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NACHLESE/018: 50 Jahre später ... Nancy Sinatra, Lee Hazlewood - Nancy & Lee (SB)


Flowers growing on a hill, dragonflies and daffodils
Learn from us very much, look at us but do not touch
Phaedra is my name

Lee Hazlewood - Some Velvet Morning


Ohne Lee Hazlewood wäre Nancy Sinatra trotz all der Protektion, die sie durch ihren berühmten Vater genoß, kaum über den Status einer durchschnittlichen Schlagersängerin hinausgekommen. Bis 1965 versuchte sie vergeblich, unter den Fittichen der von Frank Sinatra gegründeten Plattenfirma Reprise Records mit ihren Singles nennenswerte Chart-Erfolge zu erzielen. Als der Songschreiber Hazlewood, der mit von ihm verfaßten und Duane Eddy eingespielten Instrumentalhits wie Peter Gunn, Shazam! oder Rebel Rouser in der Musikindustrie gut eingeführt war, auf Einladung ihres Vaters begann, Nancys Alben zu produzieren, war sie auf Anhieb erfolgreich. Lee war nicht nur ein begnadeter Komponist und Arrangeur, er veröffentlichte seit 1963 auch eigene Alben, in denen er als Sänger auftrat.

Während ein Hazlewood-Titel wie Friday's Child heute vergessen ist, wie die lediglich 22.400 Aufrufe des sehr sehenswerten Videos auf You Tube zeigen, das die Modernität der 60er mit einer Nancy Sinatra in Kurzhaarfrisur zwischen texanischen Ölpumpen emblematisch ins Bild setzt, ist die von ihm 1966 produzierte Coverversion des Sonny Bono-Titels Bang Bang (My Baby Shot Me Down) mit über 78 Millionen Aufrufen eines der heute bekanntesten Stücke der Sängerin. Dies dürfte hauptsächlich der Verwendung des Songs in Quentin Tarantinos Film Kill Bill geschuldet sein, ändert aber nichts daran, daß Lee Hazlewood zwar über einen Kultstatus bei anderen MusikerInnen verfügt, als eigenständiger Künstler und Produzent jedoch weitgehend unbekannt geblieben ist. Wenn überhaupt, dann haben seine Duette mit Nancy Sinatra in den Ewigkeitslisten der Oldie-Sender einen festen Platz, und das durchaus berechtigt, wie das 1968 veröffentlichte Album Nancy & Lee belegt.

Was für ein herausragender Texter und Komponist der 2007 verstorbene Lee Hazlewood war, erschließt sich anhand der von ihm verfaßten Titel auf der LP. Summer Wine hatte er bereits 1966 im Duett mit Suzi Jane Hokom aufgenommen, bevor der Song im Wechselgesang mit Nancy zu einem Welthit wurde. Sundown, Sundown wartete ebenfalls mit einem üppigen Streicherarrangement auf und hatte für sich genommen Hitformat, fiel jedoch hinter die heute legendären Hazlewood-Titel auf diesem Album zurück. Some Velvet Morning könnte als Signature Song der späten 60er Jahre bezeichnet werden. Genaugenommen sind es zwei Lieder in einem - Lee spricht vor düster illuminierter Soundkulisse von Phaedra, die ihm das Leben geschenkt habe, während Nancy in der Rolle dieser geheimnisvollen Frau mit ätherischer Stimme von Blumen und Libellen singt, von denen viel zu lernen sei, die aber nicht berührt werden dürfen. Das Lied wurde dutzendfach gecovert, nicht zuletzt von Hazlewood selbst, eingespielt mit seiner Enkeltochter Phaedra Dawn Stewart auf seinem letzten, 2006 veröffentlichten Album Cake or Death. 2003 kürten die Musikkritiker des Daily Telegraph Some Velvet Morning zum besten unter 50 aufgelisteten Duetten der Popmusikgeschichte.

Auch den Titel Sand hatte Hazlewood bereits 1966 mit Suzi Jane Hokum eingespielt, bevor er ihn mit Nancy Sinatra als ein Liebeslied aufnahm, das unter die Haut geht. Ein Fremder, der aus den wüstenartigen Einöden des amerikanischen Westens auftaucht, stellt sich der Frau, der er begegnet, als Sand vor. Sie kennt seinen echten Namen nicht und fragt auch nicht danach, es ist halt eine zufällige, aber intensive Begegnung in einer einsamen Welt, so die archaische Szene zahlreicher Road Movies. Cowboy Psychedelia wurde Lee Hazlewoods Musik auch genannt, und bei diesem Song weiß man wieso. Das gilt auch für Lady Bird, die fünfte originäre Hazlewood-Komposition auf Nancy & Lee. Der Wechselgesang zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Stimm- und Tonlagen ist auch bei diesem Titel einzigartig. Der Vergleich der Songs auf dem Album mit späteren Coverversionen, so etwa der Einspielung Summer Wine von Lana Del Rey und Barrie-James O'Neill aus dem Jahr 2013, zeigt deren unerreichte Qualität.

Die so erfolgreiche, von 1966 bis 1970 währende Zusammenarbeit mit Nancy Sinatra endete unversehens, als sich Lee Hazlewood entschied, aus dem Showgeschäft auszusteigen und nach Schweden zu ziehen. Dort lebte er recht zurückgezogen, arbeitete fürs Fernsehen und widersetzte sich allen Versuchen, den Ruhm seines musikalischen Schaffens durch Wiederveröffentlichungen seiner Alben aufzufrischen. Der aus Oklahoma stammende Lee hatte eine indigene Großmutter, und so finden sich unter seinen zahlreichen Titeln aus den 1960er Jahren, die meist mit den Verhältnissen zwischen Mann und Frau befaßt sind und als Sittengemälde heterosexueller Liebe auf der Höhe der Zeit gut funktionieren, immer wieder Lieder, in denen er das grausame Schicksal der von weißen Kolonisatoren vernichteten Native Amercians zum Thema macht. Mitunter prangern seine Balladen auch die Verlogenheit bürgerlicher Wohlanständigkeit und das Scheitern derjenigen, die darauf hoffen, für die Unterwerfung unter ihre Werte belohnt zu werden, an.

Auf seinem musikalischen Vermächtnis, Cake or Death, findet sich mit White People Thing ein antirassistischer Song von einer polemischen Sprengkraft, die gerade heute willkommen ist. In Dirtnap Stories vollzieht der ein Jahr nach Veröffentlichung der Platte gestorbene Sänger eine regelrechte Abrechnung mit der Religion. Lee Hazlewood fragt, wie es sich anfühlt, wenn alle Versprechen Gottes gebrochen werden. Die Antwort darauf gibt er mit der Metapher, daß sei so wie am Weihnachtstag, noch bevor alle Geschenke ausgepackt sind, zu sterben. Das Vermächtnis dieses großen, in popmusikalischen Kategorien fälschlicherweise eher der leichten Muse zugeordneten Musikers ist noch zu heben.

23. September 2018


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