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INTERVIEW/053: Hip-Hop Straßenklassenfest - Rap und Revolution ...    S. Castro im Gespräch (SB)


Im Infight mit widrigen Verhältnissen

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 30. April 2016 in Hamburg


Auch die zweite Ausgabe des Hamburger Klassenfestes gegen Staat und Kapital [1] stand im Zeichen des Kampftages der Arbeit, der am darauffolgenden Tag mit Demonstrationen in allen deutschen Großstädten begangen wurde. Wie immer sich die Klasse heute definieren mag, für Lohnempfänger und all diejenigen, die keine sein wollen, gibt es überreichlich Gründe, sich streitbar mit den herrschenden Verhältnissen auseinanderzusetzen. So waren auch dieses Jahr auf dem Platz vor dem S-Bahnhof Sternschanze Ansagen zum Beat des Soundsystems zu vernehmen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen. Dies gilt auch für den Rapper S. Castro, der schon letztes Jahr auf der Bühne des Klassenfestes präsent war und dem Schattenblick nun einige Fragen zu seinen Texten und den politischen Absichten, die er mit seiner Musik verfolgt, beantwortete.


Nach dem Interview im Schanzenviertel - Foto: © 2016 by Schattenblick

S. Castro
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Kommst du aus einer Szene, in der ohnehin viel Rap gehört wird, oder bist du zum Rap gekommen, weil du dich damit politisch gut artikulieren kannst?

S. Castro (SC): Rap habe ich schon gehört, als ich noch zur Grundschule ging, angefangen mit Ami-Rappern wie Eminem oder eben mit Leuten, die man im TV sehen konnte. Mit deutschem Rap bekam ich erst ab der fünften oder sechsten Klasse Kontakt und habe mir dann von A bis Z alles angehört. Damals hatte ich noch keine Kriterien, was guter oder schlechter Rap ist, es mußte sich nur gut für mich anhören. Auf Inhalte hatte ich noch nicht geachtet. Als sich bei mir allmählich ein politisches Bewußtsein bildete, so mit 16, 17 Jahren, auch weil ich aus einem politischen Umfeld komme, verwirklichte sich bei mir im Kopf die erste Selektion, so daß ich rein aus subjektiver Sicht zwischen guten und schlechten Rappern unterschied. Natürlich blieben immer weniger Leute übrig, die ich unterstützen konnte, weil ich nicht die Inhalte fand, die ich hören wollte.

Ich habe mich durchaus mit Rappern beschäftigt, habe recherchiert, woher Hip-Hop kommt, daß es eigentlich eine Message hat und ein Sprachrohr der Unterdrückten ist. All das konnte ich jedoch in der deutschen Rap-Szene nicht wiederfinden, und daher dachte ich mir, es wäre doch super, wenn deutscher Rap mit politischen, aber vor allem konsequent systemkritischen Inhalten kommen würde. Nach dieser Inspiration wollte ich das, was ich mir wünschte, selber ins Mikrofon rappen.

SB: Gab es nicht früher schon Gruppen wie Anarchist Academy oder andere linke Rapper mit kritischen Texten?

SC: Definitiv, aber selbst heute habe ich noch keinen Überblick über die linke Rapper-Szene und kenne auch nicht jeden im Untergrund. Das ist eben das Problem. Linke Rapper gab es schon immer und es gibt sie auch noch heute, aber wer kennt sie, wo werden sie bekanntgemacht und welche Medien bzw. Plattformen unterstützen sie? Weil das fehlt, lernt man viele nicht kennen, sondern nur diejenigen, über die man auf dem Schulhof spricht oder die man bei anderen auf dem Handy hört bzw. bei MTV, früher bei Viva oder in Zeitschriften sieht. Doch das sind eher Leute, die dem Mainstream folgen und nicht wirklich politische Inhalte haben. Von daher kam es mir damals so vor, als würde es keinen linken Rap geben.

SB: Heute auf dem Klassenfest schien manchmal schwierig zu sein, die Leute in Bewegung zu kriegen, obwohl ihr euch viel Mühe gegeben habt, Resonanz zu erzeugen. Wie erlebst du das auch auf anderen Konzerten, und ist ein Rap-Event aus deiner Sicht überhaupt ein geeignetes Medium, um eine politische Message rüberzubringen bzw. Leute für konkrete Widersprüche zu interessieren?

SC: Dafür ist die Rapmusik definitiv geeignet. Jeden Tag sehe ich die positiven Auswirkungen meiner Raptexte vor allem auf Jugendliche, weil sie es sind, die überwiegend Rap hören. Aber meine Lieder kommen auch bei Erwachsenen gut an, die sich zwar überhaupt nicht für Rap und Hip-Hop interessieren, sich aber mit meinen Inhalten identifizieren können und davon berührt werden. Ich denke, daß nicht nur der politische Rap, sondern auch die gemäßigteren Richtungen ein hervorragendes Medium sind, um an Menschen heranzutreten. Normalerweise erreicht man Jugendliche kaum mit irgendwelchen trockenen politischen Inhalten, aber wenn man sie in Lieder verpackt, hören sie einem zu und können sich so viel besser damit identifizieren. Meiner Meinung nach wird die Hip-Hop-Musik besonders für die linke Szene in Zukunft eine sehr viel größere Rolle spielen, so daß man sie auf keinen Fall unterschätzen sollte.

SB: Momentan scheint die Linke im Verhältnis zum Vormarsch der rassistischen Rechten ziemlich schwach zu sein. So waren zum Klassenfest im letzten Jahr deutlich mehr Leute gekommen. Hast du den Eindruck, daß sich die radikale Linke auf einem Tiefpunkt befindet, und es jetzt einen starken Impuls geben müßte, damit sie wieder nach vorne kommt?

SC: Ich weiß nicht, ob man sagen kann, daß die linke Bewegung, nur weil man sich ein paar Veranstaltungen oder Demonstrationen herauspickt, schwach geworden ist. Für eine Analyse müßte man schon einen sehr guten Überblick haben. Klar, es gibt Zeiten, in denen sehr viel weniger Menschen bei wichtigen Demonstrationen oder Aktionen auf die Straße gehen. Aber als jemand, der sich seit Jahren in der politischen linken Szene bewegt, kann ich durchaus beobachten, daß eine starke Politisierung der Menschen stattgefunden hat, selbst wenn sie noch nicht ganz links sind.

Die momentanen Krisen- und Kriegszeiten sprechen im Endeffekt für uns. Allein durch die Flüchtlingswelle des letzten Jahres fangen selbst normale Menschen an, sich irgendwie mit Politik zu befassen und aktiv zu werden. Ich sehe also eher einen Aufwärtstrend. Natürlich nimmt der Zulauf auf der rechten Seite in Krisenzeiten zu, aber gleichzeitig politisiert sich auch die Masse der Menschen, was sich in starkem Maße in der Solidarität mit den Flüchtlingen und der antifaschistischen Haltung gegenüber Pegida, AfD und Co. ausdrückt. Ich denke, daß sie irgendwann an unserer Seite stehen werden und es auf jeden Fall einen Aufschwung der linken Bewegung geben wird. Ich habe also im Gegenteil eine eher positive Perspektive.

SB: Die Linke zeichnet im Sinne der Solidarität aus, daß sie Menschen, die in Not oder arm sind, unterstützt. Das macht einen deutlichen Unterschied zum rechten Sozialdarwinismus, der eher das Überleben des Stärkeren propagiert und schwächere Menschen ausgrenzt. Ergreifst du in deinen Texten auch explizit Partei für die Schwächsten der Gesellschaft, obwohl es in der Regel nicht besonders attraktiv erscheint, mit ohnmächtigen Losern etwas zu tun zu haben?

SC: Zunächst möchte ich einschieben, daß ich die Unterdrückten, wie ich sie nennen würde, niemals als Loser oder ähnliches bezeichnen würde. Statt dessen habe ich von Anfang an gesagt, daß sie eine gewisse Macht in der Hand haben, die sie nur entdecken müssen. Ich sehe nicht wirklich eine Schwäche bei diesen Menschen. Für mich ist ein Mensch nur dann schwach, wenn er nicht weiß, ob er zu den Unterdrückern oder zu den Unterdrückten gehört, was für eine Kraft er hat, in welchem System er lebt und was sein Weg ist. Ansonsten kann ein Mensch sehr stark sein, egal, in welcher ökonomischen oder sozialen Lage er ist. Ich spreche in meinen Texten definitiv die Unterdrückten an, daß sie kämpfen sollen und stark sind, wenn sie zusammenhalten.

SB: Du vertrittst eine klassenkämpferische Position. Wie würdest du heute in einer Gesellschaft, in der die Menschen in ihrem Individualisierungsstreben zu Isolation und Konkurrenz getrieben werden, den Begriff Klasse definieren?

SC: Viele denken, daß der Klassenbegriff mit Marx aufgehört hat, eine Berechtigung zu haben, weil es die Fabriken und den Pauperismus von damals nicht mehr gibt. Heutzutage, wo jeder Rapper oder Fußballer Millionär werden kann, wird die Ansicht vertreten, daß Klassenunterschiede keine Bedeutung mehr haben, weil jeder etwas erreichen kann und der American Dream uns tagtäglich begleitet. Diese Illusion wurde absichtlich geschaffen, denn wenn man mit der richtigen Perspektive an die Sache herangeht, erkennt man, daß die Klassenunterschiede heute sogar schärfer denn je hervortreten und diese beiden Gegenpole, von denen Marx sprach, sich noch tiefer in die Gesellschaft eingegraben haben. Dazu braucht man sich nur die entsprechenden Studien der jüngsten Zeit anzuschauen, die belegen, daß die reichsten 62 Menschen auf dem Globus mehr Vermögen besitzen als die Hälfte der Weltbevölkerung. Das spricht schon für sich, zumal es vor ein paar Jahren noch über 80 Leute waren. Daran erkennt man, daß sich der gesellschaftliche Reichtum in unserem Zeitalter des Imperialismus immer mehr in wenigen Händen konzentriert und der Rest der Bevölkerung immer ärmer wird. Das ist für mich auf jeden Fall eine doppelte Bestätigung dafür, daß Klassen heute immer noch existieren.

SB: Deutschland betreibt eine Politik, die insbesondere bei der Flüchtlingsabwehr sehr eng mit der türkischen Regierung kooperiert. Darüber hinaus ist die PKK hier nach wie vor verboten. Wie erlebst du das als Mensch mit kurdischem Hintergrund?

SC: Das ist nichts, was mich in irgendeiner Weise verwundern würde, denn sobald es um Interessen der Herrschenden geht, die nur international durchgesetzt werden können, sei es beim Öl oder wie jetzt bei den Flüchtlingen, geht man wirklich über Leichen. Dabei spielt es keine Rolle, wer der Partner auf der anderen Seite ist, dann schreckt man auch vor Despoten nicht zurück. Deswegen war der Deal zur Flüchtlingsbekämpfung mit der Türkei für mich absehbar, und zwar von den ersten Verhandlungen an, als es darum ging, zu verhindern, daß die Leute nach Europa gelangen. Als sich verschiedene Mächte an einen Tisch gesetzt haben, war klar, daß sie in Zukunft die besten Freunde sein werden. Der Fall Jan Böhmermann zeigt zudem, daß diese Zusammenarbeit sogar so weit geht, bestimmte Leute notfalls hinter Gitter zu bringen, wenn sie Satire machen, die Erdogan mißfällt.

SB: Böhmermann hat sein Schmähgedicht zwar in einen bestimmten Kontext gesetzt, aber auch mit Stereotypen und Bildern gearbeitet, die man durchaus als antimuslimischen Rassismus bezeichnen könnte. Was hältst du von dieser Art Satire?

SC: Das ist nicht mein Niveau und nichts, was ich prinzipiell befürworten würde. Ich möchte lediglich andeuten, daß die deutschen Politiker in die Tat umgesetzt haben, was sich der türkische Diktator gewünscht hat, nur weil er sich beleidigt fühlt. Das Gedicht an sich verdient kein Lob.

SB: Du bist heute auf dem Klassenfest wie schon im letzten Jahr gemeinsam mit Derbst aufgetreten. Wie kommt es, daß ihr häufiger zusammen rappt?

SC: Ich habe vor Jahren mit einem Produzenten angefangen, im Studio in Gelsenkirchen aufzunehmen. Vermittelt durch sein damaliges Label hat auch Derbst im gleichen Studio aufgenommen. So sind wir aufeinandergetroffen und haben uns kennengelernt. Ich wußte von ihm schon vorher durch seine politischen Texte. Wir haben uns unterhalten, aber seinerzeit kam noch nichts zustande. In seiner labellosen Zeit, als er sich noch stärker politischen Inhalten widmen wollte, kamen wir schließlich auf einen gemeinsamen Nenner und wollten zusammen etwas machen, weil wir uns gut zu ergänzen schienen.

Dadurch, daß er mit seiner kräftigen Stimme harte Zeilen rappt und auf das Radikale achtet, während ich stärker auf meine Technik setze, dachten wir, daß dabei auf jeden Fall eine coole Synthese herauskommen könnte. Als wir einmal live aufgetreten sind, haben wir gesehen, daß wir uns auch auf der Bühne gut ergänzen und eine gute Show liefern. Deswegen wird es auch in Zukunft immer wieder eine Zusammenarbeit geben.

SB: S. Castro, vielen Dank für das Gespräch.


Aufnahme von der rechten Seite der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Derbst und S. Castro auf der Bühne des Klassenfestes
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnote:

[1] Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT
BERICHT/031: Hip-Hop Straßenklassenfest - Weigerung und Offensive ... (SB)


13. Mai 2016


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