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INSTRUMENTE/345: ESO - 50 Jahre jung (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/13 - Februar 2013
Zeitschrift für Astronomie

ESO - 50 Jahre jung
Ein Blick auf die Erfolgsgeschichte der Europäischen Südsternwarte

Von Claus Madsen



Was 1962 mit einem bürokratischen Akt begann, entwickelte sich über fünf Jahrzehnte zu einer der leistungsfähigsten Forschungsinstitutionen weltweit. Die Europäische Südsternwarte ESO machte nicht nur den Astronomen den Südhimmel zugänglich, sondern war von Anfang an stete Quelle technischer und instrumenteller Neuerungen.


Am 5. Oktober 1962 unterzeichneten Vertreter aus fünf europäischen Staaten - Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden - die Gründungsvereinbarung für die »Europäische Organisation für astronomische Forschung in der südlichen Hemisphäre«. Der von Politik und Bürokratie beschwerte Name wich bald der klangvolleren »Europäischen Südsternwarte«, kurz ESO (European Southern Observatory).

Dieser Vereinbarung gingen fast neun Jahre voller Debatten, Bangen, harter Arbeit und einem ständigen Kampf mit den Hürden der Nachkriegszeit voraus. Trotz aller Widrigkeiten profitierte das Projekt allerdings auch von zwei grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklungen. Einerseits wuchs das Bewusstsein, wie bedeutend Wissenschaft und Technologie für die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Erhöhung des Wohlstands sind. Andererseits herrschte auch weithin die Einsicht, dass Europas Aufschwung von der Zusammenarbeit der einstigen Rivalen abhing, womit auch der Grundstein für eine europäische Integration gelegt war.

Diese Einsicht wurde unter den besonderen politischen Umständen des Kalten Kriegs weiter gefestigt, der - unterstützt durch sanften Druck der USA - eine Kooperation der westeuropäischen Staaten begünstigte. So wurde auf Grund einer Empfehlung der US-Delegation an die Generalversammlung der UNESCO bereits 1954 das Europäische Zentrum für Teilchenphysik, CERN, gegründet.

Ein Jahr zuvor, 1953, war es im niederländischen Groningen zu einem schicksalhaften Treffen zwischen den beiden Astronomen Jan Oort (1900-1992) und Walter Baade (1893-1960) gekommen. Baade hatte in den 1920er Jahren an der Hamburger Sternwarte gearbeitet, bevor er 1931 in die USA emigrierte und eine Stellung am Mount Wilson Observatory in Kalifornien annahm. Nun kehrte er zur Vorbereitung des ersten Symposiums der Internationalen Astronomischen Union (IAU) mit dem Schwerpunkt »Galaktische Forschung« auf den alten Kontinent zurück. Er brachte Erfahrung und Ideen aus den USA mit, musste aber auch feststellen, dass die einst führende europäische Astronomie den Anschluss verloren hatte. Eine Verbesserung der Lage war offenkundig nur zu erwarten, wenn europäische Astronomen Zugang zu leistungsfähigen, modernen Sternwarten erhielten.

Da sich fast alle bedeutenden Observatorien in der nördlichen Hemisphäre befanden und die dringende Notwendigkeit bestand, den südlichen Himmel zu erforschen, lag der ideale Standort für ein solches Unterfangen südlich des Äquators, vorzugsweise in Südafrika. Baades Kollege Oort teilte diese Ansicht, und so initiierten sie 1954 ein Treffen von zwölf führenden Astronomen in Leiden, das mit einer Erklärung zum Bau eines gemeinsamen europäischen Observatoriums endete. Das auf Französisch verfasste Dokument betonte, dass das Projekt auf internationale Kooperation angewiesen sei und deshalb eigentlich für alle Mitgliedstaaten der IAU offen stünde.


Von Bergedorf in die chilenischen Berge

Allerdings sollte der Erklärung zufolge eine Mitgliedschaft aus praktischen Erwägungen heraus den »europäischen Nachbarstaaten« vorbehalten bleiben. Die Vereinbarung umriss auch bereits die Teleskope, mit denen das neue Observatorium ausgestattet werden sollte. So zeichneten sich schon 1954 die Rahmenbedingungen der neuen Sternwarte ab: eine internationale Kooperation und ein Standort südlich des Äquators mit mehreren optischen Teleskopen, einschließlich eines »Large Telescope« und eines »Survey Telescope«.

Alsbald begannen Forschungsinstitute aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden, Standorte in Südafrika auf ihre Eignung zu untersuchen. Derweil kam das Vorhaben in Europa selbst zum Stocken. Mehrere Jahre lang bemühten sich die Astronomen vergeblich um staatliche Unterstützung. Immerhin erhielten sie Beistand von einigen Beamten, die auf die Erfahrungen vom CERN zurückgreifen konnten. Schließlich wurde die Idee einer Kollaboration nationaler Institutionen verworfen und durch die Einrichtung einer zwischenstaatlichen Organisation ersetzt, die auf der Konvention vom 5. Oktober 1962 beruhte.

Damit war das rechtliche Rahmenwerk gegeben, um langfristige Strategien und Programme für die ESO entwickeln sowie Fähigkeiten und Know-how aufbauen zu können. Alles lag nun in der Hand des neu gegründeten ESO-Rates und eines kleinen Teams unter der Leitung von Otto Heckmann (1901-1983), dem vormaligen Direktor der Hamburger Sternwarte in Bergedorf. Heckmann zeigte keine Neigung, Bergedorf zu verlassen, und so kam es, dass die ESO dort mit einer überschaubaren Mitarbeiterzahl ihre Arbeit aufnahm. Hauptaufgabe war zunächst, die Implementierung des »ESO-Programms« zu überwachen, das in dem Abkommen festgeschrieben war. Dazu gehörte insbesondere die Planung eines Teleskops der Drei-Meter-Klasse und eines Schmidt-Teleskops.

Südafrika war noch immer Wunschstandort für die Südsternwarte. Doch über Jürgen Stock (1923-2004), der 1951 bei Heckmann in Hamburg promoviert hatte, kam eine andere Option ins Spiel. Stock hatte für US-amerikanische Astronomen Standorte in Chile untersucht. Seinen Berichten zufolge boten einige Berge in dem Andenstaat offenbar bessere Bedingungen als Südafrika. Innerhalb von wenigen Monaten entschied der ESO-Rat, die Südsternwarte in Chile zu bauen. Die Entscheidung wurde stark von der Aufgeschlossenheit der chilenischen Regierung begünstigt. Anfangs gab es Überlegungen, sich einen Standort mit den Amerikanern zu teilen. Letztlich entschied sich die ESO für einen eigenen Standort auf einem 2400 Meter hohen Berg nordöstlich von La Serena, dem La Silla. Die Bauarbeiten begannen 1964. Zwei Jahre später wurde das erste Teleskop in Betrieb genommen; mit seinem Ein-Meter Spiegel diente es speziell der Fotometrie. In den Folgejahren kamen noch weitere Teleskope hinzu; manche von ihnen gehörten Forschungsinstituten in einzelnen Ländern, wurden aber von der ESO betrieben (siehe Bild S. 50. Dieser und alle folgenden Hinweise gelten für die Druckausgabe).

Das »Large Telescope« und das Ein-Meter-Schmidt-Teleskop ließen allerdings noch auf sich warten. Ersteres war ursprünglich als Drei-Meter-Teleskop geplant gewesen, sollte nun aber einen Spiegel mit 3,6 Meter Durchmesser erhalten. Wie sich zeigte, überstieg die Fertigung der beiden Großteleskope die Möglichkeiten der ausgewählten Firma in Hamburg. Die ESO übertrug nun die Konstruktion einer eigenen Ingenieurgruppe, die sich in Bergedorf im Aufbau befand, aber auch diese verfügte nicht über die notwendigen Kapazitäten. Auf Initiative des zweiten ESO-Generaldirektors Adriaan Blaauw (1914-2010), der die Amtsgeschäfte 1970 übernahm, entstand eine Kooperation mit dem CERN. Noch im gleichen Jahr wurde die Ingenieurgruppe der ESO an den CERN-Hauptsitz in Genf verlegt und dort zur »ESO Telescope Project Division« ausgebaut. Die Tage der ESO in Hamburg waren damit gezählt.

Das Errichten einer Außenstelle am CERN warf neue Fragen auf: Wäre es nicht von Vorteil, nur einen Standort zu haben - doch wo sollte der sein? Und müsste die Ingenieurgruppe, die gerade aufgebaut wurde, nicht auch mit aktiven Wissenschaftlern zusammenarbeiten, um die Teleskope und deren Instrumentierung zu entwickeln? Blaauw und sein designierter Nachfolger im Amt des Generaldirektors, Lodewijk Woltjer, wussten, dass die ESO für diesen Zweck eine Gruppe von Astronomen brauchte, denen gleichzeitig die Freiheit gegeben werden musste, ihrer eigenen Forschung nachzugehen. Doch von diesem Vorhaben waren nicht alle Mitgliedstaaten angetan. Manche sahen in der ESO lediglich einen Dienstleister, der Beobachtungszeit für die Gemeinschaft der Astronomen in den Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen sollte.

Eine Einigung nahm lange Zeit in Anspruch und konnte erst beim Amtsantritt von Woltjer 1975 erreicht werden, der die Aufnahme seiner Tätigkeit von der Einrichtung einer Forschergruppe an der ESO abhängig gemacht hatte. Damit fügte sich nun alles zusammen: Das Schmidt-Teleskop sah Ende 1971 sein »erstes Licht« und nahm unter der Leitung von Hans-Emil Schuster, einem weiteren Vertreter der »alten Hamburger Schule«, mit der Durchmusterung des Südhimmels seine maßgebliche Arbeit auf. Fünf Jahre später folgte das 3,6-Meter-Teleskop. Und 1975 nahm der ESO-Rat das Angebot der deutschen Regierung an, den neuen ESO-Hauptsitz auf dem Forschungsgelände in Garching bei München einzurichten.

Schon zu Beginn der 1970er Jahre hatte die ESO ein Verfahren zur Vergabe von Beobachtungszeit an den Teleskopen etabliert: Grundlage ist ein Peer-Review-Verfahren, das zentral - und nicht auf nationaler Ebene - durchgeführt wird. Dies ist insofern erwähnenswert, als die ESO hier ein richtungweisendes Verfahren eingeführt hatte, das der gut 35 Jahre später gegründete Europäische Forschungsrat ebenfalls als Maßstab einführte. Im Mai 1981 wurde das Hauptgebäude der ESO in Garching im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens und anderer Würdenträger eingeweiht (siehe Bild S. 48 oben). Damit war in gewisser Weise das erste Kapitel der ESO-Geschichte abgeschlossen. Alle für den Anschluss an die internationale Spitzenforschung nötigen Grundlagen waren nun vorhanden; das 1962 skizzierte Teleskop-Programm, die wissenschaftlichen und technischen Expertisen sowie die Verfahren für den Betrieb.


Auf dem Weg zur nächsten Teleskopgeneration

Trotz aller Freude über das Erreichte wusste die ESO, dass die Konkurrenz andernorts nicht schlief und sich die Messlatte stetig nach oben verschob. Mehrere Länder arbeiteten bereits an Teleskopen der Vier-Meter-Klasse. So errichtete das Max-Planck-Institut für Astronomie auf dem Calar Alto in Südspanien ein Teleskop mit 3,5-Meter-Spiegel, das 1984 in Betrieb genommen wurde. Neue Teleskopkonstruktionen tauchten auf wie etwa azimutal montierte Teleskope oder Spiegel aus mehreren Segmenten. Die ersten Vorboten der IT-Revolution signalisierten bereits, wie sich die Art, Astronomie zu betreiben, in der Folgezeit einschneidend verändern sollte: Fotografische Platten wurden von elektronischen Detektoren abgelöst und die digitale Bildverarbeitung bot neue Möglichkeiten der Datengewinnung und -auswertung. Der Bau des Weltraumteleskops Hubble bahnte sich an, und in den USA plante man bereits die nächste Generation von Großteleskopen. Woltjer wusste, dass Europa nur mit dem Bau eines großen optischen Teleskops wettbewerbsfähig bleiben konnte. Dieses Vorhaben wäre realisierbar, wenn sich die Mitgliedsstaaten bereit erklärten, zumindest einen Teil ihrer Ressourcen in das gemeinsame Projekt einzubringen, anstatt sie für eigene Projekte einzusetzen. Schon für den Dezember 1977, kaum mehr als ein Jahr nach Inbetriebnahme des 3,6-Meter-Teleskops, hatte Woltjer eine Konferenz am CERN anberaumt, um über die nächste Generation optischer Teleskope zu reden - das Zeitalter des Very Large Telescope (VLT) war eingeläutet.

Der Bau und der Betrieb der kommenden Generation von Großteleskopen hielten erhebliche technologische Herausforderungen bereit. Herkömmliche Konstruktionsverfahren waren an ihren optischen und mechanischen Grenzen angelangt. Glücklicherweise stellte sich bei der Konferenz in Genf heraus, dass es an innovativen Ideen nicht mangelte. Wie zu erwarten kamen die meisten Beiträge von US-amerikanischen Teilnehmern, doch die ESO präsentierte vorläufige Ideen für ein 16-Meter-Teleskop. Kurze Zeit später widmete sich eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Wolfgang Richter, dem Chefingenieur des 3,6-Meter-Teleskops, konkreten technischen Lösungsmöglichkeiten für den Bau eines europäischen VLT. Die Gruppe, zu der namhafte Mitglieder gehörten wie etwa Raymond Wilson, der Leiter der Optik- und Teleskopgruppe der ESO, fasste drei Optionen ins Auge:

- einen sehr großen Einzelspiegel,
- einen Verbund von vielen Teleskopen der Vier-Meter-Klasse und
- eine Kombination aus diesen beiden Möglichkeiten, nämlich ein Verbund von einigen Teleskopen mit Spiegeln größer als vier Metern.

Die Arbeitsgruppe kam schnell zu dem Schluss, dass die erste Option aus technischer Sicht zu gewagt war. Die zweite Möglichkeit erschien zu anspruchslos und konnte deshalb voraussichtlich keine Geldgeber begeistern. Die dritte Variante war somit die attraktivste.

Die Verbundlösung bot die Möglichkeit der optischen Interferometrie, die trotz erheblicher Bedenken von Anfang an in die Planung des Teleskopkonzepts einbezogen wurde. Dieses Verfahren würde es erlauben, das Auflösungsvermögen erheblich zu steigern. Allerdings müsste zuvor ein Weg gefunden werden, den störenden Einfluss der Erdatmosphäre deutlich zu mindern. Denn das durch die irdische Lufthülle verursachte Flackern der Sterne mag zwar Romantiker entzücken, ist aber der Erzfeind jedes beobachtenden Astronomen. Theoretisch war klar, wie man vorgehen müsste, doch die Technik dafür gab es noch nicht. Alle Hoffnungen auf die erfolgreiche Lösung dieser Probleme zu setzen, erschien deshalb als reines Wunschdenken. Die ESO entwickelte darum einen moderaten Ansatz: Vier Acht-Meter-Teleskope sollten sowohl einzeln betrieben als auch zusammengeschaltet werden können. Im letzteren Fall hätten sie das gleiche Lichtsammelvermögen wie ein einzelner 16-Meter-Spiegel (aber ein Auflösungsvermögen wie ein Acht-Meter-Spiegel). Gelänge auch die kohärente Vereinigung der Lichtstrahlen, könnte man sie für die Interferometrie nutzen, was das Auflösungsvermögen erheblich erhöhen würde.

Allmählich nahm die Idee des VLT konkrete Formen an. Diese Fortschritte, zu denen sowohl ESO-Gruppen als auch Gremien aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft beitrugen, lassen sich an mehreren Wegmarken festmachen. Zwei davon bedürfen einer besonderen Würdigung: der Workshop in Cargèse auf Korsika 1983, auf dem die Entscheidung zu Gunsten von vier Acht-Meter-Teleskopen fiel, und die große Konferenz von Venedig im Oktober 1986, bei der sich die ESO die breite Unterstützung der wissenschaftlichen Gemeinschaft für das VLT sichern konnte. Mit diesem Rückhalt ausgestattet, präsentierte die ESO im Dezember 1987 dem ESO-Rat unter Präsident Kurt Hunger einen offiziellen Konstruktionsentwurf.

Organisationen sind, genauso wie Menschen, zumeist nur einer subtilen Weiterentwicklung unterworfen, doch mitunter gibt es einschneidende Weichenstellungen. Die Sitzung des ESO-Rats war ein solcher Moment. Der Beschluss, das VLT-Projekt zu beginnen, fiel am späten Nachmittag des 8. Dezember und legte nicht nur den Grundstein für das VLT, sondern auch für eine neue Ära der europäischen Astronomie. Einer, der sich am engagiertesten für dieses Votum eingesetzt hatte, war Woltjer. Ihm als Generaldirektor der ESO musste der Baubeschluss einem Ritterschlag gleichgekommen sein. Zugleich war dies seine letzte Amtshandlung. Drei Wochen später übergab er das Amt an seinen Nachfolger Harry van der Laan. Dessen Aufgabe war es nun, den Bauplan umzusetzen und das VLT zu einem funktionsfähigen Observatorium zu machen.

In den 1980er Jahren wuchs der Teleskoppark auf La Silla stetig weiter. Der nächste bedeutende Neuzugang war ein 2,2-Meter-Teleskop des Max-Planck-Instituts für Astronomie. Dieses Teleskop war ursprünglich für Namibia vorgesehen gewesen, das damals von Südafrika kontrolliert wurde. Doch das wegen der Apartheitspolitik von den Vereinten Nationen ausgesprochene Embargo verhinderte dieses Vorhaben. Stattdessen wurde das Teleskop auf der Grundlage eines langfristigen Leihvertrags mit der ESO auf La Silla stationiert. Das zusätzliche Gerät war willkommen, milderte es doch den Druck, der durch eine immer weiter steigende Anzahl an Beobachtungsanträgen entstand.


Das New Technology Telescope NTT

Währenddessen arbeitete die ESO an ihrem Hauptsitz an einem ganz anderen optischen Teleskop - dem New Technology Telescope (NTT) mit einem 3,5-Meter-Spiegel (siehe SuW 9/1988, S. 516). Die Finanzierung war durch den Beitritt von Italien und der Schweiz gesichert. Das NTT half ebenfalls, die wachsende Nachfrage nach Beobachtungszeit an einem Spitzenstandort zu stillen. Es diente aber auch der Erprobung neuer Technologien, die für das VLT benötigt wurden: zum Beispiel aktiv gesteuerter dünner Hauptspiegel, azimutaler Montierungen, des Einsatzes von aus der Ferne bedienbaren Kombiinstrumenten, verbesserter Konstruktion des Schutzbaus und so weiter.

Wenngleich viele Forscher zum Erfolg des NTT beitrugen, werden zwei Personen immer wieder mit dem NTT in Verbindung gebracht: Raymond Wilson und Massimo Tarenghi. Der Brite Wilson hatte zunächst mehrere Jahre bei Carl Zeiss in Oberkochen gearbeitet, bevor er 1972 zur ESO wechselte. Er kannte die typischen Mängel klassischer Teleskope sehr gut, wie zum Beispiel thermische Effekte auf Grund der hohen Spiegelmasse sowie mechanische Verformungen. Mit solchen Widrigkeiten hatte auch das 3,6-Meter-Teleskop der ESO zu kämpfen. Die Lösung kam in Form der »aktiven Optik«: An die Stelle eines massigen Hauptspiegels tritt ein dünner Monolith, dessen Stützkonstruktion mit vielen Regelelementen versehen ist. Ein Bildanalysesystem ermittelt zunächst die Deformierung des Spiegels und kompensiert diese mittels eines Rückkopplungssystems über die Regelelemente. Wilsons Knowhow und die Umsetzung seiner Ideen in enger Zusammenarbeit mit Lothar Noethe führte zu einem Durchbruch in der Teleskopkonstruktion und ebnete den Weg für das Zukunftsprojekt VLT.

Der Italiener Tarenghi hatte die Errichtung des 2,2-Meter-Teleskops auf La Silla beaufsichtigt. Anschließend wurde er zum Projektmanager des NTT berufen und war voller Unterstützung für die neuartigen Ideen, die den Bau dieses Teleskops prägten. Er sollte später auch die Leitung des VLT-Projekts übernehmen und anschließend mehrere Jahre lang das ALMA-Projekt leiten.

Am 23. März 1989 sah das NTT sein »erstes Licht« - und bewies damit gleich seine hohe Qualität. Das erste Bild zeigte einen Ausschnitt des Kugelsternhaufens Omega Centauri mit einer Auflösung von nur 0,33 Bogensekunden. Das Teleskop feierte noch mehr Erfolge, wie zum Beispiel das 1991 veröffentlichte NTT Deep Field Image, das Objekte bis zur 29. Magnitude zeigte.

Im Jahr 1989 kam es mit Einführung der adaptiven Optik zu einem weiteren Durchbruch (siehe SuW 12/1989, S. 708). Mit diesem Verfahren, das nicht mit der aktiven Optik verwechselt wer den darf, lässt sich die durch atmosphärische Turbulenzen verursachte Bildunschärfe kompensieren. Hierzu messen Sensoren die Verformungen der in das Teleskop einfallenden Wellenfront. In Echtzeit verändern Stellelemente dann die Gestalt eines dünnen Spiegels im Strahlengang, wodurch die Verformungen der Lichtwellen gerade kompensiert werden. Erst mit diesem Verfahren der adaptiven Optik ließ sich das volle Potenzial der neuen Teleskopgeneration nutzen.

Seit den 1950er Jahren hatten sich Astronomen mit dem Problem der Luftturbulenzen auseinandergesetzt, aber wieder fehlte es an der entsprechenden Technik. In den frühen 1980er Jahren nahm das US-Militär Experimente mit adaptiver Optik auf, um ihre Eignung für die Bahnverfolgung von Satelliten zu untersuchen. Wegen der strengen Geheimhaltung erfuhren die Astronomen davon aber nichts.

Unabhängig davon kam es zwischen französischen Wissenschaftlern und der ESO zu einer Kollaboration, woraus ein Prototyp für adaptive Optik mit dem etwas seltsam anmutenden Namen Come-On entstand. Come-On wurde im Oktober 1989 erfolgreich an der Haute-Provence-Sternwarte im Südosten Frankreichs getestet und bald nach La Silla gebracht, wo es in das 3,6-Meter-Teleskop integriert wurde. Auf Grund dieser Fortschritte in der zivilen Forschung und der daran anschließenden Veröffentlichungen gab auch das US-Militär einen Großteil ihrer Informationen frei, die somit auch der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung standen.

Rückblickend waren die 1980er Jahre, besonders die zweite Hälfte des Jahrzehnts, für die ESO von entscheidender Bedeutung. Doch 1986 war auch das Jahr des Kometen Halley, der wie kaum ein anderer das öffentliche Interesse an der Astronomie aufleben ließ. Dieses Geschenk der Natur erleichterte es der ESO, sich nicht nur als moderne Forschungsinstitution, sondern auch als Informationsdienstleister zu etablieren. Die Öffentlichkeitsarbeit der ESO trägt seitdem in hohem Maß zur Förderung der Astronomie in der Gesellschaft bei.

Aus Sicht der professionellen Astronomie gab es 1987 das spannendste Ereignis des Jahrhunderts zu verzeichnen: die Supernova 1987A. Diese Sternexplosion ereignete sich in der Großen Magellanschen Wolke am Südhimmel und war deshalb von Europa aus nicht zu sehen. Sie war aber die hellste und erdnächste Supernova seit Erfindung des Fernrohrs, und auch die erste, für die der Vorgängerstern bekannt war. Die Einrichtungen der ESO in Chile ermöglichten es den europäischen Astronomen, dieses einzigartige Ereignis von Anfang an im Detail zu untersuchen (siehe SuW 7/2012, S. 34, und 8/2012, S. 42).

Im Jahr 1987 wurde nicht nur das VLT-Projekt beschlossen, es wurde auch auf La Silla ein nichtoptisches Teleskop errichtet, das 15-Meter Swedish/ESO Submillimetre Telescope (SEST). Mit diesem Vorstoß in andere Wellenlängenbereiche fand auch das zweite Kapitel in der Geschichte der ESO einen krönenden Abschluss - genau zum 25-jährigen Jubiläum der ESO.


Die Dekade des VLT

Die 1990er Jahre standen für die ESO ganz im Zeichen des VLT, doch die Astronomie allgemein machte in dieser Zeit enorme Fortschritte. Zwei der wichtigsten Errungenschaften waren die Entdeckung des ersten extrasolaren Planeten 1995 durch Michel Mayor und seine Kollegen sowie die bahnbrechende Arbeit zweier Forschungsgruppen, die Hinweise auf eine beschleunigte Expansion des Universums (auch mit ESO-Beteiligung) erbrachten. Im Bereich der Beobachtungseinrichtungen waren der Start des Weltraumteleskops Hubble 1990 und die Inbetriebnahme des ersten Zehn-Meter-Keck-Teleskops 1993 wichtige Ereignisse. Der ESO-Rat wählte 1990 den Cerro Paranal - einen 2660 Meter hohen Berg 120 Kilometer südlich von Antofagasta und zwölf Kilometer landeinwärts vom Pazifischen Ozean entfernt - als Standort für das VLT. Es war eine gewagte Entscheidung. Auf der Erde gibt es kaum eine unwirtlichere Umgebung für Menschen als diesen Bereich der Atacamawüste. Die logistischen Herausforderungen waren immens und sehr weltliche Fragen wie die nach den finanziellen Mitteln der ESO für einen weiteren Standort stellten sich zwangsläufig. Doch letztlich obsiegte der Ehrgeiz, nicht nur das beste Teleskop der Welt zu bauen, sondern es auch am besten Standort zu platzieren. Derweil lebte La Silla weiter auf und entwickelte sich zum weltweit produktivsten Observatorium (gemessen an der Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen).

Bevor das VLT auf dem Cerro Paranal gebaut werden konnte, mussten 350.000 Kubikmeter Gestein abgetragen werden.

Nachdem das VLT genehmigt war, begannen die Hauptplanungsarbeiten. Einige der ursprünglichen Ideen mussten noch einmal überprüft werden. So waren vier in einer Reihe und unter freiem Himmel angeordnete Einzelteleskope vorgesehen gewesen. Allein die Diskussionen der Interferometrie-Spezialisten bezüglich der optimalen Anordnung der Einzelteleskope waren bisweilen mühsam und nahmen lange Zeit in Anspruch. Je detaillierter die Planungen wurden und je mehr Ergebnisse der permanent durchgeführten Sichtuntersuchungen vorlagen, desto deutlicher schied La Silla als Standort für das VLT aus.

Letztlich wurde das VLT auf dem Cerro Paranal in einer quasi trapezförmigen Anordnung errichtet. Jedes der vier 8,2-Meter-Teleskope bekam ein kompaktes Schutzgebäude. Doch davor musste zunächst einmal ein genügend großes Plateau auf dem Berggipfel angelegt werden. Dazu wurden 350 000 Kubikmeter Gestein abgetragen, wodurch sich die Höhe um 28 Meter reduzierte. Durch diesen Eingriff entstand eine Plattform, die nicht nur den Einzelteleskopen Platz bot, sondern auch noch einige auf Schienen bewegliche 1,8-Meter-Hilfsteleskope beherbergen konnte, die ein wesentliches Element des VLT-Interferometers (VLTI) bildeten.

In der Zwischenzeit waren auch die Hauptaufträge für den Bau des VLT an die Industrie vergeben worden. Die Schott-Glaswerke in Mainz stellten die Zerodur-Rohlinge der 8,2-Meter-Spiegel her, die anschließend bei REOSC in der Nähe von Paris auf wenige Nanometer genau poliert wurden. Das italienische Konsortium AES war für den Bau und den Test der strukturmechanischen Komponenten verantwortlich, Dornier-Satellitensysteme in Friedrichshafen für die komplexe Installation der Sekundärspiegeleinheiten, Fokker Space in Leiden (Niederlande) für die Verzögerungsleitungen des VLT-Interferometers und AMOS in Liège (Belgien) für den Bau der Hilfsteleskope und deren Stationen auf dem Paranal. Der Anteil der europäischen Industrie am Erfolg des VLT kann nicht oft genug betont werden.

Genauso wichtig waren die Beiträge von nationalen Forschungsinstituten zum Bau der VLT-Beobachtungsinstrumente. Zwölf einzelne Fokalpunkte stehen für Instrumente zur Verfügung. Zusätzlich hat jedes der vier VLT-Einzelteleskope (englisch: unit telescopes) einen Coudéfokus, über den Licht in das VLT-Interferometer eingespeist werden kann. Damit ist das VLT bis heute das größte, umfangreichste und ehrgeizigste Großgeräteprogramm eines bodengebundenen optischen Observatoriums. Allein hätte die ESO dieses Projekt nicht stemmen können. Entscheidend für den Erfolg war die Einbeziehung der gesamten Forschungsgemeinschaft. Viele Institute brachten ihre speziellen Kompetenzen ein. Diese Vorgehensweise sicherte die erfolgreiche Umsetzung des Projekts und signalisierte zudem, dass das VLT ein Teleskop »für alle« ist und nicht nur für eine kleine Elite.

Die Geschichte des VLT-Instrumentierungsprogramms würde einen eigenen Artikel füllen. Hier kann ich nur die Haupteigenschaften skizzieren. Die Fortschritte in der Elektronik und der Optik in den zurückliegenden Jahren erlaubten den Bau hocheffizienter Instrumente. Und während an früheren Teleskopen die verschiedenen Instrumente nur nacheinander einzusetzen waren und zeitaufwändig ausgetauscht werden mussten, befinden sich die Instrumente des VLT an festen Positionen. Ein Wechsel der Instrumente erfordert deshalb keine äußeren Eingriffe und lässt sich rasch während des Beobachtungsbetriebs durchführen. Die Entwicklung von Multiobjekt-Spektrografen trug ebenfalls zu einer Effizienzsteigerung bei. Außerdem gewann der infrarote Spektralbereich durch die Weiterentwicklung von Infrarotdetektoren immens an Bedeutung. Einerseits konnten die Astronomen durch immer bessere Instrumente das wissenschaftliche Potenzial dieses Wellenlängenbereichs erschließen, andererseits gingen damit auch beeindruckende Entwicklungen im Bereich der adaptiven Optik einher. Aus der langen Liste bedeutender Instrumente seien hier nur die folgenden genannt: FORS 1 und FORS 2 (Focal Reducer and low dispersion Spectrograph, zwei im Wesentlichen baugleiche Instrumente, die als Kamera und Multiobjekt-Spektrograf fungieren), UVES (Ultraviolet and Visual Echelle Spectrograph, ein hochauflösender Spektrograf für ultraviolettes und sichtbares Licht), ISAAC (Infrared Spectrometer and Array Camera, ein leistungsfähiges Kombiinstrument für den infraroten Spektralbereich), und NACO (eine Kamera für hochauflösende Aufnahmen im Infraroten).


Ein Paradigmenwechsel in der Astronomie

Das enorme Lichtsammelvermögen der Acht-Meter-Spiegel, die hohe Effizienz der modernen Instrumente und die innovativen Verfahren zum Kompensieren der Luftturbulenzen veränderten die Art und Weise, wie beobachtende Astronomie betrieben wird. Mit Unterstützung von Riccardo Giacconi, der 1993 van der Laan als ESO-Generaldirektor folgte, wurde eine völlig neue Herangehensweise mit zwei Kernelementen erarbeitet. Das erste war die Einführung von »Beobachtungen als Dienstleistung« und »flexibler Zeitplanung«. An Stelle der Forscher, die ein spezielles Beobachtungsprogramm beantragt hatten, führen nun Teleskopoperateure und ESO-Astronomen die Beobachtungen durch, sobald die dafür nötigen Bedingungen erfüllt sind. Dieser Ansatz kam einem Paradigmenwechsel gleich: Die ESO stellte von nun an nicht mehr nur Beobachtungszeit zur Verfügung, sondern lieferte zuverlässige, wissenschaftlich verwertbare Daten. Nicht jeder in der astronomischen Gemeinschaft war von dem neuen Konzept begeistert, doch der Erfolg spricht für sich. Das zweite Kernelement war das zentralisierte Datenflusssystem, das auf Grund der neuen Arbeitsweise notwendig wurde. Es ermöglichte den Aufbau eines umfassenden Datenarchivs, das online für jedermann zugänglich gemacht werden konnte, und erlaubte zudem eine kontinuierliche Qualitätsprüfung der Instrumente.

Am 25. Mai 1998 sah das erste der VLT-Einzelteleskope sein »erstes Licht«. Die Bilder erschienen in allen Medien. Für die Astronomen begann die eigentliche Arbeit allerdings erst im April 1999, als das Teleskop in den regulären Forschungsbetrieb überging, damals mit den Instrumenten FORS 1 und ISAAC. Schon im Vormonat hatte auch das zweite Teleskop sein »erstes Licht« gesehen. Das letzte der vier Einzelteleskope war im September 2000 so weit. Weitere Höhepunkte folgten: Das VLT-Interferometer lieferte sein erstes Bild - oder besser Interferenzmuster - im März 2001. Die ersten beiden der heute vier Hilfsteleskope nahmen ihre Arbeit Anfang 2005 auf. Die Geschichte des Paranals ging weiter mit der Ergänzung durch zwei leistungsfähige Durchmusterungsteleskope (VISTA mit 4,1-Meter- und VST mit 2,6-Meter-Spiegel), der Entwicklung von VLT- und VLTI-Instrumenten der zweiten Generation sowie der Weiterentwicklung der adaptiven Optik. Zur Letzteren gehört ein Lasersystem, das einen künstlichen Stern am Himmel erzeugt.

Das VLT war zwar nicht das erste einer neuen Generation von optischen Teleskopen. Doch die Kombination von vier Teleskopen, die komplementären Eigenschaften der Instrumente, der herausragende Standort und die Betreiberphilosophie katapultierten Europas Astronomen damals an die Spitze der Forschung. Die ESO konnte nun das nächste Kapitel ihrer Geschichte aufschlagen: Die Schritte hin zu einem einzigartigen Projekt in der nichtoptischen Astronomie und zum Bau der nächsten Generation optischer Teleskope - den Extremely Large Telescopes.


ALMA und das E-ELT

Wenngleich die ESO in ihren ersten Jahrzehnten hauptsächlich optische Astronomie betrieb, gab es keine Hindernisse, die Forschungen auf andere Wellenlängenbereiche auszuweiten. Giacconi war fest davon überzeugt, dass die an Beobachtungen im Millimeter- und Submillimeterbereich interessierten Astronomen in Europa eine große Antennenanlage auf der Südhalbkugel unterstützen würden. Die USA und Japan verfolgten bereits ähnliche Pläne. Für Giacconi lag der Zusammenschluss dieser Projekte nahe. Auf seine Initiative hin unterzeichneten die Europäer und Amerikaner 1997 eine Absichtserklärung zum Bau einer Anlage mit 64 Zwölf-Meter-Antennen im Norden Chiles, auf der Hochebene Llano de Chajnantor. Dieses Antennenarray sollte ein Auflösungsvermögen wie das der modernen optischen Teleskope erreichen. Dadurch würden sich die Beobachtungen im optischen, infraroten und Millimeterbereich optimal ergänzen und bahnbrechende Erkenntnisse ermöglichen.

Nach eingehenden Projektstudien und dem Bau von Antennenprototypen gaben die Partner 2004 grünes Licht: ALMA (für Atacama Large Millimeter/submillimeter Array) sollte die bisher größte astronomische Anlage werden. Japan trat dem Projekt bei mit der Zusage, 16 eigene Antennen beizusteuern. Wegen steigender Kosten mussten die Partner jedoch 2005 die Anzahl der von Europa und den USA zu bauenden Teleskope auf 50 reduzieren. An den wissenschaftlichen Zielen brauchten aber deswegen keine großen Abstriche gemacht zu werden. Lange Zeit, bevor die ersten Antennen von ALMA auf der Chajnantor-Hochebene 5000 Meter über dem Meeresspiegel ihren Betrieb aufnahmen, begannen die Beobachtungen mit APEX, dem Atacama Pathfinder Experiment. APEX ist eine Zwölf-Meter-Antenne, die gemeinsam vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, dem Onsala Space Observatory in Schweden und der ESO betrieben wird. In der Zwischenzeit ist ALMA nahezu fertig gestellt; im März erfolgt die offizielle Einweihung. Die ESO ist damit zu einer Organisation mit vielfältigen Programmen und Zugang zu einem breiten Wellenlängenbereich geworden.

Der Fortschritt in der Beobachtungstechnik geht unaufhaltsam weiter. Als das 3,6-Meter-Teleskop gerade fertig gestellt war, begann die ESO das VLT zu planen. Als das VLT kurz vor seiner Fertigstellung stand, fassten die Ingenieure und Astronomen der ESO bereits die nächste Generation von optischen Teleskopen ins Auge. Von den Erfolgen des VLT-Projekts ermutigt, wagten sie sich an das Konzept für ein 100-Meter-Teleskop names OWL (Overwhelmingly Large Telescope). Damit waren sie nicht allein, denn andernorts wurde an einem alternativen Projekt für ein 50-Meter-Teleskop gearbeitet. Dies verdeutlichte vor allem, wie Europas Astronomen an Selbstbewusstsein gewonnen hatten und ihre ehrgeizigen Ziele weiterverfolgen wollten. Hier war aber auch Diplomatie vonnöten, denn die Verfechter der beiden verschiedenen Projekte zusammenzubringen, war nicht einfach. Catherine Cesarsky, seit 1999 Generaldirektorin der ESO, sah das wissenschaftliche Potenzial in den Projekten, erkannte aber auch die Gefahren, falls sich die Gemeinschaft der Astronomen nicht auf ein gemeinsames Vorhaben verständigen könnte. Sie arbeitete daher nachdrücklich auf einen übergreifenden Konsens hin.

Zunächst musste sich das OWL-Projekt der Diskussion und Überprüfung auf internationaler Ebene stellen. Das zog manche Veränderungen nach sich. Auf einer Konferenz in Marseille im Dezember 2006 einigte man sich schließlich auf die Kenngrößen für das neue Teleskop. Am Ende dieses Prozesses stand ein Projekt der ESO namens European Extremely Large Telescope (E-ELT, siehe Bild links). Noch 2006 übernahm ein Projektbüro bei der ESO die Federführung, die Standortwahl fiel 2010 wieder auf Chile, den Cerro Armazones, und 2011 wurde der Konstruktionsplan des Projekts fertig gestellt. Im Juni 2012 gab der ESO-Rat seine formelle Zustimmung für das E-ELT-Programm, doch der tatsächliche Baubeginn ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss.

Die Megaprojekte ALMA und E-ELT erforderten erhebliche personelle und finanzielle Mittel, die sich nur durch den Beitritt neuer Mitgliedstaaten aufbringen ließen. Aber gerade diese neuen Vorhaben machten die ESO attraktiver für Beitrittskandidaten. So nahm die ESO zwischen 2001 und 2008 sechs zusätzliche europäische Länder auf; und 2010 wurde ein Beitrittsabkommen mit Brasilien unterzeichnet, dem ersten nichteuropäischen Land. Die ESO zählt seither 15 Mitgliedstaaten.

50 Jahre alt zu werden, ist für eine Institution - wie für einen Menschen - eine stolze Leistung und gibt Anlass zum Feiern und für einen Rückblick. Doch das Adjektiv »alt« wäre im Fall der ESO äußerst unpassend. Die Europäische Südsternwarte richtet ihren Blick fest in die Zukunft - so, wie es sich mit 50 jungen Jahren geziemt.


Claus Madsen trat 1980 der Science Division der Europäischen Südsternwarte ESO bei. Er leitete unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und ist derzeit in der Wissenschaftsdirektion der ESO tätig. Sein neuestes Buch, The Jewel on the Mountaintop, behandelt die Entstehungsgeschichte der ESO.


Literaturhinweise

Blaauw, A.: ESO's Early History - The European Southern Observatory from Concept to Reality. ESO, Garching 1991
Gochermann, J.: Das ESO-NTT - ein Teleskop der neuen Generation. In: Sterne und Weltraum 9/1988, S. 516-520
Heckmann, O.: Sterne, Kosmos, Weltmodelle. Erlebte Astronomie. Piper Verlag, München 1976
Lorenzen, D.H.: Geheimnisvolles Universum - Europas Astronomen entschleiern das Weltall. Kosmos, Stuttgart 2002
Merkle, F.: Adaptive Optik. Ein Weg zur beugungsbegrenzten Abbildung bei der astronomischen Forschung. In: Sterne und Weltraum 12/1989, S. 708-713
Sutton, C.: ESO and CERN - a Tale of Two Organizations. In: CERN Courier, Oktober 2012, S. 26-29
Vogt, N.: La Silla, die südliche Beobachtungsstation der europäischen Astronomie. In: Sterne und Weltraum 9/1980, S. 284-289 (Teil 1), 10/1980, S. 324-330 (Teil 2)
Madsen, C.: The Jewel on the Mountaintop - The European Southern Observatory through Fifty Years. Wiley-VCH, 2012
Schilling, G., Christensen, L.L.: Europe to the Stars - ESO's First 50 Years of Exploring the Southern Sky. Mit DVD. Wiley-VCH, 2012


Weblinks

www.eso.org Homepage der Europäischen Südsternwarte

Weitere Weblinks unter:
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1178991

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 44-45:
Das beste Teleskop der Welt am besten Standort dieser Erde: In dem 360-Grad-Panorama spannt sich der Bogen der Milchstraße über den Berggipfel des Paranal, auf dem die Europäische Südsternwarte ESO das Very Large Telescope (VLT) betreibt. Links im Bild sind die geöffneten Kuppeln aller Teleskope des Observatoriums zu sehen. Die vier großen Schutzgebäude beherbergen die so genannten Unit-Teleskope mit jeweils 8,2 Meter Spiegeldurchmesser. Die vier kleineren Hilfsteleskope, die an verschiedenen Positionen betrieben werden können, haben Spiegel mit 1,8 Meter Durchmesser. In dieser Szenerie geht gerade der Mond auf, und direkt über ihm erhellt das Zodiakallicht den Morgenhimmel. Rechts im Bild, unter der Milchstraße und dicht am Horizont, sind zwei Nachbargalaxien zu erkennen, die Kleine und die Große Magellansche Wolke.

Abb. S. 46 oben:
Berittene Kundschafter: Vertreter der ESO befinden sich im Juni 1963 auf Einladung US-amerikanischer Kollegen in Chile, um die Möglichkeit eines gemeinsamen Standorts für eine Sternwarte zu prüfen. Die Association of Universities for Research in Astronomy (AURA) hatte im Jahr zuvor von der chilenischen Regierung ein großes Gelände um den Cerro Tololo erworben, wo ab 1963 das Cerro Tololo Inter-American Observatory entstand. Mangels Straßen mussten Erkundungen auf dem Rücken von Pferden oder Maultieren duchgeführt werden. Auf dem Bild sind von links nach rechts zu sehen: Charles Fehrenbach, Otto Heckmann, der Architekt Marchetti, Jan Hendrik Oort, Nicholas U. Mayall, Frank K. Edmondson und Andre Müller.

Abb. S. 46 unten:
Seine Leistung ist fast in Vergessenheit geraten: Jürgen Stock erkundete mehrere Jahre lang die Sichtbedingungen in Chile, um die besten Standorte für Observatorien zu finden. Die Aufnahme entstand um 1962.

Abb. S. 47:
Im Lauf der Zeit hat die ESO vier Standorte im Norden Chiles erschlossen: La Silla, Paranal, Armazones und Chajnantor.

Abb. S. 48 oben:
Das Hauptquartier der Europäischen Südsternwarte mit Verwaltung und Entwicklung befindet sich auf dem Forschungsgelände Garching bei München.

Abb. S. 48 unten:
Technologischer Durchbruch: Mit dem New Technology Telescope (NTT) der ESO gelangen 1989 auf Anhieb die bis dahin schärfsten Aufnahmen mit einem bodengebundenen Teleskop. Im Sternhaufen Omega Centauri (links als Gesamtaufnahme mit dem Schmidt-Teleskop) bildete das NTT ein winziges Areal (Pfeil) mit einer Auflösung von 0,33 Bogensekunden ab.

Abb. S. 49:
Zwei Jahre nach Inbetriebnahme gelang dem New Technology Telescope die bis dahin »tiefste« Aufnahme des Universums: Das NTT Deep Field zeigt ferne und somit sehr lichtschwache Galaxien im Sternbild Sextans. Einige von ihnen haben eine scheinbare Helligkeit von nur 29 Magnituden. Ein Stern, der gerade noch mit bloßem Auge sichtbar ist, erscheint etwa 1,6 Milliarden Mal heller.

Abb. S. 50:
La Silla aus der Luft: Zum Zeitpunkt der Aufnahme, 1991, war der Berg La Silla schon dicht von Teleskopen der ESO und nationaler Forschungseinrichtungen bevölkert.

Abb. S. 51:
Außergewöhnlicher Standort: Das Very Large Telescope (VLT) wurde auf dem Cerro Paranal in einer der trockensten und abgelegensten Gegenden der Erde, der Atacamawüste, errichtet. Vor Baubeginn musste der Berggipfel um 28 Meter abgetragen werden, damit ein genügend großes Plateau zur Verfügung stand.

Abb. S. 52:
Zwei der ersten Instrumente am VLT sind FORS 2 (im Vordergrund am Unit-Teleskop Kueyen) und FORS 1 (im Hintergrund durch die geöffneten Tore hindurch am Unit-Teleskop Antu zu sehen).

Abb. S. 53:
Das neueste Teleskop auf dem Paranal ist das VLT Survey Telescope (VST). Anlässlich seiner Einweihung veröffentlichte die ESO das damit im Juni 2012 entstandene Bild des Carinanebels.

Abb. S. 54 oben:
Auf dem Chajnantor-Plateau im Norden Chiles betreibt die ESO in 5000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel ALMA, das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array. Die Anlage, die im März 2013 eingeweiht wird, umfasst 50 transportable Zwölf-Meter-Antennen, die entlang einer Basislinie von 16 Kilometern aufgestellt werden können. Ergänzt wird die Anlage durch weitere vier Zwölf-Meter- und zwölf Sieben-Meter-Antennen.

Abb. S. 54 unten:
Bislang nur eine Computergrafik: Das künftige Flaggschiff der ESO wird das European Extremely-Large Telescope (E-ELT) sein, das in den nächsten Jahren auf dem Cerro Armazones entsteht.

© 2013 Claus Madsen, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 2/13 - Februar 2013, Seite 44 - 55
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie), Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2013