Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE

METEOR/030: Die Wiedergeburt der Sternschnuppen (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2008

Die Wiedergeburt der Sternschnuppen
Teilchen aus dem All verdampfen und kondensieren wieder -
Am IAP gelang erstmals der Nachweis von Meteorstaub

Von Josef Zens


Es ist tiefe Nacht und dichtes Schneetreiben. Aus dem Auto heraus sieht es so aus, als ob sämtliche Schneeflocken von einem bestimmten Punkt aus im Scheinwerferlicht auf den Beobachter zurasen. Den gleichen Effekt kennen Astronomen bei Sternschnuppen. So gibt es zum Beispiel solche kosmischen Schauer, die scheinbar vom Sternbild Löwe aus auf die Erde prasseln, daher heißen diese Sternschnuppen Leoniden.


Das Himmelsspektakel wird verursacht von Meteoren; oftmals sind es nur winzige Teilchen, die mit einer Leuchtspur am Himmel verglühen und dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Doch verschwinden sie wirklich? "Ja und Nein", sagt Franz-Josef Lübken. Der Physiker ist wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Atmosphärenphysik (IAP) in Kühlungsborn und erläutert den Widerspruch: "Die Partikel verdampfen zunächst, danach allerdings kondensieren sie erneut zu fester Materie, die man kurz 'Meteorstaub' nennt." Am IAP ist erstmals der Nachweis für diese Art von himmlischer Wiedergeburt gelungen.

Die Vorgänge in den oberen Schichten der Erdatmosphäre haben weitreichende Folgen: Sie können beispielsweise die Chemie in der Stratosphäre beeinflussen, was unter anderem für die Ozonschicht von Bedeutung ist. Außerdem sorgen die Partikel nach dem Verglühen für eine markante Himmelserscheinung, die Leuchtenden Nachtwolken (kurz NLC für die englische Bezeichnung Noctilucent Clouds).

"Wissenschaftler haben schon länger vermutet, dass es zu einer Rekondensation des Meteorstaubs kommt", berichtet Lübken, "aber der experimentelle Nachweis war bislang unmöglich." Der Grund: Die Teilchen sind entweder zu klein oder zu groß, um durch herkömmliche Beobachtungsverfahren detektiert zu werden. Also ersannen die Wissenschaftler des IAP gleich zwei Methoden, um dem Sternschnuppenstaub zu Leibe zu rücken. Zum einen nutzten sie theoretische Überlegungen und mathematische Modelle, deren Ergebnisse Grundlage für Radarmessungen mit einem großen Teleskop in Arecibo wurden. "Es gelang uns, das Echo der nur Nanometer kleinen Partikel im Spektrum der rückgestreuten Radarstrahlen nachzuweisen", sagt der IAP-Direktor. Das andere Messverfahren namens ECOMA beruht auf einem besonderen Detektor an Bord einer Höhenforschungsrakete und weist die Partikel vor Ort nach. Dazu schießt das Messgerät energiereiche Lichtblitze ab, die dem Meteorstaub Elektronen wegreißen. "Wir laden mit dieser Photoionisation den kosmischen Staub gleichsam elektrisch auf und weisen die geladenen Staubteilchen und auch die Photoelektronen nach", verdeutlicht Lübken. Der ECOMA-Photosensor ist über Drittmittel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) finanziert worden.

Das hört sich nach reiner Grundlagenforschung an. Warum sollte uns der Sternschnuppenstaub überhaupt interessieren? Bei dieser Frage wird Franz-Josef Lübken emphatisch: "Die Teilchen sind von großer Bedeutung für die Bildung von Eiswolken in hohen Atmosphärenschichten." In den oberen Regionen der Mesosphäre bilden sich bei großer Kälte Wolken aus Eiskristallen. Entscheidend für ihre Bildung sind Kristallisationskeime, also der Meteorstaub, an denen sich Wassermoleküle anlagern. Sie sind als leuchtende Nachtwolken vom Boden aus zu sehen und faszinieren Himmelsforscher seit jeher. Sie befinden sich in rund 85 Kilometer Höhe und scheinen von innen heraus zu leuchten.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Wolkenbildung ist die Temperatur. Und auch hier kommen die kosmischen Teilchen ins Spiel. "Wir nutzen die beim Verdampfen von Meteoren freigesetzten Metallatome, um Temperaturen in oberen Atmosphärenschichten zu messen", berichtet Lübken. Das funktioniert mit einem Laserstrahl, der von der Erde senkrecht nach oben gerichtet wird. Aus dem von der Atmosphäre zurückgestrahlten Licht lassen sich viele Informationen gewinnen. Für die Temperaturmessung stimmen die IAP-Forscher ihr LIDAR-System auf die Resonanzfrequenz zum Beispiel von Eisenatomen ab. Die Messergebnisse der IAP-Station auf Spitzbergen haben gezeigt, dass es in der unteren Thermosphäre in rund hundert Kilometer Höhe 70 Grad kälter ist als angenommen. "Jetzt geht es darum, Erklärungen für diese Diskrepanz zwischen bisherigen Modellen und unseren Daten zu finden", sagt Lübken.

Zu einer offenen Frage liefert die jüngst gemessene Kälte zumindest einen Erklärungsansatz. Raketenmessungen hatten gerade im Sommer nur sehr wenige Staubteilchen in der Mesosphäre nachgewiesen; zu wenig für die beobachteten Eiswolken. Ein möglicher Grund für die leuchtenden Nachtwolken könnten extrem niedrige Temperaturen sein, denn bei extremer Kälte kristallisiert Wasserdampf auch ohne Staubkeime zu Eis.

"Unsere Beobachtung des kosmischen Staubs liefert wichtige Anhaltspunkte für die globale Zirkulation in diesen hohen Atmosphärenschichten, wo keine Wettersonden und Messflugzeuge hinkommen", so Lübken. Die Staubteilchen werden über den Globus verteilt. Welche Bedeutung sie für die Kristallisation von Eisteilchen im Einzelnen haben, wollen die IAP-Wissenschaftler als Nächstes herausfinden. Sie haben dazu einen Antrag im Leibniz-Wetbewerbsverfahren gestellt. So werden die Sternschnuppen und ihre Überreste bei der Lösung von Rätseln aus der Atmosphärenphysik weiterhin von großer Bedeutung sein.


*


Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2008, Seite 10-11
Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft
Postfach 12 01 69, 53043 Bonn
Telefon: 0228/30 81 52-10, Fax: 0228/30 81 52-55
Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de

Jahresabonnment (4 Hefte): 16 Euro, Einzelheft: 4 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2009