Hans-Böckler-Stiftung - 16.03.2018
Pflege: Potenzial neuer Techniken für Patienten und Beschäftigte wird noch nicht richtig genutzt
Die Digitalisierung wird das Gesundheitswesen verändern. Damit sie Patienten und Pflegekräften möglichst viel Nutzen bringt, muss der Einsatz von Technik klaren Regeln folgen und sich am Arbeitsalltag orientieren. Ganz wichtig: maximale Bedienungsfreundlichkeit, Digitalisierung als Weiterbildungsgegenstand, genug Zeit und Einweisung, um den Umgang mit den neuen Techniken und Geräten sicher zu erlernen - und eine faire Honorierung von zusätzlichen Kompetenzen.
Die elektronische Krankenakte, Telemedizin oder Pflegeroboter - moderne Technologien verändern die Arbeit in Pflegeberufen und sind gerade auch Thema auf dem Deutschen Pflegetag. Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die Beschäftigten und die Patienten hat, kommt allerdings in der aktuellen, häufig technikgetriebene Debatte zu kurz. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Michaela Evans vom Institut Arbeit und Technik, Dr. Volker Hielscher vom Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft und Dr. Dorothea Voss von der Hans-Böckler-Stiftung.*
Wenn neue Technologien eingeführt werden, sollten diese in erster Linie die Arbeitsbedingungen und die Qualität in der Pflege verbessern, also dem Wohl der Menschen dienen, betonen die Forscher: "Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften in der Pflege ist angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren enorm. Zugleich wird allenthalben mehr Zeit für menschliche Zuwendung in der Pflege und eine bessere Versorgungsqualität gefordert. Durch Technikunterstützung allein wird man diese Herausforderungen nicht meistern können, doch sollten Technikpotenziale systematisch ausgelotet und genutzt werden", heißt es in der Analyse. Die Wissenschaftler haben ein Leitbild entworfen, das als Richtschnur für den Einsatz von Technik in Pflegeberufen dienen kann. Die wichtigsten Punkte sind:
1. Drängende Probleme des Arbeitsalltags lösen
Damit Technik von den
Beschäftigten tatsächlich als Entlastung wahrgenommen wird, muss sie sich
nahtlos in den Pflegealltag einbetten lassen. Sie darf weder neue oder
zusätzliche Probleme schaffen noch zu erhöhtem Bedienungsaufwand führen
oder durch eine umständliche Gerätebedienung die für die Pflegebedürftigen
wertvolle Zeit reduzieren.
2. Mehr Wert auf Qualifizierung legen
Nur wenn sich Beschäftigte kompetent in der Handhabung einzelner Geräte
oder ganzer technischer Systeme fühlen, sind sie in der Lage und bereit,
die Technologien auch im Arbeitsalltag zu nutzen. Werden sie nach dem
Motto "Mach einfach mal" mit den Geräten alleingelassen, stellt die
Auseinandersetzung mit der Technik eher eine Mehrbelastung in einem
ohnehin schon anstrengenden Beruf dar. In der Aus- und Weiterbildung
kommen technikunterstützte Lösungen bislang kaum vor - das muss sich
ändern.
3. Mitbestimmung stärken
Die Beteiligung der Beschäftigten bei der Einführung moderner Technik ist
zentral für nachhaltige Modernisierungsstrategien. Schließlich verfügen
die Beschäftigten über das praktische Wissen. Sie können am besten
einschätzen, an welcher Stelle die Technik sinnvoll eingesetzt werden
kann. Bislang werden jedoch Betriebs- und Personalräte, so sie vorhanden
sind, oft nur unzureichend eingebunden (siehe auch die vertiefende Studie
zur Digitalisierung im Krankenhaus; Link unten).
4. Arbeit aufwerten und Kompetenzen erweitern
Die psychosozialen
Anforderungen in der Pflegearbeit sind jetzt schon hoch, zugleich aber
auch unterbewertet. Bei erhöhtem Technikeinsatz werden die Ansprüche an
die professionellen Kompetenzen noch größer. Das verdient mehr Anerkennung
und bessere Bezahlung. Wird die Arbeit in der Pflege gegenüber anderen
Berufsgruppen wie zum Beispiel Ärzten aufgewertet, würde dies die
Attraktivität des Berufsbildes erhöhen und zur Fachkräftegewinnung
beitragen.
5. Auf überbetrieblicher Ebene aktiv werden
Neue digitale Technologien
betreffen das gesamte Gesundheitswesen. Die Auswirkungen auf
Arbeitsprozesse, Qualifikationen, Arbeitsbelastung und Versorgungsqualität
sollten daher nicht nur im Einzelfall, sondern auch auf überbetrieblicher
Ebene begutachtet werden. Die gewonnenen Erkenntnisse liefern Hinweise auf
erwünschte und unerwünschte Effekte. Davon ausgehend lassen sich
arbeitspolitische Forderungen formulieren und in den politischen Prozess
einbringen.
*Michaela Evans, Volker Hielscher, Dorothea Voss:
Damit Arbeit 4.0 in der
Pflege ankommt? Wie Technik die Pflege stärken kann
Policy Brief der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 004 März 2018.
Download: https://www.boeckler.de/pdf/p_fofoe_pb_004_2018.pdf
Kurze Zusammenfassungen vertiefender Studien zum Thema:
Digitalisierung im Krankenhaus:
https://www.boeckler.de/112012_112018.htm
Technikeinsatz in der Altenpflege:
https://www.boeckler.de/61693_61703.htm
Mit der Aufwertung von sozialer und personenbezogener Arbeit hat sich auch
die von der Hans-Böckler-Stiftung initiierte Expertenkommission "Arbeit
der Zukunft" intensiv auseinandergesetzt. Ihre Denkanstöße:
https://www.boeckler.de/pdf/arbeit-transformieren.pdf#page=49&zoom=100
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution621
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 16.03.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2018
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