Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → SOZIALES


PSYCHOLOGIE/179: Psychotherapie - Dissens über Kostenerstattung (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2018

Psychotherapie
Dissens über Kostenerstattung

von Dirk Schnack


Gesetzliche Krankenkassen bewilligen die Kostenerstattung für ambulante Psychotherapie in Privatpraxen immer seltener.


Gesetzliche Krankenkassen bewilligen Anträge auf Kostenerstattung für ambulante Psychotherapien in Privatpraxen in deutlich geringerem Umfang als früher. Dies zeigt eine Versorgungsstudie, die im Auftrag von zehn Landespsychotherapeutenkammern, darunter auch die Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein, durchgeführt wurde. Die Umfrage wurde unter rund 2.500 Psychotherapeuten im ersten Quartal 2018 vorgenommen. Das Ergebnis zeigt, dass die Bewilligungsquote von Anträgen auf Kostenerstattung binnen eines Jahres von 81% auf 47% gesunken ist.

Der Rückgang alarmiert die Psychotherapeutenkammern in Deutschland, weil sich ihrer Beobachtung nach die gesundheitliche Versorgung psychisch kranker, therapiesuchender Menschen schon 2017 gegenüber dem Vorjahr deutlich verschlechtert hatte. "Schon 2017 hatten die gesetzlichen Krankenkassen trotz entsprechender gesetzlicher Verpflichtung deutlich mehr Anträge auf Kostenerstattung abgelehnt als im Jahr 2016", informierte Dagmar Schulz, Vorstand der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein, im Anschluss an eine Pressekonferenz der Kammern in Berlin. Die beteiligten Körperschaften fordern jetzt "rasche Maßnahmen, um der Chronifizierung psychischer Erkrankungen vorzubeugen und einen schnellen Behandlungsbeginn ambulant vor stationär zu gewährleisten".

Aus den ermittelten Zahlen leiten die Psychotherapeuten eine "restriktive Handhabung der Kostenerstattung für außervertragliche Psychotherapien" ab. Den Krankenkassen werfen sie vor, damit "ohnehin unzureichende ambulante Behandlungsmöglichkeiten für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen" zu verknappen bzw. den Zugang zu einer notwendigen und leitliniengerechten Behandlung zu verwehren. "Dabei verhalten sich einige Krankenkassen sogar gesetzwidrig, da sie gegenüber ihren Versicherten behaupten, die Kostenerstattung von außervertraglichen psychotherapeutischen Behandlungen sei nach Einführung der neuen Psychotherapie-Richtlinie abgeschafft worden", heißt es im Ergebnisbericht der Befragung.

Die Kammern verwiesen in diesem Zusammenhang auf die in Paragraf 13 Absatz drei SGB V formulierte Verpflichtung für gesetzliche Krankenkassen, eine erforderliche ambulante Psychotherapie als außervertragliche Behandlung im Wege der Kostenerstattung zu finanzieren, wenn die Sicherstellung der Behandlung im Rahmen der Vertragspraxen nicht gewährleistet werden kann. Voraussetzung dafür ist die diagnostische Feststellung einer psychischen Erkrankung.

Will ein GKV-Versicherter einen Antrag auf Kostenerstattung einer außervertraglichen Psychotherapie einreichen, muss er je nach Krankenkasse zwischen fünf und 15 Vertragspsychotherapeuten nennen, die er angefragt hat und die ihm keine zeitnahe Behandlung anbieten können. 2017 wurden laut Umfrage im Durchschnitt mehr als acht Anfragen bei Vertragspsychotherapeuten genannt - 2016 waren es im Durchschnitt noch sechs. Dennoch begründen Krankenkassen die verweigerte Kostenübernahme oft mit dem Hinweis, es seien genug Kassenpraxen vorhanden oder die Wartezeit bei Vertragspsychotherapeuten sei zumutbar. Auch die Einrichtung der Terminservicestellen führen sie als Begründung an. 80 Prozent der Befragten gaben an, dass die Kassen häufig mitteilen, die neu geschaffenen Terminservicestellen würden nun alle Patienten "versorgen".

Interessant ist auch, welche Behandlungsalternativen die Kassen bei Ablehnung der Kostenerstattung nennen. Am häufigsten kommt der Verweis auf Klinikambulanzen (27%), stationäre Maßnahmen (24%) und Psychiater (21%). Jeder zehnte antwortende Psychotherapeut gab an, dass von den Kassen auch Online-Programme, Beratungsstellen oder Beratungen durch geschulte Kassenmitarbeiter genannt wurden. "Abgesehen davon, dass eine entsprechende Indikation nur von einer Fachkraft gestellt werden kann, ist der Verweis auf stationäre Maßnahmen gesundheitsökonomisch schwer nachvollziehbar: Die stationäre Behandlung ist in der Regel deutlich teurer als die ambulante. Wenn ambulante Maßnahmen indiziert sind, ist es auch nicht sinnvoll, diese aus Mangel an Therapieplätzen in stationäre Behandlungen umzuwandeln. Zudem sind bei stationär-psychiatrischen Behandlungen auch unnötige Hospitalisierungsfolgen zu berücksichtigen", heißt es im Ergebnisbericht.

Die jüngsten Erweiterungen der Psychotherapie-Richtlinie durch niedrigschwellige Angebote führen nach Wahrnehmung der Kammern gleichzeitig zur Verknappung von Kapazitäten für Richtlinienpsychotherapie in den Vertragspraxen. Sie geben zu bedenken: "Dieses Problem wird durch die verpflichtende Vermittlung von probatorischen Sitzungen über die Terminservicestellen seit dem 1.10.2018 noch verschärft, da hierfür in den Vertragspraxen zeitliche Kapazitäten freigehalten werden müssen, auch wenn keine indizierte Anschlussbehandlung angeboten werden kann." Als Ergebnis fordern sie, ambulante Behandlungsmöglichkeiten auszubauen. Außerdem wollen sie eine Versorgungsplanung erreichen, die sich am konkreten Behandlungsbedarf der Patienten orientiert. Erforderlich ist aus ihrer Sicht auch die Aufhebung von Beschränkungen beim Jobsharing, bei Anstellungsverhältnissen in Praxen und bei der Nachbesetzung von Praxissitzen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen beschreibt die Situation für psychotherapeutische Patienten aus einem ganz anderen Blickwinkel. Nach seiner Darstellung nimmt die Versorgung mit psychotherapeutischen Leistungen für GKV-Versicherte in Deutschland im internationalen Vergleich hinsichtlich des Umfangs der Versorgung und der Dichte an Psychotherapeuten in der Fläche eine Spitzenposition ein: "In anderen Ländern müssen Patienten in der Regel ihre psychotherapeutische Behandlung aus eigener Tasche bezahlen. Eine vergleichbare Kostenübernahme wie in Deutschland gibt es in keinem anderen Land."

Der Kassenverband sieht sich auch durch ein Gutachten des Sachverständigenrates (SVR) zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bestätigt, wonach es bei den psychologischen Psychotherapeuten einen stetigen Zuwachs gegeben habe. Der Zuwachs wird mit 76 Prozent für den Zeitraum von 2000 bis 2016 angegeben.


INFO

60 psychotherapeutische Praxen aus Schleswig-Holstein beteiligten sich an der bundesweiten Umfrage der Psychotherapeutenkammern.

47 Prozent der Anträge auf Kostenerstattung psychotherapeutischer Leistungen in Privatpraxen wurden bundesweit bewilligt - ein Jahr zuvor waren es noch 81 Prozent.

8 Anfragen bei Vertragspsychotherapeuten haben Patienten im Durchschnitt gestellt, bevor sie einen Antrag auf Kostenerstattung für die psychotherapeutische Leistung in Privatpraxen stellen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201811/h18114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, November 2018, Seite 22
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang