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BERICHT/021: Musikstil- und Kindertrip - phänospektral und miterlebt (SB)


"Eule findet den Beat"
Premiere der ganz besonderen Art

Abaton-Kino in Hamburg am 1. Juni 2014



Ein Musik-Hörspiel im Kino?

Sonntagnachmittag vor dem Abaton-Kino in Hamburg. Kinder, Kinder und noch mehr Kinder versammeln sich und bilden allmählich eine breite Schlange in Richtung Kinokasse. Lachen, rufen - Aufregung und Erwartung. Was ist hier los?

Das Foyer beherbergt bald eine sich ständig in Bewegung befindende Menschenansammlung. "Haltet euch fest, paßt auf, daß ihr euch nicht verliert! Bleibt beieinander!", so die leicht besorgten Ermahnungen der Großen.

Endlich werden die Türen zum großen Kinosaal geöffnet und die Menge schiebt sich langsam und umsichtig darauf zu. Da liegen Sitzkissen für die Kinder, damit auch die ganz kleinen nicht in den plüschigen Sesseln versinken und wie die größeren eine gute Sicht haben. Jedes Kind bekommt ein Knicklicht in die Hand, die Erwachsenen ein Blatt mit Texten zum Mitsingen.

In kurzer Zeit sind alle Plätze belegt. Der Saal ist voll. Am Rand stehen hier und da ein paar Erwachsene. Schummeriges Licht. Nur die Leinwand ist hell. Ein kleiner Film läuft ab ohne Ton. Zu sehen sind Bauarbeiter, die lange Holzbretter immer wieder so umbauen, daß die aktuelle Uhrzeit daraus entsteht. Dann haben sie die ersehnte "15:00" errichtet. Stille.

Blick auf die große Kinoleinwand, davor die Musikband - Foto: © 2014 by Schattenblick

Bauarbeiter werkeln noch an "15:00".
Foto: © 2014 by Schattenblick

Vor der großen Leinwand haben die Musiker ihre Instrumente schon aufgebaut. Ein Schlagzeug, zwei Gitarren, ein Keyboard und die Mikrofone. Die Jungen vom Chor "Die Jungs" stehen bereit. Der Kinobetreiber findet ankündigende Worte, stellt die drei Frauen vor, die "Eule findet den Beat" erdacht und das heute hier gezeigte Gesamtwerk erschaffen haben: Charlotte Simon, Nina Grätz und Christina Raack.

Die drei Erfinderinnen der Eule vor dem Premiereplakat - Foto: © 2014 by Schattenblick

(von links nach rechts:) Nina Grätz, Charlotte Simon, Eule, Christina Raack
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die drei Freundinnen, alle erfolgreich in ihren Berufen, wollten mal etwas ganz anderes machen, etwas für Kinder und etwas mit Musik. So entstand erst die Idee, dann ein Konzept. Es folgten die Bilder und die Texte, mehr und mehr nahm das Projekt mit dem Namen "Eule findet den Beat" Gestalt an. Die liebenswerten Bilder erschuf Charlotte Simon, die Grafikerin unter den dreien. Es ist beeindruckend, mit welch einfach gehaltenen Strichen und vielen lustigen Details sie den Tieren Figur und Gesicht verliehen hat und sie gleichsam so bewegt erscheinen läßt. Die witzigen und lehrreichen Dialoge und viele der Songtexte erdachte sich die Autorin und Drehbuchlektorin Christina Raack, die dem Schattenblick erzählte, daß es ihr nicht schwer gefallen sei, eine Geschichte zum Eule-Konzept zu entwerfen. Sie schreibe ohnehin gerne und liebe es, sich Dialoge auszudenken. Und hier habe sich eine tolle Möglichkeit dazu ergeben. Das hört sich dann etwa so an: Die Pop-Fliege erklärt Eule, woraus ein Popsong besteht: "... einer wunderbaren Melodie, die man sich megaleicht merken und sofort mitsingen kann. Schwupps, und schon hast du einen Ohrwurm." - "Oh, nein, ein Wurm, in meinem Ohr?" - "Eule, keine Sorge, doch keinen richtigen Wurm ...". Ein lautes Lachen bei den Kindern. Nina Grätz, ausgebildet in der Musikindustrie, kümmerte sich um die Verbindungen zu Musikern, Musikerinnen und Produzenten.

Im Café - Foto: © 2014 by Schattenblick

(von links nach rechts:) Christina Raack, Charlotte Simon, SB-Redakteurin, Nina Grätz im konzentrierten Gespräch kurz vor der Premiere
Foto: © 2014 by Schattenblick

In einem Gespräch kurz vor der Premiere erklärten die drei Macherinnen, denen die Freude und der Elan an ihrem ersten gemeinsamen Projekt deutlich anzumerken war, dem Schattenblick, daß Kinder ja noch nicht unbedingt alle Musikrichtungen kennen. Meistens hören sie das eine oder andere im Radio, wissen aber nicht, daß es noch viel mehr Musik gibt. Mit dem Musik-Hörspiel wollten sie Beispiele geben, so daß Kinder überhaupt die Möglichkeit haben, zu hören, zu fühlen, an welcher Musik sie Spaß haben. Vielleicht entwickelt sich auf diese Weise auch ein Interesse an Musik überhaupt. Es sei wichtig, daß Kinder selbst ihre Musik finden und ihnen beispielsweise nicht von ihren Eltern vorgegeben wird, was eine gute oder eine schlechte Musik ist oder sie gar in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Die drei haben sich also sieben moderne Stile und eine klassische Musik, nämlich die Oper, ausgewählt. Man hätte wahrscheinlich auch noch weitere Differenzierungen vornehmen können, Operette oder ähnliches, aber das sollte in diesem ersten Projekt keinen Platz finden, weil es einfach zu viel geworden wäre. Mit Pop, Jazz, Rock, der Oper, Punk, Reggae, Hip Hop und Elektro haben sie also ihre Wahl getroffen und vielleicht gibt es irgendwann noch eine Fortsetzung.

Dann geht 's los. "Die Jungs" eröffnen das Ganze mit dem Lied, das auf die Eule-Geschichte einstimmt. Worum es darin geht, ist kurz erzählt. Die Eule, ein echter Musiklaie, lebt am Waldrand einer Stadt. Ihre Entdeckungsreise beginnt damit, daß sie einer verlockenden Melodie folgt. Unterwegs begegnet sie acht Tieren, die ihr jeweils ihre Lieblingsmusik zeigen und erklären. Und so lernt sie Pop, Jazz, Rock und all die anderen Musikstile kennen - und findet schließlich ihren eigenen Beat.

Damit ihr das auch gelingt, wurde sie von vielen kreativen Köpfen und Händen unterstützt. Das Team der drei Frauen fand mehr und mehr Mitstreiter. Viele von ihnen waren sofort begeistert und gingen tatkräftig an die Arbeit. Dem Produkt ist das wohl anzumerken.

Reggae-Papagei mit Eule auf der Palme - Foto: © 2014 by Schattenblick

Reggae auf der Palme
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Begegnungen, die Eule mit den einzelnen Figuren hat, werden nicht zuletzt durch die lebhafte Erzählung und die witzigen Mißverständnisse zwischen der unwissenden, aber neugierigen Eule und den Tier-Musikern zu einem Erlebnis. Vom Reggae-Papageien mit "Jo Bruder" angesprochen, klärt sie ihn leicht verunsichert auf, daß sie gar keine Geschwister habe und außerdem ein Mädchen sei. Mit unverwechselbaren Stimmen verhelfen die Sprecher jedem Tier zu einem eigenwilligen Charakter. So entstanden außer Eule acht kleine Persönlichkeiten. Und welches Tier für welche Musik steht, ist nicht beliebig, verrieten uns die drei "Mütter" der Eule. Hier stecke Überlegung drin. Denn welches Tier könnte beispielsweise auf Rock-Musik treffen? Der Maulwurf. Ein Rockfestival findet draußen statt. Er könnte also auf der Wiese aus seinem Maulwurfshaufen auftauchen und die Rock-Musik schätzen lernen. Eine Kellerassel ist leicht in Zusammenhang mit einem Jazzkeller zu bringen. Die Katze, die sonst eher ein sauberes und ziemlich braves Tier ist, sollte die Punk-Katze sein, weil ihr Punk-Charakter im krassen Gegensatz dazu steht. Welches Tier könnte man in einer Oper finden? Die Motte. Zwischen den Kostümen hätte sie am ehesten ein Ohr für die Opernmusik. Natürlich, es hätte auch ein Holzwurm sein können, aber die Motte erschien ihnen passender. Und welches Tier nimmt man für Hip Hop? - Gerappt wird auf der Straße, und wer lebt da noch: die Ratte. So erhielt jede Musik ihr Tier und jedes Tier seine Musik.

Es war Absicht, daß an diesem Projekt nur Profis am Werk waren. Nina Grätz erklärte, es sei ihnen sogar ganz wichtig gewesen, daß nur ausgebildete Künstler zusammenarbeiten, so daß auch sicher die Wirkung mit dem Hörspiel erreicht werden konnte, die sie sich gewünscht hatten. Viele der Mitwirkenden waren Freunde und jeder kannte wieder jemanden, der eine Aufgabe übernehmen konnte. Viele waren sofort begeistert und so war es auch nicht schwer, Leute für "Eule findet den Beat" zu finden.

Die Leinwand wird von riesigen Szenenbildern ausgefüllt, Standbilder - und doch voller Bewegung. Nachdem die Begegnung mit dem ersten Tier, der Pop-Fliege, stattgefunden hat, erscheint in großen Sternenbuchstaben das Wort POP - es füllt die ganze Leinwand aus. Die Geschichte stoppt, und die Band legt los mit einem Pop-Song, nein, mit dem Pop-Song, der sich auch auf der Hörbuch-CD befindet: "Ich bin ein Popsong und ich geh hier nicht weg ...". In gesungener Form erfährt nun der kleine und auch der große Hörer, was einen Popsong ausmacht.

Nina Grätz, Charlotte Simon und Christina Raack tanzen an einer Bühnenseite, immer passend zur Musik und dekoriert mit Accessoires, einer bunten Blumenkette oder einem Tutu, je nach Musikstil. Erst zögerlich, dann immer ungezwungener, stehen Kleine und Große auf, beginnen sich zur Musik zu bewegen, und hier und da kann man auch schon Singen hören.

Am Ende des Songs setzen sich die Musiker und Sänger, und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Auf der Leinwand wechseln die Bilder. Eule ist in einem schummerigen Jazzkeller gelandet und hat ihre erste Begegnung mit der Kellerassel: "Bist du aber klein", sagt sie. "Bist du aber dick", antwortet er, denn die Kellerassel ist ein Er. So lernen sie sich kennen, und die Kellerassel erklärt der Eule den Jazz. Die Großbuchstaben JAZZ auf der Leinwand sind das Zeichen für die Band. Sie singen und spielen Jazz-Musik und zwar gut - richtig gut.

Foto: © 2014 by Schattenblick

Eule trifft Kellerassel im Jazzkeller.
Foto: © 2014 by Schattenblick

In dieser Weise begleiten wir die Eule auf ihrem Entdeckungsflug. Da ist es schon schwer, nicht zu tanzen oder zu singen, die Arme zu schwenken oder den Rapper nachzuahmen. Passend zum Elektro-Song leuchteten die Knicklichter im Saal. Jede Musik fand Resonanz. Mal etwas mehr oder mal etwas weniger, aber am Ende blieb - ganz im Sinne der Eule -, keine Musik ist besser oder schlechter.

Doch als es dann mit dem Song "Finde deinen Beat" zu Ende gehen sollte, schienen, nachdem alle kräftig mitgesungen und getanzt hatten, viele nicht damit einverstanden und "Zugabe, Zugabe" wurde gerufen. Ein kurzer Moment, dann die Frage: "Was wollt ihr denn gern noch einmal hören?" Am lautesten war der Wunsch nach dem Hip Hop Song.

Foto: © 2014 by Schattenblick

'Rap, Ratte, Ratte rap' - Rapper Spax im Einsatz
Foto: © 2014 by Schattenblick

Rapper Spax wurde auf die Bühne gebeten, kam, ergriff das Mikro und stellte schon mal klar, daß er nicht allein rappen möchte, alle sollten mitmachen. Er nickte in Richtung Band, zu seinem Freestyle Musik zu machen, und dann ging 's los mit "Rap, Ratte, Ratte rap" in den verschiedensten Variationen. Begeisterung überall und erstaunlich wenig Versprecher bei den kleinen Rappern.

Stärken konnten sich die Kinder danach im Abaton-Bistro mit einer Mini-Pizza, was auch das Bistro in eine voll besetzte Lokalität verwandelte.

Bei dieser Premiere war man Teil von etwas ganz Besonderem, zuvor so noch nicht Dagewesenem, einem Gesamtkunstwerk. Idee, Konzept, Geschichte, Texte, Sprecher, Sänger, Musiker und viele andere und nicht zuletzt das Publikum, die Kinder und die Großen - nur durch ihr Zusammenwirken konnte das einmalige Erlebnis möglich werden.

War es Zu- oder Glücksfall oder gar Fügung, daß Nina Grätz an ihrem ersten Tag bei Universal Music Rolf Zuckowski im Fahrstuhl getroffen hat? Sie sei ganz überrascht gewesen, erzählte sie, ihm gleich dort zu begegnen. Irgendwie seien sie ins Gespräch gekommen, hätten sich dann verabschiedet und das sei es erst einmal gewesen. Dann später, als sie mit dem Eule-Projekt musikalisch schon so weit waren, daß sie ein Demo-Tape davon erstellen konnten, hat sie es Rolf Zuckowski zugeschickt, der sich kurze Zeit später bei ihr meldete und begeistert war. So wäre es dann schließlich auch dazu gekommen, daß er die Patenschaft für das Projekt übernahm. Diesem Zufall verdanken sie viel. Vielleicht wäre sonst einiges anders gekommen. Die "Eule" hat mittlerweile eine eigene Facebook Seite und an den vielen "gefällt mir"-Klicks ist die große Zahl ihrer Fans unter den Erwachsenen erkennbar. Sie haben aber auch schon viel positive Rückmeldung von Kindern erhalten, oft übermittelt durch die Mütter oder Väter, berichtete Charlotte Simon. Ein seltenes "Nee, gefällt mir nicht so gut" bezog sich dann nur auf ein Stück auf der CD.

Vielleicht hält die Eule auch in naher Zukunft Einzug in Kindergärten oder Schulen? Anfragen für ein Musical würde es schon geben.

Nach Verlassen des Kinosaals fragt man sich, habe ich da gerade einen Film gesehen, war ich auf einem Live Konzert, habe ich einem Hörspiel gelauscht oder mit vielen Kindern gesungen?

5. Juni 2014