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SUCHT/602: "Nicht mehr unter Kontrolle..." - Mediensucht, eine neue Modeerscheinung? (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 135 - Heft 1, Januar 2012
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

»Nicht mehr unter Kontrolle ...«
Mediensucht - eine neue Modeerscheinung?

Von Jannis Wlachojiannis


'Lost in Space' heißt eine Berliner Beratungsstelle für Kinder, junge Erwachsene und deren Angehörige. Die Mitarbeiter beraten und unterstützen bei Problemen mit übermäßigem Internetkonsum. Über Hintergründe, Ziele und Erfahrungen berichtet Jannis Wlachojiannis.


Als Dr. Ivan Goldberg, ein angesehener New Yorker Psychiater, 1995 als Erster scherzhaft den Begriff »Netaddiction« gebrauchte, entfachte dies rasch eine Diskussion über ein neues Störungsbild. In den Medien wird die Thematik oft belächelt, Vergleiche zu den Diskussionen über die Lese- oder Schokoladensucht kommen auf, die schon in anderen Jahrhunderten geführt wurden.(1)

Aber wie sieht die gegenwärtige Situation aus? Ende September 2011 stellte Mechthild Dyckmans, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, eine repräsentative Studie zur Häufigkeit der Internetabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland vor.(2) Etwa ein Prozent dieser Bevölkerungsgruppe werden nach der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Studie »Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA I)« der Universität Lübeck und der Universität Greifswald als internetabhängig eingestuft. Das entspricht rund 560.000 Menschen. 4,6 Prozent (rund 2,5 Millionen Menschen) werden als problematische Internetnutzer angesehen.(3)

Aber was sagen uns diese Informationen für die Praxis? »Internetabhängige«, »Medienabhängige« »PIG« (pathologischer Internetgebrauch) - es kursieren derzeit etwa zwanzig Begriffe in Fachkreisen.

Finden Betroffene, für die es nach geltenden Klassifikationssystemen wie ICD-10 und DSM-IV noch keinen eigenständigen Diagnoseschlüssel gibt, den Weg ins Hilfesystem? Die Praxis zeigt, dass die Zahl der Hilfesuchenden jährlich zunimmt.

Als vor zehn Jahren die ersten Anrufe im Berliner Café 'Beispiellos' zum Thema Computerspiel- und Internetabhängigkeit eingingen, waren die Mitarbeiter vor Ort erst einmal ratlos. Das Café 'Beispiellos', eine Beratungsstelle, die seit 1987 mit pathologischen Glücksspielern arbeitet, hatte es nun mit Ratsuchenden einer weiteren »Spielsucht« zu tun. Diese berichteten, nicht von Automaten oder Poker abhängig zu sein, sondern von Computerspielen. Im Zuge der kostengünstiger werdenden Internetverbindungen und der zunehmenden Online-Rollenspiele, die auf den Markt kamen, stieg die Zahl der Hilfesuchenden jährlich an. Im Jahr 2006 gab der Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. den Startschuss für das Pilotprojekt 'Lost in Space', ein eigenständiges Beratungsangebot für Computerspiel- und Internetabhängige und deren Angehörige. Im Jahr 2006 nahmen 37 Betroffene das Hilfsangebot wahr, 2010 waren es schon 165 Personen. Im Laufe der letzten Jahre nahmen sich immer mehr ambulante sowie stationäre Einrichtungen der Suchthilfe dem Problembereich an, eröffneten Fachstellen oder erweiterten ihr Angebot. 2008 gründete sich in Schwerin der Fachverband Medienabhängigkeit e.V., der zurzeit über 100 Mitglieder hat, die den unterschiedlichsten Professionen angehören und stellvertretend für die verschiedenen Institutionen stehen. Der Verband setzt sich im deutschsprachigen Raum dafür ein, ein Netzwerk von Forschern und Praktikern, die sich mit diesem neuartigen Krankheitsphänomen beschäftigen, zu schaffen. Aus den jeweiligen Institutionen wird vermeldet, dass der Hilfebedarf jährlich erheblich zunimmt. Somit ist die Relevanz der Problematik nicht mehr wegzudenken und für eine »Modeerscheinung« schon zu lang anhaltend.


Warum verlieren sich Menschen in virtuellen Welten?

Seit der kommerziellen und privaten Verbreitung des Internets, dem fast flächendeckenden Zugang, gehört dessen Nutzung zur Alltagskultur in Deutschland. Die Onlinezeiten von Jugendlichen steigen jährlich, und der JIM-Studie (Jugend, Information, [Multi-]Media des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest) von 2010 ist zu entnehmen, dass sich die tägliche Nutzungsdauer (Montag-Freitag) der 12- bis 19-Jährigen (alle Befragten) nach Selbsteinschätzung der Jugendlichen aktuell auf 138 Minuten am Tag beläuft. Jungen schätzen ihre Nutzung mit täglich 144 Minuten etwas höher ein als Mädchen (131 Minuten), mit zunehmendem Alter der Jugendlichen steigt die Onlinenutzung von 91 Minuten (12-13 Jahre) auf 172 Minuten (18-19 Jahre) an.(4)

Der Großteil derjenigen, die das Internet sowie Computerspiele nutzen, tut dies ohne erhebliche Probleme, nutzt die Vorteile und versteht es, den Gebrauch in den Alltag zu integrieren.

In den letzten Jahren kommen jedoch immer mehr Menschen, die ihren Medienkonsum nicht mehr unter Kontrolle haben, ins Hilfesystem, wenn der Leidensdruck im realen Leben extrem stark wird. Bei jüngeren Klienten sind die Folgen häufig Schulverweise, Wiederholen einer Klasse, Probleme in der Ausbildung oder Exmatrikulation, Abmahnungen u.a. Die Gründe, warum der Betroffene stundenlang online oder offline spielt, exzessiv chattet oder sich stundenlang Seiten mit pornografischen Inhalten anschaut, sind individuell sehr verschieden.

Entscheidend ist aber die Funktionalität des jeweiligen Anwendungsbereichs. Hilfesuchende berichten in der Regel, dass sie die Angebote nutzen, um negative Gefühlszustände zu regulieren. Aufgrund einer belasteten Alltagssituation, bedingt durch erhebliche Probleme und Ohnmachtsgefühle, diese nicht lösen zu können, frequentieren sie wieder und wieder den jeweiligen Bereich mit der Folge, sich in einer Abwärtsspirale und einem Teufelskreis wiederzufinden. Auffällig ist, dass der Großteil der Betroffenen über Probleme mit Online-Rollenspielen (MMORPG(*) = gamercharts) berichtet. Das Spiel »World of Warcraft« wird in diesem Kontext am häufigsten genannt. 35,8 Prozent aller Klienten, die im Jahr 2009 und 2010 bei 'Lost in Space' ein Beratungsgespräch in Anspruch nahmen, berichteten, mit diesem Spiel den Großteil ihrer (Online-)Zeit zu verbringen.(5)

Ziel bei Online-Rollenspielen ist es, einen virtuellen Charakter, auch Avatar genannt, durch eine dauerhafte Online-Parallelwelt zu steuern, die von tausenden Mitspielern aus der ganzen Welt bevölkert wird. Je länger man spielt, desto erfolgreicher wird man und desto mächtiger wird die virtuelle Spielfigur. Die Anerkennung durch die Mitspieler steigt stetig und motiviert zu weiterem Spielen. Betroffene berichten häufig, dass sie von den dauerhaft anhaltenden Belohnungen im Spiel, gepaart mit den sozialen Kontakten zu (realen) Mitspielern und den damit einhergehenden Verpflichtungen und Bindungen, erhebliche Schwierigkeiten haben, sich von den Spielen zu trennen.

Bei 'Lost in Space' nehmen zu 90 Prozent männliche Betroffene die Beratung in Anspruch; im Durchschnitt sind die Klienten 25 Jahre alt. Häufig berichten sie von Nutzungszeiten von bis zu 100 Stunden in der Woche, teilweise mit nur einem Anwendungsbereich, beispielsweise einem Spiel oder sozialem Netzwerk.

Aus dem Beratungssetting werden unterschiedlichste Formen abhängiger Verhaltensweisen im Spektrum von Medienabhängigkeit berichtet. Pathologische Konsummuster treten u.a. auf bei:

- Online-Rollenspielen, Ego-Shooter, Strategiespielen/Simulationen, Surfen/Newsseiten, Pornografie, Actionspielen, Browserspielen, Chatten;
- PC-Nutzung (Musik, Filme, Wikipedia).

Erfahrungen aus dem Beratungsalltag zeigen, dass Online-Sexsüchtige ein spezielles, auf ihre Problematik abgestimmtes Behandlungskonzept benötigen, was sich deutlich von beispielsweise Online-Rollenspielern unterscheidet.


Abstinent von PC und Internet?

Bei der Arbeit mit pathologischen Glücksspielern sowie mit stoffgebundenen Abhängigen ist die Motivation zur Herstellung und Aufrechterhaltung einer Abstinenz die Voraussetzung für eine Behandlung in der Suchthilfe.

Ziel der Arbeit mit Medienabhängigen kann kein völliger Verzicht auf Medien wie Computer(-spiele), Internet oder Handy sein. In Zeiten, wo genannte Medien einen integralen Bestandteil nicht nur jugendlicher Alltagskultur darstellen, wäre dieser Ansatz nicht mehr zeitgemäß. Ebenso würde das für viele einer Isolation im schulischen, beruflichen oder gesellschaftlichen Alltag gleichkommen. Ziel der Beratungsarbeit ist es, gemeinsam mit Betroffenen Lösungswege zu erarbeiten, wie das Medium Computer bewusst in das alltägliche Leben integriert werden kann, sodass Lebensbereiche wie Schule, Ausbildung, Beruf, Familie oder Partnerschaften nicht darunter leiden. In erster Linie zielt die Arbeit mit Betroffenen auf die stabile Abstinenz von individuell abgestimmten Medieninhalten, beispielsweise »World of Warcraft«. Neben dem Fokus auf der Veränderung des Medienkonsums liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Beratung auf der adäquaten Gestaltung des alltäglichen Lebens, außerhalb von virtuellen (Spiele-)Welten.


Neue Trends aus dem Beratungsalltag

In den letzten beiden Jahren zeichnete sich ab, dass immer mehr Betroffene Probleme in ihrem Nutzungsverhalten mit sozialen Netzwerken wie Facebook bekommen. Auf der einen Seite wird berichtet, dass sie tägliche Nutzungszeiten von etwa 8 bis 14 Stunden vorweisen, täglich damit beschäftigt sind, mit virtuellen Freunden den Austausch zu suchen, Bilder anzuschauen, Kommentare zu schreiben. Auf der anderen Seite schildern Betroffene, dass sie exzessiv in sozialen Netzwerken Spiele wie »FarmVille« oder »Mafia-Wars« frequentieren. Eine weitere Entwicklung ist, dass Betroffene berichten, vordergründig kostenlose Spiele (Shooter, Strategiespiele, Online-Rollenspiele) zu spielen, die sich über »Micropayments« im Spiel finanzieren. Der Kauf von Zusatzmaterial (Items) innerhalb des Spiels findet mit realem Geld statt. In der Beratungspraxis zeigt sich dies als gängige Praxis, da ein Weiterkommen in dem jeweiligen Spiel ohne den Erwerb von Zusatzmaterial häufig nicht möglich ist. Betroffene berichten, dass sie Beträge bis zu 2000 Euro in ihren Spielaccount investiert haben, um ihre imperiale Flotte aufzurüsten oder Waffen und Gegenstände für ihre Spielfigur zu erwerben.


Wichtige Kooperationspartner

Ähnlich wie bei stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen ist auch bei Medienabhängigkeit darauf zu achten, auftretende komorbide Störungen zu behandeln. Auffällig bei Betroffenen ist die stark unsichere Art in ihrem Auftreten. Viele klagen über Ängste, Unsicherheiten und Depressionen. Der PC-Konsum ist ein suboptimaler Bewältigungsversuch einer individuellen Problemlage, manchmal vielleicht sogar ein Selbstheilungsversuch bei einer sich vielleicht ohne den PC noch deutlicher manifestierenden psychischen Störung. Dies wird oft stark begünstigt durch die Isolation von der Außenwelt. Eine Beobachtung aus dem Beratungsalltag manifestiert sich zunehmend: Betroffene leiden stark an sozialen Kompetenzdefiziten, da sie während ihrer Adoleszenzphase große Teile am PC oder der Konsole verbracht haben.

Durch unsere Erfahrungen aus dem Praxisalltag hat sich herauskristallisiert, dass aufseiten der Betroffenen ein hoher Bedarf an ambulanter und stationärer Therapie herrscht. Häufig nutzen Angehörige das Beratungsangebot und berichten, dass ihr Kind ein Problem mit PC und Internet hat. Erfahrungsgemäß sind die Kinder und Jugendlichen zum größten Teil unter 18 Jahre und verspüren oftmals nur wenig eigenen Leidensdruck. Aufgrund der Erfahrungen mit Angehörigen stellte sich heraus, dass die Situationen im Familiensystem oftmals Rückschlüsse auf einen pathologischen Medienkonsum des jeweiligen Familienmitglieds zulassen. Aufgrund beispielsweise fehlender elterlicher Fürsorge, einem stark belasteten Elternhaus und einer fehlenden Begrenzung der Nutzung des PCs flüchtet sich der Betroffene oftmals in die Onlinewelt. Häufiger handelt es sich aber in der Arbeit mit Angehörigen um Erziehungsfragen. Schwerpunktthemen sind dabei die Erstellung, Einführung und Durchsetzung von Regeln im Familienalltag, wofür eine Suchtberatungsstelle nicht der angemessene Rahmen ist. Die Kooperation mit einer Erziehungs- und Familienberatungsstelle hat sich als sehr positiv herausgestellt, da so eine adäquate Weitervermittlung stattfinden kann.

Trotz alledem soll an dieser Stelle nicht die eigentliche Zielgruppe außer Acht gelassen werden: Jugendliche, pathologische PC-Nutzer, die nicht selbstständig den Weg ins Hilfesystem finden. Als sinnvoll zu erachten ist daher die Kooperation zwischen Beratungsstellen und (kinder- und jugend-)psychiatrischen Kliniken, auch um die Möglichkeit einer Diagnostik komorbider Störungen (soziale Ängste, Depressionen etc.) für die Betroffenen zu gewährleisten.


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Interview

Ein Besucher der Beratungsstelle 'Lost in Space' (im Folgenden LiS) hat sich bereit erklärt, einige Fragen zu beantworten:

LiS: Kannst du dich kurz vorstellen?

Jonas: Mein Name ist Jonas, ich bin 27 Jahre alt und studiere derzeit Informatik.

LiS: Seit wann spielst du Computerspiele?

Jonas: Den ersten Gameboy habe ich, glaube ich, mit acht Jahren bekommen. Während meiner Jugend hatte ich alle bekannten Konsolen - NES (Nintendo Entertainment System), Super Nintendo, Playstation -, bis ich mit 20 Jahren meinen ersten PC bekam.

LiS: Wann ist dir das erste Mal aufgefallen, dass du ein Problem damit hast?

Jonas: Zu Beginn meines Studiums hatte ich immer wieder Phasen, wo ich das Erledigen meiner Hausarbeiten aufgeschoben habe. Am liebsten konnte ich das beim Spielen am PC vergessen. Seit 2008 spiele ich »World of Warcraft«. Seitdem habe ich das Gefühl, das alltägliche Leben nicht mehr im Griff zu haben.

LiS: Wie viel hast du zu dem Zeitpunkt konsumiert?

Jonas: Anfänglich habe ich ein bis zwei Stunden täglich gespielt. Am Wochenende war ich meistens mit meinen Kumpels unterwegs und saß meistens gar nicht am PC. Ich habe immer mehr Zeit in »World of Warcraft« investiert und wurde immer erfolgreicher. Mein Hauptcharakter im Spiel war ein Heiler. Für meine Gilde, meine Spielergemeinschaft, war ich fast unentbehrlich und verbrachte irgendwann fast die ganze Zeit am PC. Häufig war ich bis spät in die Nacht am PC und ging kaum noch in die Uni. Täglich spielte ich zehn bis zwölf Stunden und verbrachte kaum noch Zeit mit meiner Familie oder Freunden außerhalb des Spiels.

LiS: Aber hat dich denn niemand darauf aufmerksam gemacht, dass du ein Problem hast?

Jonas: Irgendwann bin ich gar nicht mehr rausgegangen, habe nur noch gespielt und mir von 'Kaiser's' Lebensmittel liefern lassen. Dann standen meine Eltern plötzlich vor meiner Haustür, ich hatte mich wochenlang nicht mehr gemeldet. Ich werde nie das Gesicht meiner Mutter vergessen, als sie mich aus meiner Bude geholt hat. Eine Mischung aus Entsetzen und voller Schrecken war ihrem Gesicht abzulesen, als sie mich so dahinvegetieren sah. Es war alles um den PC aufgebaut, Essen, Trinken, ich hatte mich ewig nicht gewaschen, und es sah aus, als hätte eine Bombe bei mir eingeschlagen. Ich habe mich richtig geschämt.

LiS: Und wie kam nun letztendlich die Einsicht?

Jonas: Ich bin dann erst einmal wieder zu Hause eingezogen und kam mir wieder wie mit zwölf vor. Ich dachte, so kann es nicht weitergehen, und hatte auch erst einmal keinen PC. Am Anfang habe ich das Spielen total vermisst, konnte das Nichtstun einfach nicht aushalten. Nach ein paar Tagen ging es dann wieder, ich konnte zunehmend entspannen und zur Ruhe kommen.

LiS: Wie hast du den Weg ins Hilfesystem gefunden?

Jonas: Meine Eltern kamen bei der Onlinerecherche auf 'Lost in Space', der Beratungsstelle für Computerspiel- und Internetabhängige in Berlin. Gemeinsam vereinbarten wir einen Beratungstermin. Dort hatte ich nicht das Gefühl, dass mir irgendjemand was wegnehmen will, dass ich für immer auf den PC zu verzichten habe. Das waren meine Sorgen, bevor ich die Beratungsstelle aufgesucht habe. In den Gesprächen, die folgten, wurden gemeinsam Regeln erstellt, wie ich welche Bereiche am PC und online zu nutzen habe und was ich mit meiner frei gewordenen Zeit anfangen soll. Die schwerste Entscheidung war, mich von meiner Gilde zu verabschieden. Ich hatte Sorge, dass meine Mitspieler total sauer über meine Entscheidung sein werden. Ich habe einen langen Abschiedsbrief geschrieben, diesen in das Forum unserer Gilde gestellt und bekam daraufhin ein super Feedback! Dein »real life ist wichtiger« als dein Spiel, schrieb mir ein Mitspieler. Das hat mich bestärkt, nicht mehr zu spielen, mich Dingen des Alltags - meinem Studium, meinen Freunden und meiner Familie - zu widmen.

LiS: Was ist aus deiner Sicht wichtig, wenn Betroffene professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Jonas: Ich denke, es ist erst einmal wichtig, dass die Person, der ich mich anvertraue, ein Verständnis dafür hat, was ich am PC mache, wofür ich mich interessiere. Ich habe den Eindruck, dass häufig Computerspieler in der Gesellschaft als aggressive Idioten stigmatisiert werden, und was sie für Fähigkeiten bei vielen neuen hochkomplexen Spielen brauchen, gar nicht wahrgenommen wird.


Jannis Wlachojiannis, Diplom-Sozialpädagoge, ist Mitarbeiter bei 'Lost in Space' und im Beirat des Vorstands des Fachverbands Medienabhängigkeit e.V. (www.FV-Medienabhaengigkeit.de).
Kontakt: Lost in Space, Beratung für Computerspiel- und Internetabhängige des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin e.V.;
E-Mail: J.Wlachojiannis@caritas-berlin.de
Internet: www.computersucht-berlin.de


Anmerkungen:

(1) In was für einem Land leben wir eigentlich:
http://www.neon.de/artikel/sehen/gesellschaft/in-was-fuer-einem-land-leben-wir-eigentlich/685074

(2) http://drogenbeauftragte.de/presse/pressemitteilungen/2011-03/pm-pinta-studie.html

(3) http://drogenbeauftragte.de/fileadmin/dateien-dba/DrogenundSucht/Computerspiele_Internetsucht/Downloads/PINTA-Bericht-Endfassung_280611.pdf

(4) Jim-Studie 2010. http://www.mpfs.de/fileadmin/JIMpdf10/JIM2010.pdf

(5) Interne Klientenerhebung Lost in Space 2009-2010 (Mehrfachnennungen inbegriffen).

(*) MMORPG, engl. Abk. für Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel).


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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 135 - Heft 1, Januar 2012, Seite 26 - 28
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2012