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ZOOLOGIE/1115: Kein Himmelsblau für Mäuse (idw)


Eberhard Karls Universität Tübingen - 04.12.2013

Kein Himmelsblau für Mäuse

Wissenschaftler der Universität Tübingen untersuchen die ungleiche Verteilung von Fotorezeptoren in der Netzhaut von Mäusen



Guppys, Hyänen und Mäuse teilen eine bestimmte Spezialisierung der Netzhaut im Auge: Die Fotorezeptoren, die auf grünes und die, die auf blaues Licht spezialisiert sind, finden sich jeweils überwiegend in der oberen beziehungsweise der unteren Augenhälfte. Unter der Leitung von Professor Thomas Euler am Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen haben Wissenschaftler diese Spezialisierung an Mäusen untersucht. In ihrer gerade in der Fachzeitschrift Neuron erschienenen Studie widerlegen sie nun eine frühere Vermutung, nach der dies als Anpassung an die primären "Farben" von Himmel und Boden angenommen wurde. Vielmehr stellten sie fest, dass die ungleiche Verteilung der Fotorezeptoren in erster Linie eine viel grundlegendere Qualität des Sehens optimiert, nämlich die Erkennung von Hell-Dunkel-Kontrasten.

Die Linse des Auges stellt das eintreffende Bild auf den Kopf. Daher erschien es sinnvoll, dass die Blaurezeptoren in der unteren Augenhälfte der Maus das blaue Licht des Himmels detektieren, während das vom Boden reflektierte grünlichere Licht auf die Grünrezeptoren in der oberen Augenhälfte trifft. Die Wissenschaftler konnten in ihren Experimenten zeigen, dass diese farbliche Übereinstimmung in der Anordnung der Fotorezeptoren, die auch Zapfen genannt werden, den Tieren jedoch wider Erwarten keinen Vorteil bringt. "Die Grünzapfen 'sehen' das Licht des Himmels genauso wie die Blauzapfen", sagt Thomas Euler.

Als entscheidend erwies sich ein anderer Unterschied zwischen Himmel und Erde. Wie Fotografen wissen, gibt es zwischen den beiden Regionen erhebliche Unterschiede bei Helligkeit und Kontrast. Auf dem Boden ist die durchschnittliche Helligkeit im Vergleich zum Himmel eher niedrig. Das Licht wird von Strukturen wie Blättern und Erde reflektiert, sodass helle und dunkle Kontraste gleichermaßen vorkommen. Das Licht des Himmels trifft typischerweise direkt ins Auge, und Objekte erscheinen als dunkle Silhouetten gegen einen helleren Hintergrund. Es erscheint daher evolutionär sinnvoll, wenn die obere und untere Netzhauthälfte jeweils an die vorherrschenden Kontrastverhältnisse angepasst wären.

"Genau das ist der Fall: Grünzapfen in der Mäusenetzhaut reagieren gleichermaßen auf Licht- und Dunkelreize, während Blauzapfen erheblich stärker auf Dunkelreize antworten", so der Forscher. Die untere Hälfte der Mäusenetzhaut, auf die das Licht des Himmels fällt, ist also darauf hin optimiert, dunkle Objekte vor hellem Hintergrund zu "erkennen". Solche Objekte am Himmel können zum Beispiel Fressfeinde wie Raubvögel sein. Frühere Studien anderer Wissenschaftler hatten ergeben, dass Mäuse erstarren oder sehr schnell fliehen und sich verstecken, sobald etwas Dunkles über ihnen erscheint. Die Fluchtreaktion dauert weniger als 200 Millisekunden und erlaubt daher der Maus kein differenziertes Abwägen der Situation. Thomas Euler hält es daher für möglich, dass der auf starke, dunkle Kontraste spezialisierte Signalweg, der sozusagen an der ersten Synapse des Sehsystems bei den Zapfen beginnt, die notwendigen Informationen für dieses Verhalten liefern könnte.

Originalpublikation:
Tom Baden, Timm Schubert, Le Chang, Tao Wei, Mariana Zaichuk, Bernd Wissinger, Thomas Euler:
A Tale of Two Retinal Domains: Near-Optimal Sampling of Achromatic Contrasts in Natural Scenes through Asymmetric Photoreceptor Distribution.
Neuron (2013), http://dx.doi.org/10.1016/j.neuron.2013.09.030

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution81

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Eberhard Karls Universität Tübingen, Dr. Karl Guido Rijkhoek, 04.12.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2013