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MEDIEN/659: "... aber sonst ist er ein guter Arzt" - Arztbewertung im Internet (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2011

Arztbewertung im Internet
"... aber sonst ist er ein guter Arzt": Wie Patienten im Internet urteilen

Von Jörg Feldner


Hilfreiche Kritik ist in den Arztbewertungsportalen selten. Das Internet lädt mit seiner Anonymität zu extremen Bewertungen ein. Ärzte können sich wehren.


Wie kommt man an das Feedback von zufriedenen, aber schweigsamen Kunden? Was macht man mit unzufriedenen Kunden? Wie geht man mit berechtigten und unberechtigten Beschwerden um? Die Ratgeberliteratur zu diesem Thema wächst exponentiell. Wie tatsächlich damit umgegangen wird, hängt aber immer noch weitgehend von der Souveränität und dem Temperament der Leistungsanbieter ab - egal, ob sie eine Arztpraxis betreiben, eine Schulklasse unterrichten oder Aufschnitt verkaufen.

Wer sich erfolgreich beschweren will, braucht Zivilcourage und die richtigen Worte. Wer beides nicht hat, dem hilft das Internet. Dort kann man sich anonym ausmisten und mobben, wenn einem danach ist. Das Internet lädt zur Niedertracht förmlich ein. Die Medienberichte über die "sozialen Netzwerke" und ihre Folgen sind bekannt. Den Betreibern der Portale ist die Qualität der Einträge zunächst mal egal, sie verdienen - in den meisten Fällen - an der begleitenden Werbung. Das ist mit den zahlreichen Arztbewertungsportalen im Internet im Grundsatz genauso, aber mit dem Unterschied, dass unzutreffende Kritik oder Schmähungen hier einer Praxis unverdienten Schaden zufügen können.

Dieser Problematik hat sich das "Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin - ÄZQ" angenommen. Dieses von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer getragene Kompetenzzentrum für medizinische Leitlinien und Patienteninformation in Berlin (www.aezq.de) hat sich vorgenommen, den etwa 40 Arztbewertungsportalen Regeln beizubringen. Durchaus mit einigem Erfolg. Das ÄZQ hat schon Ende 2009 Qualitätskriterien für Arztbewertungsportale (www.arztbewertungsportale.de) definiert, darunter:

sensibler Umgang mit persönlichen Daten;
Tansparenz bezüglich des Portalbetreibers und der Finanzierung des Online-Angebots;
ein verständliches und nachvollziehbares Bewertungsverfahren;
strikte Trennung von Werbung und Inhalt;
Schutz vor Schmähkritik, Diskriminierung und Täuschung;
Information der betroffenen Ärzte über die Aufnahme in das Verzeichnis und über neue Bewertungen;
Möglichkeit zur Gegendarstellung für betroffene Ärzte.

Nach seiner Veröffentlichung habe dieser Anforderungskatalog ein durchweg positives Echo erfahren: Ärzteschaft, Patientenvertreter und Portalbetreiber haben einheitliche Standards für die Bewertung von Ärzten im Internet begrüßt, teilte das ÄZQ mit. Im Laufe des Jahres 2010 hat das ÄZQ dann zehn der bekannteren gewerblichen Portale sowie ein noch im Aufbau befindliches Portal der AOK (AOK-Arztnavigator) anhand seines Kriterienkataloges gutachterlich untersuchen lassen. Getestet wurden die Portale Arzt-Auskunft.de, Die-Arztempfehlung.com, Docinsider.de, esando.de, imedo.de, jameda.de, med.de, Medführer.de, sanego.de und Topmedic.de. Leider ist das ÄZQ auf Anfrage des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes nicht bereit gewesen, seine Ergebnisse detailliert zu veröffentlichen; zur Begründung hieß es, dass die von den meisten Portalbetreibern nach der Prüfung angekündigten Nachbesserungen noch nicht abgeschlossen seien.

Die vom ÄZQ veröffentlichten sehr summarischen Resultate sehen so aus: "Das beste Portal erfüllte die Kriterien der Checkliste zu 85 Prozent, das schlechteste zu 30 Prozent, die übrigen Anbieter reihen sich gleichmäßig dazwischen ein. Dabei hielten sich nahezu alle Portale an die rechtlichen Vorgaben. Mängel zeigten sie dagegen vor allem bei der Kommunikation mit den Ärzten, zum Beispiel bei den Kriterien "Werden Ärzte über die Aufnahme in das Portal informiert?" oder "Werden Ärzte vor der Veröffentlichung von Bewertungen informiert?" Kein Portal erfüllte diese Kriterien. Auch eine Mindestanzahl an Bewertungen war bei keinem Anbieter erforderlich. Und: Nur wenige Portale räumten Ärzten die Möglichkeit zu einer Gegendarstellung ein oder machten Angaben zur Aktualität der Arzteinträge. Im Kriterienkatalog geforderte Angaben und Maßnahmen, etwa die Möglichkeit zum Widerspruch gegen die Aufnahme in das Verzeichnis, sind inzwischen auf den Webseiten zu finden oder sollen bei der nächsten Überarbeitung berücksichtigt werden. Ein Portalbetreiber hatte seinen Internetauftritt bereits vor Versand des Gutachtens neu gestaltet, und dabei wesentliche Qualitätsanforderungen des Kriterienkatalogs berücksichtigt."

Ganz unabhängig von dieser Begutachtung der Qualität der Portale muss festgehalten werden, dass deren mögliche Wirkung entscheidend von der Qualität und der Zahl der Bewertungen abhängt, die die Patienten abgeben. Nur zwei oder drei Bewertungen haben noch keinerlei Aussagekraft, egal ob sie positiv oder negativ ausfallen. Noch wichtiger ist aber die Frage: Sind Patienten überhaupt in der Lage, die Leistungen ihres Arztes qualifiziert zu bewerten? Dazu haben wir nachgeschaut, wie eine seit Jahrzehnten in einer norddeutschen Stadt bestehende, gut frequentierte Hausarztpraxis (Namen wurden anonymisiert) in verschiedenen Portalen bewertet wurde. Die Schulnoten, die auf den meisten Portalen vergeben werden können, reichten von 1 bis 6. Und nun einige Zitate. Bei Arzt-Auskunft.de heißt es über die Praxis: "Ein herzliches Dankeschön dem Team der Praxis von Doktor A, fühle mich seit vielen Jahren gut behandelt." Bei sanego.de ist folgender Eintrag über diese Praxis zu finden: "Ein sehr toller Arzt!", aber auch dieser: "Noch nie so eine schlechte Arztpraxis erlebt!!! Vom Fachwissen NULL Ahnung und ich bin das erste und letzte Mal als Patient da gewesen!". Schließlich findet man auch noch folgenden Eintrag: "Dr. A ist mein Hausarzt, seit 1997 behandelt er meine Familie, ich hatte einen Gehirntumor, mein Sohn ist querschnittsgelähmt, außerdem habe ich seit 2004 MS und mein Mann ist schwer herzkrank. Dr. A betreut uns alle drei. Kommt zu uns nach Hause, wenn es nottut, obwohl wir 8 km entfernt wohnen. Er hat immer ein offenes Ohr für unsere Probleme. Wir sind sehr zufrieden." Bei Jameda.de heißt es über diesen Arzt unter anderem: "Herr A ist ein freundlicher Arzt, dessen Sorgen den Patienten gelten. Er ärgert sich über Budgetierungen und Kürzungen. Manchmal braucht es einige Nachfragen, um an die letzten Infos zu kommen, aber sonst ein guter Arzt."

Nun arbeitet in der Praxis von Dr. A noch eine Ärztin, die ebenfalls bewertet wird. Bei esando.de heißt es über sie: "Frau B macht auf mich einen höchst angespannten und mental überforderten Eindruck. Ich habe bei ihr das Gefühl, dass sie lieber sofort Feierabend machen würde. Mir gegenüber wurde sie auch schon mehrfach emotional. Die fachliche Leistung ist gut. Alles in allem kann ich diese Praxis nicht empfehlen, wenn man Wert auf ein gutes Klima und auf zwischenmenschliches Verständnis legt. Ich konnte nicht eine Sekunde ein Vertrauen aufbauen." Bei Sanego.de heißt es über dieselbe Ärztin: "Absolut positiv - ganz besonders durch Frau B, die in der Gemeinschaftspraxis mitarbeitet."

Oder nehmen wir einen Kinderarzt. Über den heißt es bei Esando.de: "Dieser Arzt taugt nichts als Kinderarzt, er ist etwas zu direkt, finde ich, weil er den Kindern gerne erzählt, dass sie nicht so wehleidig tun sollen." Diese Bewertung wurde immerhin schon 40 Mal gelesen; zum Glück kommt der Kollege bei Sanego.de mit einer 223 Mal gelesenen Bewertung besser weg: "Sehr guter Arzt. Ist mit seinem Wissen auf dem neuesten Stand. Kümmert sich und hört zu." Ein weiteres Beispiel, eine große Internistenpraxis, die überraschenderweise erst zwei Mal auf Arzt-Auskunft.de bewertet wurde: "Praxis macht einen sehr guten Eindruck. Der Arzt ist absolute Spitze. Das Personal ist freundlich und kompetent." bzw. "Praxis macht einen gepflegten guten Eindruck. Personal und Arzt sehr kompetent. Man fühlt sich ernst genommen. Sehr freundlich."

Was soll man davon halten? Am besten vielleicht: Gar nicht darum kümmern. Und wenn Ärzte doch neugierig werden sollten und nach Bewertungen der eigenen Arbeit im Internet suchen, sollten sie sich daran erinnern: Das Internet mit seiner Anonymität lädt zu extremen Äußerungen ein. Über gute Bewertungen mag man sich freuen, kann sich aber nichts dafür kaufen. Hilfreiche Kritik wird man kaum finden.

Nun ist es nicht so, dass Ärzte wehrlos wären gegen Schmähkritik im Internet. In den wichtigen Portalen finden sich Felder für Missbrauchsmeldungen, die der Arzt bei unwahren Tatsachenbehauptungen und Beleidigungen nutzen sollte. Zwei Beispiele: "Die Praxis erweckt den Eindruck etwas heruntergewirtschafteter Räume ... In der Praxis sind Bestrahlung, Laser und unsteriler OP vorhanden." Die angeschwärzte Ärztin brauchte diese Behauptungen nur deutlich zu bestreiten, schon wurde der Eintrag aus dem Portal entfernt. Oder: "In die Jahre gekommene Barbie mit Titel? Was es laut der so alles nicht gibt und was ich nicht haben konnte, ist schon erstaunlich." Hier genügte eine anonyme Missbrauchsmeldung, schon flog die beleidigende Wertung raus.

Ärzte, die an die Werbewirkung von Arztbewertungsportalen glauben, geben Geld für Spitzenplatzierungen auf deren Startseiten aus. Ärzte, die an sich glauben, befragen ihre Patienten lieber selbst. Dazu einige Hinweise.

"Nutzen Sie die Beschwerden von Patienten!" rät die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihren Kommunikations-Tipps (www.kbv.de/service/6514.html). Beschwerden könnten nützliche Verbesserungshinweise für die Praxis liefern. Und ein Patient, der sich beschwert, könne während eines ruhigen, klärenden Gesprächs wieder zu einem zufriedenen Kunden werden. Vorausgesetzt, er hat wirklich den Eindruck, dass sein Ärger ernst genommen wird. Damit er diesen Eindruck bekommen kann, müssen Beschwerden Chefsache werden. Der Arzt sollte ergebnisoffen nachfragen, bis der Anlass des Ärgers wirklich klar ist. "Gewinnen Sie Ihr Gegenüber, nicht das Gespräch", rät die KBV. Echte Fehler verdienten eine klare Entschuldigung, und in der nächsten Teambesprechung sollten Verbesserungen vereinbart werden. - Alles vielleicht nicht angenehm, aber besser, als wenn der Patient vergrätzte Flüsterpropaganda streut.

Beschwerde-/Fehler-/Risikomanagement sind in großen Unternehmen heute als notwendig anerkannt; jedenfalls gibt es sie. Krankenhäuser laden auf ihren Internetseiten Patienten und Besucher zu Lob und Kritik ein - die Eintragungen sind allerdings oft nur intern lesbar. Die Krankenkassenverbände betrieben von 2007 bis Ende 2010 das Modellprojekt "Unabhängige Patientenberatung Deutschland - UPD", die Beratungsarbeit - über die Jahre rund 250.000 Anfragen - übernahmen vor allem Büros der Verbraucherzentralen und des Sozialverbandes VdK. Bei den spektakulär klingenden "Beratungsfällen des Monats" der UPD spielte die Behandlungsqualität in Arztpraxen kaum eine Rolle. Anfragen zu Kosten und Kostenübernahme waren viel häufiger. Sollte irgendjemand spekuliert haben, die Arbeit der UPD werde Munition gegen die freien Heilberufe liefern, so ist er enttäuscht worden.

Und man kann ja auch vorbeugend (Managementjargon: "proaktiv") tätig werden. Auch zu Patientenbefragungen in Eigeninitiative hat die KBV Tipps (www. kbv.de/service/6502.html), die nützlich sein können. Preise und Behandlungsqualität dürften bei niedergelassenen Ärzten kaum Wettbewerbsinstrumente sein (Preise sind vorgeschrieben, die Behandlungsqualität hat hoch zu sein und kann von Laien auch kaum beurteilt werden) - aber die Servicequalität, die ist für den Patienten schon spürbar, bevor er den Arzt gesehen hat. Wer Grund zu der Vermutung hat, in der eigenen Praxis könnte etwas schief laufen, der sollte an eine Patientenbefragung denken. Maximal zwei Dutzend Fragen mit Ja/Nein-Antworten oder Zensuren von 1 bis 6, die auf ein Blatt Papier passen. Wichtig: Den Mitarbeiterinnen von Anfang an die Angst vor Nachteilen nehmen, wenn von Patienten Kritik kommen sollte. Sonst kann es passieren, dass nur "zahme" Patienten den Fragebogen in die Hand bekommen. Natürlich müssen die Bögen anonym ausgefüllt und in eine Sammelbox geworfen werden. Perfekt macht es, wer die Befragung nach einem Jahr wiederholt.


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Tipps für den Umgang mit Bewertungen

Wer wissen möchte, was in Patientenbewertungsportalen über ihn steht:

1) Sie geben einfach bei Google Ihren vollen Namen (ggf. mit Titel) plus Praxisort ein. Wenn ein Portal Sie verzeichnet, finden Sie einen oder mehrere Links in der Regel schon auf der ersten oder zweiten Google-Seite.

2) Wenn Sie unter Ihrem Namen bei Google keinen Link auf ein Bewertungsportal finden, ist Ihre Suche schon beendet. Sie sind dann in keinem Portal verzeichnet. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass ein großer Teil Ihrer Patienten nicht zu den typischen Internet-Nutzern gehört.

3) Wenn Sie mit den Schulnoten oder Texten, die über Sie zu lesen sind, nicht einverstanden sind und protestieren wollen, können Sie auf der Startseite des Portals nach Rubriken wie "Verhaltenskodex", "Nutzungsbedingungen", "Regeln" oder "Datenschutz" suchen. Das wird bei jedem Portal anders gehandhabt, ist oft ganz am Fuß der Startseite versteckt und manchmal auch gar nicht zu finden. Finden Sie in einer dieser Rubriken Links wie "Kontaktformular", "Adressredaktion", "Auskunftsrecht/Sperrung/Löschung" oder ähnliche, klicken Sie den Link an und schreiben Sie Ihren Protest. Sind Sie nicht fündig geworden, können Sie dem Betreiber trotzdem eine E-Mail schreiben; dessen Adresse finden Sie in den Rubriken "Home", "Kontakt" oder "Impressum". In manche Portale müssen Sie sich als Mitglied eintragen, um Ihren Protest loswerden zu können. Wir haben kein Portal gefunden, bei dem mit dem bloßen Nutzereintrag schon irgendeine Zahlungspflicht entstanden wäre.

4) Bewahren Sie auch bei herabwürdigender Kritik Ruhe. Eine qualifizierte Beurteilung Ihrer Arbeit kann in den Portalen nicht stattfinden. Das zeigt die Spannweite der für ein und denselben Arzt vergebenen Zensuren - von 1 bis 6. Rechnet man die 6 heraus, kommt dieser Arzt im Durchschnitt auf die Schulnote "gut", rechnet man sie nicht heraus, schafft er nur noch "befriedigend". Das hat ein einziger Patient, der vielleicht mit völlig unrealistischen Erwartungen in die Praxis kam, bewirkt. Patienten vergeben ihr Urteil nach Gusto, und Unzufriedenheit ist ein viel stärkerer Impuls, tätig zu werden, als Zufriedenheit. (fe)


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201101/h11014a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Bewertungen von Ärzten im Internet sind oft extrem und ohne Aussagekraft über die Behandlungsqualität.


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2011
64. Jahrgang, Seite 18 - 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de

Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2011