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REZENSION/005: Thomas Meinecke & Move D - Work (SB)


Thomas Meinecke & Move D


Work



Auf ihrer neuen CD Work haben sich Thomas Meinecke und Move D (David Moufang) nach eigenen Angaben durch das Repertoire der Underground House Music New Yorks, Chicagos Booty Bass und Detroits Ghetto-Tech "gearbeitet". Im Mittelpunkt der CD, welche die etwas verstaubte Bezeichnung Konzeptalbum verdient, steht das englische Wort für Arbeit, das durch seine häufige Verwendung in modernen Tanzlyriken als Synonym für fuck angeblich "kritisches Potential" entfaltet. Da kann man seine Zweifel haben.

Im Klappentext findet man Zitate der Philosophin und Gender-Studies-Pionierin Judith Butler und der angesehenen Musikjournalistin Carol Cooper. Deren Aussagen untermauern das in der Einleitung vorgegebene Ziel der Homage an die Art und Weise, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten Subkulturen in den USA wie die Schwulen, Lesben und Transvestiten über bestehende Kategorien von Rasse, Geschlecht und Klasse hinweggesetzt, sich Respekt verschafft und neue Freiheiten erkämpft haben. Das Unterfangen ist an sich löblich, doch die musikalische Form, die Meinecke und Moufang gewählt haben - ein sehr spartanisch arrangierter Technorhythmus, der durch die mechanische Wiederholung bestimmter Sprachfetzen in Form von Befehlen wie "Work Me", "Bitch say my name. Nigger say my name" oder "Shake That Ass" erhöht wird, steht in gewissem Widerspruch zum Befreiungsprinzip, das die die einzelnen Musikstücke von einander trennenden Aussagen von Tanzveteranen und Travestieköniginnen (darunter RuPaul), die damals die "wilde Zeiten" in New Yorker Szenetanzschuppen wie der Paradise Garage oder dem Pyramid Club miterlebten, durchzieht.

Aus besagten O-Tönen geht hervor, daß sich diese Personen zumindest vorübergehend auf der Tanzfläche - nicht selten unter Zuhilfnahme narkotisierender Substanzen - von ihren Nöten und Sorgen befreien und sich über Rassen-, Geschlechts- und Klassenschranken hinwegsetzen konnten. Da ist die Rede unter anderem vom "Glauben an das einzigartige innere Selbst", und davon, daß man sich im Club vom in eine andere Welt versetzen lassen konnte, wo "Musik, Energie, Spiritualität alle eins" seien. Wenn man bedenkt, daß zum Beispiel in Paradise Garage eingeflogene, schwerreiche Rockstars wie die Glimmer Twins neben Überlebenskünstlern aus der Lower East Side die Hüfte schwenkten, dann war das schon partiell eine klassen- und schrankenlose Gesellschaft, in der es nicht darauf ankam, was man materiell besaß, sondern was man in jenen traumhaften Stunden auf der Tanzfläche mit einbringen konnte, um das kollektive Spaß- und Wohlgefühl zu erhöhen. Da konnte jeder ein Star werden.

Das in der modernen Tanzmusik enthaltene Befreiungsversprechen geht über das Miteinander in der Disco hinaus und bezieht sich auch auf den eigenen Körper mit all seinen Unzulänglichkeiten. Das ist es, was gemeint ist, wenn ein ehemaliger Besucher von Paradise Garage sagt, daß er nur dort "er selbst sein konnte". Die Stücke auf der CD "Work" sind monoton und weisen einen solchen fabrikmäßigen Charakter auf, daß sie sich schwer mit jener "aufregenden Musik" in Einklang bringen lassen, von der im Klappentext die Rede ist. Dort wird auch auf Madonna verwiesen, die bekanntlich wie kaum eine zweite die von Meinecke und Moufang behandelte Tanzszene in New York und Chicago kennt. Um so erstaunlicher, daß diese auf ihrer CD den von der Königin des Pop in dem Megahit "Deeper and Deeper" zum vitalen Element erhobenen "Flow" (mit dem man beim Tanzen "mitgehen muß") so sehr vermissen lassen.

7. Oktober 2009


Thomas Meinecke und Move D
Work
Intermedium Records - Edited by Herbert Kapfer / Katherina Agathos -
Bayerischer Rundfunk / Hörspiel und Medienkunst - München, 2009