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MELDUNG/038: Wissenschaftler durchmustern den Nordhimmel (idw)


Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - 14.10.2011

Wissenschaftler durchmustern den Nordhimmel


Seit 2009 wird der gesamte nördliche Himmel im Licht des neutralen Wasserstoffs unter der Leitung des Argelander-Instituts für Astronomie der Universität Bonn kartiert. Die Messungen werden mit dem 100-Meter-Teleskop in Effelsberg des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) Bonn durchgeführt. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Vorhaben untersucht den neutralen atomaren Wasserstoff der Milchstraße und ihrer Umgebung bis zu einer Entfernung von 750 Millionen Lichtjahren. Eines der ersten wissenschaftlichen Ergebnisse unter Nutzung des "Effelsberg-Bonn HI Surveys" (EBHIS) wurde nun in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics als "Highlight" gewürdigt.

"Noch nie zuvor wurde ein solches Vorhaben mit einem der größten Radioteleskope der Welt für den Nordhimmel unternommen", sagt Projektleiter Dr. Jürgen Kerp vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn (AIfA), das die Messungen zusammen mit dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn durchführt. Bei dem einzigartigen Vorhaben wird der atomare Wasserstoff (HI) als das häufigste Element des Universums kartiert. Neben der lokalen Umgebung unserer Sonne werden die gesamte Milchstraße sowie alle Galaxien bis zu einer Entfernung von 750 Millionen Lichtjahren simultan erfasst. Die riesige Sammelfläche des 100-Meter-Radioteleskops und ein spezieller Sieben-Horn-Empfänger machen dieses Projekt überhaupt erst möglich.

Der neue Effelsberg-Bonn HI-Survey (EBHIS) reiht sich in eine lange Tradition von Himmelsdurchmusterungen der Bonner Radioastronomen ein. Peter Kalberla vom Argelander-Institut der Universität Bonn war 2005 federführend an der Realisierung der Leiden/Argentine/Bonn (LAB) Durchmusterung beteiligt. Sie stellt heute eine der meistzitierten Veröffentlichungen innerhalb der Radioastronomie dar. Gemeinsam mit dem Bonner Team unterstützte er auch die australischen Kollegen bei ihrer HI-Kartierung des gesamten südlichen Himmels mit dem 64-Meter-Parkes-Teleskop. Der wissenschaftliche Nutzen solcher Himmelsdurchmusterungen liegt darin begründet, dass hochenergetische Strahlung - zum Beispiel Röntgenlicht - von sehr weit entfernten Galaxien das Gas der Milchstraße durchdringen muss, bevor es von irdischen Teleskopen detektiert werden kann. Leider wird diese Strahlung dabei stark abgeschwächt. Die Radiobeobachtungen erlauben nun, diese Abschwächung exakt zu bestimmen und damit die gemessenen Werte der hochenergetischen Strahlung zu korrigieren.

Dr. Benjamin Winkel vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie ist seit Beginn an dem Projekt beteiligt. Er kombinierte mit dem Bonner Team und Prof. Philipp Richter von der Universität Potsdam die neuen EBHIS-Daten mit denjenigen der Parkes-Himmelsdurchmusterung (Galactic All-Sky Survey, GASS). Dabei untersuchte er im Detail den Hochgeschwindigkeitswolken-Komplex "Galactic Center Negative" (GCN). "Die statistische Untersuchung der Wolken gibt Aufschluss über den Ursprung und die physikalischen Eigenschaften von Komplex GCN", erläutert er. "Unsere jetzt veröffentlichte Arbeit gibt Hinweise darauf, dass das Gas auf die Scheibe der Milchstraße stürzt." Es wird vermutet, dass bislang nur die Spitze des Eisbergs von Komplex GCN beobachtet wird. Die "Einverleibung" von frischem Gas in die Milchstraße spielt für die Astronomen eine zentrale Rolle, um die beobachtete konstante Sternentstehungsrate in der Milchstraße erklären zu können.

"Die Untersuchung von Hochgeschwindigkeitswolken hat eine lange Tradition an unserem Institut", erklärt Dr. Nadya Ben Bekhti vom Argelander-Institut für Astronomie. "Es handelt sich dabei um riesige Strukturen aus kaltem Gas, die sich im Halo unserer Milchstraße befinden." Beim Halo -griechisch "Lichthof" - handelt es sich um einen Bereich, der größer als die Galaxie selbst ist. Die erheblich verbesserte Empfindlichkeit und Auflösung der neuen Kartierungen (EBHIS und GASS) gegenüber der älteren LAB-Kartierung zeigt nun erstmalig, dass zumindest der Komplex GCN nicht, wie lange geglaubt, von wenigen großen diffusen Objekten dominiert wird. Er besteht vielmehr aus Hunderten von winzigen Wölkchen.


Publikation:
B. Winkel, N. Ben Bekhti, V. Darmstädter, L. Flöer, J. Kerp and P. Richter: The high-velocity cloud complex Galactic center negative as seen by EBHIS and GASS. I. Cloud catalog and global properties,
Astronomy & Astrophysics 533, A105 (2011).
(DOI 10.1051/0004-6361/201117357).

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Johannes Seiler,
14.10.2011
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2011