Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE


STERN/360: Der Orionnebel - drei Generationen von Sternen unter einem Dach (idw)


Max-Planck-Institut für Astronomie - ESO Science Outreach Network - 27.07.2017

Der Orionnebel - drei Generationen von Sternen unter einem Dach


Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching) - Im Orionnebel-Haufen haben Astronomen drei unterschiedliche Populationen sehr junger Sterne entdeckt. Diese überraschende Entdeckung, die mit dem VLT Survey Telescope der ESO gelang, bietet wertvolle neue Einblicke in die Entstehung von Sternhaufen. Sie ist ein Hinweis darauf, dass Sternentstehung in Schüben verlaufen könnte und jeder Schub deutlich schneller vonstatten geht als bisher gedacht.


Bild: © ESO/G. Beccari

Der Orionnebel und seine Haufen, aufgenommen mit dem VLT Survey Telescope.
Bild: © ESO/G. Beccari

Der OmegaCAM - der optischen Weitwinkelkamera am VLT Survey Telescope (VST) der ESO - ist eine eindrucksvolle und detailreiche Aufnahme gelungen, auf der der Orionnebel und seine dazugehörigen Haufen aus jungen Sternen zu sehen sind. Mit einer Entfernung von 1350 Lichtjahren ist das Objekt eine der uns nächstgelegenen Geburtsstätten für Sterne mit niedriger wie auch großer Masse [1].

Bei der Aufnahme handelt es sich aber um mehr als nur ein hübsches Bild. Ein Team unter der Leitung des ESO-Astronomen Giacomo Beccari hat mit diesen qualitativ einmaligen Daten Helligkeit und Farben aller Sterne im Orionnebel-Haufen präzise bestimmt. Mithilfe dieser Messungen konnten die Forscher die Massen und das Alter der Sterne ermitteln. Zu ihrer Überraschung fanden sie in den Daten drei verschiedene Sequenzen, die möglicherweise auf ein unterschiedliches Alter der Sterne hinweisen.

"Als wir uns die Daten zum ersten Mal angesehen haben, war das einer dieser Wow!-Momente, wie man sie als Astronom vielleicht ein- oder zweimal im Leben hat", erzählt Beccari, der Erstautor des Fachartikels, in dem die Ergebnisse veröffentlicht wurden. "Dank der unglaublichen Qualität der OmegaCAM-Aufnahmen besteht kein Zweifel, dass wir es in den zentralen Bereichen von Orion mit drei unterschiedlichen Sternpopulationen zu tun haben."

Koautorin Monika Petr-Gotzens, die ebenfalls am ESO-Hauptsitz in Garching arbeitet, ergänzt: "Diese Erkenntnis ist für uns sehr wichtig, da es bedeutet, dass nicht alle Sterne eines Haufens wirklich zur selben Zeit entstanden sind. Damit würde sich unser Verständnis davon, wie sich Sterne in Haufen bilden, grundlegend ändern."

Die Astronomen untersuchten auch die Möglichkeit, dass die verschiedenen Helligkeiten und Farben nicht auf ein unterschiedliches Alter sondern auf versteckte Begleitsterne zurückzuführen sind, die die Sterne heller und rötlicher erscheinen lassen könnten, als sie es in Wahrheit sind. Diese Idee würde jedoch sehr ungewöhnliche Eigenschaften der Doppelsterne voraussetzen, die so noch nie zuvor beobachtet wurden. Andere Beobachtungsergebnisse, wie die Messung der Rotationsgeschwindigkeit der Sterne und die Analyse ihrer Spektren, weisen ebenfalls auf ein unterschiedliches Alter hin [2].

"Auch wenn wir die Möglichkeit, dass es sich um Doppelsterne handelt, noch nicht offiziell widerlegen können, erscheint es plausibler, dass wir es mit drei Generationen an Sternen zu tun haben, die nacheinander im Laufe von weniger als drei Millionen Jahren entstanden sind", folgert Beccari.

Die neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Sternentstehung im Orionnebel in Schüben und deutlich schneller als bisher gedacht stattfindet.


Endnoten

[1] Der Orionnebel wurde bereits mehrfach von ESO-Teleskopen untersucht, einschließlich Aufnahmen im sichtbaren Licht vom MPG/ESO-2,2-Meter-Teleskop und Infrarotaufnahmen von VISTA sowie des HAWK-I-Instruments am Very Large Telescope.

[2] Die Gruppe fand auch heraus, dass jede der drei verschiedenen Generationen eine andere Rotationsgeschwindigkeit aufweist - die jüngsten Sterne rotieren am schnellsten und die ältesten Sterne am langsamsten. In diesem Szenario hätten sich die Sterne in kurzer Abfolge innerhalb eines Zeitfensters von drei Millionen Jahren gebildet.


Zusatzinformationen

Die hier präsentierten Forschungsergebnisse von G. Beccari et al. erscheinen demnächst unter dem Titel "A Tale of Three Cities: OmegaCAM discovers multiple sequences in the color- magnitude diagram of the Orion Nebula Cluster" in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics.

Die beteiligten Wissenschaftler sind G. Beccari, M.G. Petr-Gotzens und H.M.J. Boffin (ESO, Garching bei München), M. Romaniello (ESO; Exzellenzcluster Universe, Garching bei München), D. Fedele (INAF-Osservatorio Astrofisico di Arcetri, Florenz, Italien), G. Carraro (Dipartimento di Fisica e Astronomia Galileo Galilei, Padua, Italien), G. De Marchi (Science Support Office, European Space Research and Technology Centre (ESA/ESTEC), Niederlande), W.J. de Wit (ESO, Santiago, Chile), J.E. Drew (School of Physics, University of Hertfordshire, Großbritannien), V.M. Kalari (Departamento de Astronomía, Universidad de Chile, Santiago, Chile), C.F. Manara (ESA/ESTEC), E.L. Martin (Centro de Astrobiologia (CSIC-INTA), Madrid, Spanien), S. Mieske (ESO, Chile), N. Panagia (Space Telescope Science Institute, USA), L. Testi (ESO, Garching), J.S. Vink (Armagh Observatory, Großbritannien), J.R. Walsh (ESO, Garching) und N.J. Wright (School of Physics, University of Hertfordshire; Astrophysics Group, Keele University, Großbritannien).

Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch 16 Länder: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist außerdem einer der Hauptpartner bei zwei Projekten auf Chajnantor, APEX und ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das Extremely Large Telescope (E-ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.


Weitere Informationen unter:

https://www.eso.org/public/germany/news/eso1723/
- Webversion der Bildveröffentlichung mit weiteren Aufnahmen und Videos

https://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso1723/eso1723a.pdf
- Fachartikel

https://www.eso.org/public/germany/images/archive/search/?adv=&subject_name=VLT%20Survey%20Telescope
- Fotos vom VLT Survey Telescope

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie, Dr. Carolin Liefke -
ESO Science Outreach Network, 27.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang