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NACHLESE/006: 50 Jahre später ... Moby Grape - Moby Grape (SB)



You forgot to make a payment
And they're gonna disconnect your phone
You better pay up what you owe
They're gonna try to repossess your home

Moby Grape - Fall On You

Schaut man dereinst zurück auf den neoliberalen Kapitalismus, dann ist nicht unwahrscheinlich, daß das Scheitern zur Signatur seiner Epoche wird. Wo Erfolg zur harten Währung schlechthin erhoben wird, Konkurrenz das Stahlbad sozialen Gegeneinanders bis zum Rand des Unerträglichen füllt und die Phalanx der Leistungsträger über alles hinwegmarschiert, was sich dieser Ordnung nicht unterwirft, da gedeiht das Leben im Schatten vermeintlich alternativlosen Erfolgsstrebens um so stürmischer.

Aus der fünf Jahrzehnte vom popkulturellen Aufbruch der Sechziger entfernten Sicht war die kalifornische Band Moby Grape ihrer Zeit weit voraus. Das Quintett aus San Francisco stieg mit seinem gleichnamigen, nur 31 Minuten langen Debütalbum, das Anfang Juni 1967 zeitgleich mit fünf Singles aus seinem 13 Songs umfassenden Repertoire veröffentlicht wurde, hoch ein und fiel tief. Wiewohl die Melange aus Country, Rock, Blues, Folk und Psychedelia den Sound der Ära fast prototypisch verkörperte, alle fünf Bandmitglieder Solo wie Chorus sangen und die drei Gitarristen alle Spielarten zwischen transparenten Liedstrukturen und hochdynamischer Rockmusik virtuos beherrschten, blieb ihnen größerer Erfolg verwehrt.

Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil das direkte Umfeld der Gruppe, das aus Bands wie Jefferson Airplane oder Grateful Dead bestand, zu dieser Zeit fast wie von selbst den Zenit künstlerischen Erfolges erklomm. In der Gründerzeit popkultureller Hausmarken wie Jimi Hendrix, der mit dem Moby Grape-Gitarristen Jerry Miller in seiner Heimatstaat Washington den Spanish Castle Club besuchte und dies später im Song Spanish Castle Magic verewigte, den Beatles, den Rolling Stones, The Who oder Led Zeppelin Mitte der 1960er Jahre wurden regelrechte Dynastien begründet, die zum Teil heute noch aktiv sind. San Francisco war das Zentrum psychedelischer Musik, und Skip Spence, Don Stevenson, Peter Lewis, Jerry Miller und Bob Mosley hatten bereits in diversen in der Bay Area angesagten Gruppen gespielt. Die fünf Musiker ergänzten sich nicht nur am Instrument und beim Gesang, sie steuerten im Unterschied zu vielen großen Bands, deren Material meist von einem oder zwei Komponisten und Songschreibern geschaffen wurde, auch allesamt Lieder aus eigener Feder zum Gesamtwerk bei.

So fand im Vorfeld des Debütalbums "Moby Grape" , das in nur sechs Wochen für 11.000 Dollar an Studiokosten produziert wurde, bereits ein durch den guten Ruf, den die Gruppe in der Musikszene San Franciscos hatte, angeheizter Bieterwettbewerb zwischen mehreren Plattenfirmen um dessen Veröffentlichung statt. Clive Davis, der 1967 Präsident von CBS Records wurde und dort als großer Innovator des US-Musikbusiness eine neue Ära einleitete, hatte das Rennen um Moby Grape bereits gemacht, bevor er zum Monterey Pop Festival reiste, um dort spätere Größen wie Janis Joplin unter Vertrag zu nehmen. Da das renommiert Jazz Festival alles aufbot, was in der Rockmusik Rang und Namen hatte, um in neue kommerzielle Dimensionen vorzustoßen, war das Vorhaben, es filmisch zu dokumentieren, von vornherein als großes cineastisches Projekt angelegt. Moby Grape-Manager Matthew Katz verlangte eine Million Dollar von Impresario Lou Adler für das Recht, die Gruppe bei ihrem Auftritt in Monterey aufzunehmen. Die Aufnahmen wurden zwar gemacht, doch befinden sie sich bis heute unter Verschluß, angeblich weil Katz sie immer noch nicht freigeben will.

Das ist nur eine der vielen Rechtsstreitigkeiten, die seit den sechziger Jahren zwischen den vier überlebenden Bandmitgliedern und ihrem Manager ausgetragen werden. Allen voran Gitarrist Skip Spence, der heute zu den prominenten Opfern übermäßigen Drogenkonsums unter den US-Musikern dieser Zeit gezählt wird, waren die Musiker Moby Grapes weniger am Geschäft als an ihrem Sound und einem Leben interessiert, daß sich nicht nur in ihren Kontoauszügen widerspiegelt. Bei Spence wie bei dem Bassisten Bob Mosley wurden Schizophrenie diagnostiziert, und auch Gitarrist Peter Lewis hatte als Jugendlicher unangenehme Erfahrungen mit dem Psychiater gemacht. Er versuchte später, Spence und Mosley mit spirituellen Praktiken aus der Krise zu helfen. Mosley zog das Leben auf der Straße trotz Angeboten seiner Mitmusiker vor, ihm aus der Obdachlosigkeit zu helfen. Spence, der auf dem Debütalbum von Jefferson Airplane noch getrommelt hatte, bevor er zur Gitarre wechselte, fiel mit seinem Drogenkonsum allerdings so sehr aus dem Rahmen, daß ihm in dieser Hinsicht nicht zu helfen war. Sein Tod 1999 schuf die Basis für seinen nicht geringen Nachruhm, wie Musiker wie Robert Plant, Tom Waits, Mark Lanegan, Alejandro Escovedo oder die Gruppe Mudhoney zeigten, als sie dem verstorbenen Kollegen 1999 auf einem Tribute-Album Reverenz erwiesen.

Das Debütalbum Moby Grape hat seinen Platz im Kanon unvergänglicher Höhepunkte der psychedelischen Ära inzwischen fest eingenommen, wie etwa seine Plazierung in der von der Musikzeitschrift Rolling Stone herausgegebenen Liste "500 Greatest Albums of All Time" auf Platz 121 belegt. Was immer man von derartigen auf Basis ganz subjektiver Vergleichskriterien zustandegekommener Rankings halten mag, es ist nicht die einzige von Musikkritikern vorgenommene Würdigung des Albums oder einzelner seiner Titel, namentlich das von Skip Spence geschriebene Powerstück "Omaha".

Wieso die Band wie ihre Musiker dennoch außerhalb ausgesprochener Fankreise zu den großen Unbekannten der Popgeschichte gehören, ist nicht zuletzt dem von Clive Davies unternommenen Versuch geschuldet, sie im Juni 1967 auf einen Schlag über die Westküste Kaliforniens hinaus berühmt zu machen. Nachdem dies nicht funktioniert hatte, was ihren Manager nicht davon abhielt, die Gruppe gegen den Willen ihrer Mitglieder weiterhin auf eine Ebene der Vermarktung zu heben, auf der sie fast nur scheitern konnte, blieben nur die Scherben eines vermeintlichen Sommers der Liebe, dem die Dollarzeichen so fest eingebrannt waren, daß alle Wünsche, Träume und Hoffnungen an ihnen zerstoben.

19. Juli 2017


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