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METEOR/038: Der Tscheljabinsk-Meteor - ein Blitz aus heiterem Himmel (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 4/13 - April 2013
Zeitschrift für Astronomie

Kurzberichte
Der Tscheljabinsk-Meteor - ein Blitz aus heiterem Himmel

Von Uwe Reichert



Erstmals seit Menschengedenken stürzte ein Asteroid über dicht bewohntem Gebiet ab. Es gab Verletzte und große Sachschäden. Dabei hätte der Absturz vom 15. Februar 2013 noch schlimmere Folgen haben können. Wir fassen einen Augenzeugenbericht und die bisherigen Erkenntnisse zusammen.


Es war ein frostiger Morgen in Tscheljabinsk, der Millionenstadt am Ostrand des Urals, der die Grenze zwischen Europa und Sibirien markiert. Am Vortag hatten die Temperaturen noch um den Gefrierpunkt gelegen. Doch über Nacht war das Quecksilber auf -17 Grad Celsius gefallen; es war wolkenlos und windstill. Viele Bäume hatten sich mit einer weißen Schicht aus Raureif überzogen.

Während die Menschen in der von Industrieanlagen geprägten Stadt an diesem Freitag, dem 15. Februar, ihren Arbeitstag begannen, beschloss der Fotograf Marat Achmetwalejew, noch in der Morgendämmerung in die Natur hinauszufahren, um den Zauber der malerischen Winterlandschaft mit seiner Kamera einzufangen. Gegen 9 Uhr Ortszeit - etwa 20 Minuten vor Sonnenaufgang - begann er im bläulichen Licht des anbrechenden Tages mit seinen Aufnahmen. Die Szenerie am teilweise zugefrorenen Flüsschen Miass strahlte eine märchenhafte Ruhe und Schönheit aus.

Achmetwalejew hatte gerade die Kamera auf seinem Stativ nach Osten ausgerichtet, als er aus den Augenwinkeln heraus am Himmel etwas aufleuchten sah. Instinktiv zog er die Kamera in diese Richtung und fotografierte weiter. Das rätselhafte Objekt zog eine Leuchtspur hinter sich her, und plötzlich blitzte es auf - heller als die Sonne. Unvermittelt war die Landschaft um den verblüfften Fotografen in gleißendes Licht getaucht. Seine Augen schmerzten, die Blendung war schier unerträglich. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte er Hitze in seinem Gesicht. Der erste Gedanke, der dem geschockten Achmetwalejew durch den Kopf schoss: eine Atombombe! Er spürte, wie sein Herz raste und seine Hände zu zittern begannen.

Nach ein paar Sekunden versuchte er, seine verwirrten Gedanken zu ordnen. Hatten die Medien nicht berichtet, dass heute ein Asteroid ganz nahe an der Erde vorbeifliegen würde? Könnte es der Absturz eines Flugzeuges gewesen sein, dessen Zeuge er gerade geworden war?

Dann, zwei Minuten nach dem gleißenden Lichtblitz, folgte ein heftiger Knall. Dieser Stoßwelle schloss sich weiteres Getöse an, als würden im nahe gelegenen Kiefernwald nacheinander Bomben detonieren. Aufgeschreckt durch den Donnerhall stoben Vögel auf und flogen in alle Richtungen davon.

Dort, wo die unheimliche Leuchterscheinung über den Himmel gezogen war, stand nun eine lange Rauch- und Staubfahne, die sich langsam verbreiterte. Nervös fingerte Achmetwalejew an den Einstellungen der Kamera herum, bis er auch dieses Szenario eingefangen hatte. Die Sonne stand inzwischen knapp über dem Horizont und beschien diese fremdartige Wolke, die dem ansonsten strahlend blauen Himmel ein unwirkliches Aussehen verlieh (siehe Bild S. 24 der Druckausgabe).

Noch war Achmetwalejew nicht bewusst, welch außergewöhnliches Naturereignis er eben verfolgt hatte. Wie er hatten Tausende Menschen in der Region Tscheljabinsk den Feuerball am Himmel entlang ziehen sehen. Zahlreiche Videokameras hatten das Ereignis aufgezeichnet - darunter viele, die hinter den Windschutzscheiben von Autos montiert waren. Die Angewohnheit vieler Autofahrer in Russland, so genannte Dashcams während der Fahrt mitlaufen zu lassen, um sich vor der Willkür der Verkehrspolizei zu schützen und um bei fingierten oder tatsächlichen Unfällen ihre Unschuld belegen zu können, sorgte für eine umfangreiche Dokumentation des Geschehens.

Wer den Feuerball selbst nicht gesehen hatte, wurde durch den anschließenden Knall aufgeschreckt. Die Stoßwelle ließ in mehreren Städten der Region Fensterscheiben platzen und Deckenverkleidungen herabfallen. Dabei wurden durch herumfliegende Glassplitter mehrere hundert Menschen verletzt.

Wenngleich in den ersten Minuten und Stunden die Verwirrung groß war, erkannten Experten recht schnell, dass ein Feuerball oder Bolide die Ursache dieser Zerstörung gewesen war. So nennt man einen Meteor, der außergewöhnlich hell ist - in diesem Falle sogar extrem hell. Infolgedessen muss der in die Atmosphäre eingedrungene Himmelskörper ungewöhnlich groß gewesen sein. Im Folgenden präsentieren wir die wichtigsten Erkenntnisse über dieses Naturereignis in Form von Fragen und Antworten:

Am 15. Februar leuchtete über der Region Tscheljabinsk ein heller Meteor auf. Was geschah genau?

Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie in der hellen Morgendämmerung ein Objekt aufleuchtet und aus östlicher Richtung kommend rasch über den Himmel zieht. Der Himmelskörper trat um 09:20 Uhr Ortszeit (04:20 Uhr MEZ) in die Erdatmosphäre ein und zerplatzte nach 32,5 Sekunden über der Region Tscheljabinsk. Mit knapp 20 Grad war der Eintrittswinkel sehr flach, deshalb die relativ lange Flugstrecke von einigen hundert Kilometern.

Wie groß war der Himmelskörper?

Experten schätzen den Durchmesser des Himmelskörpers auf 15 bis 17 Meter. Das entspricht einer Masse von 7000 bis 10.000 Tonnen. Das war also kein Staubkorn oder kieselsteingroßes Objekt mehr, von denen die normalen Sternschnuppen oder Feuerbälle erzeugt werden, sondern ein hausgroßer Asteroid.

Wie lässt sich die Größe ermitteln?

Es gibt ein globales Netz aus Infraschallstationen, das zu einem internationalen Überwachungssystem zum Aufspüren von Nuklearversuchen gehört. Infraschall ist Schall mit Frequenzen unterhalb von zehn Hertz, die das menschliche Ohr nicht wahrnehmen kann. Die Infraschallsensoren hingegen messen noch kleinste Druckunterschiede. Insgesamt 17 Stationen haben die Stoßwelle des detonierenden Meteors registriert. Das Signal ist das stärkste, welches das Überwachungssystem jemals aufgezeichnet hat. Aus dem Signal lässt sich auf die freigesetzte Energie und somit auf die Größe des Himmelskörpers schließen.

Welche Energie setzte der zerplatzende Asteroid frei?

Fast soviel Energie wie die Explosion von 500.000 Tonnen des Sprengstoffs TNT. Wir befinden uns hier in einem Energiebereich, wie er zur Charakterisierung von Kernwaffen verwendet wird: Die Bombe von Hiroshima zum Beispiel hatte ein Energieäquivalent von 13.000 Tonnen TNT.

Wie muss man sich die Energiefreisetzung vorstellen?

Der Asteroid ist mit 18 Kilometern pro Sekunde, also etwa 65.000 Kilometern pro Stunde, in die Atmosphäre eingetreten. Das ist ein Vielfaches der Schallgeschwindigkeit. Die Luftmoleküle, auf die der Asteroid trifft, können nicht ausweichen und werden stark komprimiert. Als Folge erhitzt sich die aufgestaute Luft, sie wird ionisiert. Das, was zur Seite ausweichen kann, erzeugt die Leuchtspur des Meteors. Das, was nicht ausweichen kann, überträgt enorme Mengen an thermischer und mechanischer Energie auf den Asteroiden. Dieser erhitzt sich von außen nach innen. Zum Teil verdampft sein Material. Irgendwann wird die Aufheizung und mechanische Spannung so groß, dass das Material seinen Zusammenhalt verliert - der Körper zerplatzt in dem Bruchteil einer Sekunde. Dieses Zerplatzen löst eine Stoßwelle aus. Im Falle von Tscheljabinsk passierte das in einer Höhe von 15 bis 20 Kilometern über dem Erdboden.

Zerlegt sich auf diese Weise jeder in die Atmosphäre eindringende Asteroid?

Das hängt im Einzelfall von der Größe und der Beschaffenheit des Körpers ab. Eher brüchiges oder poröses Material wird weitgehend verdampfen oder zerplatzen. Ein solider Eisenmeteorit hingegen hat eine gewisse Chance, den Höllenritt durch die Atmosphäre zum Teil zu überstehen. Und ist das Geschoss größer als 100 Meter, kommt unabhängig von der Beschaffenheit einiges auf dem Erdboden an.

Wodurch entstanden die Schäden in der Region von Tscheljabinsk?

Nur durch die Stoßwelle, die der zerplatzende Asteroid ausgelöst hat. Sie ließ Tausende von Fensterscheiben zu Bruch gehen und beschädigte auch viele Gebäude. Mehrere hundert Menschen wurden dabei verletzt, die meisten durch herumfliegende Glassplitter. Nur wenige Trümmerstücke des kosmischen Eindringlings erreichten die Erde. Diese Fragmente richteten keinen nennenswerten Schaden an.

Wie viele Fragmente wurden gefunden?

Bis Ende Februar wurden mehr als 100 Bruchstücke entdeckt, das größte davon wiegt rund ein Kilogramm. Vermutlich ist ein noch größerer Brocken durch die Eisdecke des Tschebarkulsees gestürzt. Die Suche danach gestaltet sich schwierig. Erste Analysen der Fragmente weisen auf einen gewöhnlichen Chondriten, also einen Steinmeteoriten, hin. Das ist die häufigste Meteoritenart.

Was ist über die ursprüngliche Bahn des Asteroiden bekannt?

Eine vorläufige Rekonstruktion der Bahn zeigt, dass der Himmelskörper zur Klasse der Apollo-Asteroiden gehörte. Er bewegte sich zwischen dem Asteroidengürtel und der Venusbahn, kreuzte also wohl schon häufig die Bahn der Erde.

Gab es einen Zusammenhang mit dem Asteroiden 2012 DA14, der nur wenig später nahe an der Erde vorbeizog?

Definitiv nicht. Die beiden Himmelskörper hatten völlig verschiedene Bahnen.

Hätte man den Tscheljabinsk-Asteroiden vorher entdecken und die Menschen warnen können?

Nein. Dazu war er zu klein und zu lichtschwach. Heutige Überwachungsteleskope können nur solche Objekte entdecken, die eine scheinbare Helligkeit von mindestens 24 mag haben. Diese Grenzhelligkeit erreichte der Asteroid erst zwei Stunden vor dem Absturz über Tscheljabinsk. Außerdem kam er aus der Richtung der aufgehenden Sonne. Da hätte ihn kein optisches Teleskop rechtzeitig erfassen können.


Weblinks unter
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1185536

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

Was ist WIS?
Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.

Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de).

Mit Hilfe der ID-Nummer sind diese auf der Seite
www.wissenschaft-schulen.de/artikel/ID-Nummer als Download unter dem Link »Zentrales WiS!-Dokument« zugänglich.

WiS in Sterne und Weltraum

Zum Kurzbericht »Der Tscheljabinsk-Meteor - ein Blitz aus heiterem Himmel« stehen zwei WIS-Materialien bereit:

»Besuch aus dem Weltall« geht auf die Vorgänge ein, die den Absturz des Mini-Asteroiden 2008 TC3 begleiteten, der im Oktober 2008 mitten in der Wüste des Nordsudans aufschlug. Er war nur 15 Stunden vor dem Aufschlag entdeckt worden, und es gelang wenige Wochen später, einige Bruchstücke dieses kleinen Himmelskörpers in der Wüste aufzuspüren.
(ID-Nummer: 1051360)

Das WIS-Material »Asteroideneinschläge« bietet einfache Modellüberlegungen für die Behandlung des Themas im Unterricht. Es wird eine Auswahl an Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden für verschiedene Altersstufen vorgestellt, die auf die physikalischen Vorgänge bei einem Aufschlag eingehen.
(ID-Nummer: 1051547)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 23 oben:
Morgens um neun war die Welt noch in Ordnung: Vor Sonnenaufgang begann der Fotograf Marat Achmetwalejew, die winterliche Idylle in der Nähe von Tscheljabinsk mit seiner Kamera einzufangen. Die 180-Grad-Panoramaaufnahme entstand zwischen 09:14:27 und 09:15:59 Uhr Ortszeit.

Abb. S. 23 unten:
Unvermittelt zerstörte ein gleißend heller Feuerball die Idylle. Wegen der zuvor genutzten manuellen Belichtungseinstellung ist die Aufnahme, die um 09:20:33 Uhr entstand, stark überbelichtet.

Abb. S. 24:
Wenige Minuten nach dem Feuerball zeugt noch die Rauch- und Staubfahne in großer Höhe von dem kosmischen Eindringling. Das aus vier Aufnahmen zusammengesetzte Panorama entstand zwischen 09:38:43 und 09:39:07 Uhr Ortszeit.


© 2013 Uwe Reichert, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 4/13 - April 2013, Seite 22 - 24
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2013