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ARTIKEL/472: Verbesserung der Gesundheit von Schwangeren und Müttern (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 111, 1/10

Trotz Millenniums-Entwicklungszielen
Kaum Fortschritte bei der Verbesserung der Gesundheit von Schwangeren und Müttern

Von Lisa Sterzinger


"Child Health Now" ist der Name der organisationsweiten Kampagne von World Vision International zur Senkung der Kindersterblichkeit, die im November 2009 startete. Die Studie, die anlässlich des Kampagnenstarts in New York und Nairobi präsentiert wurde, hält fest, dass weltweit jährlich 3,8 Millionen Kinder innerhalb der ersten 28 Tage nach der Geburt sterben - an Komplikationen rund um die Geburt. Diese Zahl beweist, dass das Millenniums-Entwicklungsziel (MDG) 4 - Senkung der Kindersterblichkeit - nur durch wirksame Programme für Schwangere und Wöchnerinnen zu erreichen sein wird.


60 Millionen Schwangere haben keinen Zugang zu qualifizierter Geburtshilfe. Die Ursachen für die Müttersterblichkeit sind in aller Hinsicht vielfältig, könnten jedoch durch die Beistellung von qualifizierten GeburtshelferInnen vermieden werden.

Südasien und Subsahara-Afrika sind jene Weltregionen mit der höchsten Müttersterblichkeit, gleichzeitig werden dort die wenigsten Geburten von medizinischem Fachpersonal begleitet. Besonders in ländlichen Gebieten haben die Frauen keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten oder Programmen für Schwangere. Eine Studie, die zwischen 1996 und 2005 in 57 Entwicklungsländern durchgeführt wurde, zeigte, dass 81% der Frauen in den Städten eine Geburtshelferin zur Seite haben, während das nur für 49% der Frauen in ländlichen Gebieten gilt. Diese krasse Unterversorgung führt dazu, dass noch immer jedes Jahr eine halbe Million Frauen bei der Geburt ihres Kindes stirbt. Weitere zehn Millionen Frauen erleiden durch Komplikationen bei der Geburt eine nachhaltige Schwächung ihrer Gesundheit.

Zur Erreichung des Millenniumsziels 5, welches die Reduktion der Müttersterblichkeit um 75% im Jahr 2015 als Aufgabe hat, wäre eine jährliche Senkung von 5,5% nötig. Der aktuelle Fortschritt liegt derzeit bei durchnittlich weniger als einem Prozent, in Subsahara-Afrika sogar bei nur 0,1%.(1)


Zugang zu reproduktiver Gesundheit für alle

Die Indikatoren des zweiten Teils von Millenniumsziel 5 messen die Verbreitung von Verhütungsmethoden, die Rate von Teenagerschwangerschaften, die Schwangerenbetreuung und den mangelnden Zugang zu Familienplanungsmethoden. Obwohl ein Mindestabstand von zwei Jahren zwischen den Geburten die gesundheitliche Belastung für die Frauen und ihre neugeborenen Kinder erheblich senken würde, sind es in Subsahara-Afrika immer noch weniger als ein Viertel der Frauen, die die Möglichkeit dazu haben. Gründe dafür sind Armut, mangelnde Bildung, religiöse Überzeugungen, kulturelle Faktoren und Männergewalt. Diese Hindernisse versperren Frauen den Zugang zu Familienplanung.

Die Mindeststandards der Schwangeren- und Neugeborenenbetreuung sehen vier Besuche während der Schwangerschaft und zwei im Wochenbett vor. Während es in der Schwangerschaft darum geht, Komplikationen vorauszusehen und zu verhüten, ist nach der Geburt die Überwachung von Mutter und Kind in Bezug auf die Übertragung von Infektionen, von Blutungen und Wundinfektionen von lebenswichtiger Bedeutung. Für die Ernährung und das Immunsystem des Kindes ist das problemlose Stillen unverzichtbar. Die Tetanusimpfung, Moskitonetze und Malariaprophylaxe sind ebenso angezeigt wie ein möglichst früher HIV-Test in Gebieten mit hoher Verbreitung. Leider sammeln nur sehr wenige Regierungen Daten über diese Basisversorgung von Schwangeren und Neugeborenen, obwohl zwei Drittel der Müttersterblichkeit in den Zeitraum des "Wochenbetts" fällt.


Das 7/11-Programm von World Vision

Auf Basis der Erfahrungen aus mehr als 1600 Regionalentwicklungsprogrammen weltweit hat World Vision ein Programm zur Verbesserung der Mütter- und Kindergesundheit entwickelt. Es beruht auf einfachen ökonomisch erschwinglichen Maßnahmen, die für Gesundheits- und Ernährungszustand der Frauen und Kinder essentiell sind und - breit angewendet - einen entscheidenden Beitrag zur Verminderung der Mütter- und Kindersterblichkeit leisten können.

Die sieben Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit von Schwangeren und Müttern umfassen neben Ernährungsberatung, Eisen- und Folsäuresubstitution, präventiven Maßnahmen gegen Krankheiten wie HIV/AIDS und Malaria, Entwurmungskuren, Immunisierung gegen Tetanus, Zugang zu Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe auch die Familienplanung, um die Zeiträume zwischen den Geburten zu verlängern. Maßnahmen, die das Überleben der Neugeborenen sicherstellen sollen, sind - für uns selbstverständlich - das Händewaschen, die Versorgung des Nabels, Vitamin-A- und Eisengaben sowie Stillberatung. Malariaprävention, Hilfe bei Fieber, ein Basisimpfpaket und bei Bedarf Nahrungsergänzung bzw. verstärkte Flüssigkeitszufuhr sollten möglichst bald auch für Frauen und Kinder im ländlichen Raum Afrikas oder Südasiens verfügbar sein.

Das direkte soziale Umfeld der Mütter und Kinder, also die Haushalte sowie die Communities spielen dabei eine große Rolle. Genau deshalb setzen die Programme von World Vision auf die Unterstützung dieser AkteurInnen und die Ermächtigung der Frauen selbst.

Auf Ebene der Communities werden in vielen Fällen Programme zur Verbesserung der Gesundheit zur Verfügung gestellt. Die Aufgabe von Hilfsorganisationen wie World Vision ist es, die Menschen zu informieren, auf welche Leistungen sie Anspruch haben, und andererseits den politischen EntscheidungsträgerInnen den Bedarf der Communities zu kommunizieren, damit passende Programme durch die öffentliche Hand entwickelt werden.

Um langfristig eine Verbesserung der Gesundheit der Mütter und der Kleinkinder zu erreichen, bedarf es auch weitreichender Verbesserungen der Gesundheitssysteme, vor allem in den ärmsten Ländern dieser Welt. Entscheidend ist auch eine Verbesserung des Ernährungszustandes der Frauen, wenn man bedenkt, dass ein Fünftel der Müttersterblichkeit auf das Konto von Mangel- und Unterernährung geht.


Das Beispiel Indonesien

In Indonesien sind 310 von 100.000 Geburten für die Mütter tödlich. Es gehört zu jenen 20 Ländern, in denen die Mütter- und Kindersterblichkeit am höchsten liegt. Je nach Region finden 30-50% aller Geburten zuhause statt. Pro 1000 EinwohnerInnen gibt es nur eine/n GesundheitsarbeiterIn, und die Ausgaben der Regierung für Gesundheit liegen bei nur 5% des nationalen Einkommens.

Gesundheitsdienste müssen zu ca. 80% aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Für jene 54% der IndonesierInnen, die von weniger als zwei Dollar pro Tag leben müssen, stellen Gesundheitsausgaben deshalb immer eine große Herausforderung dar.

Auf Bezirks- und Dorfebene gibt es zwar Gesundheitszentren, doch ihre Qualität ist schlecht und die Finanzierung der öffentlichen Hand niedrig und ungleichmäßig. In vielen Bezirken fehlt es an angemessenem Know-how und Kapazitäten für Planung, Budget- und Programmmanagement.

World Vision Indonesien führt bereits in 38 Regionalentwicklungsprogrammen gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Mütter- und Kindergesundheit durch.

In Schwangeren- und Stillgruppen, die World Vision Indonesien anbietet, lernen die Frauen über den Ablauf der Geburt, die notwendigen Handgriffe für die optimale Versorgung des Neugeborenen und die Wichtigkeit des Stillens. Neben direkten Maßnahmen ist auch die Zusammenarbeit mit der lokalen und nationalen Regierung wichtig, um die Qualität der öffentlichen Gesundheitsdienste zu verbessern.


HIV/Aids und Müttergesundheit

Noch immer haben weltweit nur 79% der Schwangeren Zugang zu einem HIV/AIDS Test.

Obwohl leichte Fortschritte erzielt wurden, sind es noch immer mehr als die Hälfte der ausgetesteten HIV-positiven Schwangeren, die keinen Zugang zu einer antiretroviralen Vorbeugungstherapie haben. In den fünf Ländern Lesotho, Namibia, Südafrika, Swasiland und Simbabwe zählt deshalb AIDS zur Haupttodesursache der Unter-Fünf-Jährigen. 90% der jährlich 370.000 Kinder, die sich mit HIV infizieren, erhalten das Virus von ihrer Mutter.

Anlässlich der Welt-Aids-Konferenz 2010 in Wien wird World Vision Österreich deshalb im ersten Jahr der Gesundheitskampagne die Forderung nach der Ausweitung von Programmen zur Testung und Behandlung von Schwangeren sowie nach frühen Testmöglichkeiten und Zugang zu Therapie für Kinder von HIV-positiven Müttern ins Zentrum seiner anwaltschaftlichen Arbeit stellen.


Anmerkungen:

(1) www.childinfo.org/maternal_mortality.html

(2) UNICEF 2009: Children and Aids. Fourth Stocktaking Report 2009.

(3) World Vision: Child Health Now. Together we can end preventable deaths (2009)

(4) United Nations: The Millennium Development Goals Report (2009)

(5) Österreichische Gesellschaft für Familienplanung: Reproduktive Gesundheits- und Versorgungsmängel. Fact Sheet (Wien 2008)


Zur Autorin:

Lisa Sterzinger ist Entwicklungssoziologin und Diplomkrankenpflegerin. Derzeit arbeitet sie als Referentin für Anwaltschaft bei World Vision Österreich (www.worldvision.at). Sie lebt in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 111, 1/2010, S. 10-11
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010

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