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BERICHT/074: Der Sternenweg Großmugl (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/16 - Februar 2016
Zeitschrift für Astronomie

Der Sternenweg Großmugl
Astronomische Öffentlichkeitsarbeit einmal anders

Von Karoline Mrazek und Erwin Matys


In einer österreichischen Gemeinde wurde ein neues Konzept für die astronomische Öffentlichkeitsarbeit verwirklicht: Ein astronomischer Themenweg führt Besucher durch die Nacht, bringt ihnen die Wunder des Sternenhimmels näher und ermuntert zum Schutz des Nachthimmels. Die Autoren laden zur Übernahme und Weiterentwicklung der Idee ein.


Großmugl ist eine kleine Ortschaft in Niederösterreich mit rund 1500 Einwohnern. Hier sind seit vielen Jahren verschiedene amateurastronomische Organisationen aktiv. Der Verein Keltenberg Sternwarte betrieb in Großmugl mehrere Jahre lang eine Containersternwarte und veranstaltete öffentliche Führungen. Die Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie (WAA) ermöglichte in Großmugl im Jahr 2010 auf einem Sternenfest mit ihrer hochwertigen mobilen Ausrüstung über tausend Besuchern einen ersten teleskopischen Blick auf Himmelsobjekte. Und auch der Wiener Verein Kuffner-Sternwarte ist zwei bis drei Mal im Jahr für kleinere Sternführungen vor Ort, beispielsweise in den Perseidennächten im August. So wurde Großmugl im Lauf der letzten Jahre auch im benachbarten Wien für astronomische Freizeitaktivitäten bekannt - nicht nur im Kreis der Sternfreunde, sondern auch bei der wissenschaftlich interessierten breiteren Öffentlichkeit. Die Mundpropaganda und die Berichterstattung in lokalen Medien waren so gut, dass Großmugl heute ein prächtiger Sternenhimmel nachgesagt wird. Der Slogan »Großmugl an der Milchstraße« ist zum geflügelten Wort geworden.

Großmugl an der Milchstraße

Für Besucher aus der Millionenstadt Wien, die in Großmugl zum ersten Mal mit eigenen Augen die Milchstraße sehen, ist der Himmel dort sicherlich beeindruckend. In Amateurkreisen wird die vorhandene Himmelsqualität zu Recht etwas kritischer gesehen. In mondlosen Nächten mit durchschnittlicher Transparenz sehen versierte Beobachter meistens Sterne bis zur 6. Größenklasse. Messungen mit dem Instrument Sky Quality Meter SQM-L ergeben in solchen Nächten regelmäßig einen Wert von 21,0 Magnituden pro Quadratbogensekunde im Zenit (siehe Kasten unten und SuW 8/2006, S. 80). Der Lichtdom von Wien erstreckt sich im Südsüdosten für das bloße Auge bis in eine Höhe von etwa 30 Grad und ringsum ist der Horizont durch benachbarte Ortschaften leicht aufgehellt.

Messung der Himmelshelligkeit

Zur Einschätzung der Himmelsqualität eines Beobachtungsstandorts wurde lange Zeit nur die so genannte freisichtige Grenzgröße, die Helligkeit des schwächsten ohne optische Hilfsmittel sichtbaren Sterns, verwendet. Diese Methode ist sehr unsicher, da sie stark von individuellen Faktoren des Beobachters abhängig ist, wie zum Beispiel seiner Sehleistung oder Beobachtungserfahrung. Die neuere und objektivere Methode besteht in Messungen der Himmelshelligkeit, die in Magnituden pro Quadratbogensekunde ausgedrückt wird. Messwerte unterhalb von 19,0 entsprechen einem Stadthimmel, in Vorstadtgebieten erreichen die Messwerte 20,0, und ein Wert von 21,0 entspricht bereits einem guten Landhimmel. Ab einem Messwert von 21,5 kann die Himmelsqualität als herausragend bezeichnet werden. Als Marktstandard für Messungen der Himmelshelligkeit haben sich in den letzten Jahren die Sky-Quality-Meter-Messgeräte des kanadischen Herstellers Unihedron etabliert (siehe SuW 3/2009, S. 74, und Bild in der Druckausgabe).


Die Bedeutung von Großmugl als Ressource für die astronomische Öffentlichkeitsarbeit ergibt sich somit weniger aus einer überragenden Himmelsqualität, sondern aus einem ganz anderen Umstand: In nur 35 Kilometer Luftlinie Entfernung liegt die Großstadt Wien. Der Ort bietet also den dortigen zwei Millionen Einwohnern die Möglichkeit, nach nur 30 Minuten Autofahrt einen vergleichsweise dunklen Nachthimmel zu erleben - mit Tausenden von Sternen, einer strukturierten Milchstraße, Meteoren und anderen freisichtigen Objekten, die für den durchschnittlichen Stadtbewohner heute nur mehr Legende sind.

Die Entstehung des Sternenwegs

Den Standort Großmugl nutzt seit Jahren auch das Project Nightflight für Instrumententests. Hier kann die Ausrüstung unter beinahe Echtbedingungen geprüft werden, bevor sie in den wertvollen Nächten an wirklich dunklen Standorten wie auf der Kanareninsel La Palma zum Einsatz kommt. Bei einem der Aufenthalte in Großmugl kam dem Team die Idee, den Ort mit einer dauerhaften astronomischen Attraktion zu versehen. Da es in Großmugl keine regelmäßigen Sternführungen gibt und auch im Ort die dafür notwendigen Fachkräfte nicht zur Verfügung stehen, gingen die Überlegungen in Richtung einer einfachen, wartungsfreien und selbsterklärenden Installation. Schließlich wurde von Project Nightflight ein Konzept für eine Einrichtung erarbeitet, die im astronomischen Kontext eine echte Innovation darstellt: ein Themenweg, der sich der Himmelsbeobachtung mit dem freien Auge widmet. Das Konzept sah vor, dass vom Ortszentrum ausgehend ein beschilderter Weg errichtet wird, der bei einem Beobachtungsplatz in den umliegenden Feldern endet. Er soll die Spaziergänger unterwegs zu eigenen astronomischen Beobachtungen ermuntern.

Die Gemeinde zieht mit

Das Konzept wurde im Mai 2013 dem Großmugler Bürgermeister Karl Lehner vorgestellt und von ihm mit großem Interesse aufgenommen. Der Gemeinderat der Ortschaft segnete das Projekt bereits im Spätsommer ab und gab die Finanzierung frei. Erfreulicherweise fand sich auch noch ein lokaler Sponsor, der bereit war, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Im Herbst und Winter 2013 erfolgten die detaillierten Planungsarbeiten bis zur endgültigen Festlegung der Wegführung und der Tafelstandorte. Dabei war es notwendig, letztere so auszuwählen, dass sie weit gehend auf Gemeindegrund errichtet werden konnten. In der kalten Jahreszeit wurden auch die Inhalte der Tafeln ausgearbeitet und für den Druck vorbereitet. Mit dem Ende der Frostperiode errichtete die Gemeinde dann entlang des Weges die Aufsteller für die Tafeln. Dafür wurden einfache Holzpfosten an den ausgewählten Positionen im Boden verankert. Zur Erhöhung der Stabilität sind an den Pfosten zwei Zentimeter starke Schichtplatten befestigt, die als Träger für die bedruckten Tafeln dienen. Im Frühjahr 2014 erfolgte der Druck der Tafeln auf zwei Millimeter dicke Aluminiumplatten im Format A2, die gleich anschließend montiert wurden. Der erste kurze Wegabschnitt führt noch durch das Ortsgebiet. Um den Besuchern dort eine leichte Orientierung zu ermöglichen, wurden mit Sprühfarbe und einer Schablone etwa 40 Zentimeter große weiße Sterne auf dem Straßenbelag angebracht.

Die Eröffnung des Wegs war für den 24. Mai 2014 angesetzt, in der Hoffnung auf einen warmen und schönen Frühlingsabend. Das Wetter spielte letztlich nicht ganz mit - ein klarer Himmel wechselte sich mit aufziehenden Gewitterwolken ab. Trotz der nicht perfekten Bedingungen fanden sich an diesem Abend rund 100 Interessierte zu einer ersten gemeinsamen Begehung ein, und der Weg wurde von Bürgermeister Lehner offiziell eröffnet.


Dem Nachthimmel auf der Spur

Der Verlauf des Sternenwegs
Der Sternenweg beginnt im Ortsgebiet von Großmugl und weist eine Gesamtlänge von 1,5 Kilometern auf. Nach etwa 200 Metern mündet er ins offene Gelände, die Stationen 3 bis 9 stehen am Rand von Feldwegen. Den Endpunkt des Sternenwegs bildet die Sternenwiese, ein öffentlicher Beobachtungsplatz beim Großmugler Leeberg - einem Hügelgrab aus der Hallstattzeit.

Die Informationstafeln
Auf ihnen finden sich Tipps, Beschreibungen und Beobachtungshinweise auf Deutsch und Englisch, die sich vor Ort anwenden lassen.

Die Stationen des Sternenwegs

1 Intro zum Sternenweg
2 Schutz des Nachthimmels
3 Sehen im Sternenlicht
4 Die Farben der Sterne
5 Die Helligkeit der Sterne
6 Die Milchstraße
7 Künstliche Erdsatelliten
8 Die Bahnen der Sterne
9 Finale


Das Erlebnis am Sternenweg

Mittlerweile erfährt der Sternenweg Großmugl regen Zuspruch. An klaren Abenden sind stets Besucher aus dem regionalen Umland und aus Wien zu finden, die einen Spaziergang in die Nacht unternehmen. Der Weg wurde für die Begehung in der Dämmerung entworfen, durch die gewählte Schriftgröße von einem Zentimeter sind die Tafeln bis in die nautische Dämmerung auch ohne Taschenlampe lesbar. Die Besucher beginnen ihren Sternenspaziergang mitten im Ortsgebiet. An der ersten Station werden sie mit der Idee des Sternenwegs vertraut gemacht und gebeten, entlang des Wegs keine hellen Lichtquellen zu verwenden und damit ihren Augen zu erlauben, sich langsam an die Dunkelheit zu gewöhnen. Die Spur aus weißen Sternen am Boden führt die Besucher von der ersten Station aus dem Ortsgebiet in die umliegenden Felder und Wiesen.

Die zweite Station, die sich ebenfalls noch im Ortsgebiet befindet, ist dem Thema Lichtverschmutzung gewidmet. Hier wird darüber informiert, dass helle Straßenlampen, leuchtende Werbetafeln, Flutlichter und andere Lichtquellen der Grund sind, warum in dicht besiedelten Gebieten schwache Sterne und die Milchstraße nicht mehr zu erkennen sind. Es werden Tipps gegeben, welche Leuchtkörper eingesetzt werden sollten, und erklärt, warum der umsichtige und schonende Einsatz von künstlicher Beleuchtung für den Nachthimmel einen dramatischen Unterschied bedeutet.

Über die Sternenwiese zum Ziel

An der dritten Station befinden sich die Besucher bereits am Ortsrand. Ab hier sind auf den Tafeln Himmelserscheinungen beschrieben, die sich mit freiem Auge beobachten lassen. Während die Besucher nun Feldwege entlanggehen, erhalten sie an den Stationen Orientierung und werden immer wieder eingeladen, ihre Augen zum Himmel zu richten: Die Farben und Helligkeiten der Sterne, künstliche Erdsatelliten, Sternschnuppen, die scheinbare Bewegung der Sterne und ganz besonders die Milchstraße sind einige der Erscheinungen, auf die hingewiesen wird. Alle Erklärungen auf den Tafeln sind in einfacher Sprache gehalten, so dass auch Besucher ohne astronomische Vorkenntnisse die Hinweise leicht nachvollziehen können. Die reine Gehzeit für den anderthalb Kilometer langen Weg beträgt etwa 20 Minuten. Besucher, die sich an den Stationen ausgiebig informieren, brauchen naturgemäß länger - bis zu anderthalb Stunden -, um den Endpunkt zu erreichen. Dort erwartet sie dann der Höhepunkt des Sternenwegs: die Sternenwiese beim Großmugler Leeberg, einem Hügelgrab aus der Hallstattzeit. Der Ort ist ausschließlich Sternfreunden vorbehalten und wird im Sommer von nächtlichen Ausflüglern auch gerne mit Picknickdecken genutzt. Zusätzlich lädt eine Sitzgruppe mit Bänken, die »Sternenrast«, zum Verweilen ein. Nicht zuletzt durch den benachbarten Leeberg bietet die Sternenwiese eine ganz besondere Atmosphäre. Viele Besucher des Sternenwegs rasten hier und genießen in Ruhe den Sternenhimmel, bevor sie den Rückweg nach Großmugl antreten.

Einladung zur Weiterentwicklung

Der Sternenweg Großmugl wurde vom Project Nightflight entworfen, einer Gruppe von Astrofotografen, die sich die Erhaltung des dunklen Nachthimmels zum Ziel gesetzt hat. Das Team wird von den beiden Autoren dieses Beitrags geführt. Statt mit drohendem Zeigefinger auf die Quellen der Lichtverschmutzung zu zeigen, geht Project Nightflight einen anderen Weg: Es werden Himmelsaufnahmen von beeindruckenden Nachtlandschaften erstellt und in internationalen Medien publiziert. Die Errichtung des Sternenwegs Großmugl ist ein weiteres Beispiel für die Aktivitäten der Gruppe - die Nacht wird damit ganz bewusst als Erlebnis inszeniert und somit das Verständnis der Öffentlichkeit für Schutzmaßnahmen gefördert.

Project Nightflight möchte den Sternenweg Großmugl auch als Inspiration verstanden wissen: Amateurgruppen, Tourismusorganisationen und andere Engagierte sind herzlich eingeladen, die Idee zu übernehmen, weiterzuentwickeln und eigene Sternenwege zu errichten. Einen ersten Erfolg zeigte dieser Appell bereits: Richard Clements, Präsident der Barnard Astronomical Society in Tennessee, besuchte Großmugl im Dezember 2014, um sich für ähnliche Installationen in den USA inspirieren zu lassen. Mittlerweile ist für den Harrison Bay State Park ein Sternenweg geplant, die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren. Auch regional in Österreich findet der Sternenweg zunehmend Anklang. Zum Beispiel bietet seit der Sommersaison 2015 ein kleines Gästehaus in einem Nachbarort ein eigenes Sternenweg- Übernachtungspaket an. Naturbegeisterte Besucher können dort nach ihrer Sternenwanderung nicht nur lange ausschlafen, sie erhalten leihweise auch eine Ausstattung für ein nächtliches Picknick.


Karoline Mrazek studierte an der Universität Wien und ist selbstständige Spezialistin für internationale Marketingtexte. Sie ist Gründungsmitglied der Astrofotografengruppe Project Nightflight (www.projectnightflight.net). Ihre große Leidenschaft ist die fotografische Inszenierung der Schönheit des Nachthimmels.

Erwin Matysist Absolvent der Technischen Universität Wien und Marketingspezialist für komplexe Produkte. Er ist Autor mehrerer Marketingbücher und arbeitet als Berater für Technologieunternehmen. Er ist ebenfalls Gründungsmitglied von Project Nightflight und seit 30 Jahren als Astrofotograf aktiv.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 88:
Die Eröffnung des Sternenwegs: Obwohl die Wetterbedingungen nicht optimal waren, fand sich am 24. Mai 2014 eine große Gruppe von neugierigen Besuchern ein. Am Abend stand das prominente Dreieck von Jupiter, Kastor und Pollux am Dämmerungshimmel.

Abb. S. 90:
Das Finale des Großmugler Sternenwegs bildet die Sternenwiese mit dem Leeberg. Nur eine halbe Stunde Autofahrt von Wien entfernt, finden Sternfreunde hier noch einen einigermaßen dunklen Nachthimmel. Obwohl am Horizont Aufhellungen durch Lichtverschmutzung erkennbar sind, zeigt sich die Milchstraße strukturiert und eindrucksvoll.

Abb. S. 90:
Die ersten beiden Stationen des Sternenwegs befinden sich im Großmugler Ortsgebiet. Auf diesem Wegabschnitt sind am Boden mehrere Dutzend Sterne angebracht, mit denen der Wegverlauf markiert ist. Ab der dritten Station führt der Sternenweg über Feldwege durch offenes Gelände.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
Link: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-02-s088-pdf/1390904

© 2016 Karoline Mrazek und Erwin Matys, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 2/16 - Februar 2016, Seite 88 - 91
URL: Link: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-02-s088-pdf/1390904
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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E-Mail: suw@spektrum.com
Internet: http://www.astronomie-heute.de
 
Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 8,20 Euro, das Abonnement 89,00 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2016

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