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BERICHT/027: Interview mit Florianne Koechlin - Die Würde der Limabohne (welt der frau)


welt der frau 2/2009 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Die Würde der Limabohne
Interview mit Schweizer Biologin und Chemikerin Florianne Koechlin

Von Julia Kospach


"Haben Pflanzen Rechte?", fragt die Schweizer Biologin und Chemikerin Florianne Koechlin und kommt zur Einsicht: "Ja." Und Würde haben sie auch. Ein Gespräch über die neueste Pflanzenforschung, die nahelegt, dass wir unser Bild von Pflanzen als lebende Automaten nachhaltig revidieren müssen: Pflanzen kommunizieren, interpretieren, lernen aus Erfahrungen und erinnern sich.


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KOSPACH: Haben Pflanzen eine Würde?

KOECHLIN: Würde klingt so religiös und menschenbezogen. Es kann aber auch einfach ein Zeichen sein, dass andere Wesen - eben Tiere oder Pflanzen - einen Wert an sich besitzen, für den sie respektiert werden müssen.

KOSPACH: Darum geht es Ihnen vor allem?

KOECHLIN: Das ist der rote Faden meines neuen Buchs "PflanzenPalaver". Ich beobachte, dass Menschen und zum Teil auch Tiere der mechanistischen Falle entronnen sind und nicht mehr als lebende Maschinen gelten, die vorher besimmt auf Inputs und Umwelteinflüsse reagieren. Für Pflanzen gilt ebenfalls, dass sie aktiv sind, ein Selbst haben, sich anpassen, interpretieren und planen.

KOSPACH: Woher kommen diese Erkenntnisse?

KOECHLIN: Vor allem aus der Molekularbiologie. In den letzten 20 Jahren hat man unglaublich viel entdeckt und gesehen, dass die Pflanzen den Tieren und uns Menschen sehr viel ähnlicher sind, als wir bis jetzt je gedacht haben. Das ist vielleicht gar nicht so erstaunlich, wenn wir an die Evolution denken. Pflanzen, Tiere und Menschen haben als gemeinsame Vorfahren die Einzeller, die sich über drei Milliarden Jahre entwickelt haben. Demgegenüber sind Pflanzen und Tiere, die es erst seit 300 bis 400 Millionen Jahren gibt, relativ jung.

KOSPACH: Gemeinsame Herkunft auf Zellebene sozusagen.

KOECHLIN: Auf der Zellebene gibt es verblüffend viele Ähnlichkeiten. Das hatte man nicht gedacht. Wir finden bei Pflanzenzellen die gleichen Neurotransmitter und die gleichen Aktionspotenziale zur Informationsweiterleitung wie bei tierischen Zellen. Pflanzen besitzen ein Immunsystem, und Pflanzenwurzeln können zwischen Selbst und Nicht-Selbst unterscheiden; etwas, das normalerweise als Merkmal einer Hirnleistung gilt.

KOSPACH: Wie funktioniert denn das?

KOECHLIN: Das weiß die Wissenschaft auch noch nicht genau. Es gibt einige Versuche, zum Beispiel bei Erbsenpflanzen. Da kann man beobachten, dass die Wurzeln einer Erbsenpflanze sich selber nicht konkurrenzieren. Sie suchen in verschiedene Richtungen, weil sie alle für die gleiche Pflanze Nährstoffe bereitstellen.

KOSPACH: Sehr wohl aber konkurrieren sie mit den Wurzeln anderer Pflanzen?

KOECHLIN: Genau. Wenn diese Erbsenpflanze gesplittet wird, sprich zwei Klone gemacht werden, die genetisch gleich sind, dann beginnen nach ziemlich kurzer Zeit die Wurzeln des einen Klons ins Revier des anderen Klons hineinzuwachsen - so als wüsste die Pflanze sehr schnell, dass das jetzt nicht mehr sie selbst, sondern ein anderer ist. So weit ist man, und man denkt, dass dieser Erkennungsprozess zu schnell funktioniert, als dass er rein nur genetisch bestimmt sein könnte.

KOSPACH: Das Kommunikationsgenie unter den Pflanzen scheint die Limabohne zu sein.

KOECHLIN: Wahrscheinlich kommunizieren andere Pflanzen genauso viel und genauso differenziert über Duftstoffe wie die Limabohne. Sie ist jedenfalls gut erforscht.

KOSPACH: Worüber und mit wem kommuniziert sie denn?

KOECHLIN: Die Limabohne weiß nicht nur, dass sie von einem Schadinsekt angegriffen wird, sondern auch noch von welchem. Sie schmeckt das am Speichel. Wird sie von Spinnmilben angegriffen, produziert sie einen Duftstoff, der Raubmilben herbeilockt, bei Raupenangriff einen etwas anderen, mit dem sie Schlupfwespen anlockt, die die Raupen parasitieren. Sie ruft quasi den geeigneten Bodyguard - je nachdem, wer an ihr frisst.

KOSPACH: KritikerInnen würden sagen, die Limabohne weiß den Unterschied zwischen Raupe und Milbe nicht. Ihre Reaktion ist ein Reflex auf einen chemischen Vorgang.

KOECHLIN: "Wissen" meine ich natürlich metaphorisch. Aber die große Frage ist doch: Machen die Pflanzen einfach einen auf Reflexen basierenden Informationsaustausch oder agieren sie aktiv? Diese Frage habe ich mit dem Salzburger Sprachwissenschaftler und Biosemiotiker Günther Witzany diskutiert, der sich sehr mit diesem Thema beschäftigt hat und meint, dass die Pflanze wirklich kommuniziert.

KOSPACH: Ein Beispiel?

KOECHLIN: Wenn eine Tomate von Raupen angegriffen wird, produziert sie Abwehrstoffe, aber auch Duftstoffe, nämlich Methyljasmonate, die die anderen Pflanzenteile und die Nachbarpflanzen warnen, dass Gefahr im Anzug ist. Die Nachbarinnen beginnen dann ebenfalls mit der Abwehrproduktion.

KOSPACH: Die Kunst der Pflanzenkommunikation liegt also weniger in der Abwehrreaktion als im Informieren anderer Pflanzenteile und Nachbarn?

KOECHLIN: Es braucht beides. Die Nachbarin der angegriffenen Tomate lebt ja immer in einer Wolke von sehr vielen verschiedenen Duftstoffmolekülen. Jetzt kommt dieses Methyljasmonat neu dazu. Das muss sie erst erkennen. Dann muss sie interpretieren, dass dieses Molekül in der aktuellen Situation Gefahr bedeutet, und schließlich muss sie reagieren, indem sie Abwehrstoffe produziert. Sie muss aktiv werden. Das geht weit über die reflexartige Signalübermittlung hinaus. Weiters hat mir der Jenaer Forscher Wilhelm Boland erzählt, dass Methyljasmonat in verschiedenen Umgebungen ganz verschiedene Wirkungen und Bedeutungen haben kann - auch bei ein und derselben Pflanze.

KOSPACH: Das gegnerische Hauptargument bliebe aber sicher trotzdem: Meinetwegen sehr hoch entwickelte Reflexe, aber diese spielen sich unterhalb des Bewusstseins ab.

KOECHLIN: Ich behaupte nicht, dass Pflanzen ein Bewusstsein haben. Das wissen wir nicht. Es gibt wohl auch unterschiedliche Stufen von Lern-, Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit. Wie viel davon bei Pflanzen vorhanden ist, bleibt ein Rätsel. Was heißt überhaupt Bewusstsein? Inzwischen bestreitet wohl niemand mehr, dass auch Menschenaffen ein Bewusstsein haben. Die Grenzen werden auf allen Ebenen aufgeweicht.

KOSPACH: Auch die Grenzen zwischen Tier- und Pflanzenwelt sind fließend. Sie geben etwa das Beispiel einer Qualle, die kein Gehirn besitzt.

KOECHLIN: Landläufig heißt es: Tiere haben ein Gehirn und Pflanzen haben keines. Aber es existieren Übergangswesen, die irgendwo dazwischen liegen. Quallen haben eine Art Nervensystem, aber kein zentrales Gehirn. Sie haben also einen diffusen Kommandobereich. Es gibt eine Arbeitsgruppe in Bonn - um Frantisek Baluska und Dieter Volkmann -, die sagt: Vielleicht haben Pflanzen nervenähnliche Strukturen, wobei sie gar keine eigenen Nervenzellen brauchen, weil ihr Gewebe - anders als das von Menschen und Tieren - sehr geordnet ist, sprich die Tuben senkrecht oder waagrecht aufeinanderstehen und die Leitungen entlang dieser Tuben gehen können. Wir brauchen extra Nervenzellen, weil wir so ein Durcheinander an Zellen haben. Pflanzen, mutmaßen diese ForscherInnen, haben auch eine Art diffusen Kommandobereich, der Reize von außen wahrnimmt, darauf reagiert und sich immer wieder auf Neues einstellt - und der ist in den Wurzelspitzen.

KOSPACH: Was würde sich denn ändern, wenn man mit einem Mal sicher davon ausgehen müsste, dass Pflanzen ein - wenn auch anders beschaffenes, aber doch - Nervensystem haben?

KOECHLIN: Das Bild der Pflanze stellt sich dadurch vom Kopf auf die Füße. Es macht einen großen Unterschied, ob ich die Pflanze als lebenden Automaten betrachte, der nur reflexartig reagiert, oder als ein Wesen, das etwas Analoges zu Nervensystem und Gehirn besitzt und vielleicht sogar empfindungsfähig ist.

KOSPACH: Was glauben denn Sie?

KOECHLIN: Ich glaube, inzwischen ist es genauso spekulativ zu sagen, Pflanzen hätten kein Empfindungsvermögen, wie das Gegenteil. Es gibt so viele Indizien dafür, dass die Pflanze ein subjektives Individuum ist. Es gibt auch Beispiele von Pflanzen, die lernen. Man hat junge Pflanzen in leicht salzhaltiger Nährlösung aufgezogen. Später konnten sie in einer salzhaltigen Umgebung überleben, in der andere Pflanzen längst eingegangen wären. Das heißt: Die Erfahrung der jungen Pflanze hat sich von der Wurzel auf die ganze Pflanze übertragen. Die alte Pflanze hat sich quasi an ihre Jugend erinnert.

KOSPACH: Das funktioniert, wie Sie schreiben, auch über Generationen hinweg.

KOECHLIN: Das ist dann auf der Ebene der Genetik und ein ganz aufregendes Gebiet: die epigenetische Vererbung. Die Baseler Biomedizinerin Barbara Hohn konnte diesen Effekt, den man bei Tieren und Menschen kennt, das erste Mal auch bei Pflanzen nachweisen. Sie hat Ackerschmalwand-Pflanzen mit UV-Strahlen und der chemischen Substanz Flagellin, durch die ein Bakterienangriff simuliert werden kann, gestresst und dann beobachtet, dass es zu genetischen Veränderungen der Pflanze kam. Das ist an sich nicht aufregend. Das weiß man. Aber: Diese Stresserfahrung wurde bis in die fünfte Generation weitervererbt, obwohl die nächsten Generationen gar keinem Stress mehr ausgesetzt waren. So, als würden sich die Gene der fünften Generation an die Erfahrungen ihrer Urahnen erinnern!

KOSPACH: Was bedeutet all das für den Umgang mit Pflanzen?

KOECHLIN: Ich habe vor zwei Jahren mit kritischen Fachleuten aus verschiedenen Disziplinen ein Projekt begonnen, in dem wir die sogenannten "Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflanzen" erarbeitet haben. Wir haben darin auch Anspruchsrechte von Pflanzen formuliert. Ein Recht ist das Recht auf Fortpflanzung. Gegen dieses Recht verstößt zum Beispiel die Terminatortechnologie, durch die Pflanzen mit Gentechnik steril gemacht werden. Wir haben auch ein Recht auf Eigenständigkeit formuliert. Da müsste man sehr genau diskutieren, wie es mit der Hors-Sol-Tomate steht: Die wird bis zu acht Meter lang und erhält jeden Wasser- und jeden Düngertropfen per Computer zugeteilt. Sie hat nicht den geringsten Spielraum, irgendein eigenständiges Leben zu führen.

KOSPACH: Wo werden Pflanzenrechte noch verletzt?

KOECHLIN: Für uns wird bei der Patentierung von Pflanzen die Grenze ganz klar überschritten. Niemand hat sie erfunden, und niemand kann sie nachbauen. Also lehne ich Patente auf Pflanzen ab, auch aus sozioökonomischen Gründen, aber vor allem auch um der Pflanze selbst willen.

KOSPACH: Wie steht es mit Beschneiden, Stutzen oder Pfropfen?

KOECHLIN: Das natürlich nicht. Es geht auch nicht darum, dass Pflanzen nicht gegessen oder anderweitig verwendet werden dürfen. Das war ja bei Tieren auch nie der Fall, dass man sie aus dem Ernährungskreislauf herausnimmt.

KOSPACH: Worauf zielt es dann ab?

KOECHLIN: Auch bei Pflanzen soll es Grenzen gegenüber einer totalen Instrumentalisierung geben. Doch es ist schwierig, diese Grenzen zu finden. Denn die Pflanzen lassen alles mit sich machen und sie schreien nicht, wenn wir zu weit gehen. Sie geben uns keine Zeichen, wo die Grenzen überschritten sind. Die müssen wir selber finden.

KOSPACH: Der Schweizer Zugang zum Thema scheint da besonders progressiv zu sein. 2004 hat der Schweizer Bundesrat die "Eidgenössische Ethikkommission für Biotechnologie im Ausserhumanbereich", deren Mitglied Sie sind, beauftragt zu erkunden, was die Würde der Kreatur auf Pflanzen bezogen bedeutet.

KOECHLIN: Wir haben ein Grundlagenpapier erarbeitet, das im Frühling 2008 der Presse vorgestellt wurde.

KOSPACH: Sind Sie sehr verspottet worden - so à la: Hat ein Salatkopf wirklich Würde?

KOECHLIN: Jaja, natürlich. Das war abzusehen. Aber das war bei Tieren ja anfangs nicht anders. Wir hatten eine Pressekonferenz, über die breit berichtet wurde - zum Teil seriös, zum Teil nicht. Für mich war das wichtigste Bild der Kioskaushang einer der größten Schweizer Tageszeitungen. Da stand groß: "Pflanzen haben eine Würde." Das fand ich fantastisch. Das ist für die meisten ein derart ungewohnter Gedanke, dass es allein schon viel ist, wenn es einmal irgendwo steht und zur Diskussion kommt.

KOSPACH: Pflanzen reagieren auch auf Streicheleinheiten, schreiben Sie.

KOECHLIN: WissenschaftlerInnen haben schon vor 20 Jahren herausgefunden, dass durchs Streicheln die Stängel dicker werden. Das wurde immer als Esoterik belächelt. Dann fand die Molekularbiologie heraus, dass sich verschiedene Berührungsgene, die sogenannten "Touch Genes", anschalten, wenn Pflanzen gestreichelt werden, und eine ganze Kaskade von Wachstumsveränderungen einleiten. Plötzlich ist es nicht mehr esoterisch. So ist es mit vielen Dingen. Das Gleiche gilt fürs Hören.

KOSPACH: Soll man Pflanzen zum besseren Gedeihen also doch Bach oder Mozart vorspielen?

KOECHLIN: Hören bedeutet, dass Pflanzen die Druckwellen, die auf die höchst sensiblen Membranen ihrer Zellen treffen, wahrscheinlich wahrnehmen. Natürlich nehmen sie nicht Bach als Bach oder Mozart als Mozart wahr, aber es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass bestimmte Tonfrequenzen das Wachstum gefördert und andere es eher verlangsamt haben. So erklärt, ist das eigentlich eine ziemlich mechanische Sache. Aber da ist man noch sehr am Anfang. Derzeit finden wir mehr, als wir verstehen können.

KOSPACH: Sprechen Sie mit Ihren Pflanzen?

KOECHLIN: Ja, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass das nur Selbstgespräche sind.


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Zur Person

Die Schweizer Biologin und Chemikerin Florianne Koechlin, geboren 1948, wurde als Gentechnikkritikerin und Autorin verschiedener Bücher und Artikel bekannt. Sie ist Geschäftsführerin des Baseler Blauen-Instituts und beschäftigt sich seit Jahren mit Alternativen und Erweiterungen zum bestehenden, allzu einseitigen Wissenschaftsverständnis - besonders auch im Zusammenhang mit Pflanzen. Sie ist Stiftungsrätin der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und der Swissaid sowie Mitglied der "Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich - EKAH". 2005 erschien ihr Buch "Zellgeflüster".


Zum Buch

"PflanzenPalaver", Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt,
Lenos Verlag, 256 Seiten mit Farbfotos, EUR 20,50

Im allgemein verständlichen Ton journalistischer Reportage berichtet Koechlin von ihren Gesprächen mit ForscherInnen aus der Pflanzenneurophysiologie, Biosemiotik oder Molekularbiologie, die ihr über neu entdeckte Fähigkeiten von Pflanzen, deren erstaunliche Ähnlichkeit auf Zellebene mit Mensch und Tier, über die komplexen Kommunikationsstrategien von Pflanzen, ihren "diffusen Kommandobereich" in den Wurzelspitzen oder die Vererbung von Erfahrungen erzählen.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 2/2009, Seite 34-37
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009