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FORSCHUNG/1062: Auf dem Teller unserer Vorfahren - Mammut und viel Rohkost (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 28.07.2017

Auf dem Teller: Mammut und viel Rohkost


Tübingen, den 28.07.2017. Senckenberg-Wissenschaftler haben die Ernährung des anatomisch modernen Menschen untersucht. Sie konnten in ihrer heute im Fachjournal "Scientific Reports" erschienenen Studie widerlegen, dass sich der frühe Homo sapiens-Vertreter flexibler ernährte, als die Neandertaler. Auf den Tellern unserer Vorfahren landeten, wie bei den Neandertalern, überwiegend Mammutfleisch und Pflanzen - eine Ernährung mit Fisch konnte nicht nachgewiesen werden. Das internationale Team vermutet daher, dass die Verdrängung der Neandertaler durch eine direkte Konkurrenzsituation erfolgte.


Bild: © S. Prat

Hinterkopf-Knochen eines anatomisch modernen Menschen der Fundstelle Buran-Kaya III.
Bild: © S. Prat

Die ersten Vertreter von Homo sapiens besiedelten vor etwa 43.000 Jahren Europa und ersetzten dort nach etwa 3000 Jahren die Neandertaler. "Viele Studien beschäftigen sich mit der Frage wie es zu dieser Verdrängung kam - eine Hypothese besagt, dass die anatomisch modernen Menschen vielfältiger und flexibler gegessen haben und auch häufig Fisch zu sich nahmen", erklärt Prof. Dr. Hervé Bocherens vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen

Dieser Hypothese ist der Tübinger Biogeologe gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Dorothée Drucker nun auf den Grund gegangen: Mit einem internationalen Team untersuchten sie die Ernährungsgewohnheiten des frühen modernen Menschen anhand deren ältesten bekannten Fossilienfunde in den Buran-Kaya-Höhlen auf der ukrainischen Halbinsel Krim. "Dabei haben wir die Frühmenschen-Funde im Kontext mit der dort lebenden Fauna betrachtet", erläutert Drucker und fährt fort: "Bisher stammen alle Analysen bezüglich der Ernährung der frühen modernen Menschen von isolierten Funden und sind daher schwer zu interpretieren."

Um die Speisekarte unserer frühen Vorfahren - trotz fehlender fossiler Überlieferung der Nahrung - nachzuvollziehen, hat das Team rund um die Tübinger Wissenschaftler den Gehalt stabiler Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotope in den Knochen der frühen Menschen und der dort lebenden potentiellen Beutetiere, wie Saigas, Pferde oder Hirsche gemessen. Darüber hinaus wurde auch der Stickstoff-15-Gehalt einzelner Aminosäuren analysiert, so dass nicht nur Aussagen über die Herkunft, sondern auch den Anteil des Stickstoffes getroffen werden konnten. "Unsere Ergebnisse zeigen für die anatomisch modernen Menschen einen sehr hohen Anteil des Stickstoffisotops 15N", ergänzt Bocherens und fährt fort: "Diese stammen aber nicht - wie bisher vermutet - von der Aufnahme von Fischprodukten, sondern überwiegend von Mammuts."

Und noch ein Resultat überraschte die Wissenschaftler: Der Anteil von pflanzlicher Nahrung bei den anatomisch modernen Menschen war deutlich höher als bei vergleichbaren Neandertaler-Funden - Mammuts schienen dagegen bei beiden Arten eine der wichtigsten Fleischquellen gewesen zu sein.

"Neandertaler und die frühen modernen Menschen standen laut unseren Ergebnissen also auch bezüglich ihrer Nahrung in direkter Konkurrenz - der Neandertaler hat bei diesen Wettkampf wohl den Kürzeren gezogen", resümiert Drucker.


Bild: © L. Crépin

Ornamente aus Mammut-Elfenbein von der untersuchten Fundstelle
Bild: © L. Crépin


Publikation
Dorothée G. Drucker, Yuichi I. Naito, Stéphane Péan, Sandrine Prat, Laurent Crépin, Yoshito Chikaraishi, Naohiko Ohkouchi, Simon Puaud, Martina Lázničková-Galetová, Marylène Patou-Mathis, Aleksandr Yanevich, Hervé Bocherens (2017):
"Isotopic analyses suggest mammoth and plant in the diet of the oldest anatomically modern humans from far southeast Europe"
Scientific Reports
www.nature.com/articles/s41598-017-07065-3
DOI 10.1038/s41598-017-07065-3


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Judith Jördens, 28.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2017

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