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HINTERGRUND/120: Der kanadische Pianist Glenn Gould (Unikult - Uni Dortmund)


UNIKULT Nr. 3, 11-07, Universität Dortmund

Der kanadische Pianist Glenn Gould ist inzwischen eine Legende
"Man spielt nicht mit den Fingern Klavier, sondern mit dem Kopf"

Von Michael Stegemann


Er war und bleibt "der größte Pianist aller Zeiten", als den ihn der Schriftsteller Thomas Bernhard 1983 in seinem Roman Der Untergeher bezeichnet hat: Der Kanadier Glenn Gould. Mit seiner ersten Schallplatten-Aufnahme der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach wurde er 1955 quasi über Nacht weltberühmt.


Geboren am 25. September 1932 in Toronto, war Gould damals 23 Jahre alt: Ein Exzentriker, der beim Spielen laut mitsang und mitdirigierte. Ein glamourös-fotogener Jung-Star, den die Medien als "James Dean am Klavier" umschwärmten. Ein Provokateur, der etwa Beethovens letzte Klaviersonaten "zu lang" fand und erklärte, seiner Meinung nach sei Mozart "eher zu spät als zu früh" gestorben. Vor allem aber: Ein Pianist von schier unglaublicher Perfektion, Transparenz und Intelligenz.

"Man spielt nicht mit den Fingern Klavier, sondern mit dem Kopf", lautete Goulds Credo. Von Anfang an zog er die Arbeit im Studio dem öffentlichen Auftreten vor - die Möglichkeit, ein Werk in fünf, zehn oder zwanzig verschiedenen Fassungen aufzunehmen, um dann aus diesem Material die ideale Interpretation auszuwählen oder zu kompilieren. Konzerte hasste er ebenso wie Konzertbesucher und ihren "Gladiatoreninstinkt". Die einzig logische Konsequenz aus dieser Abneigung war sein definitiver Ausstieg aus dem Konzertbetrieb: Nach einem letzten Recitat im April 1964 - er war 31 Jahre alt - ist Glenn Gould nie wieder öffentlich aufgetreten.

Fortan kommunizierte er nur mehr über die Medien Fernsehen, Rundfunk und Schallplatte mit seiner "Gemeinde" - ein Mythos, eine Legende zu Lebzeiten. Diese "Entrücktheit" hatte in der Tat fast etwas Religiöses: Wie Moses - den Blicken seines Volkes entzogen - auf den Berg Sinai stieg und von dort die Gesetzestafeln herab brachte, so verlief auch Goulds Arbeit im Studio unter Ausschluss der Öffentlichkeit, während die "Gouldianer" in aller Welt natürlich jede neue Schallplatte wie eine Offenbarung erwarteten.

Ebenso radikal wie sein Concert-Drop-Out war Goulds Repertoire: Immer wieder Bach, und Mozart und Beethoven, aber keinen der einschlägigen Klavier-Komponisten des 19. Jahrhunderts - Schubert, Schumann, Chopin, Liszt oder Rachmaninow. Stattdessen Richard Strauss, Ernst Krenek und Paul Hindemith, Georges Bizet, Jean Sibelius und Arnold Schönberg. Daneben schrieb und produzierte Gould mehr als 100 Rundfunk- und Fernseh-Sendungen für die CBC, die Canadian Broadcasting Corporation: Features, Komponistenportraits und Radio-Sketche, Hörspiele und "Docudramen".

Überhaupt war er entschlossen, irgendwann nicht nur das Konzertieren, sondern auch das Klavierspielen definitiv aufzugeben, um sich nur mehr dem Dirigieren, Komponieren und Schreiben zu widmen. Doch dazu kam es nicht mehr: Am 4. Oktober 1982 - eine gute Woche nach seinem 50. Geburtstag - starb Glenn Gould in Toronto an den Folgen eines Gehirnschlags.

Dass der Kanadier inzwischen längst auch ein Thema für die Musikforschung ist, zeigt das zweiteilige Glenn-Gould-Seminar, das Prof. Dr. Michael Stegemann - Gould-Biograph (Piper-Verlag München), und für Sony BMG Autor der Hörbuch-Komposition The Glenn Gould Trilogy und Herausgeber der 80 CDs umfassenden Original Jacket Collection - am Institut für Musik und Musikwissenschaft veranstaltet. Und auch die erste deutschsprachige Doktorarbeit über den Medienpionier Gould (Markus Galla) entsteht an der Universität Dortmund. Aber auch auf internationaler Ebene ist die Dortmunder Musikwissenschaft gefragt - etwa beim Internationalen Glenn-Gould-Kongress im kanadischen Ottawa.


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Quelle:
Unikult Nr. 3, Beilage zur UNIZET Nr. 394, 11-07, Seite 3
Herausgeber: Fachbereich 16, Universität Dortmund,
Prof. Dr. Günter Rötter
Tel.: (0231) 7 55-41 10
E-Mail: guenther.roetter@udo.edu
UNIZET Nr. 394
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit der Universität
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UNIZET erscheint neun Mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2007