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SONNE/092: Der Hexenkessel im Sonnenofen (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2008

Der Hexenkessel im Sonnenofen

Von Thorsten Dambeck


Plasmen sind im Planetensystem allgegenwärtig. Die Sonne selbst besteht ausschließlich aus Gas in diesem exotischen Aggregatzustand und auch seine Umgebung flutet unser Tagesgestirn beständig mit Strömen geladener Teilchen: dem Sonnenwind. Am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung studieren Physiker in der Abteilung von Sami K. Solanki, wie die komplizierte Plasmamaschine namens Sonne arbeitet.


Die Tage kurz vor Halloween waren die letzten für ADEOS II. Den nagelneuen japanischen Erdbeobachtungs-Satelliten traf ein Unheil, von dem er sich nicht mehr erholte: Seine Stromversorgung brach weitgehend zusammen und das 630-Millionen-Dollar-Projekt musste aufgegeben werden. Die Ursache des Desasters, so ergab eine Analyse, lag nicht in Japan oder sonst wo auf der Erde, sondern war wohl extraterrestrischer Natur: Garstiges Weltraumwetter im Herbst 2003 war ADEOS II zum Verhängnis geworden.

Nicht nur Raumfahrzeuge sind betroffen. Irdische Infrastruktur, von der Stromversorgung bis hin zum Flugverkehr, kann ebenfalls durch die Unbill aus dem All lahmgelegt werden. Rückversicherer beziffern die Gesamtschäden einzelner Weltraumstürme auf bis zu eine Milliarde US-Dollar.

Der "Halloween-Sturm" war der schwerste dieser Art in der vergangenen Dekade. Ausgangspunkt für solche Phänomene ist die Sonne, oder genauer: der Sonnenwind. Das ist ein kontinuierlicher Plasmastrom, der von unserem Tagesgestirn permanent ausgesandt wird und mit einer Geschwindigkeit zwischen 400 und 800 Kilometern pro Sekunde durch den Raum weht. Auf der Erde schützt uns normalerweise das Magnetfeld, der Sonnenwind frischt jedoch bisweilen auf. Diese böige Variante bläst mit Geschwindigkeiten, die mehrfach über denen des regulären Sonnenwinds liegen.

Erreicht ein solcher Sturm die Erde, so fluten elektrisch geladene Teilchenschauer die Ionosphäre. Diese Atmosphärenschicht beginnt rund 80 Kilometer über der Oberfläche und erstreckt sich bis in einige hundert Kilometer Höhe. Dort gibt es immer Ionen und freie Elektronen. Der überfallartige Eintrag von Elektrizität bei einem Sonnensturm wirkt durch Induktionsvorgänge bis zum Erdboden: Hochspannungsnetze brechen zusammen wie Kartenhäuser - so geschehen in Kanada im Jahr 1989.


"Ungewitter" lassen Polarlichter leuchten

Erst das technische Zeitalter lässt die Kapriolen des Weltraumwetters offensichtlich werden, doch Vermutungen über die Existenz solarer Teilchenströmungen reichen zurück bis ins 19. Jahrhundert. So etwa 1859: Britische Astronomen werden mit ihren Teleskopen Zeugen ungewöhnlicher Leuchterscheinungen auf der Sonne. Die hellen Lichtblitze, die im Abstand einiger Minuten aufzucken, kommen aus der Nähe einer großen Sonnenfleckenzone. Rund 18 Stunden später verzeichnen Chronisten auf der Erde ein "magnetisches Ungewitter". Telegrafenverbindungen werden gestört und verbreitet Polarlichter gesichtet - so hell, dass nachts noch Gedrucktes zu entziffern ist, notierte die New York Times. Obwohl damals Forscher vereinzelt Verbindungen zu den Vorgängen auf der Sonne ziehen, bleibt der Zusammenhang unbewiesen.

Knapp hundert Jahre später dann gibt es neue Indizien aus der Beobachtung von Kometen: Ihre Schweife zeigen immer von der Sonne weg. Der Physiker Ludwig Biermann (1907 bis 1986), langjähriger Direktor am Garchinger Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik, postuliert die Existenz einer solaren Teilchenstrahlung, welche die Kometenpartikel forttrage. Ende der 1950er-Jahre ist auch der US-Astrophysiker Eugene Parker überzeugt, dass von der Atmosphäre der Sonne ein geladener solar wind ausgeht, und prägt damit den heute gebräuchlichen Begriff. Vom Erdboden unmessbar, blieb der direkte Nachweis den ersten Raumsonden vorbehalten: Zuerst erfolgreich war 1958 das sowjetische Vehikel Lunik 1, drei Jahre später erfolgte die Bestätigung durch die NASA-Sonde Mariner 2.

Heute wissen wir, dass der Sonnenwind ein sehr dünnes Plasma ist und hauptsächlich aus den Bestandteilen des Wasserstoffs besteht: Protonen und Elektronen. Hinzu kommen zwei bis vier Prozent zweifach positiv geladenes Helium (Alphateilchen) und geringere Mengen von Ionen schwerer Elemente, etwa Eisen. Sonnenphysiker, die Daten der deutsch-amerikanischen Weltraumsonden Helios 1 und 2 auswerteten, erkannten erstmals zwei Grundtypen: den langsamen Sonnenwind, er strömt mit rund 400 Kilometern pro Sekunde, und den schnellen Sonnenwind, der typischerweise 800 Kilometer pro Sekunde zurücklegt. Nach irdischen Maßstäben sind beide Varianten rasend schnell: Sie erreichen das zehntausendfache Tempo hiesiger Orkane.

Auch wenn es paradox klingt: Die Quelle des Sonnenwinds ist bei einer totalen Sonnenfinsternis zu sehen. "Wer je die Gelegenheit hat, ein solches Naturschauspiel zu beobachten, sollte sie nutzen", sagt Eckart Marsch vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS). Noch heute schwärmt der Plasmaphysiker von einer MPS-Sonnenphysikschule im Jahr 2006 in der Türkei. Der Tagungsort war gut gewählt: Damals war bei wolkenlosem Himmel minutenlang das schwache Leuchten der äußeren Sonnenatmosphäre, der sogenannten Korona, zu beobachten. Für den Sonnenwind-Experten ein besonderes Ereignis: Erstmals konnte er selbst mit bloßem Auge den Ausgangspunkt seines Forschungsobjekts in Augenschein nehmen. Denn der Sonnenwind stammt aus der Korona, die sich mehrere Sonnenradien ins Weltall erstreckt.

Welche Mechanismen dort den Sonnenwind erzeugen, ist auch nach fast fünf Jahrzehnten Forschung mit Raumsonden immer noch nicht vollständig klar. "Im weitesten Sinne ist der Sonnenwind eine Folge der magnetischen Aktivität der Sonne. Wenn diese ruhig wäre, gäbe es wahrscheinlich keinen Sonnenwind", sagt Eckart Marsch. Das solare Magnetfeld fungiert also quasi als Windmaschine. Wichtige Grundfragen sind jedoch bislang unbeantwortet: Was genau schiebt den Sonnenwind an? Woher nimmt er also seine Energie, um das gewaltige Anziehungsfeld des Sterns zu überwinden und so schnell zu strömen, dass er die große Entfernung zur Erde in nur wenigen Tagen durchmessen kann?


Ein langsamer Wind aus hellen Regionen

Immerhin kennen die Wissenschaftler einige Quellregionen des mysteriösen Winds. "Da sind beispielsweise die sogenannten großen koronalen Löcher, sie spielen für den schnellen Wind eine wichtige Rolle", erklärt Eckart Marsch. In ultravioletten (UV) Aufnahmen von Weltraumsonden erscheinen diese Gebiete dunkel, da sich dort kaum Plasma halten kann. Das Magnetfeld ist offen, das heißt, die Feldlinien reichen weit ins Weltall. Aus den koronalen Löchern expandiert das Plasma folglich ungehindert in den Weltraum - als Sonnenwind.

Typischerweise zeigen die UV-Bilder der Sonne auch sehr helle Regionen - von dort weht uns ebenfalls Sonnenwind entgegen. "Im Magnetfeld entsprechen diese hellen Gebiete geschlossenen Bereichen, sie schließen dichtes Plasma ein", sagt Max-Planck-Forscher Marsch. Wahrscheinlich kommt aus diesen hellen Gebieten der langsame Sonnenwind. Nach dem genauen Mechanismus, wie sich der langsame Wind der magnetischen Umklammerung entwindet, suchen Marsch und seine Kollegen noch.

Bekanntlich ist unsere Sonne ein dynamischer Stern, ihre Aktivität folgt etwa einem Elfjahreszyklus. Als auffälligstes Zeichen ändert sich die Zahl der Sonnenflecken mit dieser Periode. Momentan ist die Aktivität gering - die Sonne befindet sich im Minimum. Im Maximum zeigt sie nicht nur deutlich mehr und größere Flecken, die Korona selbst und damit die Quellorte des solaren Winds werden ebenfalls von dem Zyklus beeinflusst (siehe Kasten "Rhythmische Aktivität" unten).


Plasmadichte mit großer Spannweite

In Erdnähe macht der Sonnenwind lediglich einige bis einige zehn Teilchen pro Kubikzentimeter aus - ein sehr dünnes Plasma. Das meiste Plasma auf der Sonne dagegen ist wesentlich dichter. "Die Weltraumplasmen, die an unserem Institut erforscht werden, decken eine gewaltige Spannweite ab", sagt Sami Solanki, der die Abteilung für Sonnenphysik leitet. "Vom Sonnenkern bis in die äußeren Bereiche der Heliosphäre, die heute als die eigentliche Grenze des Sonnensystems gilt, variiert die Plasmadichte um 30 Größenordnungen." Über diesen gesamten Bereich gebe es am Katlenburger Institut Experten, denn es sei gelungen, hier Vertreter der verschiedenen Communities unter einem Dach zu versammeln: Die besten Voraussetzungen, um die Forscher, die sich oft sehr unterschiedlicher wissenschaftlicher Methoden bedienen, leichter in Kontakt zu bringen. Solanki: "Das ist weltweit eine einzigartige Situation - zum Nutzen der Sonnenforschung."

Die Wechselwirkung von Plasma und Magnetfeldern und daraus resultierende Phänomene spielen im Universum eine große Rolle: auf anderen Sternen, in den Kernen aktiver Galaxien oder in Gas- und Plasmascheiben, die um massive Objekte kreisen (sogenannte Akkretionsscheiben). Bei keinem dieser Objekte habe man die Möglichkeit, Plasmaphysik auch nur annähernd so detailliert und mit so hoher Auflösung zu studieren wie auf der Sonne, in ihrer Korona und in der Heliosphäre. "So gesehen sind wir auch physikalische Wegbereiter für die restliche Astrophysik", sagt Sami Solanki.

Manfred Schüssler leitet am Institut die solare MHD-Gruppe. Das Akronym steht für Magnetohydrodynamik, das ist eine Theorie, mit der Physiker elektrisch geladene Fluide berechnen. "Ein typischer Anwendungsfall für die MHD ist etwa ein flüssiges Metall. Näherungsweise kann man auch das Sonnenplasma als ein solches Fluid betrachten", erklärt der Astrophysiker. Sein Metier sind Modellrechnungen: Bestimmte Phänomene der Sonnenphysik werden dabei mit numerischen Simulationen im Computer nachgebildet. Schüssler schmunzelt, als er einräumt, dass die Sonnenflecken immer noch unverstanden sind - und das fast 400 Jahre, nachdem Galileo Galilei erstmals mit seinem Fernrohr diese "Verschmutzungen" auf der Sonnenoberfläche entdeckt hatte. "In unseren Simulationen können wir die Bildung der Flecken noch nicht nachvollziehen."

Ein wichtiges Arbeitsfeld der MHD-Gruppe ist die sogenannte Konvektionszone. Sie liegt direkt unter der sichtbaren Oberfläche der Sonne und erstreckt sich über etwa 30 Prozent des Sonnenradius nach innen: eine Art Paternoster für Sonnenplasma. Heißes Plasma steigt dort beständig nach oben auf, es braucht typischerweise einige Monate vom Boden dieser Region bis zur Oberfläche. Nur ein kleiner Bruchteil davon schafft es tatsächlich bis dorthin, der Löwenanteil schlägt unterwegs wieder den Rückweg ein. "In dieser Zone entsteht das großräumige Magnetfeld der Sonne", erklärt Schüssler. Denn die drei Hauptzutaten, um einen magnetischen Dynamo in Gang zu setzten, treffen in der Konvektionszone zusammen: Elektrische Ladungen - sie sind im Sonnenplasma allgegenwärtig; Strömungen - für sie sorgt besagte Konvektion; eine zusätzliche Rotationsbewegung - sie steuert die Sonne mit ihrer Eigendrehung bei.


Ein Gasteppich auf der Oberfläche

Das Plasma in dieser Zone ist alles andere als uniform. Tief unten etwa ist es dicht, auf dem Weg nach oben dünnt es aus. Schüssler: "Die Dichte variiert im Bereich der Konvektionszone etwa um den Faktor eine Million." Der Hauptteil dieser Änderung passiere sehr nah unter der Sonnenoberfläche. Ähnliches gilt für die durchschnittliche Temperatur. Die größte Hitze herrscht tief unten, nahe der Heizquelle - dem von Fusionsprozessen erhitzten Sonnenkern. Am Boden der Konvektionszone ist das Plasma zwei Millionen Grad heiß, an ihrem oberen Ende, der Oberfläche, herrschen lediglich 6000 Grad. Eine wichtige Ausnahme sind die Flecken, in denen die Konvektion magnetisch unterdrückt wird. Die Folge: kühle 4000 Grad Plasmatemperatur.

Die Sonnenflecken stehen zwar immer noch auf der To-do-Liste der numerischen Modellierer am Lindauer Institut, für die Granulation der Sonne liegen jedoch bereits realistische Simulationen vor (siehe Kasten "Dynamo auf der Oberfläche", unten). Als Granulation bezeichnen Astronomen die Körnung der Sonnenoberfläche, die aus bis zu 1000 Kilometer großen, heißen und damit hellen Plasmablasen besteht, den sogenannten Granulen. Sie bilden eine Art sich ständig verändernden Teppich aus Plasma, denn Granulen existieren nur einige Minuten lang. Dann teilen sie sich oder werden von größeren Nachbarexemplaren zerquetscht. "An der Sonnenoberfläche erfährt das Plasma den Kontakt mit dem kalten Weltraum und kühlt sich stark ab", erklärt Manfred Schüssler. "Der dunkle Rand der Granulen wird durch kälteres und somit dunkleres Plasma gebildet, das dort nach unten abströmt."

Die Strömungen in der Konvektionszone sind alles andere als gemächlich, "das passiert mit Geschwindigkeiten zwischen hundert Metern bis zu zehn Kilometern pro Sekunde. An der Oberfläche werden stellenweise sogar Überschallgeschwindigkeiten erreicht. Außerdem ist das Ganze wahrscheinlich sehr turbulent", meint Schüssler. Kurz gesagt: ein Hexenkessel. Irgendwie gelingt es der vergleichsweise kühlen Sonnenoberfläche dabei, die darüber gelegene Korona enorm aufzuheizen. Mit einigen Millionen Grad Celsius ist die Sonnenatmosphäre viel heißer als die Oberfläche. Ein verwirrender Befund.

Gesucht wird deshalb eine Koronaheizung. Klar scheint laut Schüssler, dass - vermittelt durch das Magnetfeld - ein Teil der Bewegungsenergie der Konvektionsströmungen in die Korona gepumpt wird. Wie das genau geschieht, darüber rätseln die Wissenschaftler noch. Wahrscheinlich ist die Heizung der Korona eng mit dem gesuchten Anschubmechanismus des Sonnenwinds verknüpft. Eckart Marsch glaubt, dass die Erforschung des kleinskaligen Magnetismus auf der Sonnenoberfläche die Antworten geben wird, denn der steuere den Energie- und Masseneintrag für den Sonnenwind. Die Strukturen, um die es dabei geht, lassen sich mit den derzeitigen Teleskopen aber nicht darstellen. "Ein Gebiet von der Größe der Bundesrepublik hat auf der Sonnenoberfläche bei den momentanen Möglichkeiten - etwa den Bildern der Sonde SOHO - die Ausdehnung nur eines einzigen Pixels", sagt Marsch.

Um die brennenden Fragen der Sonnenforschung zu beantworten, brauchen die Plasmaphysiker einen schärferen Blick auf das Objekt ihrer Begierde. Künftige Projekte, wie das Ballon-Teleskop Sunrise, werden deshalb maßgeblich vom Max-Planck-Institut vorangetrieben, und der Solar Orbiter der europäischen Raumfahrtagentur ESA wird im Jahr 2015 mit Katlenburger Kameras und Messgeräten für das Sonnenmagnetfeld zum Heimatstern aufbrechen. Eckart Marsch ist optimistisch: "Dann werden wir auf der Sonne die Gebiete von der Größe eines Landkreises sehen."


Kästen

Rhythmische Aktivität

Warum die Aktivität der Sonne gerade alle elf Jahre und nicht mit einer anderen Periode wechselt, ist den Sonnenphysikern noch unklar. Die Auswirkungen dieser Schwankung auf den Sonnenwind und die Korona sind aber mittlerweile recht gut erforscht. Typisch für das Aktivitätsminimum ist der schnelle Sonnenwind, der hauptsächlich aus den Polkappen jenseits des 60. nördlichen und südlichen solaren Breitengrads stammt.

In dieser Zyklusphase ist die Situation relativ übersichtlich: Das Sonnenmagnetfeld gleicht größtenteils einem einfachen Dipol, also einem Stabmagneten, und die Korona ist sehr symmetrisch. Genauere Analysen zeigen, dass die großen Koronalöcher der Polkappen kleinere offene Feldstrukturen enthalten, die magnetischen Trichtern ähneln. Dort, rund 5000 bis 20.000 Kilometer über der Sonnenoberfläche, beginnt das Plasma seinen Weg ins All.

Im Zyklusmaximum geht die einfache Symmetrie des Magnetfelds verloren, seine Geometrie ist deutlich komplexer: Viele geschlossene Magnetfeldschleifen tragen nun zu dem sogenannten Multipolfeld bei. Auch deshalb gibt der langsame Sonnenwind noch Rätsel auf. Beispielhaft konnte immerhin gezeigt werden, dass er mit aktiven Gebieten zusammenhängt, also hellen Koronastellen (im extremen UV- oder Röntgenlicht), die oberhalb der Sonnenflecken auftreten können. In unmittelbarer Nähe der aktiven Gebiete zeigen sich kleine dunkle Stellen, die mit starken Aufwärtsströmungen des Sonnenplasmas einhergehen: magnetisch offene Bereiche, wie Eckart Marsch mit deutschen und chinesischen Kollegen herausfand.

Analog zu den großen Koronalöchern gibt es also auch kleine Löcher in der Korona, von denen in den aktiven Phasen des Sonnenzyklus langsamer Wind ausgeht. Wie viele dieser Gebiete tragen im Maximum zum langsamen Sonnenwind bei? Öffnen sich die sonst geschlossenen Magnetfeldschleifen kurzzeitig, um ebenfalls Sonnenwind zu entlassen? So lauten einige der Fragen, denen die Forscher derzeit nachgehen.

Bildunterschrift: Die Zahl der Sonnenflecken schwankt in einem etwa elfjährigen Zyklus.


Dynamo auf der Oberfläche

Das Magnetfeld der Sonne ist viel komplexer als jenes unserer Erde. Lediglich ein Anteil, ihr globales Dipolfeld, ähnelt prinzipiell dem irdischen Feld. Doch gibt es andere Anteile, die völlig anders funktionieren. Einem lokalen Beitrag zum Sonnenmagnetfeld sind Alexander Vögler (früher Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, nun Utrecht University) und Manfred Schüssler vom Lindauer Institut auf die Spur gekommen. Den beiden Forschern gelang es mit numerischen Modellrechnungen auf Basis der Magnetohydrodynamik, einen kleinen magnetischen Dynamo auf der Sonnenoberfläche im Computer nachzubilden.

Bisher konnte solch ein lokaler Dynamo nur unter stark idealisierten Bedingungen simuliert werden und die Frage nach der Aussagekraft für die realen Bedingungen auf der Sonne stand im Raum. Bei den neuen Rechnungen, die kürzlich publiziert wurden (Astronomy & Astrophysics, 465, (2007) L43-L46), modellierten die beiden Physiker die Granulation dagegen in einem realitätsnahen Modell - mit den wichtigsten physikalischen Bedingungen, wie sie in der Oberflächenschicht der Sonne anzutreffen sind. Am Ende der aufwendigen, monatelangen Rechnungen stand ein sich selbst erhaltender magnetischer Dynamoprozess. Insbesondere der Rand der Granulen ist danach für den Magnetismus wichtig: Dort, an der Grenzfläche zwischen auf- und abströmendem Plasma, sorgen Scherkräfte für chaotisches Strömungsverhalten in Form von Turbulenz. Eine wichtige Bedingung dafür, dass der Dynamo in Gang bleibt.

Sind die Ergebnisse ein Baustein zur Erklärung des gesuchten Prozesses zur Koronaheizung? "Wir können nun beweisen, dass auch die ruhige Sonne auf ihrer Oberfläche magnetischen Fluss erzeugt. Weitergehende Rechnungen sollen zeigen, wie sich damit Energie in die Korona transferieren lässt", sagt Manfred Schüssler.

Bildunterschrift:
Den Dynamo hinter der Granulation zeigt diese Computersimulation. Links die Granulen auf der sichtbaren Oberfläche, in der Mitte das kleinräumige magnetische Feld nahe der Oberfläche, rechts das Magnetfeld desselben Gebiets etwa 300 Kilometer höher. Das magnetische Muster entspricht sehr gut den Konvektionsströmen, deren Energie die Dynamoprozesse antreibt.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die brodelnde Sonne - hier im ultravioletten Licht - gibt nicht nur elektromagnetische Strahlung ab. Sie schleudert auch geladene Teilchen als Sonnenwind in den Raum.

Stets vom Tagesgestirn weggerichtet ist der Plasmaschweif eines Kometen, der einer Fahne im Sonnenwind gleicht. Das demonstriert eindrucksvoll diese Aufnahme des Kometen McNaught am 20. Januar 2007.

Das Magnetfeld der Sonnenkorona zeigt Schleifen und gerade Linien. Letztere entsprechen dem magnetischen Fluss, der vom Sonnenwind fortgetragen wird.

Ultraviolett-Bild der Sonne mit einem polaren Koronaloch, einer Quellregion des schnellen Sonnenwinds. Die Quellen haben die Forscher als magnetische Trichter (Mitte) im Koronaloch identifiziert. Das rechte Bild zeigt einen einzelnen dieser Trichter, der durch Feldextrapolation konstruiert wurde.

Bei einer totalen Sonnenfinsternis offenbart sich die Korona, die äußere Atmosphäre der Sonne und Quelle des Sonnenwinds.

850.000 Kubikmeter Helium tragen den Ballon mit dem Sunrise-Teleskop in 35 bis 40 Kilometer Höhe. Von dort soll das Instrument hoch-aufgelöste Bilder der Sonnenoberfläche liefern.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2008, Seite 28-33
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2009