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BERICHT/016: Verwurzelt, gewachsen, erblüht - wandelbare Bezirkskultur (SB)


Dritte SuedKultur MusicNight am 21. September 2013 in Harburg

Kreative Milieus lassen sich nicht von oben planen



Lange Zeit galten die Hamburger Stadtteile südlich der Elbe - jedenfalls aus Sicht der Möchtegern-Megacity-Macher - als vernachlässigt, problembeladen, unattraktiv. Das soll sich mit dem von der Hamburger Bürgerschaft im Oktober 2004 beschlossenen sogenannten "Sprung über die Elbe" ändern. Im Rahmen des Leitbildes »Metropole Hamburg - Wachsende Stadt« wollen Stadtplaner und -entwickler die südlichen Stadtteile, die zur Zeit durch ihre Lage zwischen Hafen, Industrie, Verkehrstraßen und Elbe isoliert sind, durch eine Aufwertung und stärkere Anbindung gewinnbringend in das Stadtgefüge integrieren.

Die Beteiligten mit Plakat für die SuedKultur MusicNight im Kulturcafé Komm du - Foto: © 2013 by Schattenblick

Initiatoren und Unterstützer der 3. MusicNight: SuedKultur-Sprecher Heiko Langanke, Heimo Rademaker (Marias Ballroom), Britta Barthel (Komm du), Joachim Bode (EBV), Waltraud Hörlberger (Goldener Engel), Andreas Koenecke (Inselklause) und die Grafikerin Sabine Schnell, die das Plakat entworfen hat (v. lks.)
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Befürworter versprechen sich (und anderen) attraktive citynahe Wohnquartiere, Investitionen in Milliardenhöhe, neue Unternehmensansiedlungen, die Kritiker befürchten eine Gentrifizierung ihres Stadtteils, höhere Mieten und die Zerstörung gewachsener Strukturen. Ihre Argumente sind nicht leicht von der Hand zu weisen. Als in diesem Jahr mit igs (Internationale Gartenschau) und IBA (Internationale Bauausstellung) zwei Aushängeschilder der neuen Stadtentwicklung ins Leben gesetzt wurden, geschah dies um den Preis u.a. der Zerstörung naturnaher Brachen, die von der Bevölkerung bislang zur Erholung und zum Spazierengehen genutzt wurden, und des Fällens von mehreren tausend Bäumen.

In Wilhelmsburg formierte sich Widerstand. Viele Bewohner wollen die Aufwertung ihres Stadtteils nicht mit seinem Ausverkauf und dem Verlust seiner Identität bezahlen. In Harburg ist es bislang eher ruhig geblieben, obwohl auch hier bahnbrechende Umwälzungen geplant sind. Vision Harburg 2020/2050 heißt das Konzept des Wirtschaftsvereins e.V. für Hamburgs Süden für die nächsten 40 Jahre. [1] Danach sollen u.a. zwei Industriezentren westlich und östlich von Harburg entstehen, ein Großteil des Hafengebiets zu einem attraktiven Wohngebiet umgebaut werden, Deutschland hier seinen größten Hausboothafen bekommen, neue Dienstleistungszentren wachsen und das Fraunhofer Institut angesiedelt werden. Durch die Umleitung von Hauptverkehrstrassen soll das Harburger Zentrum einen direkteren Zugang zur Elbe erhalten, die Buxtehuder Straße (B 73) zurückgebaut werden. Wieweit die Bewohner an dieser Planung tatsächlich beteiligt sind, ist noch nicht entschieden, Erfahrungen aus anderen Stadtteilen stimmen wenig optimistisch.

Foto: © by Frank Plagge

Bei der SuedKultur MusicNight in der Inselklause mit dabei: Frank Plagges 'One Man Band' (Acoustic Blues)
Foto: © by Frank Plagge

Bei der Standortprofilierung im globalen Konkurrenzkampf der Mega-Cities setzen die Planer auch und mit Bedacht auf sogenannte Kreative Milieus, die sich nach einer Studie des Berliner Studios UC aus dem Jahre 2010 im Auftrag der Hansestadt Hamburg in gesellschaftlichen und räumlichen Spannungsfeldern erst entwickeln. [2] Ohne diese Voraussetzung entsteht jene Attraktivität gar nicht, die Kapital und Investitionen anzieht.

"Künstlerische Arbeit ist erprobter Teil der Inwertsetzung öffentlicher Räume und der Aufwertung von Stadtteilen," resümieren auch der KulturStammtischSüd (KUSS) und der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU), "ob im Rahmen der Integration der Subkultur in St. Pauli oder im Schanzenviertel in hippe Vergnügungsmeilen oder im Rahmen der 'Bespielung' der HafenCity. [...] Kunst und Kultur werden gezielt als Teil der Neudefinition eines vorher als 'problematisch' definierten Stadtteils eingesetzt." [3]

Kreative Milieus lassen sich nicht von oben planen. Ob ein Stadtteil belebt und lebendig ist und damit (zunächst) für seine Bewohner attraktiv, liegt nicht zuletzt an deren Beteiligungs- und Gestaltungswillen und -möglichkeiten. Vierteln wie der Schanze, Ottensen oder St. Pauli haben zuerst ihre Bewohner ein unverwechselbares Gesicht gegeben, bevor der Hammer der Gentrifizierung zuschlug. Wo immer sich allerdings Bewohner aus eher vernachlässigten Stadtteilen durch Kreativität und Engagement attraktivere Orte des Arbeitens und Wohnens geschaffen haben, werden sie nach getaner Arbeit erfolgreich verdrängt.

Dabei ist Kultur nicht nur als Imagefaktor und Ressource von Bedeutung, sondern ein eigenes Wirtschaftsfeld. Allerdings bleiben "die ursprünglichen Auslöser des langjährigen Transformationsprozesses [...] von der Wertschöpfungskette ausgeschlossen." [2]

Foto: © by Elephants On Tape

Mit dabei im Kulturcafé Komm du: Elephants On Tape
(Indie-Elektro-Pop)
Foto: © by Elephants On Tape

Was Harburg betrifft, so ist die kulturelle Szene dort vielfältiger und reichhaltiger als oft angenommen. SuedKultur, ein lockerer Zusammenschluß von Harburger Kulturschaffenden, Theatern, Museen und Event-Locations, hat sich "mehr Aufmerksamkeit und Wahrnehmung" für die lokale Kultur auf die Fahnen geschrieben. [4] Das Portal, das Künstlern und Veranstaltern eine unkomplizierte, kostengünstige und effektive Möglichkeit bietet, auf eigene Events aufmerksam zu machen und Kultursuchenden einen komfortablen Überblick über das bietet, was im Stadtteil so los ist, je nach Wahl und Bedürfnis täglich, wöchentlich oder monatlich, zählt inzwischen 600 Besucher am Tag, so SuedKultur-Sprecher Heiko Langanke.

An Ideen, die Kultur im Stadtteil voranzubringen, mangelt es nicht. Am kommenden Samstag, dem 21. September 2013, startet die Initiative bereits zum 3. Mal die SuedKultur MusicNight: 24 Musikevents in 15 Locations, alle in einem Radius von ca. 2 km zu Fuß erreichbar und alle für einmalig 5 Euro zu sehen, zu hören und zu erleben. "Eine Art Leistungsschau", sagt Heiko Langanke beim Pressetermin im Kulturcafé Komm du, das in diesem Jahr zum ersten Mal mit dabei ist, die ohne die unbedingte Absicht eines kommerziellen Erfolges zeigen will, welche kulturelle Vielfalt Harburg zu bieten hat und neues Publikum ziehen soll. "Man muß, gerade wenn man von Süden kommt, nicht unbedingt in die Stadt fahren", sagt Langanke; das ist Harburgs großes Plus. Das Programm ist vielfältig, von Jazz, Country, Deutschem Indie PopRock, Liedermaching und Oldies über Acoustic Blues, Deutsch-Bluesrock, Klassisch Rock'n Roll, Irish Folk, Funk und Soul bis hin zur DJ-Party.

Foto: © by Nico Brettschneider

Im contraZt e.V./Umsonstladen mit dabei: Nico Brettschneider (Liedermacher)
Foto: © by Nico Brettschneider

Viele Veranstaltungsorte sind in diesem Jahr zum ersten Mal dabei, darunter die Klangfabrik Harburg, die nach umfänglichen und noch andauernden Renovierungsarbeiten ihre Tore wieder geöffnet hat und in der man ab 12,00 Euro/Stunde die verschiedensten bandtauglichen Instrumente wie Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier, Saxophon, aber auch Gesang erlernen kann, die Inselklause direkt am Elbufer mit eigener Fischräucherei, die auf 27 Konzerte in 6 Monaten zurückblickt und 2000 Gäste beim ihrem 1. Rockfestival zählen konnte, Der Goldene Engel mit Clubatmosphäre in alten Gemäuern oder der Umsonstladen ContraZt, in dem alles, "was man unter dem Arm tragen kann", umsonst erworben und gespendet werden kann. Das Café kleiner Ozean auf der alten, ausgemusterten Hafenfähre "Stadersand" bietet zur Musiknacht einen eigenen Shuttleservice an, der die Gäste zum Hausboot fährt. Andere sind von Anfang an dabei gewesen, der traditionsreiche Marias Ballroom, das Café Ché, das Hamburger Stellwerk, The Old Dubliner oder Zur Stumpfen Ecke. [5]

Foto: © by Van Wolfen

Mit dabei in Marias Ballroom: Van Wolfen (Deutsch-Bluesrock)
Foto: © by Van Wolfen

Aber es gibt auch Probleme. Kleine, wie eine fehlende Anlage oder auch nur ein Mikrophon oder ein bestimmtes Kabel sind leicht zu lösen, da unterstützen sich die Netzwerker auf unbürokratische Weise gegenseitig - aber auch größere wie die plötzliche Streichung von Parkplätzen vor der Inselklause am Schweenssand-Hauptdeich, die existenzgefährdend ist. "Man muß die Verwaltung daran gewöhnen, daß es Musikclubs gibt und daß sie dazugehören und Auflagen erfüllbar halten", sagt Heiko Langanke, dazu gebe es Erfahrungen aus anderen Stadtteilen, von denen man lernen könne.

Waren es im letzten Jahr 8 Veranstaltungsorte, so ist die Zahl inzwischen auf 15 gewachsen. Und es wären fast noch zwei mehr gewesen: Eine Zusammenarbeit mit Soul Kitchen und der Honigfabrik in Wilhelmsburg war angedacht, ist aber (noch) nicht zustande gekommen.

Unterstützt wird das Projekt SuedKultur MusicNight vom ortsansässigen Eisenbahnbauverein Harburg eG (EBV), einer Wohnungsbaugenossenschaft, deren Motto "Entdecke die Nachbarschaft für dich!" zum Ereignis nicht besser passen könnte. Joachim Bode vom Vorstand sieht sich weniger als Sponsor denn als langfristiger Förderer der Entwicklung lokaler Kultur in Harburg und will auch in den nächsten Jahren dabei bleiben. Per Kanu auf dem Wasser von Wilhelmsburg Richtung Harburg will er sich selbst mit 8 Freunden in die Musiknacht stürzen. "Ich selbst habe auch etwas davon", sagt er und den Mitgliedern der EVB, deren Wohnungsbestand von derzeit 3000 Wohnungen zu 96 Prozent im Stadtteil liegt, soll etwas geboten werden.

Foto: © by Werner Pfeifer

Mit dabei im Café kleiner Ozean/Wohnschiff Stadersand: Werner Pfeifer & friends (Liedermacher)
Foto: © by Werner Pfeifer

Sorge, daß auch in Harburg die wachsende kulturelle Vielfalt eines Tages vereinnahmt und der Übernahme durch übergeordnete Profitinteressen zum Opfer fallen könnte, hat Bode nicht. "Ich kann das Wort Gentrifizierung nicht mehr hören", sagt er und verweist auf neu entstehende Wochenmärkte, neue Arbeitsplätze und neuen Wohnraum, der nicht teurer geworden sei. "Harburg lebt auf, die großen Potentiale liegen im Süden." Inzwischen gebe es mehrfach wöchentlich positive Artikel über Harburg in der Lokalpresse, "und nichts davon, daß jemand erschossen worden ist." Die Wohnungsnot sei künstlich hochgeschrieben worden, in Harburg sei nach wie vor günstiger Wohnraum zu mieten. Wohnungen seien überdies zu teurer, um sich tausende davon spekulativ 'auf Vorrat zu legen'. Bode begrüßt die neuen Entwicklungen: Sie sind "gut für den Stadtteil, ich freue mich für Harburg."

Die MusicNight als eine Art nächtliches Pendant zum jährlichen Harburger Kulturtag hat laut Aussage der Veranstalter im letzten Jahr über 2000 Interessierte erreicht, in diesem Jahr werden 3000 bis 4000 Besucher erwartet, zumal man aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt hat und die Veranstaltungen nicht mehr alle zur gleichen Zeit beginnen: Die ersten starten um 16:00 Uhr, die letzten um 23.00 Uhr - das Ende des Abends, wie auch die Kulturentwicklung in Harburg ist (noch) offen.

Anmerkungen:

[1] http://www.derwirtschaftsverein.de/tl_files/usr/harburg_vision/harburg_202050_bericht.pdf

[2] http://www.hamburg.de/contentblob/2052460/data/gutachten-kreative-milieus.pdfin

[3] KUSS-KulturStammtischSüd und AKU-Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg: Kunst, Kultur, Kohle - Über die Rolle künstlerischer Arbeit bei der Aufwertung Wilhelmsburgs
www.kulturstammtischsued.blogsport.de

[4] www.sued-kultur.de

[5] Alle Veranstaltungsorte und das komplette Programm auf www.sued-kultur.de


18. September 2013