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FORSCHUNG/690: Neurowissenschaften - Die Kraft der Klänge (idw)


Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. - 26.03.2010

Die Kraft der Klänge


Obwohl Säuglinge den Inhalt des Gesagten noch nicht verstehen, spezialisiert sich ihr Gehirn bereits sehr früh auf die Verarbeitung der menschlichen Stimme und der in ihr ausgedrückten Emotionen. Die Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, des Centre for Brain and Cognitive Development am Birkbeck College London sowie des Berliner Neuroimaging Centre der Charité Universitätsmedizin sind jetzt Entwicklungsursprüngen der auf die Stimmenverarbeitung spezialisierten Regionen im auditiven Zentrum des Gehirns auf die Spur gegangen. (Neuron, 25. März 2010)

Unser Gehirn verarbeitet akustische Reize im Hörzentrum, welches sich auf der oberen Windung des Temporallappens befindet. Von Studien mit Erwachsenen weiß man, dass bestimmte Regionen sich auf die Verarbeitung von Stimmen spezialisieren und auch auf die emotionale Intonation der Stimme reagieren. Das bedeutet, dass je nach Unterton der Sprache eine spezifische Stimmverarbeitung stattfindet. Dieser fundamentale Mechanismus ist besonders wichtig für die soziale Kommunikation, denn die Stimme überträgt nicht nur reine Sprachinformation, sondern dient auch dazu, dem Empfänger etwas über den emotionalen Zustand des Sprechers zu vermitteln.

Bestimmte neuronale Mechanismen sind besonders auf die Verarbeitung von emotionalem Ausdruck abgestimmt. Signale, die für das Individuum eine Gefahr bedeuten, werden vorrangig verarbeitet - und das unabhängig davon, ob die Aufmerksamkeit des Individuums diesem Signal galt oder nicht. Zwar waren diese Mechanismen für das Erwachsenengehirn bereits gut beschrieben worden, doch fehlte es bisher an Informationen darüber, wann und wie sich dieser Bereich des Gehirns entwickelt. Diese Wissenslücke ist jetzt durch zwei neue Experimente geschlossen worden. Säuglinge im Alter von vier und sieben Monaten wurden auf ihre Reaktion gegenüber Stimmen einerseits und Musik, Alltags- Natur- und Tiergeräuschen andererseits untersucht. Außerdem testete man, wie die sieben Monate alten Kinder auf den emotionalen Ton der Stimme, also auf Stimmen mit fröhlichem, wütendem oder neutralem Unterton, reagierten.

Mit Hilfe von Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIRS) maßen die Forscher Veränderungen in der Sauerstoffkonzentration des Blutes und konnten so herausfinden, welche Gehirnregionen an der Stimmverarbeitung mitwirkten. Die Forscher um Tobias Grossmann fanden heraus, dass die Gehirne von vier Monate alten Kindern zwar bereits zwischen stimmlichen und nichtstimmlichen Signalen unterscheiden können, doch dass erst bei sieben Monate alten Kindern die Signalantwort der von Erwachsenen gleicht.

Im zweiten Experiment zeigte sich, dass bereits sieben Monate alte Säuglinge bei fröhlichem oder wütendem Unterton eine stärkere Signalantwort in einer Region zeigen, die sich auf die Stimmverarbeitung spezialisiert hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die bevorzugte Verarbeitung von emotional geladener Sprache ein fundamentaler, sich frühzeitig in der rechten Gehirnhälfte entwickelnder Mechanismus ist. Außerdem fanden die Forscher heraus, dass Worte mit wütender Prosodie zu einer besonders ausgeprägten Reizverarbeitung im temporalen Kortex führten, während Worte mit einem fröhlichem Unterton genauer im frontalen Kortex analysiert wurden.

In vorangegangen Studien wurde eine gestörte Stimmenverarbeitung bei Erwachsenen mit Autismus nachgewiesen. Die neuen Befunde mit Säuglingen zeigen, dass sich die dafür verantwortlichen Zentren im Gehirn schon sehr zeitig spezialisieren, was darauf hindeutet, dass die beim Autismus gestörten Entwicklungsprozesse wahrscheinlich sehr früh identifiziert werden könnten.

Originalveröffentlichung:
T. Grossmann, R. Oberecker, S. P. Koch, A. D. Friederici The developmental origins of voice processing in the human brain Neuron, 25. März 2010

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image112553
Bereiche des Gehirns, die durch Prosodie beeinflusst werden. Die Diagramme zeigen die Konzentrationsunterschiede von oxygeniertem Hämoglobin (+/- Standardfehler) bei fröhlichem, wütendem oder neutralem Unterton für 24 NIRS-Kanäle. Auf dem Kopfmodel ist in pink der Kanal hervorgehoben, welcher besonders sensibel auf wütenden Unterton reagierte, während der Kanal, der auf fröhlichen Unterton hin gesteigerte Aktivität zeigte, in blau dargestellt ist.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution207


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.,
Dr. Harald Rösch, 26.03.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2010