiligt. In dem Projekt konzentrieren wir uns vorrangig auf zwei Phytohormone. Auxine - im Wesentlichen die freie Indol-3-essigsäure (IES) - akkumulieren wenige Stunden nach dem Abschneiden in der Sprossbasis und sind bei der Auslösung der frühen Ereignisse der Wurzelbildung ursächlich beteiligt. Mit Hilfe der Gaschromatographie/Massenspektrometrie untersuchen wir zurzeit den Einfluss der Stickstoffversorgung auf die IES-Konzentration in der Stecklingsbasis.

Mit der gleichen Methode wird die Jasmonsäure untersucht. Obwohl Jasmonsäure eine wesentliche Rolle bei der Reaktion von Pflanzen auf Verwundung spielt, war die Beziehung zwischen diesem Phytohormon und der Wurzelbildung in Stecklingen bisher nahezu ungeklärt. Wir konnten feststellen, dass der Stecklingsschnitt bereits nach einer Stunde zu einem enormen Anstieg der Jasmonsäurekonzentration in der Sprossbasis führt (Abb. 6) Die Untersuchung der für die Jasmonsäuresynthese verantwortlichen Enzyme und Gene sowie die Nutzung gentechnologisch veränderter Pflanzen mit modifizierter Syntheseleistung sollen Aufschluss darüber geben wie der Gehalt der Jasmonsäure reguliert wird und ob die Veränderungen der Jasmonsäure ursächlich bei der Wurzelbildung beteiligt sind.


Bedeutung des Kohlenhydratstoffwechsels

Unter Betrachtung der relevanten Enzymsysteme, des gesamten Metabolitspektrums des Primärstoffwechsels und der Expression der Gene von Schlüsselenzymen wird untersucht, inwieweit Veränderungen des Kohlenhydrathaushaltes bei der Wurzelbildung in Petunie beteiligt sind. Die bisherigen Ergebnisse zeigen deutliche Reaktionen bereits vor dem ersten Auftreten mikroskopisch sichtbarer Veränderungen. So steigt bereits wenige Stunden nach dem Stecklingsschnitt die Expression des Gens einer in der Zellwand lokalisierten Invertase, welche Saccharose als Haupttransportform der Zucker in Glucose und Fructose spaltet, an (Abb. 7a). Gleichzeitig steigt die Expression des Gens für einen Zuckertransporter, der Glucose und Fructose in das Cytoplasma transportiert (Abb. 7b). Beide Ereignisse zeigen eine frühe Bereitstellung der Zucker für die Wurzelbildung und werden möglicherweise durch den höheren Gehalt an Jasmonsäure (vgl. Abb. 6) reguliert. Die kausale Bedeutung dieser Prozesse für die Wurzelbildung soll durch Einbeziehung gentechnologisch veränderter Pflanzen, die Defekte in den betreffenden Stoffwechselbereichen aufweisen, geprüft werden.


Lagerung kann Bewurzelung verbessern!

Entgegen unserer Erwartung führte die Stecklingslagerung der Petunie cv. 'Mitchell' nicht zu einer Beeinträchtigung, sondern zu einer dramatischen Steigerung der Bewurzelung. Dies wurde in diesem Ausmaß bisher bei keiner anderen Pflanzenart beobachtet. Die Bewurzelungszeit wurde nicht nur um eine Woche verkürzt, sondern gleichzeitig wurde auch die Intensität der Bewurzelung gesteigert (Abb. 8). Erste Untersuchungen dieses Phänomens deuten darauf hin, dass gelagerte Stecklinge in der frühen Phase der Bewurzelung mehr Kohlenhydrate in Richtung Sprossbasis mobilisieren.

Wir hoffen, dass die weitere Aufklärung der molekularphysiologischen Zusammenhänge dieser Prozesse zu einer Optimierung der Vermehrungsverfahren auch für andere Pflanzenarten beiträgt und ebenfalls neue Ansätze für die Züchtung eröffnet.

Das Projekt wird durch den Leibniz-Pakt für Forschung und Innovation der WGL gefördert.


IGZ
Dr. Uwe Drüge, Dr. Klaus-Thomas Hänsch,
Yvonne Klopotek und PD Dr. Philipp Franken,
Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau
Erfurt & Großbeeren,
Kühnhäuser Str. 101, 99189 Erfurt-Kühnhausen.
E-Mail. druege@erfurt.igzev.de
Sandra Lischewski und PD Dr. Bettina Hause,
Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie,
Weinberg 3, 06120 Halle (Saale).
Amir-Hossein Ahkami und Dr. Mohammad-Reza Hajirezaei,
Leibniz-Institut für Pflanzengenetik
und Kulturpflanzenforschung (IPK),
Corrensstraße 3, 06466 Gatersleben.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Beziehung zwischen a) dem Stickstoffgehalt der Stecklinge und b) dem Glucosegehalt der Blätter zum Stecktermin und der Anzahl nachfolgend gebildeter Wurzeln. Pelargonie 'Isabell'. Lagerbedingungen: 1 Woche, 10 °C.

Abb. 2: Modellsystem Petunie: Von der Mutterpflanze über den Steckling zur bewurzelten Jungpflanze.

Abb. 3: Anatomie der Adventivwurzelbildung in Petunia hybr. 'Mitchell' a) 4 Tage und b) 6 Tage nach dem Stecklingsschnitt.

Abb. 4: Zuordnung der insgesamt 607 von ca. 4700 ESTs zu einzelnen Stoffwechselwegen (KEGG superpathway, http://www.genome.jp/kegg). Sprossbasis Petunia hybr. 'Mitchell' während der Wurzelbildung.

Abb. 5: Blüte der Mutantenlinie Petunia hybr. W138. Unterschiedlich gefärbte Bereiche beruhen auf Transposon-Insertionen in Genen für die Farbstoffbiosynthese.

Abb. 6: Konzentrationen von Jasmonsäure (JA) und deren Vorstufe OPDA in der Sprossbasis von Petunia hybr. 'Mitchell' in der frühen Phase nach dem Stecklingsschnitt.

Abb. 7: Expression der Gene für eine Zellwandinvertase und den Zuckertransporter STP4 im zeitlichen Verlauf der Bewurzelung von Petunia hybr. 'Mitchell'. Northern Blot Analyse der mRNA Akkumulierung.

Abb. 8: Einfluss der Dunkellagerung (1 Woche, 10 °C) auf die Bewurzelung von Petunia hybr. 'Mitchell'.


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
1/2008, Seite 21-25
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2008