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HINTERGRUND/141: Die neuen Wege der EuropaChor Akademie (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 208, Mai 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Von Mainz über New York nach Benediktbeuern
Die neuen Wege der EuropaChor Akademie

Von Frank Wittmer


Selbst für einen internationalen Spitzenchor ist es nicht gerade alltäglich, vom hochfeinen London Philharmonic Orchestra zur Gestaltung einer Welturaufführung eingeladen zu werden. Ein Ruf des Chefdirigenten des LPO, Vladimir Jurowski, führte die EuropaChorAkademie im Februar dieses Jahres nach London und New York. Neben vielen anderen Projekten der ECA in 2009 ragt eines zusätzlich heraus: Kommenden Oktober lädt die Chor-Institution zu einer ambitionierten Akademiewoche ins Kloster Benediktbeuern/Oberbayern; Thema der Vocale Benediktbeuern ist das Oratorium "Elias" des Jahresjubilars Felix Mendelssohn Bartholdy.


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Die EuropaChorAkademie ist ein gemeinsames Forum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Hochschule Bremen zur Pflege der europäischen Chormusik unter Leitung von Prof. Joshard Daus. Zahlreiche Konzerte und vielfältige musikpädagogische Angebote und Aktionen haben den akademischen Chor zu einer unverzichtbaren Größe des Musiklebens im Rhein-Main-Gebiet gemacht. Den internationalen Rang belegen die vielen Verpflichtungen zum Beispiel in Rom, Paris, Luxemburg, Brüssel, Peking und New York oder wiederholte Male als Festivalchor in Aix-en-Provence - ebenso wie etliche Rundfunk-, Fernseh- und CD-Aufnahmen. Zu Weihnachten 2008 gastierte die ECA mit dem Crossover-Startenor Tony Henry in der José-Carreras-Gala. Und diesen März ganz frisch ausgezeichnet mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik: die Aufnahme von Bernd Alois Zimmermanns "Requiem für einen jungen Dichter" mit der EuropaChorAkademie unter Bernhard Kontarsky (ebenfalls "Beste Platte" auf der Kritikerliste 2008 der Süddeutschen Zeitung).

Die Mitwirkung bei der Weltpremiere des Opern-Oratoriums "Vita Nuova" von Vladimir Martynov brachte nun der ECA wieder viel internationales Kritikerlob. Vladimir Martynov, am 20. Februar 1946 in Moskau geboren, gilt als einer der bedeutendsten Komponisten seiner Generation in Russland. "Vita Nuova" hat die gleichnamige Vers-Erzählung von Dante Alighieri (1265-1321) über seine zu früh verstorbenen Liebe Beatrice zur Vorlage. Martynov hat daraus ein eklektisch-modernes Stück Musiktheater gemacht, das mannigfaltige Stilebenen miteinander verbindet - von Gregorianischem Choral über italienische Madrigalkunst der Renaissance und romantische Opernelemente bis hin zu Strukturen der Zwölftonmusik und zur Minimal Music. Opernhaftes mischt sich dabei mit Oratorienhaftem zu einer eigenen Bühnen-Form. Eine wichtige Stellung nehmen dabei auch traditionell-volksmusikalische Elemente ein; den fordernden Löwenanteil hat der Chor zu bewältigen - eine Parade-Aufgabe für die ECA!

Zum ersten Anstoß für die gemeinsame Gestaltung von "Vita Nuova" kam es im November 2007, als der Chor für eine Aufführung von Erich Wolfgang Korngolds Oper "Das Wunder der Heliane" in London weilte. Das war damals bereits die zweite Zusammenarbeit mit Jurowski - zuvor hatte dieser schon eine Aufführung von Hans Werner Henzes 9. Sinfonie (mit einem Libretto von Hans-Ulrich Treichel nach dem Roman "Das siebte Kreuz" von Anna Seghers) mit der ECA in Rom geleitet.

Der junge deutsch-russische Dirigent Vladimir Jurowski (geb. 1972), seit 2006 Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra, erlangte bereits durch seine Tätigkeit als Musikdirektor des traditionsreichen Opernfestivals Glyndebourne internationales Renommee. Geboren und aufgewachsen in Russland, hat er seine musikalische Ausbildung und Prägung in Deutschland erfahren. Nachdem andere Kooperationsideen Jurowskis mit der ECA aus Organisations- und Zeitgründen nicht verwirklicht werden konnten, standen die Sterne diesmal für das Projekt der Martynov-Premiere günstig. Finanzielle Unterstützung für das reise-aufwendige Unterfangen konnte im öffentlichen wie im privatwirtschaftlichen Bereich gefunden werden, und so bekamen die 40 jungen Sängerinnen und Sänger aus 15 Nationen die einmalige Gelegenheit, das zeitgenössische Opern-Oratorium unter ECA-Leiter Joshard Daus einzustudieren und unter Jurowski in London und New York aufzuführen. Ein erstes Kennenlernen der umfangreichen Partitur (mit über zweieinhalb Stunden reiner Spielzeit) erfolgte für den Chor im Dezember 2008, die Hauptprobenphase war im Februar 2009 - vier Tage intensivste Arbeit! Die Einstudierung durch Daus lohnte sich - in den Kritiken wurde vor allem die Leistung des Chores honoriert (oft tatsächlich vor dem Orchester).

Die Welturaufführung fand dann am 18. Februar 2009 in der Londoner Royal Festival Hall statt. Zuvor waren zwar schon einzelne Teile des Werkes in öffentlichen Aufführungen zu hören gewesen - jedoch war dies die erste Komplettaufführung von Martynovs "Vita Nuova". Am 28. Februar folgte eine zweite Aufführung in der Alice Tully Hall im Lincoln Center New York. Die solistischen Parts wurden dabei jeweils von Tatiana Monogarova (Beatrice), Mark Padmore (Dante), Marianna Tarasova (Amor) und Joan Rodgers (Secret Woman) bestritten. Diese beiden Aufführungen unter Jurowski wurden zwar mit einer eigenen Auftritts-Choreographie gestaltet, erfolgten aber ansonsten konzertant. Prof. Daus verweist darauf, dass später auch eine szenische Aufführung mit der ECA in New York möglich wäre - eventuell in einer Inszenierung des Deutschlanderprobten Kultregisseurs Robert Wilson.

Organisatorisch ist die EuropaChorAkademie eine Einrichtung der Universität Mainz und der Hochschule Bremen - hier verbunden mit der zentralen Uni-Einrichtung des "Collegium musicum", dort mit dem "Musikforum" als musikalischem Studium generale. Joshard Daus, der seit 1985 am Fachbereich Musik (heute Musikhochschule) der Mainzer Uni eine Professur für Dirigieren innehat und sowohl das "Collegium musicum" als auch das Bremer "Musikforum" leitet, hat die ECA 1997 gegründet und leitet den Ausnahme-Chor seitdem. Ziel ist die Pflege der europäischen Chormusik: die Vermittlung und Verbreitung von Chorkultur - sowohl in groß besetzter sinfonischer Chormusik als auch in A cappella-Gesang. In den Aktivitäten verbinden sich internationale Konzertprojekte auf professionellem Niveau mit akademisch-pädagogischen Bildungskonzepten - von Schülerworkshops und Lehrerweiterbildungen bis hin zu Meisterkursen zur expliziten Exzellenzförderung.

Im Chor singen junge Musikprofis - Studenten, Absolventen und Dozenten - aus 15 verschiedenen Nationen zusammen. In den Festival- und Seminarprojekten steht das interdisziplinäre Arbeiten im Vordergrund. Ein spezielles Konzept der fächerübergreifenden pädagogischen Arbeit und der Jugendförderung verbindet die EuropaChorAkademie nun seit Jahresbeginn 2009 mit dem renommierten "Zentrum für Umwelt und Kultur" im Kloster Benediktbeuern (www.zuk-bb.de).

So veranstaltet die ECA seit 2007 einmal im Jahr die "Vocale", ein außergewöhnlich konzipiertes Chor-Kultur-Festival mit Meisterkursen, offenen Proben, Workshops und interdisziplinären Akademien. Höhepunkt jeder "Vocale" ist ein großes chorsinfonisches Konzert. Seit 2008 ist die "Vocale" in Benediktbeuern beheimatet.

Eine Kooperation mit besonderem Hintergrund: Die Wiege aller künstlerischen Vokalmusik in Europa ist das Kloster. Durch die Benediktiner seit dem Jahr 529 im Herzstück des Christentums verankert, liegt in den Klöstern nicht nur der Ursprung des altüberlieferten Choralgesangs, sondern auch über lange Jahrhunderte der eigentliche Ort des Wissens, der Lehre und der Bildung. Dem Ideal der Jugendarbeit und der Bildungsförderung hat sich in besonderem Maße der Orden der Salesianer Don Boscos verschrieben. Was liegt also näher, als die EuropaChorAkademie nach Benediktbeuern zu bringen: in ein 739 von Bonifatius geweihtes Benediktinerkloster, eines der ältesten und bedeutendsten nördlich der Alpen, in dessen Bibliothek 1803 auch die Handschrift der berühmten "Carmina burana", der Benediktbeurer Gesänge, gefunden wurde; in ein Kloster, das seit 1930 von den Salesianern geführt wird und das unter deren Obhut in altehrwürdigen Mauern moderne Hochschulinstitutionen für Philosophie und Theologie, für Sozialberufe und für Umweltbildung beherbergt. Das Konzept der EuropaChorAkademie fügt sich in die Benediktbeurer Grundidee der verantwortlichen Bildung exakt ein.

Die "Vocale" verbindet Konzerte mit offenen Workshops, mit Lesungen, interdisziplinären Vorträgen, mit Aktionstagen für Schulklassen und mit Angeboten zur Lehrerfortbildung. Vom 11. bis zum 17. Oktober lädt die Akademiewoche ins Kloster Benediktbeuern. Mit Mendelssohns "Elias" steht eines der interessantesten Oratorien der Romantik im Mittelpunkt der Veranstaltungen; das Werk wird unter vielfach wechselnden Blickpunkten erarbeitet. In der offenen Chorwerkstatt treffen neben Studenten aus Mainz und Bremen auch Aktive aus den Chören des oberbayrischen Umlandes auf die ECA-Profis.

An den Abenden stellen Vorträge Mendelssohns Oratorium in einen größeren Zusammenhang und beleuchten musikwissenschaftliche, theologische und kulturgeschichtliche Aspekte. Beteiligt sind dabei unter anderem die Mainzer Professoren Jürgen Blume (Musiktheorie), Ludwig Striegel (Musikpädagogik) und Jürgen W. Falter (Politologie / Moderation einer Podiumsdiskussion mit Michael Wolffsohn). Hinzu tritt eine Lesung von Hermann Beil, Schauspieler und Chefdramaturg im Berliner Ensemble, langjähriger Weggefährte von Claus Peymann und Thomas Bernhard (Freitag, 16.10.: Thomas Bernhards "Beton"). Am Sonntag, dem 18. Oktober, bildet dann die Aufführung des "Elias" unter Leitung von Joshard Daus in der Basilika von Benediktbeuern den festlichen Schlusspunkt der "Vocale Benediktbeuern".

Information: www.europachorakademie.de


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 208, Mai 2009, Seite 24-25
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2009