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AUSLAND/8321: Aus aller Welt - 16.11.2019 (SB)


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In Bolivien schafft die selbsternannte Interimspräsidentin Áñez Fakten

In Bolivien ist die selbsternannte Übergangspräsidentin Jeanine Áñez nicht nur angetreten, binnen 90 Tagen Neuwahlen durchzuführen, sie will zuvor auch die Innen- und Außenpolitik des Andenstaates konservativ ausrichten. In einem ersten Schritt wechselte Áñez die Militärführung aus und ernannte elf "Kabinettsmitglieder". Als erste außenpolitische Amtshandlung schloß sich Áñez den rund vier Dutzend Ländern an, welche den selbsternannten Übergangspräsidenten in Venezuela, Juan Guaidó, als legitim anerkannt hatten. Am Freitag verkündete die kommissarische Außenministerin Karen Longaric bei einer Pressekonferenz die Ausweisung aller venezolanischen Diplomaten an. Die Vertreter des amtierenden venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro sollen sich in innere Angelegenheiten Boliviens eingemischt haben. Auf Betreiben von Áñez zieht sich Bolivien voraussichtlich aus den Regionalbündnissen Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) und Bolivarianische Allianz für Amerika (Alba-TCP) zurück. Die von der sozialistischen Regierung unter Präsident Evo Morales ernannten Botschafter außer denen im Vatikan und in Peru werden zurückgerufen. Ebenfalls am Freitag drohte Áñez dem am vorangegangenen Wochenende ins mexikanische Exil geflüchteten, ersten indigenen Präsidenten von Bolivien für den Fall seiner Rückkehr Strafverfahren wegen Korruption und Wahlmanipulation an.

Áñez' Präsidentschaft ist mindestens so lange illegitim, wie das von der sozialistischen MAS mit Zweidrittelmehrheit dominierte Parlament den Rücktritt von Morales am Sonntag vor einer Woche nicht anerkannt hat. Morales hatte sich drei Wochen nach seiner Wiederwahl dem Druck der Straße sowie der Armee- und Polizeiführung beugen müssen. Wenige Stunden nach der Bekanntgabe von Neuwahlen verzichtete Morales auf sein Amt.

Die indigene Bevölkerungsmehrheit in Bolivien steht weiterhin hinter ihrem Präsidenten. Bei einer Großdemonstration am Mittwoch in La Paz wurde deutlich, daß das Volk Áñez nicht haben will. Die Senatorin wurde Rassistin genannt. In der Vergangenheit hatte sie schon mal die Neujahrsfeier der indigenen Aymara als satanisch bezeichnet oder den Indios geraten, die Stadt zu verlassen und ins Hochland oder in den Chaco abzuhauen.

Die MAS-Abgeordneten, die zuerst von der Polizei am Betreten des Parlaments gehindert worden waren, konnten dort am Mittwochabend eine beschlußfähige Versammlung abhalten. Sie erkannten das Ergebnis der Parlamentssitzung, auf der sich Áñez zur Übergangspräsidentin erklärt hatte, nicht an und wählten Sergio Choque zum neuen Präsidenten der Kammer. Dieser will dafür sorgen, daß die Streitkräfte in die Kasernen zurückkehren und die Polizei die Ordnung auf friedliche Weise wiederherstellt. Außerdem will er eine abgestimmten Wahlagenda ausarbeiten. Am Donnerstagabend haben auch die Senatoren der MAS Mónica Eva Copa zur neuen Senatspräsidentin gewählt.

16. November 2019


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